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Als kürzlich Burmas Mönche erfolglos für Demokratie auf die Straße gingen, erhob sich der Ruf nach einem energischen Auftreten Indiens zugunsten der Opposition gegen das Militärregime. Dazu schien die zahlenmäßig größte Demokratie der Welt nicht nur aufgrund ihres Selbstverständnisses verpflichtet, sondern auch aufgrund ihrer Macht und der unmittelbaren Nachbarschaft in der Lage. Die Rufer übersahen allerdings, dass die indisch-burmesischen Beziehungen alles andere als eng und damit die Möglichkeiten der Einflussnahme ausgesprochen gering sind. Wohl besitzen beide Staaten als ehemals britische Kolonien, die gemeinsam von Kalkutta bzw. Delhi aus verwaltet wurden, gewissermaßen eine gemeinsame Vergangenheit. Die Gründergeneration, insbesondere die freundschaftlich verbundenen Premierminister Jawaharlal Nehru und U Nu, arbeitete bei politischen Initiativen in Asien und den Vereinten Nationen zusammen, zum Beispiel wenn es um die Zukunft Koreas oder die Unabhängigkeit Indonesiens ging. Da Indien traditionell einen Großteil der burmesischen Reisexporte abnahm und die indische Diaspora im Nachbarland zu der größten weltweit zählte, waren auch die ökonomischen Bande eng.
Mit Etablierung der Militärherrschaft in Burma seit Ende der fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts ging eine rasche Abkühlung der bilateralen Beziehungen einher. Das lag allerdings weniger an der unterschiedlichen innenpolitischen Ausrichtung, als am Unwillen bzw. der Unfähigkeit Indiens, Burma politisch und militärisch hinreichenden Rückhalt zu gewähren. Denn Letzteres grenzt auch an den anderen asiatischen Riesen, die Volksrepublik China. Diese forderte bald nach der Einverleibung Tibets 1951/52 von allen ihren südlichen Nachbarn Verhandlungen über den Grenzverlauf. Soweit die bestehenden Grenzen überhaupt exakt demarkiert seien, seien sie die Ergebnisse europäischer Kolonialpolitik. Angesichts des Auftretens der chinesischen Delegationen sowie des Umfangs der territorialen Forderungen wurde schnell klar, dass es der Volksrepublik nicht um schiedlich-friedliche Regelungen ging, sondern um eine Machtdemonstration. Diese galt weniger den eher unbedeutenden kleineren Nachbarn, als Indien, dem Rivalen um eine Führungsrolle in Asien. New Delhi zeigte sich demgemäß zunehmend intransigent, ließ sich seit Ende der 1950er auf Grenzscharmützel ein und erlitt schließlich im Grenzkrieg des Jahres 1962 eine demütigende Niederlage.
So wenig die indische Armee für die Auseinandersetzung gerüstet war, so wenig war es die indische Diplomatie. Die Taktik der Pekinger Regierung war es, Indien als den eigentlichen Gegner politisch zu isolieren, was bestens gelang. Denn den kleineren südlichen Anrainern wurden durchaus faire Grenzen angeboten, um Indien als den Störenfried zu brandmarken, der als einziger keinen Willen zum Kompromiss zeigte. Nepal sowie insbesondere Sikkim und Bhutan blieben zwar aufgrund ihrer geographisch bedingten einseitigen Abhängigkeit von Indien weiterhin Teil von dessen Einflusssphäre. Pakistan dagegen packte die Chance beim Schopfe und machte den Feind des Feindes zum Freund, nicht zuletzt, indem es der Volksrepublik geringfügige Teile des auch von Indien beanspruchten ehemaligen Fürstenstaats Kaschmir zugestand. Burma wiederum entschied pragmatisch: Das chinesische Angebot war in territorialer Hinsicht vorteilhaft. Angesichts der permanenten Auseinandersetzungen mit ethnischen Minderheiten im Norden des Landes war es zudem ratsam, sich die Unterstützung Pekings zu sichern, das widerspenstige Volksgruppen logistisch und militärisch unterstützte. Indien schließlich war nicht nur im Vergleich zur Volksrepublik China militärisch unterlegen. Seine blockfreie Außenpolitik, so wie sie von Nehru interpretiert wurde, schloss de facto auch eine militärische Allianz gegen einen gemeinsamen Gegner aus.
Die Spätfolgen der damaligen Entfremdung machen sich bis heute bemerkbar. Die Generäle, die das international weitgehend isolierte Burma regieren, richten sich stark nach China aus, das als Diktatur nicht nur Verständnis für die repressive Innenpolitik aufbringt, sondern auch als militärisch schlagkräftiger Partner sowie als Veto-Macht im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine ungleich gewichtigere Stütze ist, als Indien es wäre. Die indischen Probleme mit Burma machen sich sicherheitspolitisch schmerzhaft bemerkbar. Die Volksrepublik China hat von Burma die Coco-Inseln gepachtet und betreibt dort Radarstationen, mit denen sie nicht nur den Golf von Bengalen überwacht, sondern auch die Raketentests an Indiens Ostküste. Darüber hinaus sind sie Basen für die chinesische Marine, die Häfen für den Schutz der Seewege in die ölreiche Golfregion benötigt.
Der "Verlust" Burmas als natürlichen politischen und ökonomischen Partner an die Volksrepublik China ist nicht nur wegen der aktuellen Vorgänge interessant. Er ist auch symptomatisch für Indiens Politik in der Region insgesamt, die die Bezeichnung Südostasienpolitik nicht verdient. Indien hat während des Kalten Krieges im doppelten Sinne fast ausschließlich nach Westen geblickt. Da war einmal der ewige Störenfried Pakistan, dahinter die arabisch-islamische Welt, deren Wohlwollen den Machthabern in New Delhi sowohl im Hinblick auf Ressourcen als auch auf den Kaschmirkonflikt wichtig ist. Und da gab es zum zweiten die weltpolitischen Ambitionen Indiens, die zu reger politischer Interaktion mit den Vetomächten im UN-Sicherheitsrat geführt haben. Südostasien blieb dagegen weitgehend ein weißer Fleck auf der Landkarte, obwohl ein Engagement dort in mehrfacher Hinsicht nahe gelegen hätte. Historisch gesehen ist fast die gesamte Region kulturell vom indischen Subkontinent beeinflusst worden, auch wurde ein reger Handel betrieben. Die lange europäische Dominanz in Asien bis zur Zeit der Dekolonisierung sorgte allerdings dafür, dass mit der Unabhängigkeit der jeweiligen Staaten kaum Kontakte zu Indien bestanden. Nicht die Tradition, sondern handfeste nationale Interessen hätten jedoch ein politisches Engagement erwarten lassen. Das beginnt mit den seit Jahrzehnten virulenten massiven Problemen mit ethnischen Minderheiten im indischen Nordosten, die eine sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Bangladesh und Burma seit langem nahe legen würden. Es setzt sich fort mit wirtschaftlichen Interessen, die nicht zuletzt die Sicherung von Handelsrouten erfordern. Zu erwähnen ist hier selbstverständlich auch der Anspruch New Delhis auf eine Vormachtrolle in Asien und Mitsprache in der Weltpolitik, die sich nicht mit der langen politischen Abstinenz in der unmittelbaren Nachbarschaft vereinbaren lässt. Nahezu unverständlich war die indische Nonchalance im eigenen Hinterhof besonders im Hinblick auf den Wettlauf mit China.
Unmittelbar nach der Unabhängigkeit hatte Nehru Südostasien durchaus im Blick. Insbesondere auf der Konferenz der Blockfreien 1955 im indonesischen Bandung verspielte Indiens Premier allerdings viel von seinem Renommee. Seine Auftritte dort wirkten belehrend, vielfach entstand der Eindruck, Nehru fühle sich als Vertreter eines asiatischen Riesen mit reicher Kulturgeschichte in jeder Hinsicht überlegen. Abgesehen von großen Worten hatte Indien zudem nicht viel zu bieten. Angesichts drängender wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Probleme vieler Teilnehmer waren konkrete Hilfestellungen gefragt. Die Philosophie der blockfreien Außenpolitik verbot jedoch militärische Allianzen, und finanziell ging es Indien keineswegs besser als anderen Konferenzteilnehmern. Der Star der Konferenz war demgemäß der chinesische Ministerpräsident Chou En-lai, der sich als geschickter Diplomat gab. Die Volksrepublik hatte zudem im Korea-Krieg soeben unter Beweis gestellt, dass sie ihre Verbündeten im Ernstfall nicht im Stich ließ.
Mit den westlichen orientierten Staaten Südostasiens hatte Indien ohnehin wenig im Sinne, predigte es doch heftig gegen die Blockbildung. Asien sollte den Asiaten überlassen bleiben. Demgemäß wurde die Gründung der SEATO im Jahre 1954, der unter anderem Pakistan, Thailand und die Philippinen angehörten, als Schritt verstanden, der Asien unnötigerweise in den Kalten Krieg mit einbezog. Naturgemäß traf die Kritik insbesondere Pakistan. Während die Philippinen sich ohnehin jenseits des politischen Horizonts der Machthaber in New Delhi befanden, zeigte letzteres ein gewisses Verständnis für die Mitgliedschaft Thailands mit der angrenzenden Krisenregion Indochina. Unter den Blockfreien deutete sich zunächst eine Zusammenarbeit mit Indonesien an, die sich gerade in der Planung und Durchführung der Konferenz von Bandung zu dokumentieren schien. Während Nehrus außenpolitische und antikolonialistische Rhetorik im Laufe der Jahre jedoch immer moderater wurde, suchte sich Ministerpräsident Sukarno mit immer radikaleren Forderungen zu profilieren, die ihn schließlich Anfang der sechziger Jahre in weitgehende Isolation trieben. Der einzige Partner blieb die Volksrepublik China, die ihrerseits mit Indien verfeindet war. Zudem fühlte sich Indonesien als bevölkerungsreichster islamischer Staat verpflichtet, im indisch-pakistanischen Zwist neutral zu bleiben. Zu den kommunistischen Staaten hielt New Delhi unsichere Distanz. Ho Chi Minh wurde 1958 in Indien zwar wärmstens begrüßt, eine klare Stellungnahme zum Vietnamkrieg blieb man jedoch schuldig. Das amerikanische Engagement galt als westliche Einmischung in asiatische Angelegenheiten, die Bombardements Nord-Vietnams als Kriegsverbrechen. Auf der anderen Seite mochte man sich angesichts der ungewissen Rolle Chinas in der Auseinandersetzung nicht recht für einen Sieg des Nordens begeistern. Als dieser 1975 eintrat, hatte Indien wenig Kredit bei der vietnamesischen Führung. Allein mit Malaysia gelang es während des Kalten Krieges, gute Beziehungen zu entwickeln. Als Indonesien, das die Schaffung Malaysias ablehnte, nach dessen Unabhängigkeit militärisch intervenierte, bezog New Delhi eindeutig Stellung zugunsten der neuen Führung in Kuala Lumpur.
Langfristig ist aus den indisch-malaysischen Beziehungen eine Partnerschaft geworden, zu der seit den neunziger Jahren auch gemeinsame Flottenmanöver und die Wartung von Kampfflugzeugen sowjetischer Produktion gehören. Den Rest Südostasiens entdeckte Indien erst wieder, als es nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Kollaps der UdSSR, dem über Jahrzehnte wichtigsten Partner im Bereich der Sicherheitspolitik, gezwungen war, sich neu zu orientieren. Programmatisch geschah das mit der Look East Policy 1993. Dass diese nach knapp eineinhalb Jahrzehnten erste Früchte trägt, liegt vor allem darin begründet, dass China mit seiner massiven Aufrüstung auch von anderen Staaten zunehmend als Bedrohung wahrgenommen wird. Seit 1995 nehmen Indonesien, Malaysia, Singapur und Thailand an indischen Flottenmanövern teil. Zum wichtigsten Partner Indiens ist Indonesien geworden. Die indonesische Regierung hat sich tatkräftig für die Aufnahme Indiens in die ASEAN sowie andere südostasiatische Foren eingesetzt. Bilateral wurde 2001 eine Vereinbarung über eine Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheitspolitik unterzeichnet. Seit 2005 gibt es jährlich einen hochrangigen sicherheitspolitischen Dialog. Indien beliefert die indonesische Marine mit hochwertiger Ausrüstung. Welche Bedeutung dem Indonesien beimisst, zeigte sich 2000, als Präsident Abdurrahman Wahid während eines Staatsbesuchs in Indien beschloss, den Nachbarn Pakistan nicht zu beehren. Gesten dieser Art weiß Indien, das im ewigen Bruderstreit seit geraumer Zeit ohnehin die besseren Karten hat, durchaus zu schätzen.
Nachdem Indien Südostasien mehr als drei Jahrzehnte mehr oder weniger übersehen hatte, ist es innerhalb relativ kurzer Zeit gelungen, Partnerschaften aufzubauen. Nimmt man noch hinzu, dass die Wirtschaft in diesem Teil Asiens boomt und Indien auch hier eine wichtige Rolle spielt, kann man davon ausgehen, dass diese Partnerschaften auf einigermaßen soliden Füßen stehen. Ohnehin weiß man in New Delhi bestens, dass es wegen seiner wirtschaftlichen Bedeutung sowie der Angst vor China noch weiter im Osten ebenfalls Freunde hat. Japan ist ohnehin sein beständigster Partner und Geldgeber in Asien, und das Wettrüsten im Südchinesischen Meer, an dem sich auch Südkorea und Taiwan beteiligen, trägt weiter dazu bei, den Einfluss Chinas etwas einzudämmen. Indien hat spät begriffen, dass zu einer Machtbalance mehr gehört als die Hilfe einer Supermacht sowie die Sicherung der eigenen Grenzen. Nachholbedarf an Diplomatie und sicherheitspolitischer Zusammenarbeit in Südostasien besteht reichlich.
(Der Beitrag ist Bestandteil der in einer Kooperation des Südasien-Informationsnetz mit der südostasien-Informationsstelle am Asienhaus Essen erschienen Ausgabe der Zeitschrift südostasien 4/2007.)
Dieser Beitrag gehört zum Schwerpunkt: Südasien und Südostasien .
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