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13. November 2007. Kommentare: Indien - Politik & Recht Neubeginn mit Zuversicht

Eine Bilanz der Indien-Reise von Angela Merkel

Trotz des eher mäßigen Interesses der indischen Medien betonten Bundeskanzlerin Merkel und ihre Gastgeber den Willen, die Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern zu intensivieren. Schwerpunkte der Kooperation sollen insbesondere Wissenschaft, Wirtschaft und Klimaschutz sein. Die Reise habe "einen Schub gebracht für die Beziehungen zwischen Indien und Deutschland", erklärte Merkel am Ende ihres viertägigen Staatsbesuchs. Nun gilt es, die zahlreichen Vereinbarungen mit Leben zu füllen.

Neu Delhi. Bundeskanzlerin Merkel wurde von der indischen Presse und den zahlreichen privaten Fernsehstationen während ihrer Indien-Reise vom 30. Oktober bis zum 1. November 2007 nur sehr begrenzt wahrgenommen, abgesehen vom staatlichen Fernsehen. Die Fiskalpolitik der indischen Zentralbank angesichts der Schwindel erregenden Höhen des Börsenindex, das umstrittene indisch-amerikanische Nuklearabkommen, die Verhängung des Ausnahmezustandes in Pakistan sowie innenpolitische Themen beherrschten die Schlagzeilen. Der Besuch des ehemaligen US-Außenministers Henry Kissinger schien für viele in der Hauptstadt spannender als Merkels Visite zu sein.

Wissenschaft, Forschung, Rüstung

Von der gemeinsamen Pressekonferenz von Merkel und Singh strahlten die privaten Fernsehsender nur die Aussagen Singhs auf eine Frage zum Nuklear-Abkommen mit den USA aus, das für das innenpolitische Überleben seiner Regierung so wichtig ist. Prem Shankar Jha, einer der führenden indischen Journalisten, unterstellte kürzlich in der Zeitschrift Outlook, dass Premier Singh aufgrund der Ablehnung des indisch-amerikanischen Nuklearabkommens durch die seine Minderheitsregierung stützenden Kommunisten nicht mehr Herr der Lage und nur noch Marionette in den Händen anonymer Congress-Funktionäre sei. Jha riet dem Premier, angesichts seines großen Ansehens und seiner allseits anerkannten Integrität, sich über seinen Platz in der Geschichte Gedanken zu machen und von seinem Amt alsbald zurück zu treten. Vor diesem Hintergrund wirkte Merkel etwas fehl am Platze.

Trotzdem beeindruckte die sachliche Art des Auftretens der Kanzlerin, die vor allem die Notwendigkeit einer intensiveren wissenschaftlichen und technologischen Zusammenarbeit betonte. Premierminister Dr. Manmohan Singh bezeichnete sie als "einen großen Staatsmann [sic!] und eine Freundin unseres Landes". Als Prioritäten der Zusammenarbeit nannten die beiden Regierungschefs die Entwicklung gemeinsamer Projekte gegen den Klimawandel und plädierten für höhere Energieeffizienz, eine zwingende Notwendigkeit in Indien. Die Kanzlerin sprach aber auch davon, dass Deutschland und Indien einer zivilen Nuklearkooperation zuversichtlich entgegen sehen könnten.

Der "Wissenschaftsexpress", für den Merkel und Singh gleich am ersten Tag des Besuchs das Startsignal gaben, könnte während seiner halbjährigen Fahrt gerade in seiner symbolischen Bedeutung landesweite Aufmerksamkeit erzielen und Deutschland als Land sowohl von Hochtechnologie als auch von angewandter Wissenschaft nachhaltig im Bewußtsein breiterer Schichten der indischen Bevölkerung verankern. Der Zug präsentiert wissenschaftliche Phänomene und deutsche Forschung und soll so die an Wissenschaft und Technologie interessierte Jugend ansprechen. Die Max Planck-Gesellschaft und verschiedene Industriekonzerne, so BASF mit seinem Kinder-Labor, trugen zu diesem Projekt bei, das in 57 Städten Station machen wird. Dieses exzellente Beispiel einer populärwissenschaftlichen Darstellung komplizierter Zusammenhänge sollte auch von anderen deutschen Institutionen in Indien nachgeahmt werden, um angesichts des Bildungshungers großer Bevölkerungsschichten über die traditionelle Klientel hinaus tiefer in die indische Gesellschaft hinein zu wirken.

Im Beisein von Forschungsministerin Annette Schavan und einer hochrangigen Wissenschaftsdelegation ließ die Kanzlerin anklingen, dass Indien in Zukunft eine höhere Priorität in dem von Schavan geführten Ministerium einnehmen wird. So sollen der Studentenaustausch insbesondere in den Natur- und Ingenieurswissenschaften erhöht, aber auch Zentren für moderne Indologie in Deutschland aufgebaut werden. Für die geplante Intensivierung der bildungspolitischen Kooperation steht auf indischer Seite mit Kabinettsminister Kapil Sibbal ein effizienter und kenntnisreicher Ansprechpartner zur Verfügung. Diese Zusammenarbeit gilt es allerdings mit sinnvollen Inhalten zu füllen und in die in Indien ansässigen deutschen Institutionen hinein zu tragen, so dass diese auch im wechselseitigen inhaltlichen Austausch und Zusammenwirken größere Synergie-Effekte erzielen.

Interessieren sollte die deutsche Öffentlichkeit, wie die zukünftige deutsch-indische Rüstungskooperation aussehen wird, die bei dem Besuch vereinbart wurde, nachdem hochrangige Inder jahrelang lamentiert hatten, dass es mit den Deutschen in diesem Bereich nichts zu bereden gebe. Transparenz ist hier geboten, denn schließlich ist der südasiatische Subkontinent mit seinen Atommächten, hoch gerüsteten Streitkräften und dem Rüstungswettlauf zwischen Indien und Pakistan, nicht zu vergessen Pekings atomare und konventionelle Präsenz in Tibet, eines der gefährlichsten Spannungsgebiete der Welt. Der Austausch von Informationen bei "rüstungstechnologischer Forschung und Waffenbeschaffungsprojekten einschließlich projektbezogener Entwicklung und allgemeiner Verteidigungstechnologie" sollte angesichts dieser verschlüsselten Sprache aufhorchen lassen.

Pflichtprogramm und wirtschaftliche Hoffnungen in Bombay

Nach den Standardterminen mit hohen Funktionsträgern des indischen Staates in Delhi war der anschließende Besuch in der indischen Finanzmetropole Mumbai (Bombay) politisch kaum ergiebig. Die Termine mit Gouverneur S.M. Krishna und Vilashrao Deshmukh, Minsterpräsident des circa 80 Millionen Einwohner zählenden Maharashtra, haben sicherlich nicht zu den Höhepunkten des Programms gezählt. Dieser Staat durchläuft nach Ansicht von Fachleuten gegenwärtig einen Prozess der "Biharisierung", also eines graduellen Zerfalls funktionaler staatlicher und rechtlicher Autorität vergleichbar der Entwicklung im nordindischen Armenhaus Bihar. Merkel konzentrierte sich auf Mikrofinanzierungsprojekte, überwiegend für Frauen, die Vergabe des Preises "Städtisches Zeitalter" der Deutschen Bank, Gespräche mit ausgewählten Vertretern von zivilgesellschaftlichen Organisationen, beispielsweise zum Thema "Minderheitenschutz und Minderheitenrechte", sowie auf einen Besuch bei der indischen Spastiker-Gesellschaft.

Bombay ist Sitz der größten deutschen Auslandskammer weltweit. Ob es der deutsch-indischen Handelskammer mit ihrer überwiegenden Klientel klein- und mittelständischer Unternehmen allerdings gelingen wird, den in der Vergangenheit versäumten systematischen Dialog mit prominenten indischen Industriellen und Mitgliedern der Vorstandsetagen indischer Großunternehmen, die mittlerweile auch weltweit agieren, nach indisch-amerikanischem Vorbild mit Leben zu erfüllen, können nur die nächsten Jahre beweisen. Deutsche Großunternehmen sollten eigentlich dazu in der Lage sein, dies in eigener Regie kompetent durchzuführen, bestenfalls assistiert von der DIHK.

Eigentlich müßte aber der Wirtschaftsdialog durch ein vernetztes Spektrum von funktionalen Dialogen in Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und Kultur et cetera ergänzt werden, um den durch Indien in seiner ganzen existenziellen Totalität gestellten Herausforderungen auch nur annähernd gerecht zu werden.

Deutsche Exporte nach Indien stiegen im letzten Jahr um 50 Prozent, die Importe aus Indien um 20 Prozent, dies führte zu einem Außenhandelsüberschuss zugunsten Deutschlands in Höhe von mehr als zwei Milliarden Euro. Da der bilaterale Handel zwei Jahre früher als erwartet einen Umfang von 10 Milliarden Euro erreichte, streben beide Seiten in den nächsten fünf Jahren nun eine Verdoppelung an. Deutschland ist aufgrund seiner Strukturen nicht in der Lage, sich so spektakulär in Szene zu setzen wie etwa Japan, das den Indern einen ganzen Industrie-Korridor zwischen Delhi und Mumbai sowie den beschleunigten Ausbau von Transportachsen zwischen den großen Metropolen Indiens zusagte. Deutsche Bank, BASF und BMW warben stattdessen mit Großanzeigen in der Times of India, der größten englischsprachigen Tageszeitung der Welt, für ihre Produkte.

Positiv wurde in Indien registriert, dass Merkel eigens aus Berlin anreiste und nicht wie ihre Vorgänger Delhi nur als Zwischenstopp auf dem Wege von oder nach Peking einplante, sondern von Mumbai aus wieder in die deutsche Hauptstadt zurück flog. Die Wirkung des Besuchs hielt sich sicherlich in Grenzen. Trotzdem kann die Reise als ein wichtiger Schritt zu intensiveren deutsch-indischen Beziehungen gewertet werden, wenn es gelingt, eine wirklich umfassende und abgestimmte deutsche Strategie für den Umgang mit der werdenden Weltmacht Indien zu entwickeln. Deutschland sollte gegenüber der indischen Elite durchaus diskret zu verstehen geben, dass es als der führende Mitgliedsstaat in der Europäischen Union keinesfalls gewillt ist, dauerhaft hinter Großbritannien in Indien nur die zweite Geige zu spielen, sondern stattdessen bereit ist dazu beizutragen, dass Europa als ein einheitliches Ganzes in all seiner Vielfalt von der indischen Führung wahrgenommen werden kann. Nach dem im ersten Anlauf gescheiterten Versuch, den UN-Sicherheitsrat unter anderem mit Indien und Deutschland als neuen Mitgliedern zu reformieren, wurde erneut bekräftigt, diesen auch in Zukunft repräsentativer zu gestalten.

Falls die diversen getroffenen Vereinbarungen wirklich dauerhaft mit Leben gefüllt werden können, dann dürfte vorsichtiger Optimismus in den deutsch-indischen Beziehungen, die der FAZ-Korrespondent in Indien, Jochen Buchsteiner, noch am Ankunftstag der Kanzlerin als "papierne Partnerschaft" bezeichnete, für die nächsten Jahre angesagt sein. Dies würde aus der Sicht der europäischen Mittelmacht Deutschland nach vielen versäumten Jahren schon einen beachtlichen Fortschritt darstellen.

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