Inhalt

29. Oktober 2007. Kommentare: Forschung & Technik - Weltweit Das Ende der Südasienwissenschaften in Berlin?

Die Region Südasien erfuhr in den letzten Jahren seitens der deutschen Politik und Wirtschaft sowie in den Medien einen deutlichen Bedeutungszuwachs. Dem Subkontinent, und dabei insbesondere Indien, wurde oftmals eine Zukunft als neue Weltmacht des 21. Jahrhunderts attestiert. Forderungen wurden laut, an diesem Aufstieg auch von deutscher Seite aus zu partizipieren. Im scharfen Gegensatz zu dieser Wahrnehmung der gestiegenen globalen Bedeutung Südasiens steht die gegenwärtige Berliner Hochschulpolitik, die mit der kürzlich verkündeten Schließung des Südasien-Seminars an der Humboldt-Universität der institutionell verankerten Südasienwissenschaft in Berlin den Garaus macht.

Die Beschäftigung mit dem südasiatischen Subkontinent setzte in Berlin früh ein. So wurde bereits im Jahr 1821, nur elf Jahre nach der Gründung der Berliner Universität, ein Lehrstuhl für Indologie in Berlin eingerichtet. Er war der erste seiner Art deutschlandweit 1 und wurde 1856 durch eine zweite indologische Professur ergänzt. Die Berliner Indologie, die bis zum Ende des 2. Weltkrieges an der inzwischen in Friedrich-Wilhelm-Universität umbenannten Hochschule verblieb, erbrachte unter Größen wie Franz Bopp, Albrecht Weber, Richard Pischel und Heinrich Lüders Pionierleistungen in der Erforschung der Sprachen und Kulturen des Alten Indiens. Nach 1945 und aufgrund der Teilung Deutschlands in die DDR und die BRD entstanden in Berlin zwei getrennte Indologien. So fand die Indische Philologie an der neu gegründeten Freien Universität im Westteil der Stadt ab 1963 ein Zuhause, gleichzeitig verblieb eine Indologie von 1950-1965 und von 1972-1994 an der Humboldt-Universität zu Berlin (HUB). 2

Aber nicht nur die Indologie, sondern auch die Südasienwissenschaften, die sich der Beschäftigung mit modernen Entwicklungen des Subkontinents in geschichtlicher, landeskundlicher, politischer und auch wirtschaftlicher Hinsicht widmet, hat in Berlin eine lange Tradition. Schon das 1887 gegründete Seminar für Orientalische Sprachen, an welchem Studierende unter anderem Hindustani erlernen konnten, bot neben der Sprachausbildung landeskundliche, geschichtliche und geografische Lehrveranstaltungen an. 3 Nach dem Ende des 2. Weltkrieges und der Wiederaufnahme des universitären Lehrbetriebs entstand zuerst das Institut für Indienkunde und nach erneuten Umstrukturierungen 1972 die Südasien-Abteilung des Instituts für Asienwissenschaften an der HUB, die als moderne Regionalwissenschaft konzipiert war. 4 Die Grundidee einer Regionalwissenschaft wurde, wenn auch in konzeptionell abgeänderter Form, nach der erneuten Umstrukturierung des Fachbereichs zwischen 1990 und 1993 zum Seminar für Geschichte und Gesellschaft Südasiens beibehalten. Studierende konnten Veranstaltungen zur Landeskunde, Geschichte, Politik, Philosophie und Literaturwissenschaft besuchen, gleichzeitig wurde die Ausbildung verschiedener südasiatischen Sprachen angeboten.

Dies soll jetzt alles vorbei sein

Während im Rahmen der Hochschulstrukturplanungen der HUB des Jahres 2004 dem Fachbereich Südasien noch eine Zukunft attestiert wurde, will man heute im Präsidium der HUB davon nichts mehr wissen. Zum damaligen Zeitpunkt waren für das Weiterbestehen des Seminar in den Strukturplanungen die entsprechenden Stellen vorgesehen: Man wollte zwei Professuren zum WS 2005/2006 neu besetzen, was aber nicht geschah und auch bis heute leider nicht geschehen ist. Trotz der Widrigkeiten, die sich aus dieser Tatsache für die Mitarbeiter des Fachbereichs ergaben, leisteten diese Großartiges, indem sie nicht nur die Lehre für den auslaufenden Magisterstudiengang weiter anboten, sondern auch aktiv den im WS 2005/2006 gestarteten Bachelorstudiengang "Regionalstudien Asien/Afrika" mitgestalteten und betreuten, sowie darüber hinaus die Einführung eines Masterstudienganges "Moderne Süd- und Südostasienstudien" planten. Ihr Engagement wird nicht belohnt.

Die HUB gab im Rahmen ihrer erfolglosen Bewerbung bei der Exzellenzinitiative 5 vor, sich die "Übersetzung Humboldts ins 21. Jahrhundert" zur Aufgabe gemacht zu haben. Gründungsvater Wilhelm von Humboldt, auf den gerne im Rahmen dieses Traditionsbewusstsein verwiesen wird, stellte sich eine "Universitas litterarum", eine Gesamtheit der Wissenschaften, vor, in der nicht nur die Einheit von Lehre und Forschung verwirklicht, sondern auch eine breite humanistische Bildung der Studierenden ermöglicht werden sollte. Dies scheint von der HUB vergessen worden zu sein. Nachdem bereits seit längerer Zeit feststand, dass die Indologie an der Freien Universität ab 2008 geschlossen wird, bedeutet die Entscheidung der HUB, dass die institutionell verankerte wissenschaftliche Beschäftigung mit Südasien in der deutschen Hauptstadt bald Geschichte sein wird. Das wirkt grotesk vor dem Hintergrund der Eingangs erwähnten wachsenden Bedeutung Südasiens für die deutsche Politik und Wirtschaft. Es wirkt beinahe noch grotesker, wenn man sich bewusst macht, welche positiven Forschungs- und Lehrvoraussetzungen Berlin bietet. Unabhängig von der skizzierten langjährigen wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Region, von der Erfahrung und dem auf diesem Gebiet geschaffenen Wissen, ist die Hauptstadt aufgrund ihrer hier ansässigen Museen, der Staatsbibliothek, der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Präsenz sowie der südasiatischen Botschaften ein idealer Standort für Forschung und Lehre. Dass dies nicht von den Berliner Universitäten gesehen wird, verwundert nicht nur, es macht sprachlos.

Die Diskussion über die Bedeutung von Geistes- und Regionalwissenschaften ist keineswegs neu, schlug aber in letzter Zeit eher zu Gunsten der Letztgenannten aus. So stellte der Wissenschaftsrat erst im Juni 2006 fest, dass "das gegenwärtig vorhandene Spektrum der regionenbezogenen Fächer [...] auch in Zukunft in Deutschland vorgehalten und strukturell gestärkt werden" müsse. Entsprächen die Berliner Universitäten dieser Empfehlung, dann wäre die Beibehaltung der Südasienwissenschaften bzw. ein Ausbau derselben in Berlin, nicht aber ihr Einstampfen, der Weg in die richtige Richtung.

Nicht nur in Politik und Wirtschaft, sondern auch im kulturellen Bereich hat Asien und insbesondere Südasien in den letzten Jahren auch für Deutschland an Bedeutung gewonnen. Die Kommunikation und Kooperation mit anderen Regionen setzt aber eine Expertise über diese Gebiete voraus, die vor allem von den Regionalstudien geleistet werden kann. In diesem Sinne ist die Bedeutung von Regionalstudien und somit auch von den Südasienwissenschaften für die Zukunft gar nicht zu überschätzen.

Anmerkungen

[ 1 ] Vgl. Schütte, Hans-Wilm: Die Asienwissenschaften in Deutschland. Geschichte, Stand und Perspektiven, Hamburg 2002 (Mitteillungen des Instituts für Asienkunde Hamburg, Nr. 353), S. 30 ff. Die akademische Institutionalisierung der Indologie nahm schon 1818 ihren Anfang mit der Berufung von August Wilhelm Schlegel zum Literaturprofessor in Bonn. Der erste Indologielehrstuhl wurde dann nur drei Jahre später in Berlin einberichtet.

[ 2 ] Vgl. Das Präsidium der Freien Universität Berlin, Abteilung Außenangelegenheiten: Indien an Berliner Hochschulen. Indian Studies in Berlin. Asien-Pazifik-Wochen Berlin 2003 (15.-28-September 2003), Berlin 2003, S. 12 f.

[ 3 ] Vgl. Morgenroth, Wolfgang: Das Seminar für Orientalische Sprachen in der Wissenschaftstradition der Asien- und Afrikawissenschaften, In: asien, afrika, lateinamerika, Berlin 16 (1988) 4, S. 707 ff.

[ 4 ] Vgl. Gräfin Schwerin, Kerin: Die Südasienwissenschaften in der DDR – Eine Bilanz, In: Krauth, Wolf-Hagen/ Wolz, Ralf (Hg.): Wissenschaft und Wiedervereinigung, Asien- und Afrikawissenschaften im Umbruch, Berlin 1998, S. 309 ff.

[ 5 ] Die Bewerbung der Humboldt Universität im Rahmen der Exzellenzinitiative scheiterte in der 2. Runde. Am 19.10.2007 wurde bekannt gegeben, dass die RWTH Aachen, die FU Berlin und die Universitäten von Heidelberg, Konstanz, Göttingen und Freiburg den Titel der und die Förderung zur Eliten-Universität erhalten haben.

 

Kommentare

Als registriertes Mitglied können Sie einen Kommentar zu diesem Beitrag verfassen.