Inhalt

20. Juli 2006. Interviews: Wirtschaft & Soziales - Afghanistan "Afghanistan muss das Steuer übernehmen"

Interview mit Mohammad Ehsan Zia, afghanischer Landwirtschaftsminister, zur Bekämpfung des Drogenanbaus

Die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich in den letzten Monaten merklich verschlechtert. Beobachter sind sich einig, dass die Drogenwirtschaft besonders im Süden des Landes dazu beiträgt. Bemühungen, den Opiumanbau einzudämmen und den Anbau alternativer Pflanzen zu fördern ("Alternative Entwicklung"), haben bislang kaum Früchte getragen. Mohammad Ehsan Zia, Minister für ländlichen Wiederaufbau und Entwicklung, erläutert, wie die Situation verbessert werden kann.

Im vergangenen Jahr waren fast neun Prozent der afghanischen Bevölkerung am Opiumanbau beteiligt. Die Opiumexporte entsprachen 50 Prozent des legalen Bruttoinlandprodukts. Ist es angesichts dieser Zahlen realistisch, an ein drogenfreies Afghanistan zu glauben?
Ja, es ist sehr realistisch, und wir wollen dieses Ziel in naher Zukunft erreichen. Sie müssen bedenken, dass von den 2,7 Milliarden US-Dollar aus Opiumexporten im letzten Jahr laut dem UN-Büro für Drogen und Verbrechen (UNODC) nur 20 Prozent – 560 Millionen Dollar – an die Bauern gingen. Das große Geld machen die Händler und die internationale Mafia. Drogenanbau und -handel sind die Hauptgründe für die Instabilität in Afghanistan. Opiumanbau mag lukrativ aussehen, tatsächlich aber trägt er in steigendem Maße zur Armut bei. Denn wie kann es Wohlstand in einem Land geben, in dem es keine Sicherheit gibt?
Aber nach UNODC-Angaben ist das Einkommen von Opiumbauern viel höher als das ihrer Kollegen, die andere Pflanzen, wie zum Beispiel Weizen, anbauen.
Das ist eine künstliche Rechnung. Bauern, die Opium pflanzen, verlieren andere mögliche Einkommensquellen. Beispielsweise gehen in Afghanistan Landwirtschaft und Viehzucht Hand in Hand. Bauern, die andere Pflanzen anbauen, die Futter abwerfen, können auch Tiere halten, wie zum Beispiel eine Milchkuh, einen Transportesel, Ziegen oder Schafe. Opiumbauern dagegen haben kein Futter für Tiere, sondern müssen es kaufen. Wenn sie dafür kein Geld haben, müssen sie ihre Tiere verkaufen. Wir dürfen nicht nur darauf achten, welche Erträge der Boden abwirft, sondern auch andere mögliche Einkommensquellen berücksichtigen.
Ist diese Diversifizierung von Einkommen Teil Ihrer Strategie für "Alternative Entwicklung"?
Ja. Wir konzentrieren uns auf Landwirtschaft, Gartenbau und Viehzucht. Wir wollen aber nicht nur landwirtschaftliche Erträge und die Viehproduktion erhöhen. Wir wollen auch in die Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte investieren, um die Wertschöpfung zu steigern und die Einkommen in ländlichen Regionen zu erhöhen.
An welche Produkte denken Sie?
Afghanistan produziert beispielsweise enorm viele Äpfel jeden Herbst. Aber weil die lokalen Märkte in der Erntezeit eher klein sind, exportieren die Bauern die Äpfel zu einem sehr niedrigen Preis nach Pakistan. In Quetta und Peshawar werden sie kühl gelagert oder zu Marmelade verarbeitet. Dann werden sie wieder nach Afghanistan importiert. Sie können auf den Märkten in Kabul das ganze Jahr hindurch afghanische Äpfel kaufen, jedoch nicht von afghanischen Bauern, sondern von pakistanischen Händlern. Das Problem ist, dass wir keine Möglichkeit haben, unsere landwirtschaftlichen Produkte zu konservieren. Oder nehmen Sie unsere Viehzucht: Wir exportieren unverarbeitete Wolle nach Pakistan. Dort wird sie in Fabriken weiter verarbeitet und ihr Wert deutlich gesteigert.
Internationale Geber und die afghanische Regierung werden im laufenden Jahr 490 Millionen US-Dollar für "Alternative Entwicklung" ausgeben. Dennoch geht das UNODC davon aus, dass der Opiumanbau dieses Jahr steigt. Was läuft falsch?
Ehrlich gesagt ist es einfach noch zu früh, in Afghanistan einen nachhaltigen Rückgang des Opiumanbaus zu erwarten. Jedes afghanische Dorf kämpft mit mindestens fünf Problemen: Mangel an Straßen, Trinkwasser, Bewässerung, Schulen und Gesundheitseinrichtungen und an Arbeitsplätzen. Die bisherigen Investitionen haben sich auf die dringendsten Infrastrukturprobleme konzentriert. Beispielsweise war Afghanistan zwischen 1999 und 2004 von einer schweren Dürre betroffen. In vielen Landesteilen verschwand das Oberflächenwasser und sanken die Grundwasserspiegel. Die Bevölkerung litt unter großem Trinkwassermangel. Darum musste die Regierung sich vorrangig kümmern. Bislang waren wir nicht in der Lage, andere Probleme ausreichend anzugehen, zum Beispiel Arbeitsplätze zu schaffen oder ländliche Unternehmen zu errichten, die den Wert unserer landwirtschaftlichen Produkte steigern. Diese Mängel müssen wir noch beseitigen. Erst dann können wir einen signifikanten Rückgang des Opiumanbaus erwarten.
Geht die internationale Hilfe bei der Drogenbekämpfung und für "Alternative Entwicklung" in die richtige Richtung?
Die Geber haben viel Geld investiert. Die afghanische Regierung ist für diese Unterstützung dankbar. Aber wir sind etwas enttäuscht von den Auswirkungen der internationalen Hilfe. Der Grund dafür ist, dass das Geld nicht über den nationalen Haushalt verteilt wird, sondern über Parallelstrukturen der Geber. Lassen Sie es mich so sagen: Opiumanbau und Drogenhandel sind nationale Probleme in Afghanistan, die unter Federführung unserer Institutionen gelöst werden müssen. Ansonsten werden Opiumbauern und Drogenhändler der Regierung niemals vertrauen, sondern sagen: „Ihr schickt Polizei und Militär und zerstört unsere Felder, aber bietet uns keine alternative Entwicklung.“ Die internationale Gemeinschaft muss erkennen, dass in einer Post-Konfliktsituation das Vertrauen zwischen Staat und Bürgern eine Voraussetzung für Frieden und Stabilität ist.
Die Geber sollten also ihre Gelder durch den nationalen Haushalt fließen lassen...
...durch nationale Entwicklungsprogramme. Das ist der einzige Weg, mit dem Problem fertig zu werden.
Die meisten Geber finanzieren immer noch ihre eigenen bilateralen Projekte?
Ja. Sie argumentieren, die Kapazitäten des afghanischen Staates seien immer noch zu schwach, um es anders zu machen. Aber die Kapazitäten werden schwach bleiben und unsere Ministerien werden nichts dazu lernen, wenn sie nicht die Ressourcen erhalten, um selbst etwas zu unternehmen.
Medienberichte zitieren immer wieder Bauern, die sich darüber beklagen, die Drogenpolitik in Afghanistan se zu stark auf die Bekämpfung ausgerichtet und biete keine Alternativen. Ist das richtig?
Da ist etwas Wahres dran. Der Bedarf an Entwicklung und Alternativen in Afghanistan ist weitaus größer, als derzeit befriedigt wird. Eine Straße zu bauen und ein Dorf daran anzuschließen, hilft den Bauern nur wenig, deren Opiumfelder zerstört wurden. Infrastruktur ist wichtig, aber diese Bauern bräuchten zusätzlich Beratung, Lagermöglichkeiten, damit ihre legalen Produkte nicht verderben, und alternative Beschäftigungsmöglichkeiten. Das würde den Menschen Zuversicht geben, dass Opium nicht ihre einzige Option ist.
Die Organisation Senlis Council in Paris berichtet, Bauern aus der Helmand-Provinz wollten die britische Regierung verklagen, weil diese sie nicht wie versprochen für die Zerstörung ihrer Opiumfelder entschädigt habe. Stimmt das?
Ich glaube nicht, dass die britische Regierung allen Bauern, deren Felder zerstört wurden, Entschädigung versprochen hat. Jeder weiß, dass die Kompensation von Bauern die falsche Strategie war. Dieser Ansatz hat die Opiumproduktion erhöht, deshalb wurde er nicht weiter verfolgt. Jetzt werden kommunale Projekte gefördert statt individuelle Entschädigungen geleistet.
Was halten sie von dem Senlis-Council-Vorschlag, afghanische Bauern zum Opiumanbau für medizinische Zwecke zu lizenzieren?
Der Senlis Council setzt sich für die falschen Ziele ein. Die Regierung und die Bevölkerung Afghanistans werden diesen Ansatz niemals unterstützen.
Warum nicht?
Weil sich Afghanistan in einem derart instabilen Teil der Welt befindet. Die gesamte Region leidet unter sozialen, wirtschaftlichen und politischen Turbulenzen. Es ist einfach nicht möglich, den Drogenhandel zu kontrollieren. Wer soll die russische Drogenmafia kontrollieren? Wer soll die 1400 Kilometer lange Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan überwachen? Ein Grund für den Anstieg des Opiumanbaus in Afghanistan ist die erfolgreiche Bekämpfung in Pakistan. Er hat sich einfach über die Grenze in unser Land verlagert.
Es heißt manchmal, die Bekämpfung des Drogenanbaus könne nicht gelingen, so lange die globale Nachfrage und die Schwarzmarktpreise hoch bleiben. Müssen die Länder in Europa und Nordamerika ihre Drogenpolitik ändern, damit "Alternative Entwicklung" in Afghanistan Erfolg haben kann?
Natürlich schadet eine hohe Drogennachfrage unseren Bemühungen, das Angebot zu drosseln. Aber der Drogenanbau ist für Afghanistan ein nationales Problem. Natürlich sähen wir es gerne, dass Einfuhrländer alles zur Verringerung der Nachfrage tun. Aber wir tragen die Verantwortung dafür, was in unserem Land passiert. Der Opiumanbau beeinträchtigt unsere Sicherheit und schadet unserer Wirtschaft und unserer nationalen Souveränität. Deshalb wollen wir den Mohnanbau in unserem Land abschaffen – unabhängig davon, wie groß die internationale Nachfrage ist.

Quelle: Das Interview erschien in der Ausgabe 07/2006 der Zeitschrift E+Z Entwicklung und Zusammenarbeit.

Kommentare

Als registriertes Mitglied können Sie einen Kommentar zu diesem Beitrag verfassen.