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11. November 2008. Interviews: Politik & Recht - Pakistan Die Hohepriesterin des liberalen Extremismus Pakistans

Nach 17 Selbstmordversuchen immer noch quicklebendig ist Ali Salim, 28, unbestritten der und die lauteste Liberale Pakistans. Berühmt geworden als Benazir-Bhutto-Imitator, ist er durch seine Fernsehsendung als Begam Nawazish Ali, die rasch die beliebteste Late Night Sendung Pakistans wurde, zur Kult-Transe des liberalen Südasiens geworden. Thomas K. Gugler traf ihn in seiner Villa in Karachi.

Ali Salim
Ali Salim als Ali Salim

Einen Tag nach dem Staatsempfang der Saudis in der Nummer eins der Five Stars in Karachi, präsentiert Ali Salim, 28, als Begam Nawazish Ali eine Show in just denselben Räumlichkeiten, diskret im 1. Stock des Seitenflügels im Sheraton. Im Publikum sind nun scheinbar mehr Zivilisten, ebenfalls nur Mitglieder der Oberschicht, die zwanghaft Zigarren rauchend ihre Visitenkarten verteilen. Das Essen ist genauso schlecht wie am Tag zuvor, aber auf der Tribüne nun nicht mehr weiß bekleidete Mitglieder der königlichen Familie, die sittlich-still mit einer Handbewegung zum Fototermin laden, sondern da steht eine bunte und laut-kreischende Transe. Nach einigen Klassikern, Nummern mit Benazir-Bhutto-Imitation, und ein paar Sketchen gegen Bush, Guantanamo und ironisch-ambivalenten Sympathiebekundungen für al-Qa´ida und die Taliban endet das Programm. Nach einem kurzen Gespräch verabrede ich mich mit Ali Salim zu einem Interview ein paar Tage später bei ihm zuhause, da er mir auch seine männliche Seite zeigen möchte.

Nachdem wir den Termin abwechselnd mehrere Male stundenweise nach hinten verschieben, treffe ich gegen Mitternacht  an seiner Privatadresse ein. An der Tür werde ich von Ali Salims Vater empfangen, Lieutenant-Colonel Salim Ahmed Zafar, der nebenbei eine Immobilienfirma betreibt, die in Dubai Appartements für Pakistanis kauft und verkauft. Er begrüßt mich auf Deutsch und nach dem ersten Glas Scotch - Alkoholbesitz ist für Muslime illegal in Pakistan, aber die Verteilung an ausländische Diplomaten wird durch das Militär geregelt - erzählt er stolz von seinen Jahren an der ABC-Schule Sonthofen, wo er bei seinen deutschen Vorgesetzten mit Kenntnissen der unmittelbaren Folgen eines Nuklearangriffs brilliert.

Ali Salim ist guter Sohn und Gastgeber: zurückhaltend hört er seinem Vater zu, der sichtlich stolz darauf ist, dass sein Sohn nun die Familie finanziert. Nach Austausch von Freundlichkeiten bei lokalen Snack-Delikatessen, werden wir ins Esszimmer geführt, und während des Abendessens berichtet Ali Salim seine Lebens- und Erfolgsgeschichte.

"Bruder Musharraf ist so ein fescher Soldat, wenn er doch nur seine Uniform auszöge…"

Begum
Ali Salim als Begam Nawazish Ali

Sein größter Erfolg ist die Sendung "Late Night with Begam Nawazish Ali" auf Aaj TV. Begam Nawazish Ali ist auch der Name des Charakters, den er dort verkörpert, eine reiche Witwe, die frivol-frech in halbdurchsichtigen Saris Minister und Leute aus dem öffentlichen Leben zum Polit-Talk einlädt und dabei heftigst mit ihnen flirtet. Die provokative Sendung wird seit Juni 2005 in Karachi produziert. Seit 2007 wird der größere Ableger "Begum" (Urdu: Dame) für Indien in Mumbai für den Sender 9X produziert, [1] so dass Salim häufig ins benachbarte Indien reist. Dass ihm in Indien der lukrativste Sendeplatz angeboten wurde, ist nicht ganz zufällig: Der ehemalige Präsident und Militärdiktator Musharraf gilt als Kritiker der Sendung, nachdem Ali Salim häufiger anmerkte: "Bruder Musharraf ist so ein fescher Soldat, wenn er doch nur seine Uniform auszöge…" Seitdem sieht man Salim Ali zweimal wöchentlich in Pakistan und zehnmal monatlich in Indien jeweils eine volle Stunde im Abendprogramm über den Bildschirm flimmern. Humoristisch, stolz und lady-like merkt Ali an: "Und so habe ich Indien erobert, was Bruder Musharraf nicht schaffen konnte, habe ich ihm vorgemacht."

Bis dahin war es ein weiter Weg. Wegen familiärer Turbulenzen rund um das Scheidungsverfahren, das Salims Vater gegen seine Mutter einleitete, zog Salim von seinem Geburtsort Islamabad nach Karachi. In Karachi tritt er der Theatergruppe Gripps bei, für die er seinen ersten Auftritt im Arts Council in der Burqa absolviert. Omar Adil, der die Politiksatire für Gripps schrieb, war hier sein erster Förderer. Der mit Omar Adil befreundete Satire-Schriftsteller Imran Aslam fördert Ali Salim stark und in seiner Funktion als Geschäftsführer von GEO TV bringt er ihn mit der mehrteiligen Wahlkampfsatire-Serie "Ham Sab Umid se Hain" (Urdu: Wir sind alle voller Hoffnung) als Benazir-Bhutto-Imitator ins nationale Fernsehen. Schon mit 16 Jahren hat Ali in der Schule seine Benazir-Liebe durch Nachahmung inszeniert. Als Benazir-Bhutto-Imitator nimmt er den Künstlernamen BB an (sprich: bibi, Urdu: Fräulein).

Seine Obsession mit Benazir Bhutto (1953-2007) hat nach ihrer eindrucksvoll medial aufbereitete Ermordung nicht abgenommen, vielmehr sieht Ali es als seine Pflicht an, Benazir durch die Imitation weiterhin am Leben zu halten, denn sie, so erklärt er, steht für alles Positive in Pakistan: Demokratie, Hoffnung, liberale Zukunft und das Selbstbewusstsein sich als Dame im männerdominierten Pakistan zu behaupten und offensiv politische Ansprüche und Partizipationsrechte anzumelden.

"Anti-Amerikanismus hat nichts mit Religion zu tun, Anti-Amerikanismus ist gesunder Menschenverstand."

Seine Fragen entsprechen seiner Person: stets transgressiv. Weder als Mann, noch weniger als Frau, könnte er die provokanten Fragen formulieren, mit denen er seine Gäste aus Politik, Wirtschaft und dem öffentlichen Leben bombardiert. Seine Position als Transsexuelle gebe ihm die, wie er sagt, gleichwie übermenschliche Stellung, so unverschämt und frech nachzufragen, wie man es sich im sittlichen Südasien sonst kaum zu denken erlaubt. Sein nur ihm erlaubter Charme entwaffnet seine Gesprächspartner in einer Weise, die die Zuschauer vor die Fernseher fesselt. Er bezeichnet seinen spezifischen Charme als Waffe gegen die Verunsicherung und systematische Verängstigung, die die US-fett-gefressenen politischen Eliten in der von fundamentalen Unsicherheiten geprägten pakistanischen Gesellschaft verbreiten. Aus seinem Anti-Amerikanismus macht Ali keinen Hehl: "Ich bin eine Drag-Queen, Schätzchen, kein Extremist ... aber wenn diese armen, desillusionierten Jugendlichen Pakistans etwas mehr Selbstbewusstsein hätten, wäre ihr Anti-Amerikanismus noch stärker. Anti-Amerikanismus hat nichts mit Religion zu tun, Anti-Amerikanismus ist gesunder Menschenverstand."

Bhutto-Sarkophag
Sarkophag von Benazir Bhutto Shahid in Lakarna Foto: Thomas Gugler

Der Bhutto-Clan an sich wird von Ali Salim insgesamt eher kritisch bewertet. Den am 9. September 2008 zum neuen Präsidenten Pakistans gewählten Zardari (geb. 1958), Ehemann der am 27. Dezember 2007 ermordeten Benazir Bhutto, halten viele Pakistanis für einen kalten und intriganten Verbrecher. Mein Tischnachbar erläutert: "Zardari hat Benazir ermordet, er hat kalt berechnet, dass er nach der Ermordung seiner populären Ehefrau den Präsidentenposten an sich reißen kann. Du brauchst einen Beweis? Als Benazir Rawalpindi bereits verlassen wollte, hat er seine Tochter, die mit Benazir im Auto saß, auf dem Handy angerufen und gesagt sie solle Benazir ausrichten, die Leute wollen sie nochmal sehen, sie solle ein weiteres Mal aus dem Wagen kommen und winken. Da wurde sie erschossen. Jeder weiß, dass Zardari und Benazir so zerstritten waren, dass sie nicht mehr direkt miteinander kommunizierten. Seine Tochter hat seitdem zweimal versucht sich das Leben zu nehmen." Ali Salim selbst formuliert es in seiner Sendung selbstredend diplomatischer: "Jetzt haben wir zwei Wundergeburten: Erst den Propheten Jesus, der durch die Jungfrau Maria geboren wird, nun Präsident Zardari, den seine Ehefrau gebar."

Am Tisch beginnt Ali sogleich Zardari zu imitieren, wie er das viel diskutierte Machtsymbol des Präsidentenposten "58,2 B" – der Artikel der Verfassung, der dem Präsidenten das Recht einräumt, das Parlament aufzulösen – für sein Privatbudget, sprich 58,2 Billionen Rupees, missversteht: "Oh, the president powers 58,2 B?" Präsident Zardari saß sieben Jahre lang wegen Erpressung, Korruption und Mord im Gefängnis und hat sich an der Seite seiner Frau in Pakistan den Spitznamen "Mr. 10 Prozent" erworben. Alis Favorit für diesen Posten wäre natürlich Benazirs Sohn Bilawal Bhutto Zardari.

Ab Juni 2007 legt die Begam in Pakistan vorübergehend eine Pause ein. Nach den systematischen Ermordungen Oppositioneller am 12. Mai 2007 in Karachi hatte die Begam Musharraf und die Muttahida Qaumi Movement (MQM) als Verantwortliche ausgemacht. Während dieser Pause und aufgrund der Spekulationen um politische Interventionen von Seiten Musharrafs kam das Angebot für "Begum" aus Indien. Der zentrale Grund für die Sendepause aber, so sagt Ali, war die Trennung von seinem Partner. Aufgrund des sozialen Drucks, Hoffnungen möglicherweise bisexuell zu sein und um das Hijra-Stigma zu verlieren, produziert er in der Sendepause von "Late Night with Begam Nawazish Ali" die Serie "Kaun teri Dulhaniya" (Urdu: Wer wird Deine Braut?). In dieser Show castet Ali Salim betont männlich junge weibliche Fans für eine mögliche Ehe mit ihm. Eine Art "Bauer sucht Frau" für die Polit-Transe in Pakistan: Die Mädchen konnten sich auf der Homepage des Senders oder durch öffentliches Vorsingen in Karachi, Lahore und Islamabad für ein Date mit Ali bewerben. Es gibt einen absurd-seltsamen Song zur Show, auf den Ali Salim sichtlich nicht stolz ist.[2] Die Sendung auf PLAY TV, einem privaten Unterhaltungssender – vergleichbar mit MTV, überspielt eine traurige Tatsache: Kann sich die Begam in ihrer Show als Männer liebend outen, könnte Ali Salim dies in der gegenwärtigen Gesellschaft Pakistans nicht. Ohne Propheten zu sein, sagten Kenner der Szene bereits früh voraus, dass in der Show keine Ehefrau für Ali Salim gefunden werden wird. Während der Eins-zu-Eins-Treffen mit den Mädchen erklärt er, dass er die weibliche Seite seiner Sexualität als Spiel ansieht, aber nun endlich auch Sicherheit im Hafen der Ehe sucht, um seine Zukunft zu stabilisieren. Die Show startete im Juni 2007, zur gleichen Zeit verurteilte der Oberste Gerichtshof in Lahore zwei Pakistanis wegen gleichgeschlechtlicher Beziehungsambitionen zu drei Jahren Haft.

Ali Salim ist nicht traurig, dass die Show vorbei ist. Die neuen Folgen der Begam Nawazish Ali laufen besser als je zuvor in Pakistan. Neben Größen aus Politik und Wirtschaft nehmen auch Schauspieler und religiöse Führer auf ihrer Couch Platz. Ohne Unterschied und ohne Respekt attackiert die Begam weiterhin jeden männlichen Gast mit aggressiven sexuellen Anspielungen und erfreut dabei die liberale Mittelschicht Pakistans, die so sehr eines prägnanten Sprachrohrs bedarf.

Anmerkungen

[1] Werbung von 9X: http://www.youtube.com/watch?v=bIgxyb-1oHc&feature=related.

[2] http://www.youtube.com/watch?v=RqyLjDqauYE.

Weitere Literatur

  • Thomas K. Gugler: Drag Queen, Schätzchen, kein Extremist! In: Gigi. Zeitschrift für sexuelle Emanzipation 58, Nov/Dez 2008, S. 34-36.
  • Bernhard Imhasly: Pause für Dragqueen. In: die tageszeitung v. 7.7.2007.

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