Inhalt

08. Juli 2008. Interviews: Politik & Recht - Bangladesch Menschenrechte in Bangladesch

Ein Interview mit Sultana Kamal

Sultana Kamal ist eine der bekanntesten Menschenrechtsaktivistinnen in Bangladesch. Sie setzt sich vor allem für die Rechte von Frauen, Kindern und Minderheiten ein. Seit 2001 ist sie Geschäftsführerin der Menschenrechtsorganisation Ain-o-Shalish-Kendro. Im Oktober 2007 wurde sie Beraterin in der Übergangsregierung Bangladeschs. Von dieser Position, die mit einem Ministeramt vergleichbar war, trat sie im Dezember 2007 zurück. Mitte April hat sie an einer vom deutschen Netzwerk Bangladesch-Forum organisierten Konferenz über extreme Armut und Minderheiten Bangladeschs in Berlin teilgenommen. Urmila Goel interviewte sie dort.

Der Ausnahmezustand und die Übergangsregierung

Am 11. Januar 2007 wurde der Ausnahmezustand in Bangladesch ausgerufen. Welche Auswirkungen hat der Ausnahmezustand auf die Menschenrechtssituation?
Das Wort Ausnahmezustand hat seine eigenen Auswirkungen. Es bedeutet, dass die Lage nicht normal ist. Seine inhärente Charakteristik ist, dass Grundrechte ausgesetzt werden. Daraus lässt sich leicht folgern, dass die Menschenrechte negativ beeinflusst werden. Menschenrechte bedeuten vor allem Freiheit und der Ausnahmezustand beschränkt diese. Die Versammlungsfreiheit, die Redefreiheit, das Recht seine Angelegenheiten vor Gericht zu vertreten, all diese Freiheiten werden durch den Ausnahmezustand per definitionem unterbunden. In normalen Zeiten ist die Lage de facto oft nicht besser, aber Du kannst für Dein Recht kämpfen. Die Regierung muss Dir das erlauben. Im Ausnahmezustand nicht, dann hat die Regierung das Recht Dir dies zu verbieten.
Sultana Kamal
Menschenrechtsaktivistin Sultana Kamal beim Interview in Berlin im April 2008. Foto: Urmila Goel
Während der Konferenz gab es eine kontroverse Diskussion darüber, ob das Aufheben des Ausnahmezustands in der Resolution gefordert werden soll oder nicht. Warum?
Die Debatte geht in etwa so: Bisher wurden durch die Maßnahmen der Übergangsregierung noch keine fundamentalen Verbesserungen bei den politischen Parteien erreicht. Die korrupten PolitikerInnen warten nur darauf, die Erfolge der Übergangsregierung zu vereiteln. Wenn der Ausnahmezustand aufgehoben wird, dann werden diese PolitikerInnen das für sich nutzen und Reformen verhindern. Die Gegenposition ist, dass die Zivilgesellschaft die Pflicht hat, sich für die Einhaltung der Menschenrechte einzusetzen und daher für die Aufhebung des Ausnahmezustands kämpfen muss.
Wie ist denn die derzeitige Situation in Bangladesch?
Es gibt eine Polarisation zwischen der Übergangsregierung und den politischen Parteien. Am Anfang waren die Menschen für die Übergangsregierung. Sie haben sie gegen den Geist der Bangladeschis willkommen geheißen, obwohl sie wussten, dass die Armee hinter ihr steht.
Was ist der Geist der Bangladeschis?
Sie sind gegen Diktaturen, sie sind für Demokratie. Und es war im Januar 2007 auch ein klares Zeichen für die Demokratie. Gegen die Autokratie, die Dynastien, gegen die fehlende Rechenschaftspflicht der politischen Parteien.
Lässt sich die Situation in Bangladesch mit der in Pakistan vergleichen? Dort haben auch viele General Musharraf als Verteidiger der Demokratie angesehen.
Es gibt einen unterschiedlichen Geist in Pakistan und Bangladesch. In Pakistan hat es nicht funktioniert. Musharraf konnte die PolitikerInnen Benazir Bhutto und Nawaz Sharif aus dem Land weisen. In Bangladesch erlauben die Menschen das nicht. Sie wollen, dass die PolitikerInnen zur Rechenschaft gezogen werden, aber nicht mit unangemessenen Maßnahmen. Recht soll gesprochen werden.
Aber die politischen Parteien nehmen die Botschaft der Menschen nicht ernst. Sie zeigen keine Verbesserung. Sie glauben, dass wenn die Menschen ausreichend unzufrieden mit der Übergangsregierung sind, dann werden sie wieder die politischen Parteien unterstützen. Denn in der Vergangenheit war unsere Wahl immer eine negative gegen die Regierung.
Wie schätzen Sie die Übergangsregierung ein?
Sie hat viele gute Dinge erreicht: zum Beispiel hat sie das Gesetz zum Recht auf Information auf den Weg gebracht, eine Menschenrechtskommission eingesetzt und die Verfolgung von KriegsverbrecherInnen gefördert. Aber es gibt Tote in Haft, außergerichtliche Morde, eine selektive Politik bei der Korruptionsbekämpfung, eine fehlende Kontrolle von religiösen FundamentalistInnen. Die Menschen sorgen sich daher. Auch weil es einen außergewöhnlichen Preisanstieg für Lebensmittel gibt. Der Preis von Reis ist in Indien hochgegangen, in Bangladesch hat er sich verdoppelt, verdreifacht, sogar verfünffacht. Die Menschen können das nicht verkraften. Einige haben mir erzählt, dass sie auf das Abendessen verzichten müssen.
Die Lebensmittelpreise gehen weltweit hoch. Indien hat Exportbegrenzungen eingeführt. Sind das die Gründe für den Preisanstieg in Bangladesch?
Das hat nicht nur mit Indien zu tun. Die Übergangsregierung hat keine Erfahrung, mit dieser Situation umzugehen. Das ist ein politisches und kein technisches Problem. Aber in der Übergangsregierung sind keine PolitikerInnen, das sind TechnokratInnen. Die Regierung hätte vorausschauend Reis kaufen und ihn einlagern müssen. Das hat sie versäumt. Die Geschäftsleute haben das gemerkt und darauf mit Spekulationen reagiert. Außerdem hat die Regierung die Verhandlungen mit Indien verzögert und das hat seine Auswirkungen.
Es gibt also viele Gründe für den Preisanstieg: es ist gerade eine Saison der Knappheit, der Zyklon Sidr hat die Ernte vernichtet, die Geschäftsleute spekulieren, der Ölpreis ist hochgegangen. Und dazu kommt dann noch die Unfähigkeit der Übergangsregierung, damit umzugehen.
Zudem waren die meisten Geschäftsleute in die korrupten Praktiken der politischen Parteien einbezogen. Sie haben kein Interesse am Erfolg der Übergangsregierung und deren Bekämpfung der Korruption. Die Menschen in den wesentlichen Machtpositionen in der Gesellschaft sind durch die letzte Regierung aus Jamaat-e-Islami und Bangladesh Nationalist Party in ihre Positionen gekommen und sie kooperieren nicht mit der Übergangsregierung. Es braucht aber eine Kooperation mit ihnen. Außerdem hat die Übergangsregierung sich nicht ausreichend darum bemüht mit den Menschen zu reden. Sie haben nicht den Rat der Zivilgesellschaft angenommen. Sie behaupten, dass alles OK sei und dass keine Panik erzeugt werden solle.
Sie waren Beraterin der Übergansregierung und sind ausgestiegen. Warum?
Ich bin zusammen mit drei anderen BeraterInnen ausgestiegen. Wir hatten das Gefühl, dass der Chef-Berater, der gleichzeitig Präsident war, nicht an freien und fairen Wahlen interessiert war. Die WählerInnenliste war falsch. Das Militär wurde gerufen und wenn das Militär dabei ist, gibt es keinen Bedarf an BeraterInnen.

Die internationale Zusammenarbeit

Warum sind sie nach Deutschland gekommen?
Wir waren zuerst bei einem EU-Treffen in Brüssel. Die EU engagiert sich 2008 sehr für freie und faire Wahlen in Bangladesch. Sie fördert ein Unterstützungssystem für freie Wahlen und korrekte WählerInnenlisten, damit alle an den Wahlen teilnehmen können, auch die Minderheiten, Arme und Frauen.
In Deutschland hat das Bangladesch-Forum – ein Forum von Nichtregierungsorganisationen, die Projekte in Bangladesch unterstützen – die Konferenz organisiert. Die Frage war, was können wir gemeinsam dafür tun, dass es freie und faire Wahlen für alle gibt.
Welche Rolle spielen die ausländischen Nichtregierungsorganisationen in Bangladesch?
Viele ausländische Nichtregierungsorganisationen arbeiten für die Stärkung von Minderheiten, Armen und Frauen. Sie unterstützen nicht unbedingt finanziell sondern durch ihre Solidarität und den Druck, den sie national und international aufbauen können. Auch die deutsche Regierung hat ein Interesse an freien Wahlen.
Ist das Engagement der ausländischen Organisationen immer gut?
Das Engagement kann auch kontraproduktiv sein. Daher bedarf es Gespräche darüber, welche Schritte unternommen werden sollen, wer in welchen Sektoren Stärken hat. Wir müssen uns gegenseitig kennen, wir müssen unsere Stärken und Schwächen kennen, um unsere Rollen zu definieren.
Was sollten die Deutschen über Bangladesch wissen?
Es ist nicht sinnvoll Bangladesch nur über Hunger, Armut und Fundamentalismus zu definieren. Die Menschen in Bangladesch würden niemals Fundamentalismus zulassen. Sie sind stolz, BengalInnen zu sein. BengalIn sein, heißt aber nicht unbedingt Muslim sein. Es gibt keinen Grund, das Land über Religion zu definieren. Bangladesch ist zudem multi-ethnisch, es leben dort nicht nur BengalInnen.
Bangladesch ist bekannt für den Widerstand seiner Bevölkerung, für ihren Kampf, für die Frauenbewegung. Bangladesch bewährt sich wirklich gut mit seinen 150 Millionen EinwohnerInnen. Aber es sendet zugleich widersprüchliche Signale aus. Es gibt auch ein degeneratives Bangladesch, ein Land geprägt von Armut, Korruption, Gewalt gegen Frauen, etc. Aber es gibt auch regenerative Faktoren für die Bevölkerung und die Welt. Bangladesch ist sehr erfolgreich in der Landwirtschaft. Die Menschen schaffen es gut, dass Land zu ernähren. Obwohl die Regierungen sich nie für die Demokratie interessiert haben, geht das Bruttosozialprodukt hoch. Auch die Frauen behaupten sich sehr gut. Sie üben ihre Rechte aus. JedeR hat einen guten Grund, zuversichtlich für Bangladesch zu sein. Es ist ein Land im Übergang. Ich bin mir sicher, dass Bangladesch als ein sehr glänzendes und wichtiges Land in der Weltgemeinschaft herauskommen wird.

Der Westen, Bangladesch und der Islam

Ich habe Online ein Interview einer deutschen Journalistin mit Ihnen gelesen, in dem es nur um die unterdrückte Frau im Islam geht. Wie stehen Sie zu dieser Art der Repräsentation?
Wenn Bangladesch ein Land wäre, in welchem der Islam als Grundlage akzeptiert würde, warum müssen die FundamentalistInnen dann Bomben legen? Sie agieren aus einem Gefühl der Unsicherheit. Wenn sie einfach mit den Menschen reden und sie überzeugen könnten, dann müssten sie keine Bomben legen. Es gibt so viel Widerstand dagegen. Die FundamentalistInnen können aber nur solange erfolgreich sein, wie die Regierung hinter ihnen steht. Seit 1975 wurden sie insbesondere von Militärregierungen gefördert. Die säkularen Kräfte hatten viel weniger Raum zur Entwicklung. Daher sitzen die FundamentalistInnen in den Schlüsselpositionen, während die säkularen Kräfte nur schwer Fortschritte machen können. Die Menschen unterstützen die säkularen Kräfte, aber die Regierungen fördern die FundamentalistInnen. Das ist vergleichbar mit der Situation im indischen Bundesstaat Gujarat, wo die Regierung Hindu-NationalistInnen unterstützt. Es ist anders als im indischen West-Bengalen, wo sich die Regierung gegen die FundamentalistInnen stellt.
Im Westen wird Bangladesch häufig mit dem Islam gleichgesetzt.
Der Westen muss mehr über Bangladesch lernen. Was ist das überhaupt für ein Gegensatz der Westen und die Muslime. Es gibt Menschen im Westen, die Muslime sind. Und es gibt Menschen außerhalb des Westens, die keine Muslime sind.
Es ist auch vollkommen falsch, mit Zurückhaltung auf Muslime zuzugehen. Wenn ein Muslim ein Terrorist ist, dann ist er ein Krimineller und nicht ein Muslim. Der Westen muss das lernen und in seinen Handlungen berücksichtigen.
Was möchten Sie noch hinzufügen?
Als eine Menschenrechtsaktivistin aus Bangladesch möchte ich meinen FreundInnen rund um die Welt sagen, dass wir unterschiedlich sein mögen, aber wir müssen als Menschen und Gleiche zusammen handeln. Nicht als GeberInnen und EmpfängerInnen. Wir müssen Themen wie das Recht auf Leben nehmen und rund um solche Themen zusammen arbeiten. Dann würden auch die Verlegenheiten der weißen GeberInnen nicht aufkommen. Wenn ich geschlagen werde, dann habe ich als Mensch das Recht, mein Recht auf Leben zu verteidigen. Dabei geht es nicht um muslimische Kultur. Als ein Mensch sollte jedeR helfen. Es gibt eine gegenseitige Verpflichtung.
Sie glauben also, dass der Westen Hemmungen hat einzugreifen?
Ja, es gibt viele Hemmungen. Der Westen will nicht als islamophob wahrgenommen werden, sie sind ängstlich.
Mein Eindruck ist allerdings, dass im Westen tatsächlich viele islamophob sind.
Wenn das so ist, dann muss auch das geändert werden. Wenn Du wirklich die Welt ändern willst, dann musst Du Dir klar über Dich selbst sein. Du musst das sagen, was Du auch denkst. Der Westen muss sich von der Idee reinigen, dass alle Muslime schlecht sind. Es ist nutzlos nach dem moderaten Muslim zu suchen. Was soll das heißen? Ein Muslim ist ein Muslim. Ein Fundamentalist ist ein Fundamentalist. Das hat mit Patriarchat und Chauvinismus zu tun. Wir sollten gegen Fundamentalismen sein und nicht gegen Religionen.

Das Interview wurde am 13. April 2008 in Berlin geführt.

Kommentare

Als registriertes Mitglied können Sie einen Kommentar zu diesem Beitrag verfassen.