Inhalt

17. Dezember 2007. Interviews: Kunst & Kultur - Indien Interview mit Javed Akhtar

Das Interview mit Javed Akhtar beginnt… interessant: Er kommt nicht. Schließlich treffen wir uns doch noch im Restaurant eines großen Frankfurter Hotels. Es ist Abend und Javed Akhtar hat an diesem Tag bereits unzählige Interviews gegeben. Ich bin die letzte auf seiner Liste. Nach kurzer Überlegung ziehen wir um auf sein Hotelzimmer. "Zu laut, da unten", sagt er, "Bei mir ist es viel gemütlicher." Das stimmt. Wir nehmen Platz. "Bolna" (Hindi/Urdu: Sprechen Sie), sagt er und blickt mich erwartungsvoll an.

Javed Akhtar
Javed Akhtar während der Buchmesse in Frankfurt (a.M.). Foto: Fatma Sagir
Es gibt wohl kaum jemanden, der Sie oder Ihre Texte in Indien nicht kennt. Außerhalb Indiens dürften zumindest Ihre Songtexte vor allem durch die Bollywood-Filme bekannt sein. Als Sie mit Ihrer Arbeit begannen, hätten Sie sich jemals vorstellen können, dass deutsche Teenager einmal Ihre Lieder trällern würden?
Nein, das konnte ich mir natürlich nicht vorstellen. Das ist schön zu hören. Bis vor einigen Jahren konnte sich im indischen Film wahrscheinlich niemand vorstellen, dass indische Filmmusik so populär in Deutschland werden würde. Das zu hören macht mich sehr glücklich, wunderbar.
Die Übergänge zwischen Filmsongs und Dichtung scheinen manchmal fließend zu sein. Manche Filmsongs sind sehr poetisch. Inwieweit schafft es Filmmusik, dass Dichtung auch zu den Menschen gelangt, die keinen Zugang zu Bildung oder zu schönen Künsten haben?
Ich vermute, dass indische Filmmusik in den späten 1980ern und frühen 90er Jahren nicht besonders förderlich für Dichtung beziehungsweise Lyrik war. Kann ich ’förderlich’ sagen? Was ist passiert? Wir gewinnen an Geschwindigkeit, an Tempo, nicht nur im Bereich der Musik, sondern in vielen Bereichen, und das auf Kosten des Schauspiels. Ich denke, dass Musik im Streben nach Tempo vernachlässigt worden ist. Manchmal, wenn ich diese Filme sehe, diese Lieder höre, dann… Also die Leute, die Filme produzieren – damit meine ich nicht nur Produzenten, sondern jeden, der an diesem Kreativitätsprozess beteiligt ist – diese Leute sind verunsichert. Sie denken, dass die Menschen das Interesse verlieren werden, wenn sie während des Filmes an einem bestimmten Punkt verweilen, und denken dann ungefähr: Bevor sie von diesem Aspekt gelangweilt sind, sollte ich sofort zum nächsten übergehen, und bevor sie dessen auch überdrüssig werden, wieder zum nächsten. Heutzutage fehlt häufig Vertrauen und Gelassenheit in der Musik. Sie wollen lieber verständlich sein und verlieren dadurch an Bedeutung. Aber ich denke, das Schlimmste haben wir bereits hinter uns. Heute gibt es im Bereich der Filmmusik wieder Leute, die eine angemessene und natürliche Balance zwischen Tempo, Inhalt und Bedeutungstiefe finden.
Bevor Sie im Filmgeschäft aufgestiegen sind, haben Sie viele Abgründe durchlebt. Sie waren obdachlos…
Ja, ich habe das erlebt, aber ich nehme an, dass es auf der Welt Millionen von Menschen gibt, denen es genauso geht. Das ist nichts Außergewöhnliches, also muss ich mich da auch nicht als etwas Besonderes empfinden.
Wie hat Sie das in Ihrem Schaffen und Leben geprägt?
Wissen Sie, wenn man unter extremen Bedingungen lebt und extremen Dingen begegnet, dann geht das nicht spurlos an einem vorbei. Also reagiert man extrem. Menschen, die starke Armut, Bedrängnis erlebt haben und Vorurteilen und Diskriminierungen begegnet sind, können auf zwei Arten reagieren. Sie können sehr hart werden, wenn sie zuvor arm waren, oder Vorurteile haben, wenn sie zuvor Vorurteilen begegnet sind, oder sie diskriminieren, wenn sie das zuvor auch selbst erlebt haben. Ich habe weder mit Vorurteilen zu kämpfen gehabt noch, habe ich persönlich unter Diskriminierungen gelitten, aber ich habe Armut erlebt. Wenn man Armut durchlebt, dann kann man entweder sehr hart werden, oder man wird ein großzügiger Mensch mit einem riesigen Herz. Das sind die beiden extremen Reaktionsmöglichkeiten. Menschen gehen in die eine oder die andere Richtung. Denn extreme Bedingungen lassen dich nicht unberührt, das ist ziemlich klar.
In Ihrem Lyrikband "Tarkash" (engl. Quiver) schreiben Sie: "jeder gehört zu einer Stadt". Haben Sie Ihre Stadt gefunden?
Ich weiß nicht. Tatsächlich habe ich einen Bezug zu Mumbai. Denn die meiste Zeit meines Lebens habe ich in dieser Stadt verbracht. Ich war 19, als ich nach Mumbai kam, und nun bin ich 62 Jahre alt (* 1945 in Gwalior). Allerdings sind möglicherweise meine kulturellen Wurzeln in Nordindien, in Uttar Pradesh, Bhopal. In Bhopal habe ich einige Jahre gelebt, dort habe ich meine Collegezeit verbracht, und Bhopal hat mich sehr geprägt. Also es ist sehr schwer für mich zu entscheiden, ob ich nach Aligarh, Lucknow, Bhopal oder Mumbai gehöre. Ich denke, ich bin irgendwie eine Synthese all dieser verschiedenen Gegebenheiten und Schichten der indischen Gesellschaft.
Sie haben in der Vergangenheit immer wieder Frauenrechte eingeklagt und Missstände angeprangert. Woher kommt Ihr Engagement für die "Sache der Frauen"?
Ich komme aus einer Familie, in der ich meine Mutter und meine Tanten als gebildete berufstätige Frauen erlebt habe. Ich habe niemals beobachtet, dass sie von ihren Ehemännern schlecht behandelt worden sind, nie. Sie waren unabhängige und gebildete Menschen. Sie waren berufstätig, hatten eine eigene Meinung, und sie hatten alles Selbstbewusstsein dieser Welt, diese Meinung zu äußern. Die Frauen, die ich sah, als ich zur Welt kam, waren besondere Frauen. Glauben Sie mir, und ich übertreibe nicht: Bis ich 20 oder 21 war, wusste ich nicht, dass es in der Welt so etwas wie das Schlagen einer Ehefrau gibt. Ehrlich. Ich hatte bis dahin noch nie etwas davon gehört. Ich komme also aus diesem Teil der Gesellschaft. Meine Eltern, meine Tanten, Onkel, meine ganze Familie und ihre Freunde… einige von ihnen waren Kommunisten, alle befanden sich Mitte links. Das heißt, ich komme aus einem Umfeld, das grundlegend liberal, säkular und tolerant war. Daher ist es keine besondere Leistung meinerseits. Wenn ich sehe, dass eine Frau misshandelt, unterdrückt, erniedrigt wird und ihre Würde in Gefahr ist, dann macht mich das wütend. Das ist nichts Besonderes, worauf ich stolz sein müsste. Ich meine, das ist doch selbstverständlich. Wenn ich etwas sage, das aufrichtig ist, dann erwarte ich ja auch nicht, einen Nobelpreis dafür zu bekommen.
Na ja, viele Männer finden es nicht gerade toll, wenn ein Mann über "Frauenthemen" spricht…
Ich denke, dass sich die Zeiten ändern. Ich sehe meinen Sohn an. Er ist verheiratet, und wenn ich denke, ich bin schon anders, dann sehe ich gleichzeitig meinen Sohn, der mir nochmal zwei Schritte voraus ist. Er ist noch emanzipierter als ich. Ich bin ein fauler Mensch. Ich erwarte immer noch, dass meine Frau manche Dinge für mich erledigt (lacht). Während mein Sohn alles selbst erledigt. Er ist eine viel größere Hilfe für seine Frau als ich für meine Frau.
Wie schaffen Sie es, eine Brücke zwischen Ihren verschiedenen Lebenswelten zu schlagen, vor allem zwischen so etwas "Trivialem" wie dem Film und Ihrem ernsthaften politischen Engagement?
Man kann nichts gut machen, wenn man es für trivial hält. Nichts in der Welt ist trivial. Es gibt keine Arbeit, die zu klein ist. Es gibt Menschen, die klein sind und die ihre Arbeit schlecht erledigen. Was immer man im Leben tut, egal ob man eine Mahlzeit vorbereitet, Schuhe putzt, ein Zimmer aufräumt, du kannst es perfekt und hervorragend erledigen oder du machst es schäbig und auf inkompetente Weise. Und deshalb ist nichts trivial. Wenn man ein Drehbuch oder einen Filmsong schreibt, dann muss in dem Moment die gesamte Energie, die gesamte Anstrengung darauf konzentriert sein, es auf die bestmögliche Weise zu tun. Und wenn man eine sozialpolitische Rede hält, dann sollte der Fokus derselbe sein. Wenn man denkt, dass es trivial ist, dann wird man nicht in der Lage sein, es gut zu machen. Es gibt sehr gute Filmsongs auf dieser Welt und sehr schlechte politische Reden. Es ist nicht das Genre, es ist nicht die Arbeit, die die Qualität definiert. Es ist die Qualität, die die Arbeit definiert.
Sie schreiben in Urdu, das als Sprache "der" indischen Muslime gilt, für viele aber auch Literatursprache ist, vor allem in der Filmindustrie. Ist da nicht ein Paradoxon?
Meine Muttersprache ist Urdu. Die Aussage, Urdu sei die Sprache der indischen Muslime, ist falsch: Muslime in Kerala sprechen kein Urdu, ihre Muttersprache ist Malayalam. Muslime in Bengalen und zum Teil auch in Bangladesh sprechen kein Urdu. Einer der größten Dichter der Bengali-Literatur ist Nazrul Islam. Sprachen gehören nicht zu Religionen, Sprachen gehören zu Regionen. Urdu ist Sprache einer bestimmten Region Indiens. Aus politischen Gründen wurde die Lüge, Urdu sei die Sprache der Muslime, verbreitet und von verschiedenen Gruppen zur Förderung eigener Interessen propagiert. Urdu wurde den Bengalis aufgezwungen, obwohl sie Urdu als Sprache ablehnten. Man konnte damals in Pakistan zwischen Bangla und Urdu wählen, man wählte 1971, als sich Bangladesch von Pakistan löste, Bangla. Man zwang es Pashtunistan auf, es ist nicht die Sprache Pashtunistans. Man zwang es Belutchistan auf, es ist nicht die Sprache Belutchistans. Man drückte es Sindh auf, es ist nicht die Sprache von Sindh. Viele Regionen Pakistans hatten nichts mit Urdu zu tun, aber die Sprache wurde aufgezwungen. Ursprünglich gehört Urdu zu nordindischen Staaten wie Uttar Pradesh, Delhi, Haryana, Madhya Pradesh. Es ist bedauerlich, dass man Urdu dort entwurzelt hat. Tatsächlich wurde Urdu von Politikern auf dem Altar der "Two-Nation-Theory" geopfert. Im späten 19. Jahrhundert wurde die Idee entwickelt, in Südasien lebten zwei Nationen, die nicht zusammenleben könnten. Muslime seien eine Nation und Hindus eine andere. Das war eine Lüge. Religionen können keine Nation schaffen. Wenn Religion eine Nation schaffen könnte, dann müsste der gesamte Nahe Osten ein Land sein und Europa ebenso. Nationen entwickeln sich aus vielen Gründen. Religion kann ein Faktor sein, aber nicht der Hauptfaktor. Diese Lüge war den britischen Imperialisten nützlich. Es gab bestimmte hinduistische Denkschulen, die diese Denkweisen akzeptierten, und bestimmte muslimische Gruppen und Parteien, die sie unterstützten. Und schließlich etablierte sich diese falsche Sichtweise. Urdu war ein lebendiges Beispiel für eine gemeinsame gemischte Kultur, die viele Muslime und Hindus miteinander teilen, Beleg dafür, dass sie ein gemeinsames kulturelles Erbe besitzen. Doch es gab eben auch viele Kräfte, die das ablehnten. So wurde Urdu zu einer Art muslimischer Sprache, und Hindi wurde zur hinduistischen Sprache. Es ist seltsam: Hindi-Literatur beginnt im 16. Jahrhundert mit dem großen Poem Padmavat des Muslims Malik Muhammad Jayasi. Und es gibt große Hindi-Dichter, die Muslime sind, und große Urdu-Dichter, die Hindus sind. Urdu dominiert heute in den Medien und im Film, einfach weil es die Sprache der Menschen ist, nicht der Muslime.
Sie sagen, dass Sie in "Hindustani" schreiben. Was ist damit gemeint?
Es ist kein reines Urdu und kein reines Hindi. Irgendwo dazwischen liegt die Wirklichkeit, das ist Hindustani.
Gibt es immer noch die Vorstellung von "Two Nations" in den Köpfen der indischen Bevölkerung?
Generell dominiert sie nicht das Bewusstsein der Inder. Indien definierte sich nach der Teilung als säkularen Staat, schuf eine Verfassung, nach der zumindest auf dem Papier keine Diskriminierung aufgrund religiöser Zugehörigkeit existiert. Leider lässt die Praxis noch zu wünschen übrig, denn die Teilung hat in der Psyche der Menschen tiefe Wunden hinterlassen. Der Exodus bei der Teilung war größer als zur Zeit des Zweiten Weltkrieges. Die Menschen tragen noch immer bestimmte Wunden und Prägungen mit sich. Es gibt marginale Hindu-Gruppen, die glauben, dass alle Muslime Nachkommen der Invasoren von vor mehreren Jahrhunderten sind, die von Außen eindrangen und nichts anderes taten als die Tempel und Götter zu zerstören, zu vergewaltigen und die Menschen zur Konversion zu zwingen. Sie haben diese Vorstellungen, die ziemlich wenig mit der historischen Wirklichkeit zu tun haben. Wir haben aber auch einige extrem rechtsgerichtete Muslime, die davon überzeugt sind, dass all das über die muslimische Herrschaft über Indien wahr ist, worauf sie noch stolz sind. Von diesen extremen Richtungen abgesehen, respektiert der "Durchschnittsinder" die Tatsache, dass Du Hindu oder Muslim bist. Sie leben zusammen, solange politische Parteien sie nicht manipulieren und eine Situation schaffen, die es dem durchschnittlichen Bürger unmöglich macht, säkular zu bleiben. Es kann schwierig werden, wenn Unruhen zwischen Gruppen geschürt werden. Natürlich wird ein Hindu Angst haben, durch ein muslimisches Viertel zu laufen, und ein Muslim wird sich fürchten, in ein Hindu-Viertel zu gehen. Doch die Menschen leben zusammen, sie tauschen sich aus, sie arbeiten miteinander. Dieses Hindu-Muslim-Problem ist bis heute ein städtisches Phänomen, eher künstlich dort geschaffen, wo die politischen Parteien aktiv sind. Auf dem Land wird man solchen Problemen nicht begegnen.
In einer Rede sagen Sie: "Ich bin Atheist. Ich habe keine religiösen Überzeugungen." Sie engagieren sich gegen religiöse Engstirnigkeit. Sind Sie vielleicht doch gläubig und religiös, nur nicht im klassischen Sinn?
Ich bin in keiner Weise religiös, aber ich bin ein Muslim. Ich bin Teil der muslimischen Gemeinschaft, genauer gesagt der Urdu sprechenden Muslime aus Uttar Pradesh im Norden Indiens. Ich kann mich nicht mit einem Muslim aus Nigeria, Tamil Nadu oder Kerala identifizieren, nur weil er Muslim ist. Uns verbindet weder Sprache noch Kultur. Ich identifiziere mich mit jemanden, weil er Inder ist und auch ich Inder bin. Aber ich identifiziere mich nicht mit jemanden, weil er Muslim ist. Wenn ich sage, ich bin Muslim, dann bedeutet das für mich, dass ich nicht nur das bin, was ich zu sein denke, sondern auch das, was andere von mir denken, dass ich es sei. Das bezieht sich besonders darauf, dass ich aus Lucknow in Uttar Pradesh komme, ich gehöre zu dieser speziellen muslimischen Kultur. Uns verbindet das politische Schicksal unserer Gemeinschaft, die Küche, die Sprache, die Kultur.
Gibt es Dinge, die Sie an der Gemeinschaft oder an ihrer Kultur kritisieren oder nicht mögen?
Natürlich gibt es die. Man muss seiner Gemeinschaft so etwas sagen können. Wenn man Mitglied einer Familie ist, dann heißt das ja nicht, dass man mit allem einverstanden ist, was die Familie tut. Aber gleichzeitig muss man die moralische Kraft und den Mut haben aufzustehen und einzuschreiten, wenn dieser Gruppe oder Familie Ungerechtigkeit widerfährt.
Wo ist Ihr geistiges Zuhause, wenn Sie von radikalen Hindus und Muslimen gleichermaßen angefeindet werden?
Wenn extremistische Muslime sich gegen mich äußern, dann gibt mir das eine enorme Kraft und Glaubwürdigkeit. Wenn extremistische Hindus gegen mich sprechen, so gibt mir das auch Kraft. Ich gewinne an Glaubwürdigkeit. Die anderen denken dann: An diesem Menschen muss etwas Aufrichtiges sein, wenn zwei extremistische Gruppen hinter ihm her sind.
Sie sind sehr optimistisch. Verletzt es Sie nicht, wenn Menschen Sie angreifen?
Das kommt darauf an, wer das tut. Wenn jemand, der schlecht ist, zu einem sagt: "Du bist böse," dann ist das großartig. Wenn ein Extremist mich befürwortete, dann würde mir das zu denken geben. Ich kritisiere meine eigene Gemeinschaft, und ich stehe für meine eigene Gemeinschaft ein. Ich kritisiere zugleich jene, die Dinge getan haben, die sie meiner Gemeinschaft nicht hätten antun sollen. Das heißt nicht, dass ich dich verteidige, wenn du falsch liegst. Das bedeutet nicht, dass ich sage gut gemacht, wenn du eine Frau im Namen der Religion mißhandelst. Das ist inakzeptabel.
Sie leisten eine Arbeit, die Tiefe hat. Ist die Filmwelt nicht eine oberflächliche Welt?
Was ist so oberflächlich an der Filmwelt? Der Glamour ist für andere da, nicht für die hart arbeitenden Menschen in dieser Industrie. Wenn zum Beispiel Karan Johar, Farhan Akhtar oder Ashutosh Gowariker Filme machen, dann schuften sie wie die Tiere. Sie arbeiten wirklich sehr hart. Wenn Schauspieler wie Shah Rukh Khan oder Amir Khan am Set sind, glauben Sie, dass sie dann an Glamour denken? Sie arbeiten. Das ist ihr Job. Die Komponisten, die Sänger nehmen ihre Arbeit sehr ernst und arbeiten hart. Sie möchten etwas mitteilen, sie mögen damit richtig oder auch falsch liegen. Aber sie sind davon überzeugt, dass sie so das Interesse und die Aufmerksamkeit der ganz gewöhnlichen Menschen gewinnen können.
Haben Sie ein Ritual, eine Routine, nach der Sie vorgehen, wenn Sie an Filmsongs schreiben?
Ich halte mir die Stimmung des Films, die intellektuelle Ebene der Charaktere und ihren kulturellen Hintergrund vor Augen. Ich versuche, Songs mit dem Vokabular dieser Charaktere zu schreiben, so wie ein Mensch in diesem Alter, mit diesem sozioökonomischen Hintergrund und dieser kulturellen Prägung eben reden würde. Ich benutze dann diese Sprache.
Woher kommt diese Empathie, dieses Einfühlungsvermögen in andere? Letztendlich sind es ja nur Charaktere, die ein Drehbuchautor geschaffen hat.
Diese Charaktere kommen ja nicht vom Mars oder vom Mond. Letztendlich kommen sie aus dem Leben. Man kann sich mit ihnen identifizieren und sie verstehen. Vielleicht hat dieser Charakter die Nase von dieser Person und die Lippen von jener, Augen von jemand anderem und Ohren, die wiederum zu jemand anderem gehören. Aber Sie verstehen, aha, das ist also die Psyche dieses Menschen, Sie verstehen, was für ein Mensch es ist.
In dem Buch "Talking Films" sprechen Sie darüber, dass Songsequenzen im indischen Film allmählich ihre Bedeutung verlieren. Wie schätzen Sie die Zukunft der Songs in Filmen ein?
Ich denke, in Zukunft wird es zwei Sorten von Filmen geben: Filme ohne Songs und Filme mit Songs. Aber Indien wird nie eine Filmindustrie haben, die nur noch Filme ohne Songs produziert. Es wird vielleicht einige Filme ohne Songs geben, aber sie werden dennoch Filme mit Songs sein.
Warum?
Na, weil das Teil unserer Tradition und Kultur ist. Wissen Sie, der erste indische Tonfilm war Alam Ara und es waren 52 Songs in diesem Film. Es gab nie einen Zweifel an der Existenz von Songs in Filmen. Wir haben schließlich mit 52 begonnen.

Das Interview wurde am 4. Oktober 2006 in Frankfurt a.M. geführt.

Quellen

Javed Akhtars literarisches Werk umfasst neben Drehbüchern und Filmsongs auch einen Lyrikband, der 1995 erschien. "Tarkash" wurde in Urdu, der Muttersprache Javed Akhtars, und in Hindi, Bengali, Gujarati, Kannada und Englisch (Quiver) veröffentlicht. Eine Übersetzung ins Deutsche ist geplant. Der nächste Band soll den Titel "Lava" tragen. Eines der bekanntesten Gedichte in "Tarkash/Quiver" ist "Hunger", in dem Javed Akhtar eindringlich und in schlichten Worten sein Hungern beschreibt. Eine berühmte Zeile daraus lautet "der Mond ist rund wie eine Chappati".

  • Akhtar, Javed: Quiver. Poems and Ghazals. [1995] Repr. New Delhi : HarperCollins Publ. India 2001.

Kommentare

Als registriertes Mitglied können Sie einen Kommentar zu diesem Beitrag verfassen.