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20. Dezember 2001. Analysen: Politik & Recht - Südasien Der Zerfall Pakistans

und die Rolle Indiens bei der Entstehung des Staates Bangladesch 1971

Im Dezember 1971 erschütterte zum dritten Mal ein Krieg zwischen Indien und Pakistan den indischen Subkontinent. Dieser Krieg hatte als innerstaatlicher Sezessionskrieg Ostpakistans begonnen und sich über die zuerst indirekte später direkte Intervention Indiens zur militärischen Auseinandersetzung zwischen den beiden südasiatischen Nachbarn ausgeweitet. Ergebnis dieses Konflikts war die Teilung Pakistans und die Entstehung des unabhängigen Staates Bangladesch.

Das innerstaatliche Verhältnis zwischen Ost- und Westpakistan

Pakistan und Indien hatten im August 1947 ihre Unabhängigkeit von der britischen Kolonialmacht erlangt. Im Gegensatz zu Indien befand sich Pakistan dabei mit seiner Teilung in West- und Ostpakistan bzw. Ostbengalen in einer ungünstigen strategischen Lage, denn die beiden Landesteile trennten mehr als 1.500 Kilometer Luftlinie durch indisches Territorium.

Für Pakistan stellte die Zweiteilung seines Territoriums aber nicht nur sicherheitspolitisch ein Problem dar. Auch innenpolitisch standen die Beziehungen zwischen dem kleineren, außerordentlich bevölkerungsreichen östlichen Teil (1950: 41 Millionen Menschen) und dem mehr als dreimal so großen westlichen Teil (1950: 36,5 Millionen) von Beginn an unter keinem guten Stern. Die für die Spaltung Britisch-Indiens verantwortliche All India Muslim League hatte nach der Unabhängigkeit die politische Macht in beiden Teilen Pakistans erlangt, wobei die Mehrheit der prominenten bengalischen Politiker nicht an der Regierung beteiligt wurde. Bereits ein Jahr nach Staatsgründung bekamen die Bengalen einen Eindruck von der sich entwickelnden Übermacht der neuen politischen Elite Westpakistans. Obwohl nur 0,6 Prozent der Ostbengalen Urdu sprachen, sollte es die alleinige Landessprache Pakistans werden.

Diese Entscheidung wurde von den Bengalen als Angriff auf ihre kulturelle und sprachliche Identität verstanden. Politische Parteien und Organisationen, unter ihnen die Awami League (Volksliga), widersetzten sich und organisierten zwischen 1948 und 1952 Massenkundgebungen und Demonstrationen. Die Zentralregierung versuchte zunächst, die sogenannte Sprachenbewegung mit Gewalt zu zerschlagen, beugte sich aber schließlich im Februar 1952 dem Druck, und Bengali wurde neben Urdu und Englisch zur offiziellen Amtssprache in Pakistan.

Die durch die Sprachenpolitik der Zentralregierung verletzten Empfindungen der Bengalen machten es der Opposition in Ostpakistan möglich, ein gemeinsames Wahlbündnis zu schaffen. Eine Koalition bestehend aus der Awami League, der Krishak Sramik Party (Arbeiter- und Bauernpartei) unter A.K. Fazlul Huq sowie einer Vielzahl kleinerer Parteien trat im April 1954 bei den Provinzwahlen gegen die All India Muslim League an. Das Bündnis konnte 300 der insgesamt 309 Sitze erringen und Fazlul Huq wurde neuer Ministerpräsident Ostpakistans. Die Basis dieser Erfolgs war ein 21-Punkte-Programm, in dem unter anderem die vollständige regionale Autonomie für Ostbengalen gefordert wurde. Der Zentralregierung sollten dabei nur noch drei Einflussbereiche zugestanden werden: die nationale Verteidigung, die Außenpolitik und die gemeinsame Währung. Das 21-Punkte-Programm war durch über 90 Prozent der Wählerschaft legitimiert und legte den Grundstein für die nationalistische bengalische Bewegung. Die Zentralregierung beschuldigte Fazlul Huq, den Ostteil von Pakistan abtrennen zu wollen. Am 30. Mai wurden die bengalische Versammlung aufgelöst und die Provinz unter Gouverneursherrschaft gestellt.

Während der Herrschaft Ayub Khans, der sich 1958 an die Macht geputscht hatte, verschärfte sich die angespannte Situation weiter. Die wachsenden sozialen, politischen und wirtschaftlichen Divergenzen zwischen den Landesteilen wurden von den Bengalen zunehmend als eine Art "innerer Kolonialismus" angesehen. Abgesehen von der Vernachlässigung des Ostens im wirtschaftlichen Bereich, war die Vorherrschaft der Westpakistani im höheren Verwaltungs- und Militärdienst Ursache einer zunehmenden Verstimmung der Ostbengalen. So waren beispielsweise 84 Prozent der Beamten in der Zentralregierung und 85 Prozent der Beamten im diplomatischen Dienst Westpakistani.

Die ökonomische Disparität der beiden Landesteile wird vor allem mit Blick auf die öffentlichen und privaten Investitionen deutlich. Trotz eines Bevölkerungsanteils von über 50 Prozent belief sich zwischen 1950 und 1970 der Anteil Ostpakistans an den Ausgaben der Zentralregierung auf durchschnittlich 30 Prozent. Der Anteil an privaten Investitionen betrug nur rund 23 Prozent. Darüber hinaus lag das Pro-Kopf-Einkommen in Westpakistan im Jahre 1949/50 bei 351 Rupien (Rs) pro Jahr und stieg bis 1969/70 auf 533 Rs, während das Pro-Kopf-Einkommen in Ostpakistan von 288 Rs (1949/50) auf lediglich 331 Rs (1969/70) gestiegen war.

Aufgrund der wirtschaftlichen Ungleichheit und der Unterdrückung politischer Rechte hatten bereits zu Beginn der 60er Jahre Teile der ostpakistanischen Opposition eine Loslösung vom Westteil erwogen. Einen Schub erhielten diese Bestrebungen im Ergebnis des zweiten indisch-pakistanischen Krieges im September 1965. Innerhalb einer Stunde nach Kriegsbeginn war Ostpakistan vom Rest der Welt abgeschnitten, und obwohl Indien Ostbengalen nicht angriff, hinterließ der Krieg ein tiefes Gefühl der Unsicherheit in der Bevölkerung.

Nach Kriegsende begann die ostbengalische Opposition, gegen das gesamte politische System Pakistans zu agitieren. Die früheren Forderungen nach regionaler und sprachlicher Autonomie wurden um den Ausgleich der ökonomischen Nachteile erweitert. Scheich Mujibur Rahman, Mitbegründer der Awami League und seit 1965 deren Vorsitzender, stellte im Februar 1966 ein Sechs-Punkte-Programm vor, das den Nährboden für die nachfolgenden Kontroversen zwischen der Zentralregierung und der Awami League bilden sollte. Es schlug vor, eine Föderation auf Basis der Lahore Resolution von 1940 [1] zu errichten. Die Zentralregierung, deren Macht auf Verteidigung und Außenpolitik beschränkt werden sollte, betrachtete das Programm als Plan zur Teilung Pakistans. Ayub Khan ließ Scheich Mujibur verhaften und im Januar 1968 anklagen. Mujibur wurde vorgeworfen, mit Hilfe Indiens eine Verschwörung zur Abspaltung Ostpakistans eingeleitet zu haben. Die Anklage bestärkte den bengalischen Separatismus und löste im Dezember 1968 gewalttätige Unruhen in Ostpakistan aus, bei denen die Forderung nach bengalischer Autonomie bekräftigt wurde.

Im März 1969 verhängte der neue Militärmachthaber General Yahya Khan das Kriegsrecht in Pakistan und löste die National- und die Provinzversammlungen auf. Gleichzeitig kündigte er Neuwahlen zur verfassunggebenden Nationalversammlung an, die zwischen dem 7. Dezember 1970 und dem 17. Januar 1971 stattfanden. Die Awami League erreichte dabei mit 167 der 313 Sitze die absolute Mehrheit, konnte jedoch kein einziges Mandat in Westpakistan erringen. Dort wurde die Pakistan People’s Party unter Zulfiqar Ali Bhutto mit 85 Sitzen die stärkste Kraft. Bhutto wollte sich jedoch mit seiner Rolle als Wahlverlierer nicht abfinden und forderte die Awami League auf, seine Partei an der Ausarbeitung einer neuen Staatsordnung zu beteiligen. Das entsprach auch den Vorstellungen der Militärjunta, die eine Verfassung in enger Anlehnung an das Sechs-Punkte-Programm verhindern wollte. Nachdem erste Verhandlungen mit der Awami League gescheitert waren, erklärte Bhutto, er werde solange nicht an den Sitzungen teilnehmen, bis beide Seiten hinsichtlich einer gemeinsamen Verfassungsgrundlage übereingekommen seien. Das Militärregime verschob daraufhin die für den 3. März anberaumte erste Sitzung der Nationalversammlung auf den 25. März, um angeblich beiden Seiten mehr Zeit für einen Kompromiss zu geben. Tatsächlich nutzte es die Zeit für Truppenverstärkungen in Ostpakistan, um die Autonomiebewegung gewaltsam zu zerschlagen.

Die zeitliche Verschiebung der Nationalversammlung löste eine neue Phase der politischen Krise aus. Sie brachte die Menschen in Ostbengalen spontan auf die Straße, die nun eine bedingungslose Unabhängigkeitserklärung forderten. Scheich Mujibur war jedoch nicht bereit, soweit zu gehen. Er entschied sich statt dessen für eine Bewegung zivilen Ungehorsams, um seine Forderung nach Machtübertragung zu unterstreichen. Khan beugte sich zunächst dem Druck und zwischen dem 16. und 24. März 1971 verhandelten Scheich Mujibur, Yahya Khan, Zulfiqar Ali Bhutto und andere westpakistanische Führer über einen Kompromiss.

Zu diesem Zeitpunkt erhöhte sich der Druck radikaler Teile der Awami League und der bengalischen Öffentlichkeit auf Mujibur, entweder ein schnelles Abkommen zu erzielen oder die Unabhängigkeit zu erklären. Die Verhandlungen scheiterten schließlich und am Abend des 25. März 1971 gab Yahya Khan der Armee den Befehl, mit Gewalt gegen die Unabhängigkeitsbewegung vorzugehen. Er ließ Scheich Mujibur verhaften, verbot die Awami League und setzte eine totale Pressezensur in Kraft.Das war der Beginn eines blutigen Bürgerkrieges und zugleich der Startschuss für den Aufbau einer Befreiungsarmee und den Unabhängigkeitskampf. Das bengalische Regiment der pakistanischen Armee (East Bengal Regiment, EBR), die Grenztruppen (East Pakistan Rifles, EPR) und die Mujib Bahini, bewaffnete Kader der Awami League, unternahmen eine erste Initiative, einen unmittelbaren Widerstand gegen die westpakistanischen Truppen aufzubauen.

Indiens Verwicklung im Konflikt um Ostpakistan

In diesem Bürgerkrieg kam Indien eine zentrale Rolle zu, wobei die Gestaltung der indischen Politik vor allem durch politische, militärische, geographische und strategische Faktoren bestimmt wurde. Es gab vier Phasen im Prozess der wachsenden indischen Einmischung und schließlichen Militärintervention im Bangladesch-Konflikt. In der ersten Phase, die etwa von März bis Ende April 1971 dauerte, entschloss sich Indien, die ostbengalische Bewegung zu unterstützen. Die zweite Phase, von Anfang Mai bis Ende Juni 1971, war durch die indirekte Militärhilfe Indiens für die Befreiungsbewegung gekennzeichnet. Während der dritten Phase, von Juli bis November 1971, entschloss sich Indien den östlichen Flügel zu befreien, indem es einen Angriff gegen die in Ostpakistan stationierte pakistanische Armee vorbereitete. Die vierte Phase (3. bis 17. Dezember 1971) war durch eine direkte und schließlich erfolgreiche Militärintervention Indiens gekennzeichnet, in deren Ergebnis Bangladesch die staatliche Souveränität erlangte.

Als die bengalische Bewegung des zivilen Ungehorsams am 1. März 1971 begann, starteten die indischen Medien eine detaillierte Berichterstattung über die Entwicklungen in Ostpakistan. Die täglichen Programme des staatlichen indischen Rundfunks sympathisierten mit den Bemühungen der Ostbengalen, ihre Rechte geltend zu machen. Die erste offizielle indische Reaktion folgte zwei Tage nach Beginn der militärischen Aktionen pakistanischer Sicherheitskräfte gegen die Zivilbevölkerung. Premierministerin Indira Gandhi brachte am 27. März in einer Rede vor der Lok Sabha, dem Unterhaus des Parlaments, ihre Beunruhigung über die Ereignisse in Ostpakistan zum Ausdruck. Am 31. März nahm die Lok Sabha einstimmig eine Resolution an, in der diese Sorge bekräftigt wurde:

"The House expresses ist deep anguish and grave concern at the recent developments in East Bengal. A massive attack by armed forces, depatched from West Pakistan have been unleashed against the entire people of East Bengal [...] Instead of respecting the will of the people so unmistakably expressed through the election in Pakistan in December 1970 [...]."

Die indischen Reaktionen waren zu Beginn des Konflikts zögernd und darauf angelegt, den wachsenden Druck der Öffentlichkeit, besonders im Unionsstaat Westbengalen, für eine sofortige Intervention umzulenken. Die Regierung in New Delhi verfolgte während dieser Phase eine abwartende Politik und betrachtete die Situation vorsichtig, wobei sie sich jedoch nicht vollständig passiv verhielt. Indien gewährte geflüchteten bewaffneten Aufständischen Asyl auf seinen Territorium und dehnte heimlich und sehr begrenzt lokale Militärhilfe für die Ostbengalen aus. Indira Gandhi hatte der indischen Border Security Force (BSF) die Erlaubnis erteilt, den Mukti Bahini (Freiheitskämpfern) Hilfe zu gewähren. Dabei war der ihr jedoch untersagt, der pakistanischen Armee direkt entgegenzutreten. Die BSF unterstützte die EBR und die EPR aus dem Hintergrund und lieferte ihnen Ausrüstung, Waffen und Munition.

Am 26. März wurde auf indischem Territorium die Volksrepublik Bangladesch ausgerufen und eine provisorische Regierung gebildet, die den in Westpakistan inhaftierten Scheich Mujibur zum Präsidenten wählte. Die indische Regierung brachte die Einrichtungen der provisorischen Regierung in staatlichen Gästehäusern Westbengalens unter und koordinierte die Kontakte mit der Exilregierung über ein Büro des Außenministeriums in Kalkutta (heute Kolkata). Indien war zu diesem Zeitpunkt überzeugt, dass das ostbengalische Volk hinter der Befreiungsbewegung stand und hoffte durch die Unterstützung der Exilregierung und die verdeckte Hilfe die Geschehnisse in Ostpakistan zu seinen Gunsten beeinflussen zu können.

Im Mai und Juni 1971 wurde Indiens Einmischung intensiver. Die Zunahme des Flüchtlingsstroms aus Ostpakistan und die damit verbundenen Probleme der Versorgung und Unterbringung der Menschen belasteten die indische Wirtschaft, den sozialen Frieden und die Sicherheit im Land. Der indischen Regierung war klar, dass die Freiheitskämpfer der pakistanischen Armee ohne militärische Unterstützung unterlegen sein würden. Das hätte für Indien bedeutet, Millionen ostbengalischer Flüchtlinge im Land aufnehmen zu müssen. Ab Mai 1971 begann Indien verstärkt bengalische Guerillatruppen aufzustellen und in Ausbildungszentren der indischen Armee zu trainieren. Die ostbengalischen Befehlshaber und die Generäle des östlichen Kommandos der indischen Armee hatten sich in der zweiten Maiwoche darauf verständigt, die Strategie hinsichtlich einer intensiven Guerillataktik zu ändern. Indiens Plan war, die Mukti Bahini soweit zu stärken, dass sie selbständig größere Militäroperationen durchführen konnten. Indien vermied jedoch weiterhin eine direkte Konfrontation mit pakistanischen Truppen.

Die Entscheidung der Gandhi-Regierung, im Befreiungskampf zu helfen, basierte allerdings auf der Bedingung, dass dieser weiterhin von der Awami League geführt wurde, deren ideologische Grundhaltung der des in Indien regierenden Congress (I) ähnlich war. Indien hoffte, dass mit der Schaffung eines säkularen und demokratischen Staates unter Führung der Awami League sich auch die kommunalen Spannungen zwischen beiden Staaten verringern würden. Hinzu kam, dass im Hinblick auf die indischen Sicherheitsinteressen das Entstehen eines unabhängigen Bangladeschs Pakistan zu einem kleineren Staat gemacht und daher die Bedrohung durch den Nachbarn verringert hätte. Diese Aspekte spielten zu jeder Zeit eine zentrale Rolle bei der Gestaltung der indischen Politik im Konflikt um Ostpakistan.

Ab Ende Mai zielte die indische Politik darauf ab, die Welt auf den Flüchtlingsexodus aufmerksam zu machen. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits drei Millionen Menschen die Grenze nach Indien überschritten, bis Ende November 1971 sollte sich die Zahl auf rund zehn Millionen erhöhen. Besonders die östlichen Grenzprovinzen Westbengalen, Assam, Meghalaya und Tripura waren von der Flüchtlingsproblematik betroffen. Dort waren Wirtschaft und Verwaltung großen Belastungen ausgesetzt, wobei das Hauptproblem Versorgung und Unterbringung der Flüchtlinge war. Indien argumentierte, dass durch den Flüchtlingstrom die Unruhen in Ostbengalen keine rein innerpakistanische Angelegenheit mehr seien, wie Pakistan immer behauptet hatte. Die indische Regierung war zwar einerseits bereit, die notwendige Versorgung und Betreuung der Flüchtlinge aus humanitären Gründen auszubauen, forderte aber andererseits die Vereinten Nationen und ausländische Regierungen auf, einen Teil der Verantwortung mitzutragen. Zudem sollten die Großmächte USA, Sowjetunion und Volksrepublik China Pakistan zu einer politischen Lösung unter Beteiligung der gewählten Awami League drängen. Die USA und China betrachteten den Konflikt jedoch weiterhin als ein innerstaatliches Problem und stützten damit die pakistanische Position. Nur die UdSSR appellierte an Pakistan, zu einer friedlichen Lösung zu kommen.

Durch die mit dem nicht abreißenden Flüchtlingsstrom wachsenden wirtschaftlichen und sozialen Belastungen erhöhte sich auch in Indien der öffentliche Druck hinsichtlich einer Lösung. Die zunehmende weltweite Anteilnahme am Schicksal der geflohenen Ostbengalen schuf für Indien außenpolitisch ein moralisches Alibi, falls New Delhi sich – auch aus machtpolitischen Interessen – zu einem militärischen Eingreifen in Ostpakistan entschließen sollte. Es gab zu diesem Zeitpunkt zwei Handlungsalternativen: Entweder erreichten das pakistanische Militärregime und die Awami League eine politische Lösung oder Indien würde aktiv werden, um Teile Ostpakistans zu befreien, wo die Flüchtlinge rehabilitiert werden könnten.

Von der Einmischung zur militärischen Intervention

Im Juli 1971 befand sich die Gandhi-Regierung in einer schwierigen Lage. Einerseits zeigte die Unterstützung der Mukti Bahini und der Exilregierung von Bangladesch noch keine wesentlichen Erfolge. Andererseits erzeugte der Flüchtlingsstrom eine tiefe finanzielle Krise und war Zündstoff für politische Probleme. Die indische Regierung plante zu intervenieren, falls keine politische Lösung gefunden würde, die sowohl für die ostbengalischen Nationalisten als auch für Indien annehmbar war. Zeitgleich zu seinen diplomatischen Bemühungen setzte Indien die Vorbereitungen für eine mögliche Intervention fort.

Am 12. Juli geriet Indien unter internationalen Druck, nachdem Pakistans Militärmachthaber Yahya Khan erklärt hatte, jederzeit zu Gesprächen mit Premierministerin Indira Gandhi bereit zu sein. Zudem schlug er vor, UN-Beobachter auf beiden Seiten der Grenze zu postieren, die eine sichere Rückkehr der Flüchtlinge garantieren sollten. Indien lehnte den Vorschlag mit der Begründung ab, dass die Greueltaten der pakistanischen Armee nach wie vor andauerten und eine politischen Lösung unter Beteiligung der Awami League nicht in Sicht sei. Überdies wäre durch die internationalen Beobachter die geheime Militärhilfe für die Mukti Bahini aufgedeckt worden und Indien hätte durch die Internationalisierung des Konflikts seine einflussreiche Position verloren.

Um seine politische Position im Konflikt zu stärken, festigte Indien die Verbindungen zur UdSSR. Beide Länder unterzeichneten am 9. August 1971 in New Delhi den indisch-sowjetischen Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit. Der Vertrag legte unter anderem fest, dass im Falle eines Angriffs durch Dritte beide Vertragsparteien sich gegenseitig unterstützen sollten, um gemeinsam "friedenssichernde" Maßnahmen ergreifen zu können. Für beide Seiten waren die Vorteile des Abkommens offensichtlich: Indien profitierte kurzfristig, denn Kraft des Vertrages erhielt es von der UdSSR militärische und diplomatische Unterstützung im Konflikt um Ostpakistan. Für die UdSSR sollte sich der Vertrag langfristig auszahlen, denn er sicherte ihr die Präsenz in Südasien.

Im August und September 1971 verstärkten sich die Operationen der Mukti Bahini. Die pakistanischen Streitkräfte waren aufgrund der zunehmenden Guerillaaktivitäten, der weitverbreiteten Sabotage und der feindlichen Haltung der Bevölkerung verunsichert. Hauptziel der Mukti Bahini war die Zerstörung von Versorgungsverbindungen der pakistanischen Armee. Ab September beschränkte sich die Guerilla nicht länger auf sporadischen Sabotageakte, sondern befreite große Gebiete Ostbengalens. Als im Oktober mehr als 100.000 Freiheitskämpfer voll einsatzbereit waren, wurde fast jede Bewegung der pakistanischen Truppen gelähmt. Die Guerilla fügte der pakistanischen Armee schwere Verluste zu und allmählich wurde der militärischen Führung Pakistans die Aussichtslosigkeit ihrer Unternehmung bewusst. Der Guerillakrieg wurde daher in eine direkte Konfrontation mit Indien verwandelt, um eine ausländische Intervention zu provozieren. Ein verlorener Krieg in Ostpakistan hätte einen Prestigeverlust für das Regime in Islamabad bedeutet, während der Verlust Bengalens durch einen Krieg mit Indien in der Bevölkerung besser zu rechtfertigen gewesen wäre. Auch die indische Militärführung wollte den Guerillakrieg nicht unendlich ausweiten und hatte bereits ab September im Hinblick auf eine mögliche Besetzung Ostbengalens Truppen an der Grenze zu stationieren begonnen. Allerdings schien ein regulärer Krieg der Regierung in New Delhi noch nicht angemessen. Indien sollte nicht als Aggressor dastehen.

Ab Anfang Oktober 1971 kam es zu vermehrten Grenzverletzungen an der Ost- und Westgrenze durch Pakistan. Im November verstärkten sich die Zwischenfälle. Pakistanische Truppen drangen häufig unter dem Vorwand, Guerilla-Stützpunkte anzugreifen, in indisches Gebiet ein. Der Krieg zwischen Indien und Pakistan brach schließlich am 3. Dezember 1971 mit einem Angriff der pakistanischen Luftwaffe auf Militärbasen im Westen Indiens aus. Beobachter gingen davon aus, dass ein Ziel dieser Attacke die Reduzierung des Drucks auf die pakistanische Armee in Ostpakistan war. Wenige Stunden nach dem pakistanischen Angriff sagte Indira Gandhi in einer Rundfunkansprache, dass der Krieg in Bangladesch nun zu einem Krieg gegen Indien geworden sei, weshalb es keine andere Lösung gebe, als das Land in den Kriegszustand zu versetzen.

Der Versuch Pakistans, die indischen Kräfte an der westlichen Front zu binden, schlug fehl. Indien war Pakistan militärisch überlegen und konnte den Großteil der Armee in Ostpakistan einsetzen. Auch die in Islamabad erhoffte internationale Intervention blieb aus. Unmittelbar nach Kriegsausbruch wurden acht Bataillone der Mukti Bahini in die indischen Streitkräfte unter einem gemeinsamen Oberkommando eingegliedert. Dieses Kommando erarbeitete einen Plan, den Krieg schnell zu beenden. Am 4. Dezember griffen die indisch-bengalischen Truppen die pakistanische Armee in Ostpakistan von Westen, Norden und Osten an. Die indische Marine blockierte die Bucht von Bengalen und ein indischer Flugzeugträger bewachte den Hafen von Chittagong im Osten des zukünftigen Bangladesch. Aufgrund der taktischen und militärischen Überlegenheit sowie der Unterstützung durch die Bevölkerung konnten die indisch-bengalischen Streitkräfte binnen einer Woche die wichtigsten Städte an der Grenze befreien und bis Dhaka vorrücken. Die pakistanischen Stützpunkte in Grenznähe wurden dabei umgangen. Pakistan hatte diese befestigten Basen errichtet, um die von indischem Territorium operierenden Mukti Bahini besser bekämpfen zu können. Zudem sollte der ursprüngliche Plan Indiens vereitelt werden, nur Teile Ostbengalens zu erobern, um die Flüchtlinge zu repatriieren. Am 16. Dezember begannen die Truppen mit dem Angriff auf die ostbengalische Hauptstadt, worauf das pakistanische Oberkommando die Kapitulation bekannt gab. [2]

Die internationalen Reaktionen auf den Ausbruch des dritten indisch-pakistanischen Krieges waren unterschiedlich. Die USA machten Indien trotz des pakistanischen Angriffs für die Eskalation verantwortlich und belegten das Land mit einem Wirtschaftsembargo. Auch die Volksrepublik China gab Indien die Schuld an der bewaffneten Auseinandersetzung. Die UdSSR hingegen hielt Pakistan für den Krieg verantwortlich. Am 4. Dezember brachten die USA während einer Dringlichkeitssitzung des Weltsicherheitsrats einen Entwurf für einen Waffenstillstand ein. Dieser Vorschlag versuchte auch den Plan wiederzubeleben, UN-Beobachter an der indisch-bengalischen Grenze zu stationieren. Der Entwurf scheiterte, da die UdSSR ihr Veto einlegte.

Zwischen dem 4. und 16. Dezember blockierte die Sowjetunion sämtliche Vorschläge der USA, Chinas und anderer Staaten im UN-Sicherheitsrat für einen Waffenstillstand, die nicht die politische Einigung gemäß den Vorstellungen der Gandhi-Regierung und der Awami League zum Ziel hatten. Somit hatten die gemeinsamen Streitkräfte Indiens und Bangladeschs Zeit, Dhaka vor einer internationalen Intervention zu erobern und die pakistanische Armee zu bezwingen. Der Erfolg der vereinten indisch-bengalischen Truppen beendete einen 267 Tage andauernden Bürgerkrieg, der das Leben von über eine Million Menschen gefordert hatte, besiegelte die Aufteilung Pakistans und die Unabhängigkeit von Bangladesch. Nachdem Indien die staatliche Souveränität Bangladeschs bereits am 6. Dezember 1971 anerkannt hatte, folgten am 24. Januar 1972 die Sowjetunion, am 4. Februar Großbritannien und am 4. April die USA.

Nach Ende des Krieges brach die westpakistanische Militärjunta zusammen und Zulfiqar Ali Bhutto wurde neuer Präsident Pakistans. Am 8. Januar 1972 beugte sich Bhutto dem internationalen Druck und ließ Scheich Mujibur Rahman frei. Mujibur kehrte nach Dhaka zurück und übernahm am 12. Januar das Amt des Premierministers der Volksrepublik Bangladesch. Vom 17. bis 19. März besuchte Indira Gandhi die Hauptstadt Bangladeschs und unterzeichnete gemeinsam mit Scheich Mujibur einen auf 25 Jahre festgelegten Vertrag über Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern. Indien gewährte Bangladesch als erster Staat einen Warenkredit von 250 Millionen Rupien und übernahm einen Teil der Kosten für die Wiedereingliederung der Flüchtlinge.

Zusammenfassung

Es bleibt festzuhalten, dass der indischen Führung durch ihre Einmischung in den Konflikt um Ostpakistan ein wesentlicher Anteil an der Spaltung Pakistans und der Gründung des souveränen Staates Bangladesch zukommt. Darüber hinaus konnte sie durch die Intervention auch ihre geostrategischen und politischen Ziele erreichen. Pakistans Bedrohungspotential war durch die Spaltung des Landes und die militärische Niederlage vorerst reduziert und mit Bangladesch unter Führung der Awami League hatte Indien einen verlässlichen Nachbarn gewonnen, von dem keine Gefahr ausging. Zudem hatte sich Indien nach dem Ende der Bangladesch-Krise als Führungsmacht auf dem südasiatischen Subkontinent etabliert.

Die unmittelbaren Ursachen für den Zerfall von Pakistan und die Entstehung von Bangladesch waren mit Sicherheit der von der pakistanischen Armee ausgelöste Bürgerkrieg in Ostbengalen und das Eingreifen der indischen Armee in den Konflikt. Doch der primäre Grund für die Teilung war das Scheitern der inneren Konsolidierung Pakistans. Die Zentralregierung in Islamabad war nicht gewillt, die Bedingungen für eine wirklich föderative Vereinigung und eine funktionsfähige politische Ordnung zu schaffen, unter der die Menschen beider Landesteile zusammenleben konnten.

Anmerkungen

[1] 1940 hatte die All India Muslim League die Lahore-Resolution verabschiedet, die auf Grundlage der Zwei-Nationen-Theorie einen eigenen Staat für die Muslime Britisch-Indiens forderte. Die bengalischen Muslime hatten großen Anteil an der Resolution, die neben der wirtschaftlichen und religiösen Unabhängigkeit von der hinduistischen Mehrheit auch die politische Souveränität sichern sollte. Bereits das 21-Punkte-Prgramm von 1954 hatte sich auf die Forderung nach politischer Souveränität in der Lahore-Resolution berufen.

[2] Ein wichtiges Dokument des dritten indisch-pakistanischen Krieges ist der Bericht der Hamoodur Rahman Kommission (Hamoodur Rahman Commission Report). Diese Kommission wurde am 26.12.1971 vom pakistanischen Präsidenten Bhutto ins Leben gerufen, um die Umstände der Niederlage zu untersuchen. Der Report wurde am 23.10.1974 fertiggestellt, allerdings nie veröffentlicht, da er den Militärs eine Hauptschuld an den schweren Menschenrechtsverletzungen in Bürgerkrieg, der Kriegsniederlage und dem Verlust Ostbengalens zuwies. Im August 2000 veröffentlichte das indische Magazin India Today Auszüge aus dem Report, was zu diplomatischen Spannungen zwischen Bangladesch und Pakistan führte.

Quelle: Dieser Text erschien in gekürzter Fassung am 8. Dezember 2001 in der Wochenzeitung Junge Welt.

Quellen

  • Ahmed, Moudud: Bangladesh – Constitutional Quest of Autonomy 1950-1971. Beiträge zur Südasienforschung, Südasien-Institut Universität Heidelberg, Band 41, Franz Steiner Verlag, Wiesbaden 1978.
  • Candeth, K.P.: The Western Front: Indo-Pakistan War 1971. Allied Publishers Private Limited, New Delhi 1983.
  • Chatterjee, Anubha: Indiens Politik während des letzten indisch-pakistanischen Krieges (Dezember 1971) und seine Rolle bei der Entstehung von Bangladesch. tuduv-Verlag, München 1992.
  • Narain, Virendra: Foreign Policy of Bangladesh (1971-1981): The Context of National Liberation Movement. Aalekh Publishers, Jaipur 1987.
  • Singh, Jagdev: Dismemberment of Pakistan – 1971 Indo-Pak War. Lancer International, New Delhi 1988.
  • Sisson, Richard/ Rose, Leo E. (Hg.): War and Secession: Pakistan, India and the Creation of Bangladesh. University of California Press, Berkeley/ Los Angeles/ Oxford 1990.

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