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15. Dezember 2003. Analysen: Politik & Recht - Nepal Festgefahren

Seit August 2003 sind Nepals Maoisten und die Monarchie wieder im Krieg

Schon im Mai 2002 war die 1990/91 erkämpfte parlamentarische Demokratie am Ende. Nur König Gyanendra, die von ihm eingesetzte Regierung und Befürworter eines direkten königlichen Systems sprechen seither noch von einem Fortbestand von Demokratie und konstitutioneller Monarchie.

Die Wirklichkeit sieht anders aus: Jahrelang hatten die gewählten Parteipolitiker die Verfassung missbraucht, Vetternwirtschaft und Korruption blühte. In vielen Gegenden des Landes ist der Staat seit Ausbruch des maoistischen Aufstands 1996 nicht mehr präsent. Seit Mai 2002 gibt es keine gewählten Vertreter auf nationaler Ebene mehr. Lokale Repräsentanten sind seit Juli 2002 im ganzen Land abgesetzt, seit Oktober 2003 werden auch die eingesetzten Beamten durch von der Regierung selektierte Parteifunktionäre ersetzt. Schon seit einem Jahr zuvor, im Oktober 2002, liegt die exekutive Macht und Souveränität in den Händen des Königs. Seit Mai 2002 ist das Parlaments aufgelöst. Der königliche Rat Raj Parishad, wurde mit Befugnissen aufgewertet, die in der Verfassung nicht vorgesehenen sind. Für eine Rückkehr zur Demokratie sind keine Anzeichen in Sicht. Der Anfang 2003 eingeleitete Friedensprozess mit den Maoisten brach im August 2003 zusammen. Der Konflikt eskalierte erneut, wieder sind wieder gröbste Menschenrechtsverletzungen zu berichten. Nepal, quo vadis?

Der Friedensprozeß

Als König Gyanendra am 11. Oktober 2002 eine Regierung unter Premierminister Lokendra Bahadur Chand einsetzte, gab er ihr drei konkrete Aufgaben: Eine möglichst umfassende Beteiligung der politischen Parteien an der Regierung sicherzustellen, einen Friedensprozesses mit den maoistischen Aufständischen einzuleiten und die auf unbestimmte Zeit verschobenen Parlamentswahlen vorzubereiten. Hinsichtlich des ersten Punktes ist Chand kläglich gescheitert; alle Parteien verweigerten eine Kooperation mit der Chand-Regierung, die sie als illegitim ansahen. Selbst Chands eigene Partei, die Rastriya Prajatantra Party (RPP, National Democratic Party) verhielt sich äußerst distanziert. Das gleiche Negativurteil gilt für den Versuch einer Redemokratisierung mittels Parlamentswahlen. Es war eine Folge der völligen Blockade der Regierung durch die Parteien, dass die Chand-Regierung an Parlamentswahlen nicht einmal denken konnte.

Einziger Erfolg der Chand-Regierung blieb ein Waffenstillstand mit den Maoisten, der am 29. Januar 2003 nach anderthalbmonatigen Geheimgesprächen des Ministers für Raumordnung und öffentliche Arbeiten, Narayan Singh Pun, mit den Führern der Maoisten geschlossen wurde. Hiermit fand das Land nach Jahren endlich wieder zu einer relativen Ordnung und Ruhe zurück. Die Erleichterung in der allgemeinen Öffentlichkeit war groß. Ein weiteres hoffnungsvolles Zeichen war, dass sich Regierung und Maoisten am 13. März auf einen 22 Punkte umfassenden Verhaltenskodex für die Zeit der geplanten Friedensverhandlungen einigten, der schriftlich fixiert wurde. Das Fehlen einer derartigen schriftlichen Vereinbarung war 2001 als einer der großen Mängel der damaligen erfolglosen Gespräche genannt worden.

Die eigentlichen Verhandlungen über einen dauerhaften Friedensschluss kam nur schwer in Gang. Die Maoisten nominierten bereits frühzeitig ein fünfköpfiges Verhandlungsteam unter Leitung ihres Chefideologen Dr. Baburam Bhattarai, das sich am 29. März 2003 erstmals in der Öffentlichkeit präsentierte. Die übrigen Mitglieder waren Ram Bahadur Thapa (alias Genosse Badal), Krishna Bahadur Mahara, Matrika Yadav und Dev Gurung. Positiv an der Zusammensetzung dieses Teams war die Einbindung von Thapa, dem militärischen Chef der Maoisten, der als Kopf ihres besonders radikalen Flügels gilt. Negativ fiel auf, dass einmal mehr auch bei den Maoisten die hohen Hindukasten dominierten; Frauen gehörten dem Team nicht an, obgleich der Anteil der Frauen in den Reihen der Maoisten sehr hoch sein soll.

Die Regierung ließ sich bis zum 16. April Zeit, ehe sie ihrerseits ein Verhandlungsteam benannte, das unter Leitung des stellvertretenden Premierministers Badri Prasad Mandal stand. Ihm gehörten zudem der Initiator des Dialogs, Narayan Singh Pun, und die Minister Ramesh Nath Pandey (ein vom König ernannter Abgeordneter des Oberhauses), Dr. Upendra Devkota, Kamal Chaulagain und Frau Anuradha Koirala an - abgesehen von Mandal und Pun allesamt Brahmanen.

Das erste formelle Treffen der beiden Teams fand am 27. April 2003 im Hotel Shankar in Kathmandu statt. Hierbei einigte man sich auf die Einbeziehung von vier Vermittlern, die für eine bessere Transparenz bei den Verhandlungen sorgen sollten. Padma Ratna Tuladhar und Daman Nath Dhungana, letzterer war 1991 nach den ersten Wahlen Parlamentssprecher, hatten schon bei den Verhandlungen von 2001 diese Funktion wahrgenommen und wurden nun erneut von den Maoisten vorgeschlagen. Zu ihnen gesellten sich auf Vorschlag der Regierung noch Karna Dhoj Adhikari und der frühere Außenminister Shailendra Kumar Upadhyaya. Außer Tuladhar waren auch die Vermittler durchweg Brahmanen.

Während die Regierung keine eigenen Vorschläge einbrachte, präsentierten die Maoisten ihre Agenda, in der die zu Beginn des Konflikts im Februar 1996 veröffentlichten 40 Forderungen auf nunmehr 24 reduziert wurden. In den Mittelpunkt rückten sie dabei die Verfassung, die sie als faktisch tot bezeichneten. Es müsse daher über eine neue Verfassung verhandelt werden, die durch eine gewählte verfassunggebende Versammlung entworfen werden sollte.

Eine weitere wichtige Forderung war die nach einer Roundtable-Konferenz, die eine Übergangsregierung unter Führung der Maoisten und eine Übergangsverfassung beschließen sollte. Letztere sollte die absolute Souveränität des Volkes zum Ausdruck bringen. Im Gegensatz zur Verfassung von 1990, die einige Grundprinzipien einer Verfassungsänderung entzieht, sollte die Übergangsverfassung ohne Beschränkungen entworfen und mit einer Zweidrittelmehrheit des Parlaments oder durch ein Referendum beschlossen werden.

Weitere wesentliche Forderungen betrafen strukturelle Veränderungen der Royal Nepalese Army, die eine Integration der maoistischen Volksbefreiungsarmee in die nationale Armee ermöglichen sollte. Zentral war auch die Forderung, das Hindu-Königreichs durch einen säkularen Staat zu ersetzen, wobei die Maoisten die Frage nach dem Bestand der Monarchie bewusst offen ließen. Zudem forderten sie, die Rechte auf Bildung, Gesundheit und Beschäftigung als Grundrechte festzuschreiben, und eine Änderung des Landbesitzrechts unter Aufwertung der Rechte der Bebauer des Landes.

Mit Blick auf die zunehmende amerikanische Intervention forderten die Maoisten ferner einen sofortigen Stop ausländischer Militärpräsenz, –beratung und –hilfe. Nur wenige Tage zuvor hatten die USA und Nepals Regierung nämlich eine Vereinbarung über eine sogenannte Antiterrorism Assistance (ATA) unterzeichnet. Wiederholt hat die amerikanische Regierung die nepalischen Maoisten als Bestandteil des internationalen Terrorismus bezeichnet, den man seit dem 11. September 2001 weltweit zu bekämpfen sucht. Hierdurch wird auch Nepal zu einem Spielball amerikanischer Politik.

Auch Indien fand besondere Beachtung in der maoistischen Agenda. So forderte man eine Regulierung der offenen Grenze zwischen Indien und Nepal, eine Schließung der Rekrutierungszentren für Gurkha-Söldner und eine Beendigung ausländischer (d.h. hier indischen) Monopole im wirtschaftlichen Bereich sowie ein Ende der ausländischen Intervention im Namen von (internationalen) Nichtregierungsorganisationen (NGOs und INGOs).

Eine zweite Verhandlungsrunde zwischen Regierung und Maoisten fand am 8. Mai 2003 in Kathmandu statt. Die Regierung hatte zuvor eine klare Stellungnahme in Bezug auf die von den Maoisten vorgelegte Agenda angekündigt. Nach einem vertraulichen Gespräch zwischen König Gyanendra, Premierminister Chand und den beiden Unterhändlern Pun und Pandey am Vorabend erfüllten die Pressekonferenzen die Hoffnungen auf eine eindeutige Regierungsposition nicht. Die Vermittler Tuladhar und Dhungana äußerten sich pessimistisch auf die Frage nach erkennbaren Verhandlungsfortschritten. Offiziell hieß es lediglich, dass die Regierung um Zeitaufschub hinsichtlich ihrer Stellungnahme zu den maoistischen Forderungen gebeten habe. Außerdem sagte die Regierung die Freilassung einiger inhaftierter maoistischer Führer zu. Man bestätigte ferner, dass sich die Armee nur noch im Umkreis von fünf Kilometern von ihren Kasernen bewegen sollte. Dies war eine der wesentlichen Forderungen der Maoisten gewesen.

Die unbefriedigende Umsetzung der 22 Punkte des Verhaltenskodexes war in der zweiten Verhandlungsrunde ebenfalls Thema. Hier vereinbarten beide Seiten die Bildung eines 13köpfigen Beobachterteams unter Leitung eines Mitglieds der National Human Rights Commission. (1)

Die schärfste Kritik am Ergebnis der zweiten Verhandlungsrunde kam von der Armee, deren Generäle offen erklärten, dass sie eine Bewegungsbeschränkung der Truppen nicht hinnehmen würden. Sie fanden dabei offensichtlich Unterstützung durch einige Mitglieder des Kabinetts, was den Beginn einer größeren Regierungskrise andeutete. Die Maoisten nahmen die Kritik der Armeeführung ernst, betonten die enge Bindung zwischen Militär und Monarchie und sprachen gar von einer sich anbahnenden Militärherrschaft im Namen der Monarchie. Sie forderten insbesondere den Ausschluss von Pandey aus dem Verhandlungsteam der Regierung, weil dieser öffentlich erklärt hatte, es habe keine Vereinbarung mit den Maoisten hinsichtlich der Bewegungsfreiheit der Armee gegeben, was Pun jedoch vorher bestätigt hatte.

Auch eine weitere Vereinbarung der zweiten Verhandlungsrunde, die Freilassung inhaftierter maoistischer Führer, verzögerte sich zum Unmut der Maoisten. Schließlich beschuldigte Baburam Bhattarai die Chand-Regierung offen der Selbstherrlichkeit und bekundete Sympathien für die seit Wochen auf den Straßen gegen die königliche Machtergreifung demonstrierenden Parteien, die ihrerseits eine ihnen von der Regierung wiederholt angebotene Beteiligung an den Friedensverhandlungen stets abgelehnt hatten.

Premierminister Chand war zunächst um Schadensbegrenzung bemüht und strebte angesichts der harschen Kritik des Militärs eine größere Regierungsumbildung an. Das Zögern hinsichtlich der Erfüllung der mit den Maoisten getroffenen Vereinbarungen lässt vermuten, dass er längst zwischen allen Stühlen saß. Der offene Widerstand der Generäle muss angesichts der traditionellen Loyalität der Armee gegenüber der Monarchie den Segen des Königs gehabt haben. Damit war Chand auch mit dem letzten Auftrag des Königs gescheitert: Er konnte den Friedensprozess nicht fortführen. Die logische Konsequenz war sein Rücktritt vom Amt des Premierministers am 30. Mai 2003. Diese Entwicklung dürfte durch die sich abzeichnende Annäherung zwischen Maoisten und demonstrierenden Parteien noch forciert worden sein.

In den folgenden Tagen wiederholte sich das Schauspiel, das bereits der Nominierung Chands vorausgegangen war. Wieder forderte König Gyanendra die politischen Parteien auf, einen Kandidaten für die Nachfolge Chands vorzuschlagen. Anders als im Oktober 2002 traten diesmal die führenden Parteien geschlossen auf und empfahlen die Ernennung von Madhav Kumar Nepal, dem Generalsekretär der CPN-UML, zum Übergangspremierminister. Wieder missachtete der König den Vorschlag der Parteien und ernannte mit Surya Bahadur Thapa erneut einen bekannt konservativen Politiker zum Premierminister. Thapa ist eines der bekanntesten Symbole der Panchayat-Zeit, niemand sonst war länger Premierminister bzw. Vorsitzender des Ministerrats, wie das Amt bis Mitte der sechziger Jahre noch hieß. (2)

Der neue Premierminister sah sich mit den gleichen Problemen konfrontiert wie sein Vorgänger. Auch jetzt verweigerten die politischen Parteien jegliche Kooperation; erneut kam selbst aus der eigenen RPP Widerstand. Noch schwerwiegender dürfte das Urteil intellektueller Kreise, darunter zahlreicher führender Juristen, gewesen sein, welche die Nominierung Chands im Vorjahr zum Teil noch hingenommen hatten, jetzt aber die Ernennung Thapas als Verfassungsbruch bezeichneten.

Der Regierungswechsel bedeutete für den Friedensprozess mit den Maoisten eine weitere monatelange Verzögerung. Zum einen war die Thapa-Regierung wochenlang, wenn auch erfolglos, mit sich selbst beschäftigt. Zudem bedeutete der Wechsel den Austausch aller Verhandlungsführer der Regierung. Markant war dabei, dass Thapa, anders als seinerzeit Chand, nicht vom König den besonderen Auftrag erhalten hatte, den Friedensprozess fortzusetzen. Dennoch schrieb sich Thapa dies auf seine Fahnen und benannte bereits am 12. Juni 2003 die beiden Minister Dr. Prakash Chandra Lohani und Kamal Thapa als neue Unterhändler der Regierung.

Ansonsten unternahm die neue Regierung wenig, um die Vereinbarungen der zweiten Verhandlungsrunde umzusetzen. landesweit häuften sich blutige Zusammenstöße zwischen Maoisten und Sicherheitskräften. Eine Eskalation drohte, nachdem am 17. Juli Sicherheitskräfte das Kontaktbüro der Maoisten in Kathmandu durchsuchten, den Büroleiter verhafteten und stundenlang verhörten. Als Reaktion schlossen die Maoisten ihr Büro in Kathmandu. Sie erklärten, sie würden die Thapa-Regierung nur noch als Verhandlungspartner akzeptieren, wenn König Gyanendra selbige offiziell als seinen Vertreter bei den Verhandlungen benennen würde. Mit anderen Worten, die Maoisten wollten nur noch den König als Verhandlungspartner akzeptieren, schließlich war dessen Einfluss auf die Regierung offensichtlich. Gleichzeitig kritisierten sie mit deutlichen Worten die Armee, die sie eines provokativen Verhaltens bezichtigten und als "Royal American Army" bezeichneten.

Die Annäherung zwischen Maoisten und politischen Parteien kamen unterdessen nicht voran. Die Aufständischen warfen ihnen vor, außer Straßenprotesten keine nennenswerten Vorschläge zur Behebung der jahrhundertealten Missstände zu unterbreiten.

Am 28. Juli erhöhten die Maoisten den Druck auf die Regierung und setzten ihr ein Ultimatum zur Erfüllung der Vereinbarungen bis zum 31. Juli. Erst jetzt lenkte die Regierung ein und entließ einen Tag später einige der maoistischen Führer aus der Haft, die eigentlich schon anderthalb Monate früher auf freiem Fuß hätten sein sollen. Nach hartem Ringen einigte man sich schließlich auch auf eine dritte Verhandlungsrunde, die am 17. August in der Nähe von Nepalganj stattfand. Die Regierung ging in diese Gespräche mit dem Versprechen umfangreicher sozio-ökonomischer, aber auch konstitutioneller Änderungen, ging dabei jedoch kaum auf die klaren Forderungen der Maoisten ein. Wesentliche Merkmale der Regierungsagenda waren: Festhalten an der Vielparteiendemokratie, Entwicklung eines partizipatorischen politischen Systems, Chancengleichheit für alle, Beseitigung von gesellschaftlicher Ungleichheit und Ausbeutung, Volkssouveränität, konstitutionelle Monarchie als Symbol der Einheit in einem multiethnischen Land, verbessertes Wahlsystem, Stärkung des Regierungssystems, das Oberhaus des Parlaments als proportionales Repräsentationsgremium aller Bevölkerungsgruppen, 25% Reservierungen für Frauen in allen politischen und öffentlichen Bereichen.

Nur wenige dieser Aussagen bedeuteten konkrete Schritte; das meiste war einmal mehr kaum aussagekräftig und sehr interpretationsbedürftig. Die Maoisten waren mit diesen schwammigen Vorschlägen nicht einverstanden und bestanden auf ihrer Grundforderung nach einer konstitutionellen Versammlung. Baburam Bhattarai erklärte, Gespräche bloß um der Gespräche willen machten keinen Sinn, wenn die Regierung von ihrer politischen Agenda nicht abweichen wolle. Damit deutete sich an, was am 27. August 2003 offiziell bestätigt wurde: die Maoisten erklärten auch den zweiten Friedensprozess für gescheitert.

In den folgenden Wochen waren Meldungen über zahlreiche Tote bei Zusammenstößen zwischen Maoisten und Sicherheitskräften an der Tagesordnung, wobei die Opfer auf maoistischer Seite bei weitem überwogen. Wie schon vor dem gescheiterten Friedensprozess gab es bei den Zusammenstößen nur selten verwundete oder verhaftete Maoisten, was auf gezielte Tötung schließen lässt. Gleichzeitig nahmen sich die Sicherheitskräfte das Recht heraus, zu verhaften, wen immer man als Maoist oder deren Sympathisant verdächtigte. Sehr oft wurden die Angehörigen der Verhafteten nicht oder unzutreffend über deren Aufenthaltsort informiert. Viele verschwanden spurlos im Polizeigewahrsam, andere wurden nach Tagen freigelassen und berichteten über Folterungen. Es verging kaum ein Tag, an dem Amnesty International nicht auf wenigstens einen dieser Fälle durch "urgent actions" aufmerksam machte. Die Zahl der in den Konflikt hineingezogenen Zivilisten erhöhte sich drastisch. Nicht einmal vor Schulen machten die beiden Konfliktparteien halt.

Auch an der politischen Front hat das Scheitern des Friedensdialogs keine Änderungen bewirkt. Weder der König und die von ihm eingesetzte Regierung noch die politischen Parteien scheinen zu einem Einlenken bereit. Zwar besteht das Bündnis aus fünf Parteien, die gegen den Verfassungsbruch des Königs demonstrieren, weiter, doch bleiben Zweifel an der Haltung der Parteiführer. Einige von ihnen machten wiederholt deutlich, dass sie einlenken würden, wenn sie vom König mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt würden. Andererseits deuteten gegen Ende November 2003 andere Parteien an, dass sie sich möglicherweise dem Bündnis der fünf Parteien anschließen wollten. Hierzu gehörte Sher Bahadur Deuba und sein Nepali Congress (Democratic), doch wehrte sich vor allem die Führung der Mutterpartei um Girija Prasad Koirala vehement gegen eine Beteiligung von Deubas Abspaltung. Koirala machte klar, dass er auch im Alter von 81 Jahren nicht daran denkt, sich aus der aktiven Politik zurückzuziehen und bekundete erneut sein Interesse am Amt des Premierministers.

Auch in den Reihen der Rastriya Prajatantra Party (RPP), der Partei des Premierministers, machte sich Kritik an der Regierung breit. Auf einer Sitzung des Parteivorstandes der RPP am 18. November forderte die Mehrheit der Mitglieder ultimativ den Rücktritt von Surya Bahadur Thapa. Gleichzeitig bekundete auch die RPP Interesse, sich an der Protestallianz der anderen Parteien zu beteiligen. Thapa erklärte sich daraufhin einzig und allein dem König gegenüber verantwortlich, nicht aber seiner Partei, und lehnte einen Rücktritt kategorisch ab. Statt dessen begab er sich auf eine mehrtägige Reise durch die übrigen SAARC-Mitgliedsstaaten, eine Reise, deren Sinn angesichts der prekären innenpolitischen Situation Nepals und der mangelnden Legitimation der derzeitigen Regierung fraglich ist.

Zunehmend scheint, dass Druck von außen notwendig sein wird, um die politisch Verantwortlichen zur Vernunft zu bringen. Wie in der Weltpolitik, so gibt es auch in Bezug auf Nepal zwei Lager. Während die USA die nepalischen Maoisten als Bestandteil des internationalen Terrorismus betrachten und die nepalische Regierung immer wieder zur gewaltsamen Auslöschung der Aufständischen drängen, haben die Vereinten Nationen wiederholt eine Vermittlerrolle bei einer friedlichen Lösung angeboten. Gleiches gilt auch für die Europäische Union. Wichtige Geberländer von Entwicklungshilfe drohen unterdessen mit einem Rückzug aus Nepal. Die Niederlande waren die ersten, die ankündigten, Nepal von der Liste der Empfängerländer zu streichen, wobei sie allerdings die problematische politische und menschenrechtliche Situation nicht namentlich nannten. Deutlicher wurden in diesem Zusammenhang Dänemark und Deutschland.

Die Vertreter westlicher Staaten haben ihre sonst übliche diplomatische Zurückhaltung aufgegeben und offen ausgesprochen, wie sie einen Ausweg aus der verfahrenen Situation sehen. Einer Lösung des maoistischen Konflikts vor einer Rückkehr zur Demokratie geben sie dabei keine Chance, weil eine Redemokratisierung nur unter Beteiligung der Maoisten möglich ist. In ihren Vorschlägen ist daher die Rede von einem integrierten Prozess. Es solle eine Übergangsregierung gebildet werden, an welcher alle großen Parteien und auch die Maoisten beteiligt werden. Die Aufgabe dieser Regierung solle es dann sein, die notwendigen konstitutionellen Grundlagen zu schaffen und nationale und lokale Wahlen durchzuführen.

Dieser Vorschlag klingt gar nicht so viel anders als die Agenda, mit der die Maoisten im Januar 2003 in die inzwischen gescheiterten Friedensverhandlungen gingen. Nun kommt er jedoch von einer neutralen Seite, die durchaus geeignet wäre, zwischen den Fronten zu vermitteln. Aber vielleicht verstehen es die politisch Verantwortlichen in Nepal ja einmal mehr, die Entwicklungen in eine andere Richtung zu lenken. Der Oberste Gerichtshof ist dabei, seine eigene Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Parlamentsauflösung vom Mai 2002 erneut aufzurollen. Sollte das Gericht seine damalige Entscheidung revidieren, wären zumindest die demokratischen Institutionen des Staates formal wieder funktionsfähig und alle königlichen Maßnahmen automatisch aufgehoben, sofern Monarch und Armeeführung nicht offen putschen. Allerdings stünden dann im Mai 2004 turnusmäßige Neuwahlen des Repräsentantenhauses an, d. h. man hätte die gleichen Probleme wie bei den als nicht durchführbar erklärten vorzeitigen Wahlen von 2002. Außerdem brächte die Wiedereinsetzung jener Kräfte, die durch ihr Fehlverhalten das Land in die ausweglose Situation geführt haben, eine Lösung des maoistischen Konflikts nicht näher.

Die Frage der Schuld

Die politischen Parteien, die Maoisten und letztlich auch die Monarchie haben den modernen nepalischen Staat in seine größte Krise gesteuert. Die Zukunft des Landes und seiner Menschen steht auf dem Spiel, aber den Personen an den Schalthebeln geht es weiterhin nur um Macht und persönliche Interessen. Konsensfähigkeit, Verständnis für die zahlreichen sozialen und wirtschaftlichen Probleme und zukunftsorientierte Politik unter Einbeziehung und Wahrung der Interessen aller Bevölkerungsgruppen sind ihnen Fremdwörter.

Die teilweise widersprüchlichen Aussagen der Politiker erschweren oft eine ausgewogene Beurteilung der Vorgänge und Standpunkte. Seit dem 4. Oktober 2002 erfolgt ein Machtkampf zwischen drei politischen Gruppen (König/königliche Regierung und Armee, politische Parteien und Maoisten). Auf den ersten Blick erscheinen die politischen Parteien dabei als die großen Verlierer, doch gilt dies zunehmend auch für die Monarchie. Noch nie in der Geschichte Nepals ist die Institution der Monarchie auch nur annähernd derart offen kritisiert worden wie heute, und das nicht nur von politischen Gegnern sondern auch von der Stimme des Volkes. Die Zukunft Nepals liegt in den Händen von König, politischen Parteien, Maoisten und ziviler Gesellschaft. Nachfolgend soll das jüngste Verhalten dieser vier Institutionen daher kurz analysiert werden.

König Gyanendra

Die Maßnahme König Gyanendras vom 4. Oktober 2002 ist nicht durch Artikel 127 der Verfassung gedeckt. (3) Der König ist bei Anwendung dieses Artikels an die Empfehlungen des Premierministers gebunden. Eine Entlassung des letzteren wegen Unfähigkeit, wie von Gyanendra angeführt, sieht die Verfassung nicht vor. Das gleiche gilt für die Bildung einer Regierung von Königs Gnaden: Die Chand-Regierung hatte ebenso wenig eine Legitimation wie die jetzige Regierung unter Surya Bahadur Thapa. Der König hat bei seinem Vorgehen keine wirkliche Kooperation mit den politischen Parteien gesucht.

Vor der Ernennung Lokendra Bahadur Chands zum Premierminister forderte der Monarch zwar die Parteien zu Vorschlägen über eine Regierungsbildung auf, entzog sich aber durch Reisen einem Dialog. Erschwerend kam hinzu, dass sich die Parteien ihrerseits damals nicht auf eine gemeinsame Linie einigen konnten. Dabei argumentierte der König sehr gerne mit den Stellungnahmen kleiner und völlig unbedeutender Parteien, die bei Wahlen kaum Stimmen, geschweige denn Sitze errungen hatten, jetzt aber mit Forderungen auftraten, die von der Strategie der großen Parteien abwichen. Dieses Schauspiel wiederholte sich nach dem Rücktritt Chands wie bereits beschrieben.

Gyanendra bekennt sich zwar zur Wahrung der Demokratie und zur konstitutionellen Monarchie, doch passt sein Handeln nicht zu diesem verbalen Bekenntnis. Schon der Wortlaut seiner Erklärung vom 4. Oktober 2002 und die Art, wie er sich und andere Mitglieder der Königsfamilie seither in der Öffentlichkeit zelebrieren lässt, erinnern allzu sehr an die harte Phase der Panchayat-Zeit in den 60er und 70er Jahren. Spätestens seit der Bildung der Thapa-Regierung wird deutlich, dass sich der König als "aktiver Monarch" sieht, wie er es bereits unmittelbar nach seiner Thronbesteigung im Juni 2001 angekündigt hatte. Zunehmend wird klar, daß er darunter ein System versteht, das eine große Ähnlichkeit zur früheren Panchayat-Herrschaft aufweist, zumindest was die Stellung und Machtfülle des Monarchen anbetrifft. Den Parteien, zu Panchayat-Zeiten verboten, scheint er keine besondere Rolle zuzugestehen. Auch bezüglich der RPP trügt der Anschein - Gyanendra greift nicht auf die konservative Partei zurück, sondern auf einzelne ihrer Politiker, die im Panchayat-System eine bedeutende Rolle gespielt haben. Sie waren später zwar hauptverantwortlich für die Bildung der RPP, spielen aber heute nur noch eine untergeordnete Rolle innerhalb ihrer Partei. Hierdurch werden die ohnehin vorhandenen parteiinternen Zwiste erneut an die Oberfläche gespült.

Bei aller Kritik am Vorgehen Gyanendras muß man jedoch auch erwähnen, dass es nicht die Monarchie war, die Nepal in die heutige ausweglose politische Situation hineinmanövriert hat, sondern die politischen Parteien. Insbesondere Gyanendras Vorgänger Birendra hatte sich geradezu vorbildlich an die Verfassung von 1990 gehalten, nachdem sie einmal in Kraft getreten war. Die Verfassung ist in den vergangenen zwölf Jahren jedoch von den Parteipolitikern so oft gebrochen worden, dass sie eigentlich schon tot war, als der König im Oktober 2002 einschritt.

Politische Parteien

Die großen Parteien tragen die Hauptschuld am Scheitern des demokratischen Systems von 1990. Sie haben heute keine tatsächliche Macht mehr und verweigern sich gleichzeitig jeder Kooperation. Es ist richtig, wenn sie das Vorgehen des Königs und die von ihm eingesetzten Regierungen als illegitim bezeichnen, aber sie verschweigen dabei ihre zahlreichen eigenen Verfassungsverstöße. So hat sich keine Regierung an die Richtlinien der Artikel 24-26 der Verfassung gehalten, die eigentlich Grundlage allen politischen Handelns sein sollen. Außerdem rechtfertigte die begründete Kritik der politischen Parteien nicht ihre Weigerung, sich am Friedensprozess zu beteiligen.

Die seit Monaten auf den Straßen gegen die demokratiefeindliche Politik Gyanendras demonstrierenden Parteien (Nepali Congress, CPN-UML, People’s Front Nepal, Nepal Workers’ and Peasants’ Party und die von Ananda Devi angeführte Gruppe der Nepal Sadbhavana Party) haben sich in ihrer Agitation dahingehend gesteigert, dass sie gelegentlich sogar von einer Abschaffung der Monarchie sprechen. Das große Problem der nepalischen Parteien ist, dass sie nicht zu einer Konsenspolitik im Sinne der Friedensschaffung und Zukunftssicherung des Landes in der Lage sind. Vielmehr haben sie sich die Grundsätze des rajaniti, der Kunst politischen Taktierens, angeeignet, um ihre Gegner (die anderen Parteien, die unliebsamen Konkurrenten in der eigenen Partei oder jetzt eben wieder den Monarchen) zu bekämpfen und ihre Stellung und Macht zu sichern. Die Übertragung dieses traditionellen königlichen Denksystems auch auf die Parteien mag angesichts des laut Verfassung nur noch konstitutionell-monarchischen Systems plausibel erscheinen. Doch wie der König, so missachten auch die Parteipolitiker bei der Anwendung von rajaniti die gleichzeitige Anwendung der Vorschriften des rajadharma, der sittlichen Grundlagen staatlicher Herrschaft. Nur bei ausgewogener Beachtung beider Prinzipien hat das Land nach der traditionellen hindupolitischen Denkweise eine Zukunftschance. Insofern ist der heutige Zustand Nepals wohl eher als das zu bezeichnen, was man im Hinduismus mit kaliyuga, Endzeitalter, umschreibt.

Maoisten

Die Maoisten mögen durch die blutigen Auseinandersetzungen in der Zeit des Ausnahmezustands geschwächt worden sein, aber dies dürfte nicht der Anlass gewesen sein, dass sie sich Anfang 2003 wieder um eine friedliche Lösung des Konflikts bemühten. Die Gründe lagen wohl eher in der veränderten Volksmeinung. Die Menschen in Nepal sehnen sich nach Frieden; die maoistischen Parolen finden längst selbst in besonders benachteiligten Bevölkerungskreisen nicht mehr den Zuspruch, den sie noch Ende der 90er Jahre erfahren hatten.

Die veränderte Lage nach dem 4. Oktober 2002 gab den Maoisten die Möglichkeit, in direkten Dialog mit dem König zu treten. Anders als bei den Friedensgesprächen von 2001 verhandelte man nicht mit einer vom Volk gewählten und durch die Verfassung gebundenen Regierung, sondern mit Vertretern eines Monarchen, der die demokratische Verfassung ohnehin schon aus den Angeln gehoben hatte. Mit ihrer Forderung nach der Schaffung einer neuen Verfassung lagen die Maoisten damit im Bereich des rational Notwendigen. Eine unter Beteiligung der Maoisten geschaffene neue Verfassung würde definitiv die Macht und Vorrechte des Monarchen weiter beschneiden. Dies konnte und wollte König Gyanendra nicht hinnehmen; folglich musste der Dialog scheitern.

Die Maoisten kehrten nach dem Zusammenbruch des Friedensprozesses zunächst zu ihrer alten Taktik der Gewaltpolitik zurück. Hierzu gehörten insbesondere Angriffe auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte sowie die Zerstörung der Infrastruktur und der Häuser führender Politiker. Am 21. Oktober 2003 gab die maoistische Führung jedoch eine Änderung ihres Vorgehens bekannt. Offensichtlich unter dem negativen Eindruck, den die Zerstörung der Infrastruktur in der Öffentlichkeit bewirkt hatte, kündigte man an, derartige Anschläge in Zukunft zu unterlassen. Auch wollte man die Familien der Sicherheitskräfte nicht mehr länger belästigen und einschüchtern. Ziel der maoistischen Attacken sollten nur noch die im Dienst befindlichen Sicherheitskräfte sein. Die folgenden Wochen zeigten jedoch, dass auch bei den Maoisten Wort und Tat nicht viel gemein haben. Möglicherweise ist dies allerdings auch als ein Indiz dafür zu bewerten, dass die maoistischen Führer zunehmend die Kontrolle über ihr Fußvolk verlieren.

Zivile Gesellschaft

Die Liberalisierung von Verfassung und Staatswesen nach 1990 hat die Wurzeln für Volkssouveränität, zivile Gesellschaft und Menschenrechte gelegt. Das Versagen der politischen Parteien und staatlichen Organe hat in der Folge dazu beigetragen, soziale Unzufriedenheit zu schüren und diese auf den Straßen zum Ausdruck zu bringen. Während die größte Armut und Rückständigkeit auf dem Land herrscht, sind die Träger von technischen und institutionellen Innovationen in erster Linie in den Städten und oft genug in der staatlichen Verwaltung zu suchen. Gleichzeitig aber stellt der Verwaltungsapparat eine oft unüberwindliche Barriere gegenüber Veränderungen dar, die die traditionelle Machtposition der Beamten gefährden könnten. So gesehen stagniert der Entwicklungsprozess oft zwischen den abstrakten und nur verbal artikulierten Neuerungsideen einzelner Mitglieder einerseits und den Beharrungstendenzen einer mächtigen Staatselite andererseits.

Es bedarf daher eines Liberalisierungsprozesses, der über den Regierungsansatz hinausgeht und sich um materielle Produktion, Sozialisation und gesellschaftliche Integration bemüht. Seit der Demokratisierung des Landes zu Beginn der 1990er Jahre haben sich diesbezüglich allmählich an Gruppen orientierte Eliten außerhalb der traditionellen staatlichen Elite herausgebildet, die sich kulturell, gesellschaftlich, wirtschaftlich und zunehmend auch politisch für ihre Mitglieder erfolgreich einsetzen. Hierzu gehören z.B. ethnische Organisationen und Zusammenschlüsse wie die Nepal Federation of Nationalities (NEFEN), sprachlich orientierte Organisationen, die Interessenvertretungen der Dalits ("Unberührbare"), Frauenorganisationen und Gewerkschaftsverbände.

Vielfach sind die Bemühungen dieser Organisationen noch auf die lokale Ebene beschränkt, doch zeichnen sich auch erste nationale Erfolge ab. Es wird von einer zivilen Gesellschaft erwartet, dass sich in ihr die Kräfte bündeln für die Schaffung eines modernen, demokratischen und gerechten Staates, in welchem die Reichen und Mächtigen nicht länger über dem Gesetz stehen und in dem alle Menschen ein Leben in Freiheit, Sicherheit und Selbstbestimmung führen können. Zum Teil hat der maoistische Konflikt diese Problematik verstärkt ins Bewusstsein gerückt, weil die Maoisten mit ihrer Argumentation genau hier ansetzten. Aber der von ihnen gewiesene Weg hat sich als Bumerang erwiesen, weil diejenigen, denen die Maoisten angeblich zu einem besseren Leben verhelfen wollten, die Hauptleidtragenden des Konflikts sind. Eines der Hauptprobleme ziviler Gesellschaft in Nepal ist dabei, dass ihre wohlbegründeten Argumente von den Maoisten für ihre eigenen Zwecke missbraucht wurden. Nicht selten wird daher zivilgesellschaftliche Kritik an der staatlichen Politik als eine maoistische Propaganda abgetan und verfolgt.

Bei der Lösung des maoistischen Konflikts kommt somit der zivilen Gesellschaft eine ganz besondere Rolle zu. Sie existiert und hat sich in ausreichendem Maße organisiert. Was fehlt, ist das notwendige Gehör und die Beteiligung am Friedensprozess.

Perspektiven

Auf lange Sicht stimmen die Entwicklungen in Nepal nicht sonderlich hoffnungsvoll. Ansätze und Wille zu einer Rückkehr zur Demokratie sind weiterhin nicht erkennbar. Dies gilt für den König in gleicher Weise wie für die von ihm eingesetzte Regierung und die dazu in Opposition stehenden politischen Parteien. Ihre Lippenbekenntnisse zu Verfassung und Demokratie sind fast nicht mehr zu ertragen.

Fest steht, dass rechtsstaatliche Grundsätze möglichst rasch durchgesetzt werden müssen, wenn die Demokratie noch eine Chance haben soll. Aber es gibt keine Erklärung, warum für eine Übergangszeit nicht das im Mai 2002 aufgelöste Repräsentantenhaus wiedereingesetzt und von ihm eine Regierung legitimiert werden sollte. Verfassungsrechtler, die weder royalistisch noch parteipolitisch gebunden sind, interpretieren Artikel 53 der Verfassung – der eine Parlamentsauflösung an Neuwahlen binnen sechs Monate bindet - schon seit längerem dahingehend, dass die Parlamentsauflösung automatisch aufgehoben ist, wenn nicht innerhalb von sechs Monaten Neuwahlen stattfinden.

So verhärtet sich der Eindruck, dass royalistische Kräfte die Demokratisierung zurückfahren wollen. Dies wird unterstrichen durch die Tatsache, dass im Juli 2003 mittels königlicher Verordnung auch der demokratielose Zustand auf lokaler Ebene um ein weiteres Jahr verlängert wurde. In den letzten Wochen begann die Thapa-Regierung, die beamteten Vertreter auf lokaler Ebene durch von der Regierung ausgesuchte und nominierte Vertreter aus den Reihen der politischen Parteien zu ersetzen, wobei die im Vergleich zum Wahlergebnis von 1997 enorme Bevorteilung von Mitgliedern der RPP ins Auge fällt. Mit Demokratie hat das noch weniger zu tun als die vorherige Regelung durch Beamte.

Man kann in diesem Zusammenhang nicht oft genug darauf hinweisen, dass Nepal nicht mehr mit kosmetischen Veränderungen geholfen werden kann. Auf lange Sicht ist der maoistische Konflikt nur ein Vorspiel für das, was dem Land bevorsteht, wenn es nicht endlich zu tiefgreifenden sozialen, politischen und wirtschaftlichen Reformen in der Lage ist. Eine vom Social Science Baha Ende April 2003 organisierte Tagung zur Einbeziehung der zahlreichen benachteiligten Gesellschaftsgruppen hat besonders deutlich gemacht, wo die Veränderungen ansetzen müssen.

Im Mittelpunkt der notwendigen Veränderungen wird die Verfassung von 1990 stehen, deren Infragestellung zu den Kernforderungen der Maoisten gehört. Kritisch betrachtet ist kaum noch etwas übrig von den Grundlagen dieser Verfassung. Das Volk hat seine Souveränität verloren, das Parlament ist abgeschafft. Es gibt keine Anzeichen, dass der König, der sich der exekutiven Gewalt bemächtigt hat, beabsichtigt, in absehbarer Zeit Neuwahlen durchzuführen. Es gibt keine legitime Regierung, die sich gegenüber gewählten Vertretern des Volkes zu verantworten hat; es gibt nicht einmal die Möglichkeit einer Beteiligung und Kontrolle des Volkes auf lokaler Ebene.

Daher muss gefragt werden: Welche Demokratie gilt es denn eigentlich noch zu bewahren? Welche Verfassung muss geschützt werden? Die Verfassung von 1990 ist tot und kann, spätestens seit der König sie ihrer Grundlagen beraubt hat, nicht mehr belebt werden. Jede Rückkehr zur Verfassung von 1990 würde eine Sanktionierung des bisherigen Missbrauchs durch Politiker und König bedeuten.

Nepal bedarf also einer neuen Verfassung, die einen derartigen Missbrauch oder gar Bruch in Zukunft unmöglich macht. Gleichzeitig muss die zukünftige Verfassung eine angemessene und gleichwertige Einbeziehung aller bisher benachteiligten Bevölkerungsgruppen garantieren. Auf diese Weise würden zahlreiche Ursachen für die heutige Krise des Landes an ihren Wurzeln beseitigt. Dies alles bedeutet nicht, dass die neue Verfassung sich völlig von der vorherigen unterscheiden muss. Die Grundidee des demokratischen Nepal war nicht schlecht, trotz der zahlreichen Mängel der Verfassung. Es war nicht die demokratische Struktur, die versagt hat, vielmehr haben sich die Probleme aus der Nutzung und Interpretation des Systems ergeben.

Fußnoten

(1) Die weiteren Mitglieder dieser Kommission sollten Bal Krishna Neupane, Hem Bahadur Singh, Khim Lal Devkota, Malla K. Sundar, Dr. Birendra Jhapali und D.R. Lamichhane sowie jeweils ein Vertreter der folgenden Organisationen sein: Nepal Bar Association (NBA), Federation of Nepalese Journalists (FNJ), National Women Commission (NWC), Nepal Dalit Association (NDA), Association of Nepalese Nationalities (ANN) und Federation of Nepalese Chamber of Commerce and Industry (FNCCI).

(2) Zwischen 1963 und 1969 stand Surya Bahadur Thapa an der Spitze von fünf unterschiedlichen Regierungen (da alle Kabinette bis 1981 in ihrer Gesamtzusammensetzung solche von Königs Gnaden waren, muss jede Regierungsumbildung als ein neues Kabinett betrachtet werden), zunächst unter dem Titel "Vorsitzender des Ministerrats". Fünf weitere von Thapa geführte Regierungen gab es zwischen 1979 und 1983, bis er mit Hilfe des einzigen Misstrauensvotum des nationalen Panchayats ausgerechnet von Lokendra Bahadur Chand gestürzt wurde (diese Option war erst mit der dritten Verfassungsänderung von 1980 eingeführt worden). Schließlich bekleidete Thapa 1997/98 noch einmal für etwa sechs Monate das Amt des Premierministers, als politische Machtspielereien die junge Demokratie in der Phase unklarer Parlamentsmehrheiten an den Rand des Abgrunds führten.

(3) Diese Sicht wird bestätigt durch den fundiertesten Verfassungskommentar: Surya P.S. Dhungel/ Bipin Adhikari/ B.P. Bhandari/ Chris Murgatroyd 1998: Commentary on the Nepalese Constitution. Kathmandu: DeLF, S. 679 ff.

Quelle: Der Beitrag erschien im Original in der Nepal Information No. 92 der Deutsch-Nepalischen Gesellschaft im Januar 2004. Er ist die überarbeitete und erweiterte Version eines Artikels, der am 13.09.2003 auf dem NGO-Forum in Köln vorgelegt wurde.

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