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13. Dezember 2002. Analysen: Politik & Recht - Indien Visionärer Plan oder grausamer Witz?

Chhattisgarh baut sich eine neue Hauptstadt

Sonia Gandhi hatte in letzter Minute abgesagt. Während so die geplante Grundsteinlegung des "Capital Complex" Ende September 2002 bis auf weiteres vertagt werden musste, laufen die Bauarbeiten für Chhattisgarhs neue Hauptstadt andernorts allerdings schon: Neue Strassen werden gebaut und bestehende verbreitert.

Chhattisgarh ist einer der drei neuen Regionalstaaten, die im Jahr 2000 gebildet wurden. Zuvor war Chhattisgarh Teil Madhya Pradeshs, einem der ärmeren Bundesstaaten Indiens. Für das heutige Chhattisgarh allerdings sahen die Entwicklungschancen deutlich besser aus: es ist reich an Bodenschätzen, vor allem an Erzen, und hat mit Bhilai den Standort der größten staatliche Stahlfabrik Indiens. Diese Faktoren waren für die Segregation von Madhya Pradesh sicherlich ausschlaggebend.

Die Hauptstadt des jungen Staates wurde nach Raipur, der mit rund 800.000 Einwohnern größten Stadt der Region, gelegt. Behörden mussten zum Teil in Schulen angesiedelt werden, da kurzfristig nicht genug Büroraum verfügbar war. Doch schon ein Jahr später verabschiedete das Regionalparlament einen Entwurf, der allen Raumnöten auf spektakuläre Weise ein Ende machen würde. "New Capital City", so der Projektname, bezeichnet ein Bauvorhaben, bei dem auf einer Fläche von 7400 Hektar eine komplette Stadt für 700.000 Einwohner buchstäblich aus dem Nichts entstehen soll.

15 km östlich von Raipur, strategisch gelegen zwischen dem Flughafen und zwei Bundesstrassen, soll "New Capital City" liegen. Sukzessive sollen in drei Planungsphasen Wohngebiete, Geschäfte, Industrie, eine Universität, und die gesamte städtische Infrastruktur entstehen. Ein hoher Raumanteil ist für Grünanlagen reserviert, und auch ein Golfplatz, ein Cricket-Stadion und eine "Film City" sind in den Plänen ausgewiesen. Kern der Anlage ist allerdings ein Administrativer Sektor, und etwas abgesetzt, der Amtssitz des Ministerpräsidenten. Dieser Teil von "New Capital City", samt einem Teil der Wohngebiete, soll bis 2010 fertig gestellt sein. Weitere Teile der Stadt sollen bis 2030 folgen. Es existieren detaillierte Pläne für den öffentlichen Nahverkehr, die drei Buslinien vorsehen, und für die spätere Stadtentwicklung ist sogar eine Hochbahn angedacht.

Der derzeitige Plan, erstellt von CPG, einem Consultingunternehmen aus Singapur, ist allerdings nur ein erster Entwurf, in dem lediglich Teile der Vorhaben der ersten Phase konkretisiert sind. Im kommenden Jahr sollen dann umfassend Flächen ausgewiesen und Funktionen festgelegt werden. Dieser Prozess wird sich allerdings zunehmend komplizierter gestalten, denn während die ersten Bauvorhaben auf Land entstehen können, das sich bereits in staatlichem Besitz befindet, ist der überwältigende Teil der Flächen für "New Capital City" in privatem Besitz. Aber nicht nur das - auf dem Gelände der angedachten Hauptstadt befinden sich 23 Dörfer.

Das besondere an "New Capital City" im Vergleich zu ähnlichen Großprojekten ist allerdings, dass keine Umsiedlungen vorgesehen sind. Die Einwohner können ihre Dörfer behalten, wie Vivek Dhand, der Chef der Planungskommission, erklärt. "New Capital City" werde gewissermaßen um die Dörfer herum entstehen, und einen Prozess einleiten, an dessen Ende die Dörfer vollständig in die neue Stadt integriert sind. Auf den Plänen ist allerdings keines der 23 Dörfer als "Insel" in der modernen Stadtstruktur zu sehen. Das die Dörfer umgebende Land werde zwar zwangsenteignet, aber entweder vom Staat oder von einem privaten Developer entschädigt und aufgekauft. Es werde sich an alle legal vorgeschriebenen Maßnahmen gehalten, versichert Dandh, auch öffentliche Anhörungen werden durchgeführt. Allerdings werde sich nichts Substantielles an den Plänen ändern.

Von geplanten öffentlichen Anhörungen weiß man in Tenduwa, einem der betroffenen Dörfer allerdings nichts. Auch die konkrete Planung von "New Capital City", und wo sich Tenduwa innerhalb der neuen Stadt am Ende befinden wird, ist unbekannt. Etwa 1.500 Menschen leben in Tenduwa, fast alle sind Landwirte, und fast alle besitzen zumindest eine kleine Parzelle eigenes Land. Dass der Staat das gesamte umliegende Land erwerben will, hat man hier gehört, aber wann dies der Fall sein wird, ist nicht bekannt. Wenn "New Capital City" entstanden ist, wird niemand mehr in Tenduwa der Landwirtschaft nachgehen können, aber über die Implikationen hat sich kaum jemand Gedanken gemacht, zu vage erscheinen die staatlichen Pläne. Einen spürbaren Effekt hat der Hauptstadtplan allerdings schon: Um Landspekulationen vorzubeugen, hat die Regierung jegliche Landtransaktionen untersagt. Für die Einwohner von Tenduwa boten jedoch Landverkäufe die Möglichkeit, die extrem aufwendigen Hochzeiten zu finanzieren, und mit dem aktuellen Verkaufsverbot bleibt den meisten nur der Weg zum Geldverleiher - oder das Aufschieben der Hochzeit.

Die selbe Situation herrscht auch in Pauta, einem Dorf, dass laut Plänen später einmal dem Ministerial-Palast auf der anderen Seite eines kleinen Sees gegenüberliegen soll. Hier werden gerade Vertiefungsarbeiten am See ausgeführt, die aber weniger zum Wohl der Dorfes gedacht sind, wie der örtliche Deputy des Panchayat (Dorfrat) weiß, denn niemand habe einen Antrag dafür gestellt. Als die Hauptstadtpläne das erste Mal bekannt wurden, so erzählt er, waren die meisten Panchayats sehr skeptisch, und regional begann sich Widerstand zu formieren. Die Regierung lud daraufhin alle Vertreter der Panchayats der betroffenen Region zu einem Informationstreffen ein, in denen ihnen wortwörtlich versprochen wurde, dass sie Eimer voll Kompensationen erhalten werden, die sie kaum tragen werden können. Der aufkeimende Widerstand war augenblicklich erstickt.

Die meisten Landbesitzer werden sich von ihrer Kompensation einen neuen Fernseher kaufen, oder vielleicht einen Jeep, meint der Deputy, während das Land als produktives Vermögen verloren ist. Er sieht die Zukunft seiner Dorfbewohner daher als städtisches Proletariat oder in der Migration. An den versprochenen Verbleib seines Dorfes inmitten der neuen Stadt, in welcher Form auch immer, glaubt er nicht. Wenn ein einziger Minister heute Raipur besucht, so führt er aus, werden Strassen für Stunden gesperrt. Wie soll dann ein Dorf innerhalb des Ministerialkomplexes belassen werden?

Der gesamte Kapitalaufwand für "New Capital City" ist mit 206,15 Milliarden Rupien (knapp 4,4 Milliarden Euro) veranschlagt, wovon die öffentliche Hand etwa 40% aufbringen soll. Dies entspricht in etwa den gesamten staatlichen Einnahmen, die für den aktuellen Fünfjahresplan vorgesehen sind. In Anbetracht von mehr als 50% der Bevölkerung Chhatisgarhs, die unterhalb der internationalen Armutsgrenze von einem Dollar pro Tag leben, ist die Planung einer solch immensen Ausgabe fast unglaublich oder, wie es ein Redakteur der Zeitung Deshbandhu ausdrückt, ein "grausamer Witz".

Die Argumentation der Regierung baut auf das Eintreten eines Booms, der ausgelöst durch "New Capital City" auch die ganze Region erfassen soll. Durch die hohe Lebensqualität in "New Capital City" sollen hochausgebildete und kapitalstarke Einwohner angezogen werden, auch um dadurch zukunftsweisende Industrien wie IT und Biotechnologie im Industrieparks anzusiedeln.

Ob diese dualistische Strategie erfolgreich sein wird, wird die Zukunft zeigen. Skepsis gegenüber der Effektivität ist allerdings angesichts der immens hohen Aufwendungen angebracht. Geld, das in "New Capital City" investiert wird, kann nicht in Bildung, Gesundheit oder die Förderung der Landwirtschaft fließen, wo ein direkter Effekt in der Armutsbekämpfung erzielt werden könnte. Gerade auf lange Sicht wäre Chhattisgarh sicherlich gut beraten, sich auf die Sektoren zu konzentrieren, die ein egalitäres Wachstum versprechen.

Quelle: Govt. of Chhattisgarh

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