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Meine Frage ist nun, warum, wie und für wen die Wegheirat bei den Rona (direkte Nachbarn der Gadaba die im Bericht von Peter Berger vorgestellt werden), bei denen ich forschte, ausgeführt wird. Aber zuerst möchte ich etwas zu dem Begriff Heirat sagen, denn ich könnte mir vorstellen, daß Sie sich fragen, was es in diesem Zusammenhang mit dem Begriff "Heirat" auf sich hat.
Heirat ist nicht, wie bei uns, eine frei gewählte und aus Liebe eingegangene Verbindung zwischen zwei Menschen, die sich mehr oder weniger ungeachtet ihres gesellschaftlichen Status verbinden können. In Indien und in Koraput sind Heiraten Angelegenheiten, die zwischen Familien, größeren Gruppen oder gar ganzen Dörfern in langwierigen Verhandlungen besiegelt werden. Sie dienen dazu, Bündnisse über die Generationen hinweg mit anderen Familien zu schließen oder zu bekräftigen und sind vom Austausch von Gaben begleitet. In dem Gebiet, in dem ich forschte, gilt, daß die Brauteltern eine Gabe erhalten, dafür, daß sie ihre Tochter an einen anderen Haushalt verheiraten. Aus weiteren Informationen über Indien ist ihnen höchstwahrscheinlich ein anderes Prinzip bekannt: Das der Mitgift, bei dem die Eltern ihrer Tochter, also der Braut Gaben mitgeben. Dieses System ist vor allem in der Hindu-Gesellschaft verbreitet, während bei den Stammesgesellschaften, bei denen wir uns hier aufhalten, die Gabe für die Braut praktiziert wird. Dieses Prinzip des Gabentausches wird uns bei der Wegheirat wieder begegnen.
Kommen wir also zurück zur Hochzeit im Koraput-Gebiet:
Braut und Bräutigam stammen in der Regel aus verschiedenen Dörfern. Wichtige Personen bei Verhandlungen vor einer Hochzeit sind die Brautwerber, die mit den Eltern der Braut verhandeln, wieviele Gaben der Bräutigam den Eltern der Braut aus Ehrerbietung am Tag der Hochzeit überreicht. Die Hochzeitsfeierlichkeiten werden unter Beteiligung der beiden Dörfer ausgeführt. Die wichtigsten Hochzeitsrituale werden im Dorf der Braut durch das Ausgießen eines großen Kruges Wassers über das Brautpaar eingeleitet. Anschließend macht sich die Hochzeitsgesellschaft auf den Weg in das Dorf des Bräutigams auf, in dem weitere Rituale und ein großes Festmahl folgen. In diesem Dorf lebt dann das frischvermählte Paar in der Regel bei den Eltern des Bräutigams.
Wie sie schon dem Titel meines Vortrages entnommen haben, ist die Wegheirat ein Heilungsritual. Deshalb möchte ich jetzt darauf eingehen, wie die Heiler der Rona, die oft Astrologen oder Schamanen sind, Krankheiten ermitteln und für welche Krankheiten sie die Ausführung einer Wegheirat anraten.
Die Rona erklären sich Krankheiten folgendermaßen:
Wenn die Beziehungen zu Göttern oder Menschen gestört sind, dann erkranken die Menschen. Daneben kenne sie Krankheiten, die ohne erkennbare Ursache entstehen, also eine Art Zufallsprinzip. Im Gegensatz zu unserer Vorstellung von Krankheit gehen die Rona davon aus, dass die meisten Ursachen von Krankheit außerhalb des Körpers und der Person liegen, die erkrankt. Ursachen von Krankheit werden oft in gestörten Beziehungen zwischen Verwandten gesucht, weniger in der einzelnen Person.
So können Götter, Dämonen, Hexen, Zauberer oder neidische Nachbarn Krankheiten verursachen. Götter verursachen Krankheiten, um die Menschen zu strafen oder weil sie sie zu sehr lieben. In jedem Fall wollen sie den Erkrankten von der menschlichen Gemeinschaft weg wieder in das Reich des Todes und der Götter zu holen. Für Krankheiten, die von Göttern verursacht werden, führen die Rona vorbeugende Rituale aus, die in den Lebenszyklus eines jeden Rona integriert sind. Deshalb versuchen sie, die Götter "bei Laune zu halten, also keinen Zorn oder übermäßiges Verlangen aufkommen zu lassen. Falls die Götter dennoch Krankheiten senden, was ein Zeichen dafür ist, dass das Gleichgewicht der Beziehung zwischen der Familie und Göttern gestört ist, so versuchen die Rona mit ihnen zu verhandeln, um zu erreichen, dass die Götter die Krankheit wieder von ihnen nehmen mögen.
Zu diesen von den Göttern gesandten Krankheiten gehört auch die Kinderlosigkeit. Oft haben solche Ehepaare, die seit Jahren einen Kinderwunsch hatten, schon vor der Zeugung eines Kindes versprochen, dass sie eine Wegheirat ausführen werden, damit ihr Kinderwunsch in Erfüllung geht. Ein weiterer Grund, eine Wegheirat zu versprechen besteht dann wenn das Kind von einer schweren Krankheit befallen wird und die Schamanin diagnostiziert, daß die Götter diese Krankheit verursacht haben. Die Schamanin oder der Schamane handelt dann als Vermittlerin zwischen den Menschen und den Göttern die Gaben aus, die Götter bei der Wegheirat verlangen. Es geht darum, wie viele Opfertiere die Familie geben muss und wie viele Tänze der Schamanin die Familie bezahlen soll. Das "Feilschen" hat den gleichen Charakter wie bei einer Heirat zwischen Menschen, bei welcher der Heiratsvermittler im Dorf der Braut die Menge der Gabe aushandeln, die die Familie des Bräutigams an die Eltern der Braut gibt. Nur dass in diesem Fall die Geber der Braut nicht menschlich, sondern göttlich sind. Wenn die Götter ihr Versprechen gehalten haben und ein Kind geboren oder geheilt worden ist, sollte im Zeitraum zwischen zwei und vier Jahren danach die Wegheirat ausgeführt werden.
Eine Wegheirat kostet die Eltern eines Kindes nach ihren Angaben zwischen 8.000 bis 10.000 indische Rupien. Das ist eine Summe, die oft jahrelang angespart werden muss.
Nachdem die finanziellen Rücklagen für die Zeremonie erwirtschaftet wurden, muss der richtige Tag für die Heirat gefunden werden. Im gesamten Jahr kommen für die Durchführung des Rituals nur wenige Tage in Betracht, die aufgrund der Sternenkonstellation glücksverheißend sind. In dieser und in den weiteren Aktivitäten der Vorbereitung gleicht die Wegheirat einer normalen Heirat.
Eine Wegheirat wird zwei Tage lang gefeiert. Während der Ausführung der Wegheirat fastet die engere Famile und die Heiler. Fasten bedeutet, daß sie keinen Reis essen, um ihre Körper nicht mit Nahrung zu beschweren, während sie den Göttern begegnen. Während sie fasten, bereiten Frauen die Speisen vor, die den Göttern angeboten werden.
Die älteren Männer sitzen auf Bambusmatten und fertigen aus Bambus und Holz Nachbildungen von Gegenständen des täglichen Gebrauch an, wie Körbe, Pflüge, Boote, Trommeln, Matten, Kochgeschirr und weiteres.
Am Abend malt die Schamanin Bilder, auf dem sie die Götter einlädt, Platz zu nehmen. Eines ist im haus und eines davor. Die Schamanin sitztim Haus der Familie vor den Gaben, die morgen den Göttern geopfert werden sollen. Der Raum ist nur durch das warme Licht der Öllämpchen erhellt. Alle, außer der Hausherrrin und der Schamanin warten draußen auf dem Hof, während die Schamanin die Götter anruft. Mit Gesang lädt sie alle Götter, die ihr namentlich bekannt sind, ein, jetzt und morgen zum Fest der Wegheirat zu kommen. Schließlich tritt die Schamanin vor das Haus. Die Musiker, die vor dem Haus warten, beginnen zu spielen. Trommel und die mohuri, ein oboenartiges Instrument, formen eine Melodie, die die Umstehenden sofort als das Lied der Dorfgöttin erkennen. Die Göttin des Dorfes ist in den Körper der Schamanin gefahren. Mit kleinen, stampfenden Schritten beginnt sie zu tanzen. Nach einiger Zeit ruft die Schamanin den Musikern einen weiteren Götternamen zu. Die Melodie ändert sich leicht und die Schamanin tanzt jetzt mit ausholenden Schritten und hält einen Regenschirm über dem Kopf. Name auf Name ruft sie alle Götter auf, die in ihren Körper einziehen und die Musiker spielen jeweils die charakteristische Melodie des Gottes.
Nachdem alle Götter im Körper der Schamanin getanzt haben, legt sich die Familie für eine kurze Nachtruhe nieder, denn schon vor dem ersten Licht der Dämmerung, um drei Uhr morgens, stehen die Frauen wieder auf. Noch in der Dunkelheit, gehen sie, angeführt von alten Frauen, den "großen Müttern" außerhalb des Dorfes zu einer natürlichen Wasserstelle. Hier erbitten sie von der Flußgöttin Kamini vor der Morgendämmerung Wasser, welches später ein wichtiger Teil der Zeremonie sein wird.
Die Männer, von einem Priester angeführt, gehen vor der Dämmerung in Richtung Osten aus dem Dorf, um den Dämonen Rahu zu beschwichtigen, der zu dieser Zeit anfängt von Osten den Tag über bis nach Westen über die Dörfer der Rona zu ziehen und Unheil anzurichten. Die Männern opfern ihm einen weißen Ziegenbock, damit er zufrieden ist und die Gesellschaft, die die Zeremonie ausführt, nicht während der nun folgenden Aktivitäten stört.
Die Frauen, insbesondere die Mutter des Kindes und die "großen Mütter" erbitten danach Erde und Rinde von den Dorfgottheiten. Diese Erde und Rinde wird in dem temporären Baldachin miteingebaut, der außerhalb des Dorfes an einer Weggabelung errichtet wird.
Um diesen Baldachin herum wird nun die wichtigste Sequenz der Wegheirat durchgeführt. Der Platz selbst wird von den Rona als außerhalb des Dorfes und als symbolisches "Dorf der Braut" konzipiert. Hier, außerhalb des eigenen Dorfes, treffen sich nun die Heiler und Verwandten des Kindes, für das die Heirat durchgeführt wird.
Eine Wegheirat ist als Ritualarbeit (kam) im Sinne eines "göttlichen Spiels" konzipiert. Die Bühne des göttlichen Spiels ist der Platz um den Baldachin. Hier beginnen in der größten Hitze des Tages, um vierzehn Uhr, das die Götter ihr Spiel.
Die Zeremonie ist in drei Sequenzen gegliedert. Im ersten Teil versammeln sich alle Götter am Ort. Jeder der Götter tanzt für eine gewisse Zeit im Körper der Schamanen oder einer Schamanin. Die Umstehenden erkennen an der Melodie, welcher Gott gerade in der Schamanin tanzt. In diesem ersten Teil tanzt nur die Schamanin. Im zweiten Teil zeigen die Götter dem Kind, wie es in der Welt der Menschen zu leben hat. Die Schamanin, d.� h. die Götter tanzen mit dem Kind, der Braut, und lehren sie, welche Arbeiten die Menschen im Zyklus eines Jahres verrichten müssen. Die Götter im Körper der Schamanin, tanzen mit dem Kind und zeigen ihm spielend, wie es den Acker pflügt, aussät, die Pflanzen vereinzelt, es fischen geht, kochen, öl pressen und Schreiben lernt, die Pflanzen pflegt, wie es erntet, die Ernte einbringt und verarbeitet und jagen geht. Alle diese Tänze werden von unterschiedlichen Göttern ausgeführt. Indem die Götter diese Tänze mit dem Kind ausführen, sollen sie zufrieden werden und dem Kind und seiner Familie Krankheiten, die die Götter bringen könnten, ersparen, wie z.B. Pocken, verschiedenen Fieber oder EpilepsieIm dritten Teil dringen die Götter nicht nur in den Körper der Schamanin und des Kindes ein, sondern auch in die Körper der Eltern. Jetzt muss die Familie zeigen, dass sie von göttlicher Macht durchdrungen ist.
Zunächst tanzt die Göttin Durga mit einem Schwert. Danach setzen sie Kind, Mutter und Vater nacheinander auf dieses Schwert, ohne sich zu verletzen.
Dann wird der Vater des Kindes auf den Tontopf gesetzt, der das Wasser enthält, welches frühmorgens von den Frauen geholt wurde. Der Tontopf ist mit einem Bananenblatt abgedeckt, das fest über den Topfrand gespannt ist. Während sich nun der Vater, dann auf seine Knie die Mutter und auf ihren Schoß das Kind setzen, darf das Bananenblatt auf dem Topf nicht reißen. Zum Schluss schwingt sich die Schamanin auf die Knie der Mutter und tanzt dort mit all ihrer Kraft. Es gilt als schlechtes Zeichen für die Zukunft des Kindes, wenn der Tontopf bei diesen Prozeduren zerbricht. Es ist, wie das Nachfolgende, eine Probe, wie weit die Götter mit der Wegheirat zufrieden sind.
Die letzte Sequenz bildet das Schaukeln auf einer Dornenschaukel. Wieder sitzt der Vater zuunterst und die Familienmitglieder auf ihm.
Falls bei diesen Prüfungen keine Verletzungen entstehen, so haben die Götter die menschlichen Körper durchdrungen und sie damit unverletzbar macht. Es ist das Zeichen, dass die Götter mit der Wegheirat zufrieden, d.� h. zum Frieden (ÐÁnti) gekommen, sind.
Nach einigen weiteren Zeremonien wird das Wasser aus dem Tontopf über dem Kind ausgeschüttet. Dies ist das Zeichen, dass das Kind und seine Eltern nun aus der Sphäre der Götter wieder in die menschliche Gemeinschaft entlassen werden. Die großen Mütter beginnen, um den Baldachin zu tanzen. Sie geleiten das Kind nun wie eine Braut in das Dorf. Gleich darauf erfolgen alle die Opferungen die den Göttern versprochen wurden: Im Tausch für das Leben des Kindes wird das Leben von Ziegenböcken, Hähnen und Erpeln den Göttern geopfert.
Auch der Dämon Rahu wird mithilfe weitere Opferungen und unter Gabe von Wegzehrung für das kleine Ochsengespann von dem Ort der Menschen weggeschickt.
Durch das Auge des Ethnologen betrachtet, ist die Wegheirat ein therapeutisches Ritual, weil es die Götter, die das Kind erkranken ließen, durch das vor Jahren gegebene Versprechen besänftigt. Das Ritual löst also ein vor längerer Zeit gegebenes Versprechen ein und gehört in diesem Sinne noch zur Therapie. Außerdem ist es ein vorbeugendes Ritual. Es soll vorbeugen, dass die Götter das Kind nicht erneut mit Krankheiten quälen.
Eine Wegheirat ist in vielen Abschnitten wie eine Heiratszeremonie aufgebaut. Außerdem ist sie wie eine zweite Geburt für das Kind, welches erkrankt war. Diese Logik möchte ich ihnen als letzten Gedanken meines Beitrages skizzieren:
Die Rona vergleichen die Geburt eines Kindes mit einer Hochzeit. Für sie ist die Gabe eines Kindes, geschenkt durch die Götter wie die Gabe einer "Braut". Für die Gabe des menschlichen Lebens verlangen die Götter eine Gegengabe von den Eltern. Aber in manchen Fällen sind die Götter mit der Gegengabe nicht zufrieden. Dieses vermitteln sie den Eltern, in dem sie das Kind erkranken lassen. Die Götter treten in der Wegheirat als Spender menschlichen Lebens auf, indem sie das Kind erneut an die Gemeinschaft übergeben. Damit kommt die Wegheirat symbolisch einer zweiten Geburt nahe.
Dies wird insbesondere im Hauptteil der Wegheirat, die außerhalb des Dorfes stattfindet, deutlich: Im Spiel nehmen die Götter das Kind erneut als ihres an und erziehen es, indem sie ihm zeigen, wie es in der Welt der Menschen leben soll. Im letzten Teil der Wegheirat, wenn die Eltern und das Kind mit den Göttern tanzen, erfolgt die Übergabe des Kindes von den Göttern, symbolisch in der Rolle der Brauteltern - an die menschliche Gemeinschaft. Besiegelt wird diese Übergabe durch das Wasserbad, die Opfergaben und Wünsche für ein friedvolles Leben ohne Krankheit.
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