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10. April 2004. Analysen: Geschichte & Religion - Südasien Arische Migrationstheorie

Die arische Migrationstheorie, die Indigenous Aryan Theory und die Indus-Zivilisation

Die Regierungsgewalt der hindunationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) in Indien wirkt sich zunehmend auch auf die Geschichtsschreibung aus. Führende Vertreter der Partei und ihres ideologischen Umfelds verwerfen u.a. die Theorie der arischen Migration in den Subkontinent als falsch und propagieren die sogenannte Indigenous Aryan Theory. Diese entspricht dem hindunationalistischen Weltbild und wird letztendlich durch die politische Agenda der BJP propagiert. Die Kontroverse über die arische Einwanderung in den Subkontinent wird seit dem 19. Jh. geführt und ließ sich bisher nicht überzeugend beweisen.

Zu den Voraussetzungen der beiden genannten Theorien zählen Ähnlichkeiten der indo-europäischen Sprachen als Indiz gemeinsamer Herkunft und einer Ursprache: dem Proto-Indo-Europäischen oder Proto-Indo-Arischen. Ferner wird davon ausgegangen, dass die Sprecher dieser Ursprache sich zu einem Zeitpunkt der Geschichte getrennt haben und in verschiedene Richtungen migrierten. Der Ort, an dem die Sprecher des Proto-Indo-Europäischen zuletzt vereint gewesen seien, wird als Heimat der Arier bezeichnet. Anfangs galt Indien als Heimatland der Indo-Europäer, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde jedoch die Idee von Indien als Ursprungsland verworfen (Bryant 2001:31).

Arier und Draviden

Die beiden Begriffe haben Vorgänger im Sanskrit, in ihrer jetzigen Bedeutung sind sie jedoch moderne Konstrukte, die im 18. und 19. Jahrhundert erfunden wurden.

Der Begriff "Dravide" oder "dravidisch" kennzeichnet eine Sprachfamilie Südasiens mit den vier Hauptsprachen Tamil, Telugu, Kannada und Malayalam, die überwiegend in Südindien und teilweise auf Sri Lanka gesprochen werden.

Der Begriff "Arier" hat zwei Bedeutungen. Er stammt aus dem Sanskrit und bedeutet "der Edle". Er wurde jedoch einerseits durch die Geschichte der ethnischen Politik und der Politik des Rassenhasses konstruiert; andererseits durch die Entdeckung der indo-europäischen Sprachfamilie und der indo-europäischen vergleichenden Philologie (Trautmann 1997:15).

Der Duden beschreibt Arier als: "(Sanskrit: Edler), 1. Angehöriger eines der frühgeschichtlichen Völker mit indo-arischer Sprache in Indien und im Iran und 2. in der nationalsozialistischen Rassenideologie Angehöriger der so genannten nordischen Rasse."

Rajaram und Frawley, extremen Vertretern der Indigenous Aryan Theory zufolge wird das Wort Arier in seinen heutigen Verwendungen missbraucht. Es stammt aus dem Sanskrit und bezieht sich auf Menschen, die nach bestimmten spirituellen und zeitlichen Gesetzen leben. Einer Übersetzung ins Englische würde am nächsten die Bedeutung "ehrenhaft" oder "edel" kommen. In der Rigveda, dem ältesten Text der Veden, wird der Begriff Arier als Adjektiv verwendet und hat nichts mit Rasse, Nationalität oder Abstammung zu tun.

Die arische Migrationstheorie

Die Theorie der arischen Invasion des Subkontinents nimmt als Heimat der Arier die Gegend ums Kaspische Meer an, von wo diese in mehreren Wellen und in einem Zeitraum von mehreren Jahrhunderten ausgezogen seien und etwa um 2000-1500 v. Chr. den indischen Subkontinent erreichten. Dort seien sie auf die indigenen dravidischen Völker getroffen und hätten diese unterworfen. Diese Theorie der arischen Migration wird von den meisten westlichen Wissenschaftlern und namhaften indischen Forschern wie Romila Thapar vertreten.

Die gesamte Forschung zu den indo-europäischen Sprachen war besonders in ihren Anfängen stark von biblischen Vorstellungen durchzogen. Die Idee einer gemeinsamen Ursprache – Hebräisch – wurde assoziiert mit einem gemeinsamen Urvolk. Die Idee war eingebettet in die biblische Version der Geschichte, in der Noahs drei Söhne Japeth, Shem und Ham als Vorfahren der Menschheit galten. Die Evolution aller Sprachen habe demnach begonnen, als die Nachkommen Noahs sich nach der Flut zerstreuten.

Ein weiterer Mythos war der Turmbau von Babylon, der die Sprachvielfalt auf eine göttliche Intervention gegen die Menschheit zurückführt. Auch Sir William Jones, einer der Begründer der Indogermanistik, war von den biblischen Mythen einer gemeinsamen Ursprache aller Menschen (Bergunder & Das 2002:27) beeinflusst. Jones gab 1786 die Entdeckung der indo-europäischen Sprachfamilie bekannt. Er erkannte, dass Sanskrit mit Griechisch, Latein, Gotisch, Keltisch und Persisch verwandt sei und diese sich von einer gemeinsamen Ursprache ableiteten, die nicht mehr existiere. Die Verbindung zwischen den indo-arischen Sprachen Indiens und den klassischen Sprachen Europas führte zu Suche nach der ursprünglichen Heimat der Sprecher des Proto-Indo-Arischen oder Proto-Indo-Europäischen.

Indien galt bei vielen Gelehrten im späten 18. Jahrhundert und frühen 19. Jahrhundert als Wiege der Zivilisation. Vertreter dieser britischen Indophilie waren Henry Colebrooke und H.H. Wilson, die in der britischen Verwaltung Indiens arbeiteten. Diese britischen Orientalisten beschäftigten sich ausführlich mit indischen Sprachen, im Gegensatz zu ihren Nachfolgern, den Vertretern einer britischen Indophobie, denen Indien bald als Grab der Zivilisation galt. Initiiert wurde diese Haltung von Evangelisten und Utilitaristen, als deren prominenteste Vertreter James Mill und Charles Grant gelten. Das koloniale Interesse stand über dem wissenschaftlichen Interesse am Sanskrit. Die arische Invasionstheorie diente auch der britischen Kolonialherrschaft in Indien. Abhängig von ihren Programmen und Strategien glorifizierten, betonten oder minimierten die Briten in der einen oder anderen Form ihre arische Verbindung zur indischen Bevölkerung (Bryant 2001:28).

Friedrich Schlegel fand 1808 in seiner Abhandlung "Über die Sprache und Weisheit der Inder" ebenfalls gemeinsame Wurzeln von Deutsch, Griechisch, Latein und Sanskrit. Für Schlegel galt Sanskrit als Ursprache aus der sich alle anderen Sprachen ableiten und der Nordwesten Indiens als Urheimat aller Völker (Bryant 2001:18).

Wenige Jahrzehnte später wurden die Ideen einer Urheimat endgültig in biologistische Denkmuster überführt.

In den Jahren 1853-55 entwickelte der Franzose Joseph Arthur de Gobineau eine Rassentheorie. Diese behauptet die Überlegenheit der "weißen" Rasse, die als Arier bezeichnet wird, über die "schwarze" und "gelbe" Rasse. Für Gobineau dient das Kastensystem als Rassenschutz. Die ersten drei Kasten (Brahmanen, Kshatriya, Vaishya) seien den Ariern vorbehalten geblieben, die unterste Kaste (Shudra) bestünde aus der nicht-arischen, dravidischen Urbevölkerung Indiens. Gobineau hebt den Gegensatz zwischen Ariern und Draviden besonders hervor. Seine Idee von ursprünglich "rassisch reinen weißen" Menschen beeinflusste auch die Geschichtsschreibung.

Während der Kolonialherrschaft in Indien im 19. Jahrhundert entstand eine südasiatische Geschichtsschreibung, in der die Bewohner Südasiens als Nachkommen unterschiedlicher Völker betrachtet werden. Folglich sei die indische Zivilisation ein Produkt der Vermischung der eingewanderten Indo-Arier mit den indigenen nicht-indo-arischen Bewohnern des Landes.

Die neuere Forschung thematisiert diese zweifelhaften Wurzeln durchaus, und vermeidet mittlerweile, die Arier als Rasse zu beschreiben. Stattdessen wird die Heterogenität aller beteiligten Gruppen und das Nebeneinander verschiedener Kulturen im alten Indien betont: Demnach gab es nicht "die Einwanderung der Arier" sondern zahllose Wanderungen halbnomadischer Gruppen, die sich im Laufe von Jahrhunderten durch Kriege, Handelbeziehungen und anderen kulturellen Austausch untereinander und mit schon länger sesshaften Gruppen überlagerten und vermischten.

Die Indigenous Aryan Theory

Die Reaktionen auf die arische Invasionstheorie fielen in Indien zunächst positiv aus. Vor allem lokale Eliten begrüßten den Aspekt einer Verbindung zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten.

Im Gegensatz dazu entwickelte sich Ende des 19. Jahrhunderts die Theorie von Indien als arischem Heimatland, die von einigen indischen Wissenschaftlern vertreten wird. Demnach seien die Arier die autochthone Bevölkerung des indischen Subkontinents, und die Identität der "eigentlichen" Inder basiere auf der vedischen Kultur und Religion. So wird die Annahme, dass indo-arisch sprechende Menschen auf dem Subkontinent fremdländischen Ursprungs seien, als falsch dargestellt, zumal die Einwanderung tatsächlich nie eindeutig bewiesen werden konnte (Bryant 2001:4). Vertreter der Indigenous Aryan Theory zweifeln an der allgemeinen Aussage, dass die Indus-Zivilisation dravidischer Herkunft sei und versuchen deren indo-arischen Ursprung zu beweisen. Sie beziehen sich dabei auf die Rigveda, die angeblich keine Referenz zu einer arischen Invasion enthält.

Die Vertreter der Indigenous Aryan Theory stellen keine homogene Gruppe dar, man muss sich der verschiedenen Motive, Hintergründe und Kontexte der Vertreter bewusst sein. Dementsprechend variieren die Theorien und Vorstellungen.

Talageri als indischer Linguist, der dem hindunationalistischen Lager zugerechnet wird, entwickelte die Theorie der arischen Migration in prähistorischer Zeit von Indien nach Westasien und Europa. Rajaram und Frawley haben vermeintlich eindeutige Beweise geliefert, dass die Migration der Arier aus Indien stattfand und sich in den Iran, Westasien und Europa vollzog (Rajaram & Frawley 1997:13).

Die Vertreter der Indigenous Aryan Theory kritisieren und lehnen die Theorie der arischen "Eroberung" Südasiens als ein Produkt der kolonialen Wissenschaft ab. Vor allem die Motive der europäischen Forscher des 19. Jahrhunderts werden dabei in Frage gestellt. Die arische Invasionstheorie gilt aus ihrer Perspektive als konstruierte Version von Geschichte und Tradition, die kolonialen und missionarischen Interessen dienten. Aus ihrer Sicht sind die Grundthesen der Theorie von der einheimischen Herkunft der Arier überwiegend anti-imperial und anti-kolonialistisch inspiriert. Bei der anti-imperialen und postkolonialen Geschichte geht es diesen indischen Forschern darum, die Kontrolle über die Rekonstruktion ihrer Landesgeschichte zu erlangen. Die arische Migrationstheorie wird abgelehnt, da sie als ausländischer intellektueller Import interpretiert wird, der den imperialen Interessen der Kolonialmacht diente.

Neben der Überarbeitung der Geschichte trat jedoch schon bald ein anderes Motiv in den Vordergrund: Der hindu-nationalistische Revisionismus, der Indien als "Land der Hindus" konstruiert, denen sich die anderen – vermeintlich fremden Bevölkerungs- und Religionsgruppen – unterzuordnen haben. Daher ist eine Unterscheidung zwischen einem anti-imperialen und dem nationalistischen Verständnis von großer Bedeutung.

Die Ideologie der Hindutva-Bewegung, die zuerst 1923 von V.D. Savarkar formuliert wurde, hat in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. In Sarvakars Buch "Hindutva – who is a Hindu?" wird die Auffassung vertreten, dass Hindus aufgrund ihrer religiösen Bindung an das Land vollwertige Inder seien. Dem entsprechend seien nur Religionen indischen Ursprungs "hinduistisch".

Die arische Invasionstheorie wird abgelehnt, da die vedischen Völker mit den Moghulen oder anderen Invasoren gleichgesetzt werden würden und damit jegliche sich auf das geographische Indien stützende Formulierungen des Konzeptes Hindutva untergrüben. Die Vertreter von Hindutva versuchen zu beweisen, dass die Hindus mit einer gemeinsamen kulturellen Vergangenheit, der "vedischen" Kultur, deren Verbindungen bis in die Gegenwart reichen, die indigene Bevölkerung Indiens verkörpern (Bergunder & Das 2002: 210-215).

In dieser Wahrnehmung sind Muslime und Christen Fremde, da Indien nicht das Herkunftsland ihrer Religion und dementsprechend ihrer Vorfahren ist. So bleibt die Verwirrung über die biologische Abstammung und die Zugehörigkeit zu einer Religion, die nicht aus Indien kommt, Grundlage für eine Identifizierung von "Indigenen" und "Fremden" (Trautmann 1997: XV). Das Hindutva-Konzept wird oft benutzt um Minderheiten und vor allem Muslime zu entfremden und anzufeinden. Der Hinduismus wird instrumentalisiert, um Islam und Christentum als Feindbild zu konstruieren, was häufig in Zusammenhang mit kommunalistischen Konflikten steht.

Neben Befürwortern der Indigenous Aryan Theory gibt es aber auch indische Wissenschaftler, welche die arische Migrationstheorie unterstützen. Diesen Historikern wird von ihren Widersachern unterstellt, sie vertreten neokoloniale oder rein marxistische Ansichten (Bergunder & Das 2002:210 ff.).

Die Debatte zur arischen Migration ist meist von intensiven Emotionen geprägt und als Forschungsgebiet eng mit Ideologie und Politik verknüpft. Eine Kommunikation zwischen den Vertretern beider Lager ist aufgrund der Emotionalität sehr problematisch und existiert daher kaum. Dabei wäre sie dringend notwendig, um ein ausgewogenes Bild von der Frühgeschichte des Subkontinents zu erhalten.

Die Indus-Zivilisation

Die Indus- oder auch Harappa-Zivilisation wurde 1922 durch Ausgrabungen in Mohenjodaro (im heutigen Pakistan) von Rakhal Das Banerji entdeckt. Es wird davon ausgegangen, dass sie sich weit über das Gebiet des Indus-Tals von den Grenzen des heutigen Iran bis zum östlichen Uttar Pradesh, nach Gujarat und dem Tapti Tal erstreckte. Zweifellos ist sie neben Mesopotamien und Ägypten eine der bedeutendsten frühen Hochkulturen und existierte vermutlich um die Zeit zwischen 2500-1700 vor Chr. Die gefundenen Schriften gelten allgemeiner Ansicht zufolge als dravidisch.

Die Theorie von der "arischen Zivilisierung" der dravidischen "barbarischen" Bevölkerung wurde nach Entdeckung der Indus-Kultur revidiert. Stattdessen wurde nun angenommen, dass die indo-arisch sprechenden Einwanderer die hoch entwickelte Zivilisation der Dasa zerstörten.

Doch was zum Ende der Indus-Zivilisation führte, ist unklar. Es wird davon ausgegangen, dass Angreifer im 2. Jahrtausend v. Chr. die Bevölkerung überfallen haben. Dazu wird auf Passagen der Rigveda verwiesen, die von Angriffen der Arier auf andere Bevölkerungsgruppen berichten. Andererseits gilt als gesichert, dass die Zivilisation sich schon zum Zeitpunkt des vermutlichen Überfalls in einer fortgeschrittenen Phase des sozialen und wirtschaftlichen Verfalls befand. Als Ursache des Untergangs wird auch eine Überschwemmungskatastrophe oder eine Verödung der Wasserläufe in Betracht gezogen.

Die Vertreter des Indigenous Aryanism sind anderer Auffassung. Das archäologisch bestimmte Gebiet der Indus-Zivilisation umfasst nach ihrer Ansicht ein nahezu gleiches geographisches Gebiet wie das in der Rigveda beschriebene. Sie nehmen daher an, dass die Indus-Zivilisation indo-arischen Ursprungs war oder zumindest mit ihr koexistierte.

Rajaram und Frawley zufolge bestand die Zivilisation der Rigveda, des so genannten goldenen Zeitalters, schon vor den mesopotamischen und ägyptischen Hochkulturen und wird auf einen weitaus früheren Zeitpunkt von ca. 3700 vor Chr. datiert. Mit diversen archäologischen Funden der Indus-Kultur versuchte man die frühzeitige Anwesenheit der Arier zu beweisen. Diese können extrem unterschiedlich ausgelegt werden.

Eine große Anzahl von Entdeckungen ist weiterhin umstritten, wie beispielsweise die Schrift, deren Entzifferung sicherlich viel zur Lösung der Diskussion beitragen könnte. Antworten auf viele der jahrtausende alten Rätsel, die auch durch Mohenjodaro und Harappa gestellt werden, können bis heute nicht zweifelsfrei gegeben werden. Tragischer Weise ist der Versuch Antworten zu finden in Indien heute ein Politikum, das mit starken Emotionen geführt wird und nicht zuletzt auch – wie es die Ausgrabung unter dem Ort der zerstörten mittelalterlichen Babri-Moschee in Ayodhya verdeutlichten - eng mit Gewalt verbunden ist.

Quellen

  • Bergunder, Michael und Das, Rahul Peter (Hg.). "Arier" und "Draviden". Konstruktionen der Vergangenheit als Grundlage für Selbst- und Fremdwahrnehmungen Südasiens. Halle 2002.
  • Bryant, Edward. The Quest for the Origins of Vedic Culture: The Indo-Aryan Migration Debate. Oxford 2001.
  • Carr, Edward H. What is history? London 1961.
  • Chakrabarti, Dilip K. India. An Archaeological History. Palaeolithic Beginnings to Early Historic Foundations. Oxford 1999.
  • Rajaram, N.S. und Frawley, David. Vedic Aryans and the Origins of Civilisation. A Literary and Scientific Perspective. Quebec 1997.
  • Trautmann, Thomas R. Aryans and British India. New Delhi 1997.

Kommentare

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Arische Migrationstheorie

Posted by: Indigoblau am 06. Februar 2008:

Constanze Weigl hat sich im "Minenfeld" der unübersichtlichen Migrationstheorie verirrt, dies geschah wohl beim Einlesen ins Thema. Sie liegt leider gründlich daneben, wenn sie Friedrich Max Müller in ihrem Artikel des "Rassismus" bezichtigt. Er habe aus seiner Übersetzung der Rigveda - der ersten übrigens die gedruckt in Indien vorlag - "die Existenz einer arischen Rasse ableitet und die Idee einer gemeinsamen arischen Herkunft entwickelt." Dies ist grundlegend falsch. Und es stockt einem der Atem. Max Müller zählt, in den Worten von Michael Witzel (2001), neben Hirt, zu den wenigen Indologen überhaupt, die in dem Ausdruck "Aryan" niemals "Rasse" sahen, sondern mit diesem Begriff stets Sprache und Kultur verbanden. Wikipedia schreibt: Als noch junger Sprachforscher hatte Müller das Sanskritwort „Arier“ Mitte des 19. Jahrhunderts als Bezeichnung einer indo-germanischen Sprachgruppe eingeführt [Anmerkung: von SPRACHE ist die Rede!], doch durch das Buch „Essey sur l’Inégalité des Races Humaines“ des Grafen Arthur de Gobineau (1816–1882) wurde es zum Synonym für die überlegene nordische Herrenrasse. Will heißen, Friedrich Max Müller, der für die Unabhängigkeit Indiens eintrat, hat während seiner Lehrtätigkeit in Großbritannien den Ausdruck „Arier“ (obwohl er nie in Deutsch publizierte, sondern nur englische Artikel schrieb) (deshalb: Aryan) zur Bezeichnung einer Sprachgruppe benutzt (wie es viele von uns mittlerweile tun) – jedoch nie im rassistischen Sinn! Nach Max Müller hat das Goethe-Institut in Indien seine Häuser "Max Müller Bhavan" benannt, allein dies hätte ihrer Autorin zu denken geben müssen; nie und nimmer hätte das Deutsche Goethe-Institut eine seiner Niederlassungen nach einem "Rassisten" benannt. Um zu sehen, welche Freude dieser Mann an Indien und der Sprache des Rigveda hatte, sei die Lektüre seines Buchs: „India – What can it teach us?“ empfohlen, das erstmals 1883 herauskam und bis auf den heutigen Tag in Indien beständig neuaufgelegt wird – mein eigenes Exemplar (Rupa Paperback) habe ich 2007 in Kalkutta für 150 Rupien (ca. 3 Euro) erworben. 1883 gehörte es zur Grundausstattung britischer Studenten. ------------------ Michael Witzel (2001) schrieb in seinem Aufsatz „Autochthonous Aryans?“ (PDF-Datei, Seite 76/77) u. a. über Max Müller: The theory of an immigration into or invasion of S. Asia by speakers of IA, based on the familiar concept of the Hunnic and Germanic invasions of the Roman empire, and the idea of an IE 'race' emerged only later in the 19th century and they were not even generally accepted; for example the concept of an 'Aryan race' was rejected by the now-maligned Indologist Max Müller (1888) or, at length, by the Indo-Europeanist H. Hirt (1907). - Diese PDF-Datei läßt sich herunterladen: http://www.ejvs.laurasianacademy.com/ejvs0703/ejvs0703article.pdf - Ich hoffe mein Einwand hat nicht all zu sehr gestört. Ich wollte ein fatales Mißverständnis beseitigen helfen.

Arische Migrationstheorie

Posted by: Indigoblau am 08. Februar 2008:

Mittlerweile bin ich im Netz auf ein Zitat von Friedrich Max Müller gestoßen, es lautet: "I have declared again and again that if I say Aryas, I mean neither blood nor bones, nor hair nor skull; I mean simply those who speak an Aryan language ... To me an ethnologist who speaks of Aryan race, Aryan blood, Aryan eyes and hair, is as great a sinner as a linguist who speaks of a dolichocephalic dictionary or a brachycephalic grammar." (Zugeschrieben: Friedrich Max Müller: Biographies of Words and the Home of the Aryans. London: Longmans Green 1888, Seite 120). - Das klingt doch nun wirklich nicht nach "Rassist". Ich habe das Zitat einem Internet-Text von D. P. Agrawal entnommen.

Arische Migrationstheorie

Posted by: Indigoblau am 12. Februar 2008:

Es ist unzulässig, Max Müller zu unterschieben, er habe aus seiner Übersetzung der Rigveda „die Existenz einer arischen Rasse abgeleitet“. Die renomierte ENCYCLOPEDIA BRITANNICA bescheinigt Max Müller in ihrer Ausgabe von 1911 (Band 2, Seite 712) einen untadligen Ruf: er habe behutsam darauf geachtet, den in der Sprachwissenschaft (jener Zeit) vieldeutig ausgelegten Begriff Aryan („Arier“), desgleichen den Term ARYAS, nicht mit ethnischen Kriterien zu verknüpfen – und verweist auf das von Müller 1888 publizierte Buch: „Biographies of Words and the Home of the Aryas“, Seite 245: "Aryas are those who speak Aryan Language, whatever their color, whatever their blood. In calling them Aryas we predicate nothing of them except that the grammar of their language is Aryan" (p. 245). It is to be observed, therefore, that Max Müller is careful to avoid any ethnological signification. The Aryas are those who speak Aryan without regard to the question whether Aryan is their hereditary language or not. As he says still more definitely elsewhere in the same work (p. 120), "I have declared again and again that if I say Aryas, I mean neither blood nor bones, nor hair nor skull; I mean simply those who speak an Aryan language. The same applies to Hindus, Greeks, Romans, Germans, Celts and Slaves. When I speak of them I commit myself to no anatomical characteristics. The blue-eyed and fair-haired Scandinavians may have been conquerors or conquered, they may have adopted the language of their darker lords or their subjects, or vice versa. I assert nothing beyond their language when I call them Hindus, Greeks, Romans, Germans, Celts and Slaves; and in that sense, and in that sense only, do I say that even the blackest Hindus represent an earlier stage of Aryan speech and thought than the fairest Scandinavians. ... To me an ethnologist who speaks of Aryan race, Aryan blood, Aryan eyes and hair, is as great a sinner as a linguist who speaks of a dolichocephalic dictionary or a brachycephalic grammer.“ [Ende des Zitats.]

Re: Arische Migrationstheorie

Posted by: Constanze Weigl am 17. Februar 2009:

Sehr geehrter Herr oder Frau „Indigoblau“, erst einmal möchte ich mich für Ihre Kommentare und Hinweise bedanken! Meine späte Antwort beruht darauf, dass ich letztes Jahr im Rahmen meiner Dissertation in Indien war, und weder Zeit noch Möglichkeiten fand, auf Ihren Kommentar zu reagieren. In dem Artikel zur Arischen Migrationstheorie geht es mir darum, die Theorie als auch ihre historischen Hintergründe darzustellen. Und nicht darum, Friedrich Max Müller des Rassismus zu bezichtigen. Aufgrund dessen habe ich den Absatz, der zu solchen Annahmen führt, gelöscht. Zur meiner Rechtfertigung möchte ich anbringen, dass ich mich bei der Erstellung des Artikels auf Sekundärliteratur anerkannter Südasienwissenschaftler verlassen habe. Ich selbst bin Ethnologin, habe in Indien in einem Max Müller Bhavan gearbeitet und auch das von Ihnen genannte Werk Friedrich Max Müllers „India - What can it teach us“ ist mir seit einigen Jahren gut bekannt. Die einzigartige Stellung Friedrich Max Müllers in der deutschen - als auch internationalen - Südasienforschung ist unanfechtbar. Ich bedanke mich für Ihre Bemühungen, Zitate aus renommierten Quellen zu nennen, die deutlich aufzeigen, dass Friedrich Max Müller den Begriff „Arier“ nicht nach ethnischen, sondern ausschließlich nach sprachwissenschaftlichen Kriterien definiert hat.