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25. Oktober 2004. Analysen: Politik & Recht - Indien Sunilam Mishra

Ein Porträt des indischen Lokal-Politikers Dr. Sunilam Mishra

Die Berichterstattung über die gerade zu Ende gegangenen Wahlen zu den Regionalparlamenten der Bundesstaaten Bihar, Jharkhand und Haryana konzentriert sich zumeist auf die in ganz Indien bekannten Politiker wie etwa Laloo Prasad Yadav. Die kandidierenden Lokalpolitiker werden dagegen außerhalb ihres Wahlkreises kaum wahrgenommen. Daher porträtieren wir hier bewusst einen Vertreter aus der weniger berühmten "zweiten Reihe", der aber dennoch in mancher Hinsicht als typisch für die Schicht der Berufspolitiker erscheint.

"Politik ist meine Passion", konstatiert der äußerlich zurückhaltende, feingliedrige Dr. Sunilam, der seinen brahmanischen Kastennamen "Mishra" jedoch nur sehr ungern preisgibt. Er ist Mitglied des Landesparlamentes - Vidhan Sabha - im zentralindischen Unionsstaat Madhya Pradesh und bereits seit gut zwanzig Jahren im politischen Geschäft und damit Teil des politischen Establishments. Wie viele andere Politiker wechselte er die Partei gleich mehrfach und trat auch schon als unabhängiger Kandidat an. Im April 2004 versuchte er, im Distrikt Betul mit Hilfe der Samajwadi Party den Einzug in das indische Unterhaus, der Lok Sabha, aber auch dieser zweite Anlauf ins Zentrum der Macht blieb erfolglos.

Dr. Sunilam, 1960 geboren, studierte Mikrobiologie und machte seinen Abschluss in Australien. Bereits in den frühen 1980er Jahren habe er für indische Verhältnisse außerordentlich gut verdient, habe aber zu Gunsten seiner gesellschaftlichen Vorstellungen und seines politischen Einsatzes seine Karriere als promovierter Mikrobiologe nicht weiter verfolgt.

Zurück in Indien wirkte er zunächst im Lager der seit Jahrzehnten zerstrittenen indischen "Sozialisten", zuletzt im Umfeld des Reformpremiers V. P. Singh, 1989/90, und des ehemaligen Finanzministers und Leiters der Planungskommission, Professor Madhu Dandavate, 1996/97. International bekleidete Sunilam Mishra Führungsfunktionen in der Jugendorganisation der Sozialistischen Internationale. Seit einigen Jahren vertritt er in leitender Funktion die Interessen der Bauernorganisation Kisan Sangarsh Samiti.

Sein Weg der Verwirklichung von Idealen erfordere große Opfer, so Sunilam. Das familiäre Leben lasse sich kaum mit den politischen Aktivitäten vereinbaren. Täglich hält er nach eigenem Bekunden zwischen zehn und 15 Reden. Ob mit einem Lautsprecherwagen in den Dörfern seines Wahlkreises oder als Dauerreisender quer durch Indien, Dr. Sunilam findet Gehör. Vor zwei Jahren sorgte er landesweit für Schlagzeilen, als er im Kampf gegen Korruption bei der Anerkennung von College-Abschlüssen in einen Hungerstreik trat.

Sozialismus bedeutet für Dr. Sunilam vor allem Grundbedürfnisse der Menschen zu decken. Daher kämpft er auf vielen Gebieten: Einerseits engagiert er sich Seite an Seite mit MenschenrechtlerInnen und bedeutenden Sozial-AktivistInnen gegen die Verwirklichung der Aufstauung des Narmada-Flusses in Madhya Pradesh. Andererseits reist er zu Vorträgen und Seminaren, die ihm u. a. die Friedrich-Ebert-Stiftung in Indien und damit der deutsche Steuerzahler finanzieren.

Auch wenn er in der Hauptstadt nur als Provinzpolitiker gehandelt wird, so sind seine Reformvorstellungen realistisch genug, um in Neu Delhi durchaus angehört zu werden. Themenkomplexe wie das im informellen Sektor nicht vorhandene Sozialversicherungssystem, der Bildungs- und Gesundheitsbereich beschäftigen Dr. Sunilam ebenso wie der Kampfgegen Unterdrückung und Korruption. Er verschreibe sich besonders dem Überwinden der gesellschaftlich ansteigenden Egoismen auf Kosten der armen Bevölkerungsschichten.

Gefragt nach der Parteienfinanzierung in Indien - einem absolut undurchsichtigen Bereich - oder fehlender demokratischer Verhältnisse in politischen Parteien gibt er sich als aufgeklärter Stratege. Er spricht offen über den Betrag seiner erfolglosen Lok-Sabha-Kandidatur, die ihn letztlich 400.000-500.000 Rupien (1€ = ca. 55 Rupien) gekostet habe. Die zahlungskräftigere Konkurrenz habe immerhin 10 bis 20 Mio. Rupien benötigt, um den Wahlkampf, zu dem selbstverständlich auch Wahlgeschenke zählen, erfolgreich für sich entscheiden zu können. Wie er bei einem Monatsverdienst von ca. 25.000 Rupien seine Kandidatur finanzierte, sagt er nicht. Es gilt allerdings als offenes Geheimnis, dass dafür die Kasse des Parteivorsitzenden der Samajwadi Party und Ministerpräsidenten von Uttar Pradesh, Mulayam Singh Yadav, sorgte.

Wie gegen viele andere Vertreter der "politischen Klasse" Indiens so laufen auch gegen Dr. Sunilam diverse Ermittlungsverfahren - zur Zeit ca. 135! Diese juristischen Schritte werden allerdings auch häufig von politischen Gegnern angestrengt. Obwohl bislang nicht verurteilt, zählt er damit zum stetig wachsenden Lager der "kriminellen Politiker". Die Tendenz, so sagt er selber, "sei steigend". Neben einer Reihe von Lappalien, so seine eigene Wahrnehmung, wird allerdings auch in einem ernsteren Verfahren gegen ihn ermittelt. Er demonstrierte als Anführer des Kisan Sangharsh Morcha 1998 in Multai, im Betul-Distrikt von Madhya Pradesh. Während einer unübersichtlichen Auseinandersetzung mit den Sicherheitskräften wurden damals 19 seiner Mitstreiter erschossen. Eine im Nachhinein eingesetzte Untersuchungskommission sprach die Schützen frei und lastete Dr. Sunilam an, die Bauern politisch aufgewiegelt zu haben.

"Das Leben eines indischen Politikers ist schwer, wenn er nicht reich, kriminell oder aus der größten Kaste eines jeweiligen Wahl-Bezirkes stammt". Dr. Sunilam hat als Brahmane, der traditionellen Priester- bzw. Gelehrten-Kaste, aufgrund von Spannungen innerhalb des Kastensystems und der damit verbundenen Wahlarithmetik potenziell alle anderen Kastenangehörigen gegen sich. Außerdem verfügt er nach eigenem Bekunden nicht über kriminelle Helfer oder Schläger, die sogenannten "Goondas", weswegen es wohl auch nicht zur Wahl zum gesamtindischen Parlament reichte.

Dennoch, durch seine Visionen zur Verbesserung der Verhältnisse in Betul durch alternative Energien, ökologische Landwirtschaft, dörfliche und städtische Selbstverwaltung findet er politische Unterstützung vor allem unter Jugendlichen, Kleinbauern und interessanterweise gleichzeitig bei landlosen Landarbeitern.

Angesprochen auf seine Motivation, angesichts der immensen Arbeit, bürokratischer Hürden und der juristischen Verfahren, erklärt er mit ruhiger Miene: "I still enjoy this".

Quellen

  • Interview mit Dr. Sunilam Mishra am 23.10.004 in New Delhi
  • Sanjay Sangvai: Farmers Organisation Must Support Narmada Struggle
  • Fasting MLA shifted to hospital, in: The Hindu, 31.3.2002
  • Police firing justified, in: The Hindu, 10.3.2002

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