Beiträge willkommen: suedasien.info versteht sich als vorwiegend deutschsprachiges Informationsportal für die Region Südasien. Wir freuen uns über externe Beiträge zu allen Aspekten der Gesellschaft, Politik, Geschichte und Kultur des Subkontinents bzw. auf die gesamte Bandbreite des vielfältigen und vielschichtigen Lebens in der Region überhaupt. ... [mehr ...]
Call for Papers: Liebe Leserinnen und Leser, in loser Folge möchten wir Spezialisten vorstellen, die langjährig in der und über die Region gearbeitet haben - sowohl im akademischen als auch im nicht-akademischen Bereich - und daher fundierte Einblicke eröffnen können. Ziel ist es dabei entgegen den Trends einer oft schnelllebigen Mediengesellschaft das zumeist Jahre und Jahrzehnte umfassende Schaffen von Wissenschaftlern und Fachleuten in möglichst umfassender Bandbreite sichtbar zu machen, d.h. ein Werk durchaus mit unterschiedlichen Akzentsetzungen, Brüchen oder theoretischen Ansätzen vorzustellen. Die Redaktion freut sich wie immer auf Ihre Vorschläge, Ideen, Anregungen und Mitarbeit an dieser Reihe! ... [mehr ...]
M | D | M | D | F | S | S |
---|---|---|---|---|---|---|
1 | 2 | 3 | 4 | |||
5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 |
12 | 13 | 14 | 15 | 16 | 17 | 18 |
19 | 20 | 21 | 22 | 23 | 24 | 25 |
26 | 27 | 28 | 29 | 30 | 31 |
Die imperiale Zone: In völligem Gegensatz zu der relativ raschen, wenn auch unkontrollierten und unkontrollierbaren Entwicklung im Kernbereich stand die Entwicklung der imperialen Zone. Entfernungen und Windsysteme erzwangen hier gleichermaßen lange Segel- und Ruhezeiten. Entfernungen und Windsysteme machten darüber hinaus die Segelzeiten unberechenbar. Für die östliche wie die westliche Carrera bedeutete dies, dass die errechenbaren Durchschnittszeiten für die Passagen keine realistischen Berechnungsmöglichkeiten boten. Diese Durchschnittszeiten wurden oft um über 50 % über- oder unterboten. Dabei mussten die höheren Übertretungszeiten den realistischen Erwartungshorizont bei der Bestimmung der notwendigen Nahrungsmengen abgeben. Die Dauer der durchschnittlichen Segelzeiten wurde dabei noch durch den folgenden Umstand bedingt: die Schiffe mussten aus Sicherheits- wie auch aus Monopolinteresse im Konvoi segeln. Der portugiesische Historiker Godinho hat die Durchschnittsdauer und die beobachtbaren Abweichungen für die Indienpassage auf der Basis von rund 50 bekannten Fällen zusammengetragen; seine Zahlen zeigen für die Hinreise eine Variation von zwischen 4 und 8 Monaten, für die Rückreise eine Variation zwischen 4 und 9 Monaten 1 . Beides, die durch Distanz und Windsysteme vorgegebene Dauer und ihre prinzipielle Unberechenbarkeit, erzwangen für den regulären Betrieb der portugiesischen Carreira eine extreme Steigerung der Verpflegungsmenge. Die Schiffe mussten normalerweise für 8 Monate Verpflegung und sogar Wasser aufnehmen 2 . Schiffe, die solche Verpflegungsmengen aufnehmen konnten und noch genügend Stauraum aufwiesen, um die Herstellungs- und Betriebskosten in der relativ kurzen Dauer ihrer Existenz zu amortisieren, mussten extreme Größen aufweisen und Güter mit extremen Gewinnspannen laden. Das 16. Jahrhundert wurde deshalb Zeuge der Fortsetzung einer spektakulären exponentiellen Vergrößerung der Schiffskörper. Bis zum Ende des Jahrhunderts hatten sich aus den Karavellen der Entdeckerzeit Giganten mit einer teilweise 12-fach größeren Tonnage entwickelt. Im Bereich der Carrera wurden diese Schiffe Galleonen, im Bereich der Carreira Karacken oder Naos genannt 3 .
Während diese Entwicklung im Falle der portugiesischen Transporte nur anhand von Einzelbeispielen belegt werden kann, liegt für die Amerika-Transporte, für die "Volta", eine umfassende statistische Untersuchung vor. Der Mangel an einer entsprechenden Analyse für die portugiesische Carreira ist nun deshalb bedauerlich, weil die Karacken von allen Zeitgenossen als größer und oft besser als die spanischen Schiffe beschrieben wurden. Wenn ich deshalb im folgenden kurz aus der Untersuchung von Pierre Chaunu zitiere, so deshalb, um eine untere Grenze des portugiesischen Größenwachstums aufzuzeigen. Chaunu hat in seiner monumentalen 6-bändigen Studie "Seville et l' Atlantique" den Größenzuwachs der spanischen Schiffe für die Festlandtransporte für den Zeitraum zwischen 1500 und 1650 statistisch nachgezeichnet. Im Rahmen der Amerika-Transporte vervierfachte sich die durchschnittliche Tonnage pro Schiff innerhalb des Untersuchungszeitraums. Von durchschnittlich 80 Tonnen für den Zeitraum zwischen 1500 und 1550 steigerte sich die Tonnage auf 150 in den Jahren 1560-1570, um zwischen 1575 und 1585 auf über 250 Tonnen zu steigen. Schließlich wurden zwischen 1600 und 1650 350 Tonnen Durchschnittsgröße erreicht.
Diese Größenangaben für die Gesamttransporte verschleiern aber das eigentliche Ausmaß des Größenwachstums im Falle der für den Festlandtransport eingesetzten imperialen, königlichen Schiffe. Um deren Steigerung zu erkennen, müssen wir die Schiffe der imperialen Armada von den normalen Handelsschiffen absondern, die mit ihnen im Konvoi segelten. Dann zeigt sich, dass diese imperialen Schiffe ein Wachstum von 80 Tonnen um 1520 auf 550 Tonnen um 1600 durchliefen 4 . Diese Entwicklung gigantischer Schiffsgrößen kontrastierte völlig mit den Schiffstypen der Kernzone. Deren Warenverkehr vervielfachte sich in dem Zeitraum auf der Basis von Schiffen, die im Durchschnitt Größen von 100 Tonnen aufwiesen. Dies gilt sowohl für die Sklaventransporte, ebenso wie für die Zucker- und Tabaktransporte.
Im Bereich der portugiesischen Hemisphäre war das Größenwachstum noch erstaunlicher. Hier entstanden mit den Karacken und Naos Schiffe, die von den Zeitgenossen als "Berge aus Holz" beschrieben wurden, Schiffe, die von den Zeitgenossen wie Weltwunder bestaunt wurden und die über 1.000, manchmal über 2.000 Tonnen Größe erreicht haben sollen. Indem die Portugiesen dem Problem langer und unberechenbarer Segelzeiten die Strategie des Größenwachstums ihrer Schiffe entgegensetzten, zwang sie diese Entscheidung in ein unlösbares Dilemma hinein. Mit der Steigerung der Schiffsgröße waren sehr bald überproportionale Steigerungen der Bau- und Betriebskosten verbunden. Ein Wettlauf zwischen Frachtraum und Kosten setzte ein. Jedoch der so aufwendig gewonnene zusätzliche Frachtraum blieb stets zu klein, um die enorm gesteigerten Herstellungs- und Betriebskosten zu kompensieren. Die Schiffe, ihre Größe, abnehmende Manövrierbarkeit und zunehmende Verwundbarkeit wurden zu fast tragischen Monumenten imperialer Ambition. De Brito dokumentierte schließlich im 18. Jahrhundert mit seiner Sammlung der spektakulärsten Schiffsuntergänge diese "Historia trágica del mar" - so sein Buchtitel - des Estado 5 .
Ebenso wie das Imperium bei Goa topographisch an die Grenzen seiner politischen Kontrollmöglichkeiten stieß, so stieß das Imperium bei der Vergrößerung seiner Schiffe an die Grenzen seiner epochal verfügbaren technischen Möglichkeiten: "ships outran design". Für die Länge der Masten und Querstangen waren bald keine genügend hohen Baumstämme mehr aufzutreiben; für den Betrieb in den warmen Gewässern des Mar del Sur fehlte es bald an widerstandsfähigem Holz. Schiffe dieser Größenordnung konnten zudem nicht mehr angemessen abgedichtet und kalfatert werden. Nach einem ruinösen Kahlschlag der heimatlichen Holzreserven wurde deshalb die Herstellung der Schiffe bald nach Bassin und Goa übertragen. Billiges und gutes Teakholz wurde von guten und billigen Hinduhandwerkern hier unter Anleitung korrupter königlicher Beamter zu immer teureren und größeren Schiffen verarbeitet. Die portugiesische Carreira wies damit bis zu ihrem Ende einen geradezu tragischen Widerspruch auf: zum ersten Mal stellte sie eine ausschließlich seegetragene Verbindung zwischen Asien und Europa her, aber um den Preis von Frachtkosten, die kaum geringer, eventuell höher waren als die Kosten derjenigen Route, zu deren Schwächung die Portugiesen urs-prünglich angetreten waren. Es misslang den Portugiesen deshalb mit Hilfe von Handelsgewinnen aus der neuen Route beständig mehr und billigen Frachtraum bereitzustellen, das Handelsvolumen der neuen Route zu vergrößern und am Ende einen sich selbst tragenden technischen und ökonomischen Entwicklungsprozess zu begründen. Das Auslösen eines solchen Kreislaufes hätte ihnen die Chance verschafft, die Preise für Asienprodukte auf dem europäischen Markt zu bestimmen und am Ende die alte Handelsroute zusammenbrechen zu lassen.
Die neue, von Portugal geschaffene "merkantile" Verbindung Asiens und Europas beruhte deshalb auf einer Paradoxie: sie hielt in dem Maße, in dem von ihr kein Gebrauch gemacht wurde. Unter den technischen und organisatorischen Bedingungen des 16. Jahrhunderts ließ sich ein neuer Welthandel nur prekär, auf der Basis geringfügiger Mengen, geringer Einkaufs-, hoher Endpreise und großer Gewinnspannen, also mit Luxusprodukten, errichten. Unter Beibehaltung der noch archaischen politischen und vor allem technischen Bedingungen, also ohne die Chance der "Economies of Scale", drohte ein Mengentransfer die Gewinnspannen drastisch zu verringern und zum Zusammenbruch des Systems zu führen. Damit reproduzierte aber das neue Transportsystem die Merkmale des alten 6 . Nach wie vor war der Welthandel also international, glänzend und unbedeutend. Wir werden erst später sehen, dass die Portugiesen die neue Route nicht nur nicht technisch nicht zum Durchbruch bringen konnten, sondern dies politisch nicht wollten und wirtschaftlich nicht mussten. Vorerst aber müssen wir betrachten, wie die Holländer die technischen und organisatorischen Rahmenbedingungen verbesserten, dadurch die neue Route zu einer Gefahr für die alte verwandelten und dadurch wiederum in neue, wirtschaftliche Probleme hineingerieten.
B) Die Holländer
Das Ende des 16. Jahrhunderts war Zeuge der globalen Projektion eines innereuropäischen sektarischen Konflikts. Während Philipp II. Portugal übernahm und damit den überseeischen Kolonialbesitz unter einer Herrschaft bei getrennter Verwaltung arrondierte, war er zugleich mit der Niederschlagung eines protestantisch und nationalistisch motivierten Aufstandes in den Niederlanden beschäftigt. Dieser Krieg weitete sich rasch zum größten Territorialkrieg des 16. Jahrhunderts aus. Die niederländischen Händlergruppen kompensierten rasch territoriale Niederlagen gegen die "Terzios" der spanischen Krone durch den weitgespanntesten Seekrieg der bis dahin bekannten Geschichte. Da sich die portugiesische Welthälfte des iberischen Kolonialimperiums als bei weitem verwundbarer erwies, konnten die Niederländer bald das portugiesische königliche Monopol über den Asienhandel unterlaufen. Während Manila trotz vielfältiger Angriffe nicht fiel, hatten sich die Holländer weite Teile der Moluccensee unterworfen. Bis 1700 übernehmen die Holländer in teilweise jahrzehntelangen Kämpfen fast alle wesentlichen strategischen Stützpunkte der Por-tugiesen. Goa blieb als kraftloses Zentrum des ehemaligen Netzwerks nun verlorener Stützpunkte zurück. Die Kontrolle über die strategischen Handelsplätze und Meerengen ging an die Holländer oder an einheimische Herrscher über.
Bis 1700 hatten die Holländer die wesentlichen Forts der Malaberküste, Ceylon und Malacca übernommen, einheimische Mächte hatten die Kontrolle über Mombasa, Muscat, Ormusz, Chaul und Nagasaki wiederhergestellt 7 . Der Ablauf dieses ersten globalen Seekrieges kann hier nicht interessieren. Hinter dem Pulverdampf der Seegefechte stand aber immer noch der gleiche zwingende, wenn auch unsichtbare Sachzusammenhang extremer Distanzen und Segel-Zeiten. Wir müssen uns für die Veränderungen interessieren, die sich in der Struktur des neuen Transportsystems ergaben. Diese Veränderungen gingen von technischen und organisatorischen Neuerungen der Holländer aus; sie begannen das von den Portugiesen ursprünglich geschaffene und sie bestimmende Weltmodell nachhaltig zu verändern.
Die Portugiesen hatten auf das Diktat extremer und unberechenbarer Segelzeiten mit einem letztlich selbstzerrstörerischen Größenwachstum ihrer Schiffe geantwortet. Diesem Zirkelschluss höherer Kosten und ständig größerer Schiffe entsprach zudem eine Handelsform, die von aggressiven Maßnahmen und der Existenz einer Kette von Stützpunkten geprägt war. Die Holländer stellten der gleichen Aufgabenstellung andere Lösungsvorschläge gegenüber. Bei dem nun folgenden Vergleich müssen wir allerdings berücksichtigen, dass wir auch einen Lernprozess beschreiben. Eine Vergleichssituation liegt jetzt vor, in der nur ein Bestandteil, die Holländer, die künftigen Rivalen, über die Chance der Nachahmung, des laufenden Vergleichs und vor allem des Neuanfangs verfügten: bei ihnen hatten Erfahrungen noch keine unveränderbaren technischen und organisatorischen Traditionen geschaffen. Die Holländer kennzeichnete nun vom Beginn ihres Auftretens in Asien an, dass sie auf das Transportproblem mit einer Kombination verschiedenster Lösungsmöglichkeiten reagierten. Große Entfernungen bewirkten lange Segelzeiten, lange Segelzeiten bewirkten eine hohe Nahrungsmenge, eine hohe Nahrungsmenge bewirkte eine extreme Größe des Schiffes. Der Estado da India hatte sich damit eine "lineare" Problemverkettung und Problemperzeption zu eigen gemacht: Diese Probleme - Distanzen, Segelzeiten, Nahrungsmenge - konnten aber nicht nur mit Hilfe der "iberischen" Lösungsmöglichkeit, der Steigerung der Schiffsgröße, gelöst werden. Indem man entweder die Distanz, die Segelzeiten oder das Eigengewicht verringerte, konnte man der "portugiesischen" Problemverkettung ausweichen:
1. Man konnte versuchen, die Distanzen zu minimieren. Man konnte versuchen, sich auf die nächstgelegenen Kolonien, die Kernzone, zu konzentrieren, um dadurch dem folgenden dreifachen Problemzwang zu entgehen.
2. Man konnte versuchen, die Segelzeiten zu minimieren. Indem entweder schneller, berechenbarer oder ständiger gesegelt wurde, konnte man die durchschnittliche Zeitdauer einer Passage kürzen, um dadurch dem folgenden zweifachen Problemzwang, Nahrungsmenge und extreme Schiffsgröße, zu entgehen.
3. Man konnte versuchen, die Nahrungsmenge zu minimieren. Indem man entweder Matrosen sparsamer verpflegte, indem man Matrosen einsparte oder Nahrungsmengen zwischendurch einlud, konnte man das Eigengewicht des Schiffes verringern, um dadurch dem letzten Problemzwang zu entgehen.
Auf das bisherige Zeitzonenschema mussten diese drei Lösungsstrategien dann in der folgenden Weise einwirken. Eine Konzentration auf die Gebiete der Kernzone übernahm das geltende Zeitzonenschema, wich aber dem von ihm implizierten Problem- und Entwicklungsdruck aus. Eine Verbesserung der Segelzeiten veränderte, optimierte das geltende Zeitzonenschema und dehnte, zukunftsweisend, den Radius der verschiedenen Zeitzonen aus. Eine Verringerung des Eigengewichts übernahm wiederum das geltende Zeitzonenschema, machte aber seine Konsequenz, das Größenwachstum, obsolet. Einer Strategie der selektiven Nutzung des Zeitzonenschemas und einer des "Unterlaufens" stand also eine Strategie der Veränderung, der Ausdehnung, des Zeitzonenschemas gegenüber. Es ist leicht einsehbar, dass die erste Strategie eine rein wirtschaftliche Adaption, die zweite eine technisch-wirtschaftliche Revolution und die dritte eine eher organisatorische Evolution gegenüber dem bislang geltenden "chronometrischen" Zonenmodell darstellte. So unter-schiedlich alle drei Strategien sein mochten, allen drei Strategien war aber gemeinsam, dass sie die von den Portugiesen und Spaniern fast 200 Jahre praktizierte, einseitige und starre Strategie verwarfen. Sie reagierten nicht auf Konsequenzen des Spiels, sondern veränderten seine Bedingungen. Man gewinnt am leichtesten, wo man seine eigenen Regeln setzen kann. Während die Portugiesen ihren Schiffstypus den Bedingungen eines neuen Verkehrssystems anpassten, passten die Holländer, wie wir sehen werden, das neue Verkehrssystem ihrem alten Schiffstypus an. Wir müssen deshalb im folgenden die drei neuen Lösungsstrategien kurz darstellen.
Verkürzung der Distanzen, Beibehaltung des Zeitzonenschemas: Vom iberischen Monopol über das Mar del Sur abgeschreckt, konzentrierten sich die Holländer, aber auch Engländer und Franzosen bereits seit dem 16. Jahrhundert auf die Kernzone. Diese Zone umfasst Gebiete, die von den Spaniern noch nicht entdeckt waren (die Ostküsten Nordamerikas), von ihnen nur formal beansprucht wurden (die südliche Ostküste), oder von ihnen nicht angemessen verteidigt werden konnten (Teile der Karibik). Hauptursache für das letzte ist der Umstand, dass sich beide Kolonialimperien in der mittleren Zeitzone, deren Zugang und Luxusprodukte sie kontrollieren zu können glaubten, vorrangig militärisch und administrativ engagiert hatten. Indem sich Engländer und Holländer auf den Handel mit und schließlich auf die Kontrolle der Kernzone konzentrierten, sicherten sie sich Plünderungschancen bezüglich des Festlandes und der Silbertransporte, einen künftigen Absatzmarkt für Asienprodukte und vor allem einen Plantagensektor für die Befriedigung europäischer Massenbedürfnisse [fussnote: 2853:9:l:8] .
Kürzung der Segelzeiten, Ausdehnung des Zeitzonenschemas: Die Segelzeiten konnte man über verschiedene Verfahrensweisen verkürzen. Man konnte die direkten Wegstrecken zu einem Ziel oder die schnellsten natürlichen Antriebssysteme, Wind-, Wetter- und Strömungsverhältnisse, die zu diesem Ziele hinführen, ausfindig machen. Man konnte zweitens die jeweilige Suche nach neuen Strecken und Windsystemen, also die Möglichkeiten der Orientierung, verbessern. Schließlich konnte man versuchen, das Transportmittel selbst zu beschleunigen. Das Erste setzte die Verbesserung geographischer, klimatischer und meteorologischer Kenntnisse voraus, das Zweite, die aus dem Ersten ableitbare Verbesserung der Kartographie und die Verbesserung der Navigation, das Dritte schließlich, Verbesserungen im Bereich des Schiffsbaus und der Takelage 9 . Alle drei Lösungsstrategien führten aber nicht nur zur Verkürzung der Segelzeiten. Dank verbesserter Bauweise, Navigation und Kartographie konnten die Schiffe nicht nur schneller, sondern auch berechenbarer und ständiger segeln. Die Schiffe machten sich vom Diktat der Liegezeiten und der Unberechenbarkeit frei. Tote Zeit, in der das Schiff ohne Gewinn vor Anker lag, wurde geringer, vor allem aber konnte die Risikomasse an Eigengewicht, jene kostspielige Menge an unnützem Proviant, bedingt durch die Unvorhersehbarkeit der Segeldauer, verkleinert werden. Die ständige Einsatzfähigkeit des Schiffs löste einen neuen Entwicklungsdruck auf dem Land, im Hafen aus. Erst jetzt bestand ein fortwährendes Interesse daran, das Schiff möglichst schnell zu überholen und zu beladen.
Wissenschaftliche und technische Innovationen im Bereich der Kartographie, der Navigation und der Schiffsbautechnik erlaubten also damit, dass die knappe Ressource des Schiffsraums vollständiger genutzt wurde. Die Verkürzung der toten, ebenso wie der Segelzeit bewirkte damit, dass die Passagenlänge schrumpfte und das Zeitzonenschema sich kontinuierlich auszuweiten begann. Die Holländer operierten deshalb im Ablauf des 17. Jahrhunderts in einem Zeitzonenschema, das sich vollständig von demjenigen ihrer portugiesischen Zeitgenossen unterschied: weite Teile des südlichen Amerika und Afrika rückten in den Radius der Einjahrespassagen, weite Teile Asiens in den Radius der Zweijahrespassagen. Die Kernzone und mittlere Zone dehnten sich aus, die Peripherie schrumpfte.
Kürzung der Nahrungsmenge, Unterlaufen des Zeitzonenschemas: Durch sparsamere Verpflegung der Matrosen, durch Einsparung an Matrosen und durch die Einrichtung von Proviantstationen konnte das Eigengewicht des Schiffes verringert und lukrativer Frachtraum gewonnen werden. Bereits seit dem 15. Jahrhunderts hatten sich die Holländer zum größten Frachtunternehmer Nordwesteuropas gewandelt. Dies auf der Basis eines neuen Schiffstyps, der "Fluyt", Flöte. Dieses Schiff war relativ klein, nur selten überstieg es die Größe von 300 Tonnen. Es hatte nur geringen Tiefgang. Beides gestattete es dem Schiff, auf Flüssen, bis weit ins Innere Europas und im Bereich des holländischen Kanalsystems zu operieren. Da die Holländer gezwungen waren, Holz aus Norwegen zu importieren, so mussten sie früh lernen, kostengünstig zu produzieren: frühzeitig gingen sie deshalb, unter partieller Zuhilfenahme von Kränen und Flaschenzügen, zur "Serienfertigung" dieses Schiffstyps über. Um mit Hilfe dieses Schiffstyps den gesamten europäischen und internationalen Frachtbedarf abdecken zu können, erhielt das fertige Standardschiff dann Zusatzvorrichtungen, um es für den Weizen-, Holz- und Atlantikhandel, für Herings- oder Walfischfängerei, einzurichten. Die Schiffe waren damit nicht nur billig, sondern auch vielseitig. Bei größeren Handelsunternehmungen segelten sie in der Form des funktionsteiligen Konvois. Im Falle des Überseehandels wurden oft reine Transportschiffe, beschützt von zwei Kriegsschiffen, eingesetzt 10 .
Die geringen Produktionskosten führten direkt und indirekt zu geringen Bedienungskosten: da es sich um Serienschiffe handelte, war ihre Bedienung leicht und damit leicht zu erlernen. Auf ausgebildete, teure Matrosen konnte oft verzichtet werden. Zusätzlich sorgte die leichte Bedienungsweise und der Einsatz von Flaschenzügen bei der Segelsetzung für eine weitere Einsparung an Arbeitskräften. Beides, geringerer und leichterer Arbeitsaufwand führten dazu, dass wenige, unqualifizierte und billige Arbeitskräfte eingestellt werden konnten: es mussten also weder große Nahrungsmengen eingeladen werden, noch konnten ständig auswechselbare Hilfskräfte hohe Ansprüche an die Nahrung stellen. Es nimmt deshalb nicht wunder, dass die zeitgenössischen Betrachter, vor allem die konkurrierenden Engländer, mit immer gleichem Erstaunen auf zwei Dinge hinwiesen: auf die Fähigkeit der Holländer, das in ihre Städte abgewanderte Lumpenproletariat Deutschlands und Polens in ihren Schiffen arbeiten zu lassen und die Kärglichkeit, der ihnen auf den Schiffen gegebenen Nahrung und Kleidung 11 . All das musste auch auf relativ kleinen Schiffen noch einen genügend großen Prozentsatz an billigem Frachtraum lassen und den Holländern unüberbietbare Vorteile im europäischen und atlantischen Transportgeschäft verschaffen.
Auf den Schiffstyp der Fluyt, ihre fortschrittlichen Herstellungsformen und diese Möglichkeit der Kostensenkung griffen die Holländer auch bei der Herstellung und dem Betrieb ihrer Asiensegler zurück. Eine radikale Senkung des Eigengewichtes ihrer Asienschiffe aber verdankten sie dem Unterlaufen des Entfernungsdiktats: auf halbem Weg zwischen Holland und Indonesien errichten die Holländer mit Kapstadt eine rasch autarke und dann sehr bald Nahrungsüberschüsse für die Asienkonvois produzierende Siedlungskolonie. Alle Asienkonvois mussten auf der Hin- wie auf der Rückreise hier anlegen und Wasser und Nahrung aufnehmen. Die Siedler waren Angestellte der VOC und mussten zu geringen, von ihr festgelegten Preisen, die notwendigen Nahrungsmengen verkaufen. Zurecht wurde Kapstadt bald das "Gasthaus der zwei Meere" genannt. Auch die englischen Schiffe konnten diesen strategischen Vorteil nutzen, da die Holländer es nicht wagten, den Engländern den Zugang zu dieser Proviantstation zu verwehren. Ein ohnehin geringes Eigengewicht der Schiffe konnte durch diesen Wegposten nun im Idealfall halbiert werden 12 .
Wir haben den portugiesischen Estado da India an seinem vorläufigen Endpunkt verlassen. Dies war der Zeitpunkt, an dem der Bau stets größerer und teurerer und deshalb immer wenigerer Schiffe deutlich machte, dass unter der Vorherrschaft der Portugiesen weder der Frachtraum im Bereich der neuen Route gesteigert noch die Frachtkosten dramatisch gesenkt werden konnten. Die Portugiesen konnten mithin weder eine Relokalisierung noch eine Größensteigerung des Asienhandels auslösen. Damit konnten sie auch das Preisgefüge an den europäischen Asienmärkte nicht senken. Sie konnten das auch nicht wollen. Geringere Gewinnspannen bei fehlender Mengensteigerung hätten rasch das prekäre Finanzierungsgerüst der Carreira zum Einsturz gebracht. Im 16. Jahrhundert operierte damit die Carreira im Schatten der alten Handelswege; deren Produkte und Händler dominierten und bestimmten nach wie vor die Märkte und Preise in Europa. Die portugiesische Krone zeigte keinerlei Interesse, deren Preisgestaltung zu unterlaufen. Das wenige, das sie zu hohen Kosten nach Europa schaffte, wollte sie so teuer wie möglich verkaufen.
Auf der Seite der technischen Problemzwänge haben wir vielerlei Gründe für die Unmöglichkeit eines Mengentransfers und einer Ökonomie der Größensteigerung gefunden: Länge und Unberechenbarkeit der Passage; Herstellungskosten, Betriebskosten und Verwundbarkeit der Schiffe; Knappheit des verfügbaren Frachtraumes und in Konsequenz dieser Rahmenzwänge und Kosten die Notwendigkeit, sich auf Luxusprodukte zu stützen. Dies waren Güter, die über gewaltige Spannen zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis verfügten - 1:5 bis 1:20 und mehr - und die bei geringfügigem Volumen extrem ("absolut") hohe, also nur in Silber oder Gold bezifferbare Endpreise erzielten. Es handelte sich mithin um Prestigegüter, die wie das Prestige selbst nur dann ihren sozialen Wert behielten, wenn sie äußerst knapp blieben. Dennoch bleibt die Frage, warum der Estado diese Probleme nicht entschiedener in Angriff nahm, ob jenseits der Unmöglichkeit, sie zu lösen, auch noch eine Unwilligkeit bestand. Konnten oder wollten die Portugiesen die neue Route nicht über die alte triumphieren lassen?
Wenn wir dieser Frage nachgehen, müssen wir neben der bislang schematisch unterstellten Konkurrenz auch die Koexistenz und das Zusammenspiel von neuem und altem Transportsystem betrachten. Die portugiesischen Entdecker, die gegen Ende des 15. Jahrhunderts an der Malabarküste und bis 1512 in allen wichtigen Seehandelsstädten Asiens mit der alten Handelsroute in Konkurrenz traten, machten nacheinander dreierlei Erfahrungen: sie erfuhren, dass ihre neue Route weder im Frachtraum noch in Kosten einem Wettbewerb mit der alten standhielt. Sie erfuhren sehr rasch, dass in der Mehrzahl der Fälle die zumeist islamischen Händlergruppen und die von ihnen abhängigen Entrepôt-Könige ihnen den Zugang sowohl zu den Waren wie zu den Kreditmärkten versperrten und sie erfuhren, dass Asienprodukte nur gegen Silber und Gold, nicht gegen eigene, europäische Waren einzuhandeln waren. Ihnen fehlte sowohl Kapital, der Zugang zu den Märkten und eine schlagende Wettbewerbsfähigkeit im Rahmen einer neuen Route. Dieser dreifachen Benachteiligung, die sie um den Lohn einer 80-jährigen Investition und Anstrengung zu bringen drohte, stand aber eine eben durch diese Anstrengung zwangsläufig entstandene Chance gegenüber: die Portugiesen verfügten jetzt über Schiffe, die größer und gefährlicher waren als alle anderen, die bisher auf der alten Route segelten. Diese maritime Gewaltchance erlaubte ihnen die bereits erwähnte fortdauernde Entscheidungsfreiheit zwischen friedlicher und aggressiver Konkurrenz. In den entscheidenden 15 Jahren der Begründung des Estado da India erlaubte der Einsatz, das Exempel oder nur die Androhung von Gewalt den Portugiesen ihre dreifache Benachteiligung gegenüber dem alten Handelssystem zu überwinden. Durch Gewalt sicherte sich der Estado die Verfügung über das notwendige Kapital und den Zugang zu allen wichtigen Märkten und Meerengen, durch beides konnte er eine künstliche Konkurrenzfähigkeit der neuen Route sichern. Nicht nur das diese Gewaltmaßnahmen begannen den traditionellen Asienhandel zu schwächen 13 .
Von Sofala bis Macao und Nagasaki begannen die Portugiesen ein System von Stützpunkten und Niederlassungen zu errichten, das eine verwirrende Skala aller möglichen Spielarten des ungleichen Tausches abbildete. Dem Goldstaub exportierenden Hafen von Sofala wurde ein Tributvertrag oktroyiert; durch die Kontrolle des Hafens Ormusz am Eingang des Persischen Golfes und durch einen Vertrag mit dem Shah sicherten sich die Portugiesen die Kontrolle über den Export der persischen Silberlarinen nach Osten; durch Verträge mit den Chinesen und Japanern kontrollierten sie in Macao und Nagasaki den Exporthandel des Japansilbers, ein Transfer, dem nach 1580 auch noch das Silber der spanischen Manila-Galeone hinzugefügt wurde. Durch Verträge und Militärhilfe gegenüber rivalisierenden Entrepôt-Magnaten, durch Beschuss, Blockade, Festungsbau und Eroberung feindlicher Entrepôt-Plätze sicherten sie sich an der Malabarküste, in Colombo und Malacca, den Zugang zu den Waren, vor allem den Gewürz-, aber auch den Kreditmärkten. Dennoch setzte sich beides nicht zu einer stetigen Ausweitung und Bedeutung der neuen Handelsroute um.
Im Schatten der zahlreichen ungelösten und noch unlösbaren technischen Probleme zeigte sich nach 1512 ein gegenläufiges Interesse. Die Gewaltchance wurde nicht genutzt, um die Wirtschaftlichkeit der neuen Route zu steigern und die der alten zu schädigen, sondern die Gewaltchance wurde zur zunehmenden Kontrolle, Ausbeutung und Nutzung der alten Route eingesetzt. Die Gewaltchance manifestierte sich in einem System von Stützpunkten und Schiffspatrouillen, von Zollabgaben, Handelslizenzen und Monopolstrecken. Sofala, Mocambique, Mombasa, Muskat, Ormusz, Diu, Daman, Bassin, Chaul, Goa, die Malabar-Stützpunkte, Colombo, Malacca, Macao und Nagasaki bildeten die Zollstationen eines Kontrollnetzes, mit dessen Hilfe man den alten asiatischen Seehandel einfing und besteuerte. Die portugiesische Krone stützte sich administrativ, politisch und finanziell auf dieses System: aus dem Verkauf der jährlich festgelegten, begrenzten Mengen an Pfeffer und anderen Produkten, die sie über die neue Route erhielt, erzielte sie weniger Gewinn als aus dem System des Ämterverkaufs, der Verpachtung von Monopolstrecken und des "Verkaufs" von (Monopol-)Handelsreisen. Das Interesse der Krone richtete sich deshalb auf die Beibehaltung des alten, nicht mehr auf den Ausbau und die Durchsetzung des neuen Transportsystems 14 .
Das portugiesische System des Asienhandels operierte damit gleichzeitig in zwei Sphären. Während es über Zollkontrollen und andere Interventionen die Endpreise im alten System erhöhte, profitierte es von dieser Erhöhung über die im Rahmen des neuen Systems transferierten kleinen Gewürzmengen. Das Doppelsystem verharrte in einer prekären Balance: eine zukunftsträchtige, revolutionäre Alternative wurde aufrechterhalten, aber um den Preis und unter der Bedingung, sie nicht zum Durchbruch zu bringen. Zugleich war das System fast maßgeschneidert für den sozialen, politischen und kulturellen Hintergrund seiner Trägergruppen. Es operierte nicht nach den wirtschaftlichen Mechanismen und Werten der Konkurrenz, der Leistung und Innovation, sondern nach den machtpolitischen der Dominanz, der Tapferkeit und der Intervention. Auf der Basis dieser drei Mechanismen und Werte konnten sich die drei entscheidenden Trägergruppen des Imperiums, Monarchie, Aristokratie und Kirche, wechselseitig verständigen. Für die Krone bildete das Zollnetz ein Imperium, für die Aristokratie ein Kreuzzugs- und feudales Karrierefeld und für die Kirche ein Missionsgebiet. Das System repräsentierte, regulierte und stabilisierte einen ständischen Verteilungskampf. Die Krone profitierte von ihm über das Gewürzmonopol und den Ämterverkauf, die Aristokratie durch die Besetzung lukrativer Ämter, die Kirche - und die Orden - von der Kontrolle über einige der Monopolreisen. Diese Entscheidung für das alte, gegen das neue Handelssystem entlastete die portugiesische Krone von dem Konkurrenzzwang und damit dem Druck neuer technischer, wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Problemlösungen. Diesen Gewinn an Ruhe und Routine bezahlte sie um den Preis einer "histoire manquée", sie verspielte mit dieser einmaligen Entwicklungschance nicht nur ihre künftige Stellung im Asienhandel.
Vor dem Hintergrund dieses historischen Interessen-, Standes- und Entwicklungskompromisses können wir aber die wirtschaftlich kontraproduktiv wirkende Strategie der Schiffsvergrößerung anders einschätzen. Wenn die Sonne sinkt, wirft sie einen langen Schatten, und im gesamten Verlauf des späten 16. Jahrhunderts sehen wir, wie die Portugiesen unter immer schwierigeren Bedingungen an der seit 1420 begonnenen Strategie der (Schiffs-) Größensteigerung unbekümmert festhielten. Unter den Bedingungen eines Kontrollimperiums, in dem militärisch-politische Gesichtspunkte stets ökonomisch-merkantile überwogen und das von Europa aus nur schwierig zu erreichen und kaum zu kontrollieren war, wies aber der portugiesische Schiffstyp bestimmte Vorzüge auf. Bei allen drei Aufgaben, für die die Schiffe eingesetzt wurden, überwog der Vorzug ihrer Größen und ihres Gewaltpotentials anscheinend die Nachteile ihrer Kostenexplosion. Die Schiffe dienten der Sicherung der Verbindung zwischen Goa und Lissabon, dem Gütertransport auf den Monopolreisen in Asien, der Verteidigung der Stützpunkte und der Einschüchterung der Gegner.
In allen drei Bereichen kam der Angriffs- und Verteidigungsfähigkeit der Schiffe im Verlaufe des 16. Jahrhunderts steigende Bedeutung zu. Diese Fähigkeit richtete sich nicht nur gegen die alten, niedergeworfenen oder zurückgedrängten asiatischen Gegner, sondern gegen die neuen holländischen und englischen Rivalen. Die Schiffe wurden aber auch teurer und größer, weil sie sich immer stärker zu waffenstarrenden Festungen entwickelten. Für die Portugiesen war diese Größensteigerung die einfachste schiffsbautechnische Möglichkeit, einen steigenden Grad der Bewaffnung durchzusetzen. Sie verfügten weder wie die Niederländer über die Tradition des funktionsteiligen Konvois, noch wie die Engländer über die schiffsbautechnische Innovation, "race-built-ships" zu bauen, auf der Breitseite bewaffnete Schiffe ohne riesige Kastellaufbauten, die kleiner und wendiger waren 15 . Stattdessen stapelten sie vorn und hinten riesige Kanonendecks übereinander, die eine Vergrößerung des Schiffsrumpfs notwendig machten, ohne dass dadurch das Schiff wesentlich stabiler oder manövrierfähiger wurde. Die dadurch gewonnene Ladefläche diente auf den Monopolstrecken dem Transport asiatischer Produkte, während die Carreira den Transport der Truppen nach Goa und den Rücktransport des königlichen Pfeffers nach Lissabon übernahm 16 .
Die Steigerung des Transportraums verbindete sich mit der Steigerung der Verteidigungsfähigkeit. Das Größenwachstum löste das Problem mangelnden Frachtraums, schwer zu findender Mannschaften und zunehmender militärischer Verwundbarkeit. Es löste alle diese Probleme unvollständig, kurzfristig aber nicht langfristig - gegenüber einer zunehmenden holländischen und englischen Konkurrenz. Aber diese Strategie des Größenwachstums entsprach einer Entwicklungstradition, die sich seit mehr als einem Jahrhundert bewährt hatte. Die (Größen-)Steigerung des immer Gleichen war einfacher als die organisatorische oder schiffsbautechnische Innovation. Dieser Konservativismus entsprach auch den begrenzten Verwaltungs- und Kontrollmöglichkeiten der Krone. Im Rahmen einer stets korrupten und fernen Verwaltung war es anscheinend leichter, einzelne große Schiffe bauen, ausrüsten, bemannen und kontrolliert segeln zu lassen als viele kleine.
Fortsetzung: Kolonialisierung als Lernprozess (III)
[ 1 ] V. M. Godinho: L'Economie de l'Empire Portugais aux XVe et XVIe siècles, L'or et le poivre, Paris 1958, S.871-374.
[ 2 ] G. Schurhammer: Franz Xavier, Sein Leben und seine Zeit; Stuttgart 1955.
[ 3 ] Die wohl beste Darstellung dieser Entwicklung findet sich bei C. R. Boxer: Fidalgos ..., S. 12-13: "Up to about 1540, both Naós and galleons were of less than 400 tons burthen, but during the reign of Dom John III, the former type frequently attained 800-900 tons. Experience showed that these unwieldy Carracks, overladen and overcrowded as they usually were, proved inferior in seaworthy qualities to ships of smaller tonnage. Accordingly the next monarch, Dom Sebastian, promulgated a law in 1570 to the effect that no Naó da Carreira da India should be of less than 300 or more than 450 tons. This measure was apparently successful, as according to one seventeenth-century authority not a single one of these carracks suffered shipwreck during this King's otherwise unfortunate reign. Under the Spanish domination of 1580-1640, this rule was allowed to lapse, and a pernicious reversion was made to the practice of building annually two or three large Naós of over 1.000 tons each, instead of five or six galleons of between three and five hundred. The shipwreck rate immediately rose alarmingly; and Severim de Faria alleges that of twenty-two ships (including seventeen Naós) which left India in the years 1591-1592, only two reached Lisbon. It is no wonder therefore that many of the experienced Portuguese officers supported Admiral Joào Pereira Corte-Real when in 1622-1635 he tried hard to persuade the Iberian government to revert to the tonnage laid down by the law of 1570, but his efforts were only partly successful. In fact in some ways the Position worsened; for whereas galleons had formerly rarely exceeded 600 tons, some were now built of 800, 900, or even 1.200 tons. The famous 1.200 ton Santa Tereza, destroyed by the Dutch at the battle of the Downs in 1639, is called Naó or Carrack in some contemporary accounts, and galleon in others. Before 1622, Portuguese Naós had usually four flush decks, but smaller types of three or even two were also built, und these latter were sometimes called Navetas. Here again is another source of confusion, as the term naveta was also applied to small frigate-type India-built vessels which contemporary Dutch and English records call "yachts" or "frigates". The Naó was however a distinctive feature of Portuguese naval architecture, and no other nation built such „mountains of wood" as Corte-Real scornfully termed them. Even the Treasure ships from the Spanish Main were not so large, and a contemporary writer asserts that a Portuguese Indiaman could take four times as much cargo as the largest Spanish galleon on the Atlantic run."
[ 4 ] P. Chaunu: Seville et l'Amérique, XVIe et XVIIe siécles, Paris 1977. Tabellarische Zusammenfassung des 12-bändigen Werkes "Sevilla et l'Atlantique, 1504-1650", Paris 1955-1960; Tabellen: Types des Navires S. 242; Nombre des Navires S. 254; Au Depart d'Espagne et des Canaries S. 274 + 282.
[ 5 ] Ein Beispiel sei angeführt: Die 1592 vor den Azoren, während ihrer Rückreise von Indien aufgebrachte Madre de Dios: "The carrack being in burden by the estimation of the wise and experienced no less than 1.600 tons, had full 900 of these stowed with the gross bulk of merchandise, the rest of the tonnage being allowed, partly to the ordnance which were thirty-two pieces of brass of all sorts, partly to the passengers and the victuals, which could not be any small quantity, considering the number of persons betwixt 600 and 700, and the length of the navigation ... After an exquisite survey of the whole frame he (Adams) found the length from the beakhead to the stern (whereupon was erected a lan-tern) to contain 165 foot. The breadth in the second close deck whereof she had three, this being the place where there was most extension of breadth, was 46 foot and 10 inches. She drew in water 31 foot at her departure from Cochin in India, but not above 26 at her arrival in Dartmouth, she being lightened in her voyage by diverse means, some 5 foot. She carried in height seven several stories, one main orlop, three close decks, one forecastle and a spardeck of two floors apiece. The length of the keel was 100 foot, of the mainmast 121 foot, and the circuit about the Partners 10 foot 7 inches; the mainyard was 106 foot long. By which perfect commensuration of the whole, far beyond the mould of the biggest shipping used among us either for war or receit (trade)."
Vermessungsbericht des Captain Richard Adams zitiert bei C. R. Boxer: The Portuguese Seaborne Empire, London 1977, S.208. Vergrößerung der Schiffe: "For the first thirty Years of the carreira most of the Portuguese Indiamen, whether carracks or galleons, were of about 400 tons burthen, The annual outward-bound fleets then averaged from seven to fourteen sail, but the homeward-bound fleets were often half that number, as many ships were retained for service in Asian seas. By the middle of the sixteenth Century the size of most of the Indiamen had increased to between 600 and 1.000 tons, and the average number of ships in the yearly fleet had dropped to five. During the last quarter of the sixteenth Century monsters of up to 2.000 tons were built at Goa, Lisbon and Oporto. The Spanish naval commander-in-chief, Don Alvaro de Bazán, writing in 1581, observed that the Portuguese Indiamen sailing that year were each of 600 Portuguese tons, 'which amount to over 1.200 Castilian'. Forty years later a patriotic Portuguese writer boasted that the cargo of a single Portuguese East Indiamen discharging at Lisbon was greater than that of four of the largest Naós in the Spanish transatlantic trade."
Verteuerung des Schiffbaus: "The superiority of Indian teak over European pine and oak for shipbuilding purposes was early recognised by the authorities at Lisbon and Goa, but there was not such unanimity as to whether it was cheaper to build ships for the carreira in Portugal or in India. A royal order of 1585, repeated textually nine years later emphasised the importance of building carracks for the carreira in India rather than in Europe, 'both because experience has shown that those which are built there last much longer than those built in this kingdom, as also because they are cheaper and stronger, and because suitable timber for these carracks is increasingly hard to get here'. Later experience showed that although India-built ships were certainly stronger, they were not always cheaper than those constructed in Europe. One reason for this was that the governors of Portuguese fortresses on the west coast of India, whose perquisites usually included the felling and sale of the local timber, habitually charged the Crown outrageous prices for the same. The captains of Bacaim and Damào, wrote the Viceroy of India in 1664, priced their timber at forty xerafines the candil, although it had only cost them five. European cordage was also more satisfactory than most of the Asian varieties." C. R. Boxer: The Portuguese ...; S, 207- 209;
Verlagerung des Schiffbaus: "The best and most seaworthy of these Naós were built in the Indo-Portuguese yards at Goa, Damào, Bassein and Cochin, those of the last two places being the most esteemed on account of the excellent teak wood of which they were constructed. The yards at Lisbon and Oporto built both carracks and galleons, but it was realized that the pinewoods of Portugal provided inferior material to the teak forests of Malabar; and instructions were repeatedly issued from Lisbon for the construction of ships in India in preference to Europe. A somewhat similar state of affairs prevailed in the Philippines, where the superiority of locally-built vessels over those built in Spain was often pointed out. But even the Spaniards at Manila preferred India-built Portuguese ships when they could get them, as exemplified by the remarks of Navarrete in his Tratados of 1676." C. R. Boxer: Fidalgos .... S. 13;
Vergrößerung und Unfallhäufigkeit der Schiffe fallen zusammen: "Toutes ces difficulés se retrouvent dans le tableau des pertes. Pour la Carreira da India, 15 % des navires coulés corps et biens par rapport à l'ensemble des voyages recensés - 12 %: pertes de mer, 3 %: pertes de guerre. C'est dire que les éléments sont quatre fois plus à redouter que la méchanceté des hommes. Le tribut est beaucoup plus lourd entre 1589 et 1622. Les épisodes cruels de ces années terribles ont inspiré la fameuse Histoire tragique de la mer. Les agonies spectaculaires du São João Baptista en 1622 ont fourni des thèmes à l'expression littéraire. Le pourcentage des pertes dans la Carrera est moindre: 5,05 % de 1551 à 1600, 3,07 % de 1601 à 1650. Compte tenu de ce qui a échappé on peut le placer entre 6 et 7 %. Dans l'ensemble, ce niveau se situe à 40 % du niveau des pertes subies dans l'océan Indien portugais. Mais la répartition entre pertes de mer et pertes de guerre n'est pas sensiblement différente: 412 d'un côté, 107 de l'autre, le 4/5-1/5, très exactement de la Carreira da India. Ce rapport est celui, en gros, des difficultés. On a pu dresser une géographie, une chronologie et un rythme saisoniier de la mort en mer."
P. Chaunu: Conquête .... S. 288.
[ 6 ] "L'expansion européenne aboutit à la première ébauche timide d'une mince pellicule d ' economie-monde qui recouvre des mondes cloisonnés et des économies désarticulées. Le moteur de cette expansion est constitué par les gradients fabuleux de valeurs dissemblables Les éventails de ces valeurs s'ouvrent de I à 5, de I à 10, de I à 20, de I à 50... et, d'une extrémité a l'autre du monde, de I à 100. La mise en communication du monde tend à les réduire. La réduction des écarts est un facteur favorable. Pour le blé, en Europe, l'écart du Nord au Sud passe en un siècle de 7,5 à 4. A moins d'une mutation des moyens de transport, la réduction des disparités des prix entraine un retour au cloisonnement." P. Chaunu: Conquête et ..., S. 330.
[ 7 ] Die beste Gesamtdarstellung bietet: C. R. Boxer: The Dutch Seaborne Empire, London 1977, Kapitel 1 und 2.
[ 8 ] J. H. Parry: op.cit., Kapitel XV.
[ 9 ] Kartographie: L. Bagrow: Geschichte der Kartographie, Berlin 1951, S. 47-100; Navigation: J. Kandier: Nautische Instrumente München; 1978; U. Granzow: op. cit.; Schiffbau: J. H. Parry: Trade and Dominion, The European Overseas Empires in the 18th Century, London 1971.
[ 10 ] C. R. Boxer: The Dutch ..., S. 20.
[ 11 ] ibid.: Verpflegung: S. 67-68; Anwerbung: S. 81-82.
[ 12 ] Umfassende Beschreibung Kapstadts: O. F. Mentzel: A Geographical-topographical Description of the Cape of Good Hope, 2 Vols., Glogau 1785, Cape Town 1925.
[ 13 ] Zahlreiche Beispiele für die sich aus dem neuen Schiffstyp ergebende Gewaltchance lassen sich in einem anonymen Bericht der 2. Reise Da Gamas finden. Die beiden folgenden Beispiele spielen vor der Malabarküste.
Gewalt gegen Entrepôtherrscher: "Bei unserer Ankunft erhielt der Admiral eine Botschaft, die nicht so war, wie er erwartet hatte. Und Sonntag früh befahl er sechs Schiffen, so nahe wie möglich zur Stadt zu fahren, um, wenn der König nicht tun wolle, was Recht wäre, ihm allen möglichen Schaden zuzufügen. Und so war's Sonntag den ganzen Tag und blieb so bis Montag. Montag wartete der Admiral bis Mittag, denn so hatte er es dem König sagen lassen. Und als der Admiral in dieser Stunde sah, daß vom König keine Botschaft kam, nahm er zweiunddreißig Mauren, die er in einer Sambuke gefangengenommen hatte, und befahl, sie auf den Schiffen aufzuhängen, damit man sie von der Stadt sehen könne. Als sie aufgehängt waren, wurden Geschütze abgefeuert, und wir sahen Palmen und Häuser einstürzen. Am Nachmittag befahl der Admiral, alle Mauren herunterzunehmen und ihnen die Köpfe, Hände und Füße abzuschneiden und alles mit Ausnahme der Körper, die sie in das Meer warfen, mit einem Brief in ein kleines Boot zu legen. Er ließ das Boot an das Ufer laufen, und als es ans Ufer kam, kamen viele Mauren hin und nahmen den Brief. Und danach schoß er neuerdings bis in die Nacht und am nächsten Tag bis Mittag. ... (später) kamen zwei Adelige aus Calicut mit der Botschaft des Königs zum Admiral, er wünsche mit ihm Frieden und Freundschaft zu halten." Vasco da Gama: op.cit., S. 107, 112.
Gewalt gegen Schiffe einheimischer Händler: "Der Admiral erhielt Nachrichten, daß Mekkaschiffe kämen, und inzwischen stachen wir mit der Flotte in See, und als wir zwei Tage im September gefahren waren, sichtete das Schiff S. Gabriel ein Schiff, fuhr hin und überfiel es. Und das Schiff war von Mekka und führte 200 Seelen. Und sie schätzten das, was sie darin erbeuteten, auf 25 000 Cruzados. Und als sie das gesamte Geld mit allem, was sie besaßen, ausgeliefert hatten, verbrannten und erschlugen sie alle, so daß nur 17 kleine Knaben blieben, die sie bekehrten. Dienstag den 13. Dezember, kam die Karavelle, auf der sich der Admiral befand, aus Cananor an mit der Nachricht, Vicente Sodré lade in Cananor und er habe dort im Meer drei große Schiffe gekapert , die mit Reis beladen waren; man biete ihm für eines 3000 Cruzados, und die ganze Besatzung und was darauf sei, kaufe sich los."
ibid.: S. 106, 111.
[ 14 ] Diese Einschätzung des "Estado da India" findet sich bei: D. Rothermund: Asian Trade and European Expansion in the Age of Mercantilism, New Delhi 1981, Kapitel 4: ''Maritime Protection Rent; The Portuguese System"; siehe auch: N. Steensgard: op.cit. „Estado da India", S. 81-95.
[ 15 ] D. Howarth: Die Kriegsschiffe, Amsterdam 1979.
[ 16 ] Probleme der Beschaffung des königlichen Pfeffers: Jan Kieniewicz: Portuguese Factory and Trade in Pepper in Malabar, in: Economic and Social History Review, VI, l, 1969; Probleme der Vermarktung des königlichen Pfeffers: N. Steensgard: op.cit., S. 97-103.
Dieser Beitrag gehört zum Schwerpunkt: Südasien-Experten Spezial: Jakob Rösel .
Kommentare
Als registriertes Mitglied können Sie einen Kommentar zu diesem Beitrag verfassen.