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21. August 2010. Analysen: Sri Lanka - Politik & Recht Schmuggel- und Bildungstradition, Diasporanetzwerke und Globalisierung: Rahmenbedingungen für den Terror der Tamil Tiger (LTTE) (I)

Anfang der 70er Jahre haben auf der Halbinsel Jaffna im Norden Sri Lankas tamilische Studenten die Tamil Tigers Organisation begründet. Vor allem diese "Tiger" haben einen inzwischen mehr als 30-jährigen Aufstand und ethnischen Bürgerkrieg ausgelöst.

Mit den "Tamil Tigers" ist eine Terrororganisation entstanden, die zu den weiträumigsten, effektivsten und zugleich geheimsten Gewaltorganisationen der Welt zählt. Selbstverständlich weisen die Tamil Tiger die Bezeichnung Terrororganisation mit größter Empörung zurück: Sie bezeichnen sich als "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE). Von Studentenpolitikern während der 70er Jahre gegründet, richteten sich ihre Aktivitäten von Anfang an auf die Errichtung eines eigenständigen Staates, eines Homeland, "Eelam", für die seit mehr als tausend Jahren im Norden und Osten siedelnden, überwiegend hinduistischen Tamilen der Insel. Erste politische Morde und Angriffe auf Banken der militanten Studentenorganisation verschafften die Waffen und Ressourcen für lokale Guerillaaktionen (S. Ponnambalam 1983).

Erste politische Morde richteten sich bewusst auf Tamilen, die mit den herrschenden singhalesischen Parteien und dem singhalesischen Staatsapparat kooperierten. 1983 attackiert die LTTE einen singhalesischen Militärstützpunkt auf Jaffna. Die herrschende singhalesische Regierungspartei, die UNP inszeniert darauf hin ein inselweites Pogrom an den tamilischen Minderheiten, die im singhalesisch dominierten Teil der Insel siedeln. Damit tritt die tamilische Irredenta und die Sezessionsbewegung in die Phase des offenen ethnischen Bürgerkriegs ein. 18 % der inzwischen 20 Millionen starken Inselbevölkerung sind Tamilen. Zwei Drittel dieser rund drei Millionen Tamilen sind Sri Lanka-Tamilen, sie siedeln seit mehr als 1.000 Jahren im Norden und Osten der Insel, seit mehr als 100 Jahren, allerdings auch in starkem Umfange, in der Hauptstadt Colombo. Rund eine Million Tamilen, Plantagenarbeiter, sind erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts von den Briten aus Indien in das im Südwesten gelegene Berg- und Plantagenhochland geholt worden. Sie konnten sich bislang aus dem ethnischen Bürgerkrieg heraushalten (J. Manor 1984).

Über mehr als ein Viertel Jahrhundert hat der ethnische Bürgerkrieg inzwischen seine eigene Dynamik angenommen. Insbesondere hat er Fluchtwellen, zunächst nach Südindien, dann in die OECD-Staaten und schließlich insbesondere nach Nordamerika ausgelöst. Sie haben dazu geführt, dass über ein Drittel der Sri Lanka-Tamilen, rund 600.000 - 800.000 Menschen, inzwischen als Flüchtlinge im Westen Aufnahme gefunden haben. Damit ist eine neue Tamil-Diaspora entstanden: Die Tamil Tigers waren sowohl Ursache als auch Nutznießer dieser neuen Fluchtbewegung. Sie vollzog sich darüber hinaus in einer wachsend globalisierten Welt. Die folgende Betrachtung richtet sich nicht auf die Darstellung dieses weithin ignorierten 30-jährigen Tamilenkrieges. "Ennuyer c'est tout dire". Im Folgenden sollen vielmehr die Stadien und Grundlagen einer der gefährlichsten internationalen Terrororganisationen herausgestellt werden. Diese Stadien und Grundlagen sind Schmuggel- und Bildungstraditionen, Diasporanetzwerke und Globalisierung. Alle diese Verhaltens-, Vergesellschaftungs- und Organisationsmuster haben nacheinander und in sich gestaffelt zur Herausbildung dieser Geheim- und Gewaltorganisation beigetragen. Im Folgenden sollen sie kurz dargestellt werden:

I. Schmuggel

Bereits vor mehr als 1.000 Jahren ist auf der nördlichen Halbinsel Jaffna durch die Zuwanderung von ganzen Dorfkollektiven aus dem nahe gelegenen Südindien eine archaische dravidische Bauern- und Kastengesellschaft entstanden. Sie ist dadurch charakterisiert, dass sie, einzigartig im Vergleich zu Südindien, fast vollständig der wichtigsten und regelbestimmenden Kaste der Brahmanen entbehrt. Brahmanen weigerten sich bis vor wenigen Jahrhunderten, das Meer zu überqueren und damit das Risiko des Kastenverlustes einzugehen. Stattdessen wird die auf Jaffna entstandene rigide strukturierte Bauern- und Kastengesellschaft dominiert von einer machtvollen und militanten Bauernkaste, den Vellalas. Zu ihnen rechnet noch heute fast die Hälfte der Jaffna-tamilischen Bevölkerung. Aus ihren Reihen rekrutierten sich die Herrscher und Krieger des kleinen eigenständigen und zumeist bedeutungslosen Lokalreiches von Jaffna und dessen Tempelstadt von Nellore.

Neben dieser, von der Außenwelt weitgehend isolierten Lokalkultur etablierte sich aber bereits lange vor der Besiedlung der Halbinsel eine von Fischern getragene Gesellschaft und Kultur. Diese Fischer hielten einen ständigen Kontakt zu dem nur wenige Segelstunden entfernten Südindien. Diese sowohl in Südindien wie auch auf Jaffna den Karayar zugerechnete Fischergemeinschaft lebte nicht nur von der Salzwasser- und Süßwasserfischerei - auch in den zahlreichen Lagunen Jaffnas. Diese Karayar waren seit über 2.000 Jahren auch im Küsten- und Seehandel, im Schiffbau und in der Organisation von Piraterie, Plünderungszügen, Kriegexpeditionen und Schiffsflotten engagiert (M. Banks 1960). Wie überall an den indischen Küsten und gegenüber den landgestützten Kastenstrukturen galt auch für Jaffna: Einerseits erscheinen diese Gemeinschaften als fremd und rituell bedrohlich, andererseits waren sie für den Erhalt dieser Bauerngesellschaft und ihres Lokalreiches unersetzbar. Die Familien- und Geschäftsverbindungen der Fischer erstreckten sich über beide Seiten der engen Palk Strait. Über Jahrhunderte organisierten sie den Handel zwischen dem reichen Südindien und dem ausschließlich ländlichen Nordceylon. Die holländische Monopolhandelsgesellschaft VOC bezeichnet die Fischer zuerst als Schmuggler. Zu Schmugglern werden sie schließlich von allen Kolonialmächten und den ihnen folgenden singhalesischen, postkolonialen Regierungen gemacht.

Im Gegensatz zu den Portugiesen gelingt es der holländischen Monopolhandelsgesellschaft, eine formelle Kontrolle über alle Küsten Ceylons durchzusetzen. Die "vereinigte ostindische Handelskompanie", VOC, kann deshalb versuchen, den gesamten Handel zwischen Ceylon und Indien zu monopolisieren und zu verteuern. Aufeinanderfolgende Gouverneure und ihre Statthalter versuchen seit Mitte des 17. Jahrhunderts von Colombo und Jaffna aus alle indischen Importwaren und ceylonesischen Exportprodukte in die "Fluits", in die serienmäßig gebauten Schiffe der VOC zu zwingen. Diese Durchsetzung eines Handelsmonopols muss selbstverständlich misslingen. Dennoch, seit dem 17. Jahrhundert werden die Fischergemeinschaften in die neuen und lukrativen Bahnen des Kontrabandhandels und Schmuggels getrieben. Dies gilt vor allem für die Indien gegenüberliegende Nordküste, das Vaddamarachi. Frühzeitig stellt sich das Fischerei- und Schmuggelzentrum von Valvedditturai an die Spitze einer heute drei Jahrhunderte alten Tradition (S. Arasaratnam 1982). Auch unter dem, dem Freihandel verpflichteten, britischen Kolonialsystem wird ein zollfreier und unkontrollierter Seehandel mit den so nahe gelegenen Karayar-Verwandten und den Handelskasten Südindiens organisiert. Indische Textilien, Kartoffeln, Gewürze und Chilies, aber auch neue koloniale Haushaltsgeräte werden importiert, ein auf Jaffna monopolistisch hergestellter Tabak, aber auch die für Ceylon charakteristischen Perlen, Zimtstangen, Edelsteine und Plantagenprodukte werden von den Seehändlern und Schmugglern exportiert.

Die Unbestimmbarkeit des Karayar-Status, ihre Außenorientierung - auf ihre südindischen Kastenverwandten -, ihre Schmuggel- und Handelstätigkeit, alle diese Traditionen machen die Karayar zu den unverzichtbaren Insidern und den rituell missbilligten Außenseitern der zutiefst introvertierten Bauerngesellschaft auf Jaffna. Für das Verständnis der heutigen Tamil Tiger Organisation ist aber entscheidend, dass die LTTE von einem Valvedditturai-Karayar, Velupillai Prabhakaran, gegründet und bis heute vollständig beherrscht wird. Nicht nur wird die LTTE von einem Karayar gegründet, von Anfang an finden sich viele Kasten- und Weggenossen Prabakarans auf allen Führungsebenen der Terrororganisation. Hinzu kommt, dass die Organisation während der entscheidenden ersten 20 Jahre ihres Entstehens sich vorrangig auf die südindischen Küsten und das tamilische Hinterland stützt. Tamil Nadu dient der LTTE als logistische Basis, Sanktuarium, strategische Rückfallposition und Finanzierungsressource (D. Hellmann-Rajanayagam 1986).

Der erste seit 1983 radikalisierte Eelamkrieg wäre ohne die permanente Zusammenarbeit mit den Karayar-Schmugglern, den mit ihnen kooperierenden lokalen Händlerkasten und einer seit jeher korrumpierten DMK-Beamtenschaft völlig unmöglich gewesen. Aufstandsbewegung und Schmuggler stützen sich gegenseitig. Der unkontrollierte Seehandel über die Palk Strait verschafft der LTTE hohe Gewinnchancen. In dem Maße in dem die singhalesische Kontrolle über die Halbinsel und die Meeresenge zusammenbricht, profitieren auch die an dem Schmuggel partizipierenden Händler und Fischergruppen von der Irredenta. Diese Gewinnchancen steigern sich noch auf Grund der seit 1979 einsetzenden umfassenden Liberalisierungsmaßnahmen in Sri Lanka. Weltbank und UNP verwandelten die Inselökonomie in ein "Hongkong" gegenüber dem noch planwirtschaftlich geleiteten und abgeschotteten Indien. In großem Umfang wurden jetzt japanische Kunststoffsaris, Unterhaltungselektronik, Fernsehgeräte und Kassettenrekorder, aber auch weitere westliche Konsumwaren zu hohen Gewinnspannen heimlich auf die südindischen Märkte geschafft. Die lokalen LTTE-Organisationen konnten von den beteiligten Schmugglern entweder Zölle oder Geschenke verlangen. Selbstverständlich konnte im Rahmen dieses Austausches auch der Waffenimport und der Nachschub aus dem nahen Indien organisiert werden (J. Venkatamaran 1989, 1991).

Ceylon und vor allem Jaffna waren bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts von den Portugiesen erreicht und erobert worden. Von Anfang an versuchten portugiesische Missionare, Augustiner, Dominikaner, vor allem aber die Jesuiten die Buddhisten und Hindus zu christianisieren. Vor allem auf der Jaffna-Halbinsel erzielen die Patres einen zunächst durchschlagenden Erfolg. Mehr als 36 Gemeinden mit ihren dazugehörigen Missionskirchen werden auf der Halbinsel errichtet. Während die dominante Vellala-Bauernkaste aus machtpolitischen und opportunistischen Erwägungen zum Katholizismus übertritt, hoffen die Karayar-Fischergemeinschaften, durch den Glaubensübertritt ihren sozialen und rituellen Status zu verbessern. Die Vellalas hatten diesen Fischern wie überall in Indien den Tempeleintritt verwehrt. Nunmehr, im Katholizismus, werden ihnen die prachtvollen Zeremonien und Riten, Prozessionen und Reliquien der römischen Kirche unmittelbar zugänglich.

Eine katholisch-portugiesische Folklore zudem aber von den Jesuiten in bewusster Annäherung an die Tamil-Kultur und die Tempelrituale der Hindus umgestaltet (F. de Queyroz 1664/1930). Nach dem Abzug der Portugiesen und der Ankunft der protestantischen Holländer fallen die Vellala sofort vom katholischen Glauben ab; die Fischergemeinschaften aber halten auch trotz der Ankunft protestantischer und anglikanischer Kolonialherren an ihren katholischen Ritualen, Wallfahrtsstätten und Glaubensformen fest. Sie bleiben damit Teilhaber eines universalen Glaubens und Mitglieder einer globalen Kirchenorganisation. Diese versorgt sie noch heute mit portugiesischen Missionspriestern und die Kirche trägt Sorge dafür, dass tamilische Bischöfe in Rom und in den westlichen katholischen Staaten empfangen und gehört werden.

Vor allem aber, der Katholizismus der Karayar verstärkt ein weiteres Mal die Gemeinschaftsbande mit den in Südindien lebenden, ebenfalls katholisch gebliebenen Fischerkasten. Er trennt also diese marginalisierten Außenseiter ein weiteres Mal von der bereits im 19. Jahrhundert zum Hinduismus zurückgekehrten Herrschaftsgruppe der Vellalas. Den portugiesischen Missionaren, dem Christentum und allen drei Kolonialmächten ist zugleich auch die Begründung einer ganz ungewöhnlich stark ausgeprägten Bildungstradition auf Jaffna zu verdanken. Vorrangig bei den Vellala-Bauernschichten, aber auch bei den übrigen, den niederrangigen Kasten und den Karayar:

II. Bildungstradition

Bereits die portugiesischen Jesuiten, später die schlecht bezahlten protestantischen "Kompanieprädikanten", noch später die unter der säkularen britischen Kolonialmacht auf der Halbinsel einrückenden, eher geduldeten als geförderten protestantischen Missionare, sie alle begründen eine bis heute nachwirkende anglophone, klassische und westlich orientierte Bildungstradition auf Jaffna (W.L.A.D. Peter 1978). Dabei wird das 19. Jahrhunderts entscheidend: Die britische Kolonialmacht fürchtet, wie überall, Missionare könnten bei den "Natives" Ressentiments, Widerstände, am Ende Aufstände auslösen. Sie entscheidet sich deshalb dafür, die American Baptist Mission nur in das in ihren Augen bedeutungslose Jaffna zu entsenden. Mit ungeheurem pragmatischem und persönlichem Einsatz errichten die amerikanischen Baptisten jetzt in wenigen Jahrzehnten ein vorbildliches College-System.

In diesen, nach amerikanischem Vorbild errichteten Schulen lernen die neu konvertierten Vellala-Protestanten praktische Berufe: Alles, die Grundlagen für ein modernes Handwerk aber auch für den Veterinärs-, Ingenieurs-, Arzt-, Anwalts- oder Landvermesserberuf können sie auf den von amerikanischen und dann tamilischen Gewerbeschullehrern und Missionaren betriebenen Colleges lernen. Die einzige Bedingung ist: die Aufgabe des Hinduglaubens. Seit 1870 ist aber eine, dank der amerikanischen Ausbildung in den Rang einer neuen Kolonialelite aufgestiegene Vellala-Bildungsschicht nicht mehr bereit, diesen Preis der Glaubensverleugnung zu bezahlen. Sie besetzt inzwischen eine Mehrheit der "Liberal Professions". Sie baut nun ein eigenes Netzwerk von herausragenden Hindukollegien, Vidyalayas, und High Schools in Jaffna auf. In diese Eliteschulen werden nur zahlende Vellala-Kinder aufgenommen. Allerdings führen Proteste und Interventionen der Kolonialmacht dazu, dass, in freilich bescheidenem Maße, auch Kinder niederrangiger Kasten Zutritt zu diesen mit Regierungsmitteln geförderten Schulen finden - "Grant in Aid". Die Karayar stehen nicht unter, sie stehen eher außerhalb dieser jetzt von westlichen Bildungsidealen und Aufstiegschancen geprägten Kastengesellschaft.

Nach der Unabhängigkeit können die Karayar deshalb auch in ein sich langsam öffnendes Bildungssystem eindringen; zugleich haben sie seit jeher über eigene, von katholischen Patres geführte Missionsschulen verfügt. Ob Karayar oder Vellala, die überwiegend hinduistische und zu 20 % katholische Jaffna-tamilische Gesellschaft ist 1948, zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit der Insel, von jahrhundertealten Bildungsambitionen geprägt (B. Ryan 1961). Ihre Eliten verfügen über einen Ausbildungsstand, der denjenigen der buddhistischen singhalesischen Mehrheit um ein Vielfaches übertrifft. Diese Bildungsüberlegenheit hat bereits während der britischen Kolonialzeit dazu geführt, dass mehr als die Hälfte der den Einheimischen vorbehaltenen Posten in der Kolonialverwaltung von Jaffna-Tamilen, überwiegend von Vellalas, besetzt worden ist (M. Roberts 1979, 1979a). Die Verdrängung dieser Jaffna-tamilischen Beamtenelite aus den Korridoren der Macht wird später, zu einem der Gründe für die Sezessionsambitionen zunächst dieser Honoratioren und dann der ganzen Jaffna-tamilischen Minderheit.

Während die Massenalphabetisierung der singhalesischen Mehrheit erst spät im Rahmen umfassender, von S.W.R.D. Bandaranaike begründeter Mobilisierungskampagnen gelingt, hat die Jaffna-tamilische Gesellschaft, gestützt auf ein vorbildliches Netzwerk von Bildungseinrichtungen, eine weitgehende Alphabetisierung bereits 1948 durchgesetzt. Nach der Unabhängigkeit laufen diese Bildungstradition und die sie tragenden Institutionen ins Leere: Sinhala wird 1956 zur Schul-, Verwaltungs- und Staatssprache von Sri Lanka erklärt. Sekundarschul- und hochschulqualifizierte Jaffna-Tamilen erhalten jetzt keinen Zugang mehr zum singhalesischen Verwaltungs- und Staatsapparat. Selbst in der von Verstaatlichungswellen bedrohten Privatwirtschaft sehen sie sich der Konkurrenz seitens singhalesischer Bewerber ausgesetzt. Da der singhalesische Staat zudem die tamilischen Bildungseinrichtungen unterfinanziert und schwächt, studieren die Vellala-Studenten jetzt in Südindien. Hier übernehmen sie einen virulenten politischen und kulturellen Tamil-Nationalismus. Weitere Studentengruppen nehmen ihre Ausbildung in England und später in den USA auf.

Nicht nur im Norden der Insel, auch in Indien und im Westen formiert sich eine hoch qualifizierte und zugleich von der Arbeitslosigkeit bedrohte Studentenschaft. Sie ist unzufrieden, kompetent und aggressiv. Die aus dem Staatsdienst gedrängte, inzwischen über 60-jährige Jaffna-tamilische Intelligenzija hat sich seit 1972/1976 in einer noch melodramatisch genannten "Tamil United Liberation Front" organisiert. Diese alten Vellala-Männer werden von der militanten, von Arbeitslosigkeit bedrohten Studentenschaft nicht mehr ernst genommen - "Tamil United Lawyers Front" (S. Ponnambalam 1983). Die Studenten haben, ebenfalls seit 1972, begonnen, ihre eigenen, auf die Autonomie oder Sezession der Nord- und Ostprovinz zielenden Organisationen zu begründen.

Die bei weitem militanteste unter ihnen ist die von einem Ingenieur geführte Tamil Tiger Organisation des 1952 geborenen V. Prabhakaran: Sie kann sich sehr rasch und im Rahmen von blutigen Ausscheidungskämpfen über die nächsten 15 Jahre gegen alle Parallelorganisationen durchsetzen. Bereits 1972, bevor ein erster Schuss gefallen war, musste allen Betrachtern eines klar sein: Eine Jaffna-tamilische Aufstandsbewegung würde sich auf eine der qualifiziertesten Minderheiten Südasiens stützen können: Die Berufs- und Hochschulqualifikationen der Jaffna-Tamilen erstreckten sich in die so unterschiedlichen und im Falle einer Diaspora- und Untergrundorganisation so nützlichen Kompetenzbereiche wie des Ingenieur- und Elektrowesens, Rechtskunde und Buchhaltung, Anwalts- und Notariatswesen, Betriebswirtschaft, Journalismus und Gesellschaftswissenschaften. Auf der Führungsebene der Tamil Tiger-Organisation flossen damit zwei scheinbar unvereinbare Traditionsstränge frühzeitig ineinander: Kompetente und professionelle Schmuggler saßen hier neben akademisch qualifizierten Politikwissenschaftlern; gut ausgebildete Buchhalter berieten sich mit ausgewiesenen Juristen. Bevor die Gewalteskalation des Bürgerkriegs interne und externe Flüchtlingsbewegungen in Gang setzte, war zugleich etwas weiteres vorhersehbar: Vorhersehbar war, dass die über eine Million Binnenvertriebene des Bürgerkrieges vermutlich aus den ärmeren tamilischen Landesteilen und Bauern- und Landarbeiterkasten stammen würden; ebenfalls zu den Ärmeren mussten jene Bevölkerungsteile gehören, die bald in das nahegelegene Südindien flohen, um dort unter erbärmlichen Verhältnissen und unter LTTE-Kontrolle Zuflucht in „Cyclone Shelters" und Armensiedlungen zu finden.

Die englischsprachige College- und Universitätselite dagegen war mit einem Universitätsexamen ausgestattet und im Besitz von Adressenverzeichnissen, in denen alle fernen und nahen Diasporaverwandten aufgezeichnet waren. Diese "Best and Brightest" konnten hoffen, nicht nur Aufnahme im Westen, sondern auch lukrative Berufspositionen zu erlangen (J. Rösel 1988). Der Aufstand musste damit seine eigene kosmopolitische und durchaus wohlhabende Diasporagemeinschaft hervorbringen. Hinzu kam, dass die Tamilführung, seit 1983 die Entstehung einer, aus Binnenflüchtlingen, Indienflüchtlingen und in den Westen geflohenen Migranten, bestehenden Flüchtlingsgesellschaft bewusst in Kauf nahm. Aus den unter LTTE-Kontrolle stehenden lokalen, im Dschungel gelegenen Flüchtlingslagern, konnte die LTTE ihre "Boys" rekrutieren - oft traumatisierte, verwaiste Kinder. In diesen Elendslagern wirbt sie auch ihre Selbstmordkandidaten an. In den südindischen Flüchtlingslagern rekrutierte sie jene Gefolgschaften, die als Sendboten, Waffenschmuggler und Drogenkuriere nützliche Dienste leisteten.

Eine ganz andere Aufgabe übernahm die 2001 rund 600.000 bis 800.000 Menschen umfassende westliche Tamil-Diaspora: Sie hatte den Krieg zu finanzieren und gegenüber einer westlichen Öffentlichkeit sollte sie für die Berechtigung des Aufstandes und die Bonafide der LTTE eintreten. Eine Strategie des "Flüchtlingsmachens" steht deshalb von Anfang an im Mittelpunkt der Kalküle der LTTE. Der Krieg konnte eine internationale Diaspora erschaffen, die den Aufstand finanziert, rechtfertigt und verselbständigt. Jedoch diese durch die Eelam-Kriege ausgelöste und ständig erweiterte Diaspora trifft auf eine Jaffna-tamilische Diaspora, die bereits im 19. Jahrhundert entstanden und zunehmend globalisiert worden war (H. Tinker 1962). Diese koloniale und diese neue Jaffna-Diaspora koexistieren und interagieren darüber hinaus mit den weit größeren, weltweit präsenten Diaspora-Netzwerken der Tamilen Südindiens und der weltweit verstreuten Auslandsinder, der "Non Resident Indians". Diese miteinander verwobenen Diasporanetzwerke und Funktionen müssen wir im Folgenden betrachten.

III. Diasporanetzwerke

Portugiesische, holländische und amerikanische Missionare haben den Bildungseifer der Vellalas begründet. Er prädisponiert diese dominante, inzwischen literate und technisch ausgebildete Bauernkaste dazu, die neuen Berufsstellungen, die "Liberal Professions" der Kolonialmacht zu übernehmen - im offiziellen, halboffiziellen und im marktwirtschaftlichen Sektor. Damit setzt zum ersten Mal in der Geschichte dieser isolierten und zutiefst traditionsverhafteten Bauernkultur ein Exodus in alle Verwaltungszentren und Basare der Insel ein. Tamilische Beamte dienen in den Distrikthauptquartieren der Kolonialmacht, sie arbeiten als Notare, Landvermesser, Buchhalter, Bankangestellte und Handelsagenten. Westlich gebildete, oft in Oxford und Cambridge qualifizierte Tamilen sind in vielen modernen Geschäftsbereichen in Colombo tätig. Ein neu erschlossenes, für die Bungalows der Kolonialelite bestimmtes Wohngebiet, die "Cinnamon Gardens" in Colombo, wird zur bevorzugten Gartenstadt der Tamil-Intelligenzija. Die tamilische Beamtenschicht sichert sich auf allen, auch den höchsten Ebenen der Kolonialverwaltung, ein Einladungs- und Mitspracherecht (M. Roberts 1979).

Dieser ersten Binnenwanderung folgt sehr rasch eine sehr viel weiträumigere Auswanderungsbewegung. Während des gesamten 19. Jahrhunderts expandiert das britische Kolonialimperium. Es dehnt sich über Birma, die malaiische Halbinsel und Singapur in Richtung der pazifischen Inseln und Chinas aus. Seit 1870 kann sich England im "Scramble for Africa" weite Teile des dunklen Kontinents sichern. In allen diesen neuen Kolonialterritorien kann Großbritannien zunächst nicht auf qualifizierte und englischsprachige einheimische Verwaltungskräfte zurückgreifen. Es sind deshalb indische, also bengalische, tamilische, aber auch nordindische, überwiegend brahmanische Beamte, die jetzt der expandierenden Kolonialmacht folgen. Die neuen Amtsstuben von Kuala Lumpur über die Fidschi-Inseln und die Seychellen bis nach Kenia, Nigeria und Trinidad/Tobago werden von diesen Indern besetzt. Sie sind für die Herrschaftsaufgaben bestens vorbereitet, denn sie haben seit Jahrzehnten, manchmal in zweiter Generation in der Verwaltung der "East India Company", in der "Company Raj" gedient (P.M. Jayarajan 1984).

Bald beginnt auch die Jaffna-tamilische Beamtenelite, dieser Kolonialexpansion und Ämterproliferation zu folgen. Aber nicht nur hochrangige oder brahmanische Verwaltungsbeamte suchen Zugang zu den überseeischen britischen Besitzungen. In den neuen Kolonien begründet britisches Management und Kapital jetzt ausgedehnte Plantagen- und Bergwerkssektoren. Für den Einsatz in diesen Plantagengebieten werden indische Kontraktarbeiter angeheuert; "a new system of slavery" entsteht (Hugh Tinker). Zumeist begeben sich diese Kontraktarbeiter in eine über Generationen währende Verschuldung und Abhängigkeit gegenüber einheimischen indischen Arbeitskontraktoren, Dorfvorstehern, Basarhändlern oder Gewerkschaftsführern. Diese Erbverschuldung führt zumeist dazu, dass die auf fünf oder zehn Jahre angeheuerten Kontraktarbeiterfamilien auf Dauer in den neuen Territorien bleiben. Da diese neuen Plantagen-, Gruben-, Straßen-, Kanal- und Hafenarbeiter mit Nahrung, Konsumkrediten, Heiratsschmuck, Teestuben und Unterkunftsmöglichkeiten versorgt werden müssen, so folgt der Migration der Kontraktarbeiter ein ungesteuerter und bunter Auswanderungsstrom von indischen Basarhändlern, Geldverleihern, Hausierern, Spekulanten und Unternehmern. Diese aus Händler-, Schreiber- und Geldverleiherkasten entstammenden Migranten begründen auf den pazifischen Inseln, in Afrika oder in der Karibik die neuen Basarstädte, von denen aus die Masse der Kontraktarbeiter versorgt werden. Höhergestellte Inder versuchen, von den britischen Verwaltungszentren und diesen "indischen" Basarstädten aus die regional, religiös und sprachlich so heterogenen indischen Auswanderer unter einem gemeinsamen Dach zu organisieren.

In den neuen Provinzzentren und Kolonialmetropolen entstehen "Little India's", in denen indische Tempel, Moscheen oder Gurdwaras stehen; kleine Druckereiwerkstätten veröffentlichen hier die für die englischsprachige indische Elite bestimmten Bücher und Pamphlete, Adressbücher, Geschäftsdirektorien, Bittschriften und Andachtsliteratur. In diesen Zentren formiert sich auf Dauer aber auch eine, zumindest in der Außendarstellung, kasten-, religions- und herkunftsneutrale indische Elite. Sie setzt ihre Interessen mit denjenigen aller lokalen Inder gleich (S. Ponnambalam 1983: 267). Mit wachsendem Erfolg kann diese Führungsschicht bei der Kolonialmacht um verstärkte Mitsprache und um Konzessionen nachfragen. Eine besonders eindruckvolle Rolle spielen in diesem sich von Afrika über den indischen Ozean bis nach Asien erstreckenden Diasporanetzwerk die ursprünglich aus Tamil Nadu stammenden Nattukottai Chettiars. Die Nattukottai Chettiar sind eine alte und angesehene südindische Geldverleiherkaste. Sie haben frühzeitig, vermutlich bereits unter den holländischen Kolonialherren Fuß auf Ceylon gefasst. Parallel zur Ausdehnung des britischen Weltreiches dehnen auch die Nattukottai Chettiar ihre Geschäftsbeziehungen aus. Sie sind nicht nur in allen britischen Kolonialzentren tätig, sie gehören zu den ersten, die die neuen durch Suezkanal, Dampfschifffahrt und Telegrafie begründeten Kommunikationsmöglichkeiten systematisch nutzen.

Dadurch können sie Gelder über den gesamten pazifischen Raum transferieren. Überall dort, wo indische Kontraktarbeiter, Händler und Verwaltungsbeamte vertreten sind, operieren die Nattukottai Chettiar als die selbstverständlichen Ansprechpartner für Geldgeschäfte, Überweisungen oder als die "Lender of last Ressort". Da die britischen Handelsbanken weder die Auslandsinder, noch die jeweiligen heimischen Bevölkerungen als Kunden akzeptieren, übernehmen diese südindischen Geldhändler deren Geldgeschäfte (W.S. Weerasooria 1973). Bald dringen sie in die Binnenökonomie Ceylons und der anderen Kolonialgebiete ein. In dem von Großbritannien eroberten Birma nehmen die Nattukottai Chettiar eine besonders herausragende Stellung ein: Sie übernehmen die Vorfinanzierung und Vermarktung der gesamten auf Bewässerungsreis ausgerichteten Landwirtschaft des Irrawadi-Tales. Über ihre Netzwerke dringen Nattukottai Chettiar Banker nicht nur in alle Kleinstädte Birmas vor, sie beginnen auch im Grenzhandel in Richtung Thailand und in Richtung des indischen Nordostens tätig zu werden. Ihnen folgen schließlich weitere tamilische Händlergruppen, so dass heute in den unzugänglichen Grenzstationen und Dschungelposten der westlichen und östlichen Grenzen Birmas nicht nur Nachfahren dieser Geldverleiher, sondern auch Jaffna-tamilische Händler, ebenso wie Angehörige der lokalen Stammesgesellschaften sitzen. Der Großvater Prabhakarans soll an der Manipur/Birmagrenze als "Händler" gearbeitet haben:

"There are some 17,000 Tamils living in and around Moreh, and some across the (Myanmar) border in Tamu. Some are World War II refugees, others left Burma following nationalisation of trade and business by the Ne Win government in the early 1960s. They are fluent in Manipuri, Burmese, Nagamese, Hindi, Tamil and English. They have relatives and business contacts in Myanmar, India and other parts of Southeast Asia, a valuable network that facilitates commerce. Along with smaller numbers of Punjabis, Marwaris and Nepalese they control the Burma trade, both legitimate and clandestine, the latter being by far the larger. The rest of Moreh is made up of Meiteis and Kukis. But the Tamils dominate." (bei G.H. Peiris 2001: 9-10).

Die britische Kolonialexpansion fördert die Entstehung indischer Diasporagruppen. Innerhalb und neben ihnen können sich die Jaffna-tamilischen Beamtengruppen von Anfang an mit großem Erfolg etablieren. Führende Jaffna-tamilische Beamtenfamilien sind in Kenia tätig. Der Vater eines führenden Tamil-Politikers, von Nelam Tiruchelvam, ist während der 40er Jahre für den König von Buganda tätig. Es sind aber nicht nur Jaffna-tamilische Beamte, die sich von Südafrika bis Singapur in den britischen Distriktzentren niederlassen, auch Händler und spezialisierte Handwerker folgen der britischen Expansion. In Kuala Lumpur, dem Zentrum von British Malaya, entsteht ein "Little Jaffna" genanntes Viertel, in dem Jaffna-tamilische Gold- und Silberschmiede, Basarhändler, Schreiber und Notare für die Bedürfnisse der zahlreichen, in den Kautschukplantagen und Zinngruben Malayas beschäftigten Arbeiterschaft sorgen. Von hier aus folgen einzelne Jaffna-Tamilen auch den Nattukottai Chettiars nach Birma, bis sie schließlich im Grenzschmuggel Nordbirmas tätig werden. Wo immer sich diese kleine Jaffna-tamilische Diaspora etabliert, sie kommuniziert und vergesellschaftet sich wie selbstverständlich mit den aus Südindien stammenden tamilischen oder keralesischen Auswanderergruppen. Die universitätsgebildeten, anglophonen und oft brahmanischen Sprecher dieser "Indian Communities" wissen, dass sie gegenüber der immer diskussionsbereiten britischen Kolonialmacht als ein eigenständige, intelligente und säkulare „Nationality" auftreten müssen.

Die Diasporaerfahrung verschafft damit einer hoch gebildeten tamilischen Intelligenzija die Erfahrung und die Kompetenz, mit anderen indischen Subgruppen in geschäftlichen und politischen Kontakt zu treten. Die weit größere Zahl der südindischen Auslandstamilen und die Gesamtheit der indischen Diaspora rückt damit in der Ferne in eine neue Nähe zu den lange Zeit isolierten und ländlichen Jaffna-Tamilen. Die Agitationsanstrengungen und Mobilisierungsbemühungen der Jaffna-Tamilen müssen sich deshalb auch in Zukunft nicht immer an die Gastbevölkerungen richten, es genügt wenn die Gesamtheit der Auslandstamilen und der Auslandsinder erreicht wird.

Gegenwärtig wird die Zahl aller Auslandsinder auf rund 20 Millionen geschätzt. Auslandsinder finden sich fast in jedem der 190 Staaten der Erde. Allerdings, ihre Verteilung ist höchst ungleich: Mehr als 2 Millionen leben in Europa und in Australien, rund 2,5 Millionen in Nordamerika, 3 Millionen in Saudi-Arabien und in den Golfstaaten, rund eine Million in der Karibik (P. Gottschlich 2005a). Eine weitere sehr große Gruppe von 5 Millionen lebt im nahe gelegenen Hinterindien. Obwohl die Auslandsinder gerade 2 % der mehr als eine Milliarde starken Bevölkerung von Indien repräsentieren, entspricht das geschätzte Einkommen der Gruppe rund einem Drittel des indischen Bruttoinlandsproduktes. Damit wird verständlich, dass die Geldüberweisungen, vor allem der in den OECD-Ländern lebenden Inder zu einer der entscheidenden Finanzierungsressourcen Indiens geworden sind. Seit 1991 tragen sie zum ökonomischen Aufstieg dieser neuen ökonomischen Weltmacht entscheidend bei (P. Gottschlich 2005). Dieser Verweis auf die indische Diaspora ist notwendig, damit die Entwicklung und der aktuelle Erfolg der Jaffna-tamilischen Diaspora besser verstanden werden kann: Der über 30 Jahre andauernde Kampf um ein Tamil Homeland hat inzwischen eine Jaffna-tamilische Diaspora von rund 800.000 Menschen entstehen lassen. Die Flüchtlinge siedeln überwiegend im Westen, vor allem in Kanada, den USA, Großbritannien und Australien. Überall treffen die Jaffna-Tamilen auf die weit größeren, seit langem etablierten und wohlhabenden auslandsindischen Gemeinschaften. Insbesondere können sich die Jaffna-Tamilen im Exil mit Südindern, also Tamilen, Keralesen, Telugus oder Karnataka-Auswanderern treffen - und verständigen. Die weltweit etablierte und gut organisierte indische Diaspora erleichtert es deshalb der Jaffna-tamilischen in beliebigen Ländern der Ersten, Zweiten und Dritten Welt Fuß zu fassen und zu prosperieren.

Als traditionelle Diasporagruppen sollen uns Auswanderergruppen gelten, die durch drei Orientierungen charakterisiert sind: Die Erinnerung an ihre Heimat und der Wunsch, in diese Heimat zurückzukehren, bilden ein wesentliches Element der Identität und der Zusammengehörigkeit dieser Gruppen; die Auswanderungsgruppe hat sich in einem jeweiligen Gastland niedergelassen, ohne in diesem Gastland vollständige Aufnahme und Integration gefunden zu haben oder eine solche Integration anstreben zu wollen; schließlich steht diese Gruppe mit anderen aus dieser Heimat abgewanderten Gruppen in Kontakt. Von konventionellen Auswanderungsbewegungen unterscheidet sich die Diasporagruppe deshalb durch drei fortdauernd verpflichtende Bezugs-, Austausch- und Orientierungsebenen. Neben dieser Dreiebenenstruktur aber gilt zusätzlich: die Diasporagruppe ist immer in einer Minderheitsposition und sie bleibt gekennzeichnet von politischer, militärischer und rechtlicher Schwäche und Verwundbarkeit vis-a-vis der Elite oder der Mehrheit des Gastlandes. Diese Orientierungsmuster und diese Schwäche haben sowohl die Jaffna-tamilische Diaspora ebenso wie die gesamtindische noch während des ganzen 19. Jahrhundert charakterisiert. Mit einer sich beschleunigenden ökonomischen und kulturellen Globalisierung treten aber neue Rahmenbedingungen auf. Diese wirken auf die Identitätsmuster und die Operationsweise dieser Diasporagemeinschaften massiv ein (J. Rösel 2005).

IV. Globalisierung

Während die verschiedenen Eelamkriege im Westen eine Jaffna-tamilische Diasporagemeinschaft entstehen lassen, bewirken die gleichzeitig einsetzenden Globalisierungsprozesse eine grundlegende Veränderung der Transferdichte und Beweglichkeit globaler Diasporagruppen. Indem Globalisierungsprozesse die Geschwindigkeit des Güter-, Kapital-, Personen- und Informationsaustausches enorm beschleunigen, werden gänzlich neue Diasporaformen und -funktionen möglich: Internet und erleichterte Telekommunikation, der zunehmende Kontrollverlust der Nationalökonomien und Nationalstaaten und ein dramatisch gesteigerter internationaler Güter- und Luftverkehr wirken auf Diasporagruppen ein. Gruppen, die sich seit jeher auf einen internationalen Austausch und auf weltweite familiäre, kulturelle und geschäftliche Kontakte gestützt haben, können jetzt neue Gemeinschafts- und Kooperationsformen etablieren. Die Jaffna-Tamilen sind in einer Weltsprache geschult, sie sind mobil und hoch qualifiziert: Diese Intelligenzija nutzt die neuen Austausch-, und Vernetzungschancen in einem besonderen Ausmaße. Für die frühzeitig international operierende LTTE gilt damit: Sie kann versuchen, die Jaffna-tamilische Diaspora für ihre Zwecke zu erfassen, zu mobilisieren und einzusetzen. Dieser Versuch ist ihr weitgehend gelungen: Wie die LTTE fast offen demonstriert, ist sie in der Lage, 600.000 Auslandstamilen in Geiselhaft zu nehmen, zu besteuern und zu erpressen.

Erst seit dem Menschenrechtsorganisationen, mutige tamilische Dissidenten und pflichtbewusste westliche Journalisten versucht haben, etwas tiefer in das von Außen undurchdringliche Geflecht der "Tigerorganisationen" einzudringen, ist das Ausmaß dieser bürokratischen, ebenso wie despotischen internationalen wie lokalen Herrschaft in Grenzen sichtbar geworden (beispielhaft: Human Rights Watch 2006). Zahlreiche Untersuchungen zeigen inzwischen das Folgende: In fast allen westlichen Ländern operiert die LTTE in der klassischen Funktionsweise einer Einwandererpartei - etwa der Democratic Party der USA im 19. Jahrhundert - und einer Einwanderungsmafia - vergleichbar der italienischen, irischen oder jüdischen Mafia an der amerikanischen Ostküste. Tamilische Asylsuchende erhalten Rechtsberatung und Rechtsbeistand seitens tamilischer Anwälte - die mit der LTTE kooperieren. Dem Asyl suchenden Tamilen wird der Weg zu Wohnungen, zur Bezahlung von Kautionen und zu einem Arbeitsplatz - etwa bei einem bereits etablierten tamilischen Geschäftsmann - mit Hilfe tamilischer Wohlfahrtsorganisationen geebnet.

Braucht der tamilische Zuwanderer finanzielle Unterstützung oder gar einen Kredit, um einen kleinen Laden oder ein Unternehmen zu gründen, so greift ihm eine LTTE-nahe Organisation finanziell unter die Arme. Einem italienischen oder irischen Einwanderer vergleichbar, bleibt der Jaffna-tamilische Zuwanderer damit in umfassender Weise von der LTTE abhängig. Er hat zugleich allen Grund, der Organisation dankbar zu sein. Jaffna-Tamilen haben wie alle indischen Auswanderer in ihren Zuwanderungsregionen seit jeher Tempel gegründet. In den großen städtischen Agglomerationen und wichtigen tamilischen Zuwanderungsgebieten wie New York, London oder Toronto befinden sich Dutzende von tamilischen Tempeln. Hindutempel, insbesondere südindische Tempelanlagen waren seit jeher Zentren eines lokalen religiösen, kulturellen, aber auch philanthropischen Gemeindewesens. Ohne große Mühe ist es der LTTE vielerorts gelungen, auf diskrete Weise die Kontrolle dieser Tempelanlagen zu übernehmen. Hindutempelanlagen werden normalerweise von reichen tamilischen Geschäftsleuten begründet. Sie gründen mit mehreren Gleichgesinnten einen Tempelverein und ein "Board of Trustees". Selbstverständlich sind diese Mitglieder eines Tempelvereins daran interessiert, weitere gleich gesinnte Honoratioren und Philanthropen als Vereinsmitglieder zu werben. In Toronto und London zeigte sich aber wiederholt: Diese Kreise haben zu spät bemerkt, dass sich LTTE-Mitglieder über Vereinsbeitritte die Mehrheit sichern konnten (Ibid.: 21).

Diese Vereinsmehrheit setzt anschließend durch, dass LTTE-Funktionäre den Tempelvorsitz übernehmen, dass die erheblichen Ersparnisse und Besitztümer des Tempels der LTTE überschrieben werden oder dass die Einnahmen und Funktionen des Tempels in den Dienst der Eelam-Propaganda gestellt werden. Bereits vor, massiv aber nach dieser Besitzübernahme werden die Tempel zu Zentren der LTTE-Propaganda. Videokassetten, DVDs und CDs, die den Kampf gegen die "Sinhala-Faschisten" verherrlichen, werden im Tempel verkauft; die großen, oft religiös eingefärbten Märtyrergedenktage der LTTE werden hier gefeiert; hier werden Spenden- oder Lotterieaktionen zur Finanzierung des Kampfes durchgeführt. Götterverehrung, Heroenkult und Märtyrerapotheose beginnen zu verschwimmen (K. Meisig 2005, M. Meisig 2005). Vor allem in Kanada, in den USA und in England sind in den Zentren der tamilischen Zuwanderung kleine Jaffnas entstanden. Die rund 150.000 Tamilen in Toronto bilden beispielsweise die größte, außerhalb von Sri Lanka gelegene Jaffna-tamilische Stadt. Auch Toronto folgt dem nordamerikanischen marktwirtschaftlichen Prinzip der ethnisch-folkloristischen Selbstversorgung und urbanistischen (Selbst-) Ausgestaltung. Es existieren in Toronto tamilische Radiostationen, Fernsehsender, Anwaltsbüros, Kinos, Buslinien, Paketdienste, Gemüseläden, Kleinhändler, Umzugsunternehmer, Lokalzeitungen.

Eine eigene tamilische Geschäftswelt und Heimat ist hier entstanden. Sie lebt weitgehend getrennt von der sie umgebenden frankophonen oder anglophonen kanadischen Zivilgesellschaft. Deren Parlamentskandidaten nehmen allerdings gern das "Stimmenpaket" der Tamilen entgegen - von LTTE nahen Organisationen. Sie sind deshalb desinteressiert, die Macht und die Gesetzesverletzungen der LTTE kritisch zu überprüfen. Der LTTE ist es ein Leichtes, diese zahllosen Unternehmen und Nachbarschaften zu beherrschen, zu besteuern und in die politische Konformität zu zwingen: Die LTTE-Funktionäre sind ausgewiesene Ökonomen, Buchhalter, Juristen oder Ingenieure. Es ist ihnen gelungen, die lokale tamilische Diaspora in präzisen Wohn-, Einkommens- und Steuerlisten zu erfassen. Die Zuwanderer, selbst Sozialhilfeempfänger, werden gezwungen rund 10 % ihres Monatsgehaltes für den patriotischen Kampf an die LTTE abzugeben. Graue Herren mit zahllosen Aktenmappen, Leitz-Ordnern und Taschenrechnern besuchen, jeweils als Paar, die säumigen Beitragszahler. Wer zu oft diesen Besuch empfängt, gilt als illoyal und ist in der tamilischen Nachbarschaft isoliert. Wer sozial isoliert ist, findet hier in der Fremde keine Nachbarschaftshilfe, keine Geschäftskontakte, keine finanzielle Solidarität und keine Heiratspartner. Noch schlimmer, wer aufbegehrt und die Polizei kontaktiert, kann nicht vermeiden, dass die Polizei ihn zu Hause besucht. Das bedeutet den sozialen Tod für den Betreffenden, denn er wird nun in umfassender psychologischer, sozialer und beruflicher Hinsicht boykottiert. Auf Dauer müssen er und seine ganze Familie die tamilische Gemeinschaft verlassen. Die Organisation kann diese umfassende Konformität deshalb so leicht erzwingen, weil alle Flüchtlinge Verwandte auf Jaffna haben: diese sind jederzeit dem vollständigen Zugriff, also der Besteuerung, der Inhaftierung oder dem "Verschwinden lassen" seitens der LTTE ausgesetzt. Wer aber vom Ausland aus nicht in der Lage ist, seine eigenen Eltern und Verwandten zu schützen, hat seine Ehre und sein Gesicht verloren.

Als Einwanderungs- und zugleich als Terrororganisation ist die LTTE damit in der Lage, mit Hilfe einer Vielzahl von kulturellen, patriotischen, sozialen und religiösen Organisationen die jeweiligen Tamilnachbarschaften zu erfassen und zu besteuern. Hinzu kommen ganz erhebliche eigene lokale Investitionen. Die LTTE gründet eigene Geschäfte oder sie investiert in bestehende tamilische Unternehmen. Diese Geschäftsbeteiligungen und Investitionen sollen in Nordamerika enorme Dimensionen angenommen haben. Die Unternehmensgewinne sollen inzwischen denjenigen aus der direkten Abgabeneintreibung gleichkommen. Es ist unter diesen Rahmenbedingungen leicht zu verstehen, dass kein Jaffna-Tamile bereit ist, die Organisation offen zu kritisieren: Kritische Händler und Geschäftsleute verloren binnen weniger Wochen alle ihre tamilischen Kunden und ihr Umsatz brach zusammen. Kritische Journalisten und Zeitungsverleger mussten erfahren, dass sie nach wenigen Monaten alle ihre Anzeigenkunden verloren hatten; wiederum andere Journalisten fanden plötzlich ihre Namen auf LTTE- oder aber auf islamistischen Webseiten wieder - sie galten hier als Sympathisanten des Jihad-Terrors (auch: K. Radtke 2006).

Einfache tamilische Angestellte und Arbeiter werden einem simplen aber dauerhaften Telefonterror ausgesetzt. Wie diese Details bereits deutlich machen: die lokale, fast totalitäre Kontrolle gelingt deshalb, weil die LTTE auch die neuen Kommunikations-, Austausch- und Reisemöglichkeiten, die sich dank der Globalisierung eingestellt haben, von Anfang an systematisch nutzte. Bereits in den 80er Jahren, lange bevor Indien die LTTE zwang, ihr Hauptquartier in Madras aufzulösen, erfassten LTTE-Buchhalter von hier aus alle Jaffna-tamilischen Flüchtlinge. Mit Hilfe altmodischer Bankregister führten sie exakt Buch über die jeweiligen monatlichen Spenden-Kontributionen. Inzwischen hat sich die LTTE auf die Mechanismen einer computerisierten internationalen Buchhaltung umgestellt. Die LTTE profitiert aber nicht nur bei der Eintreibung ihrer ordentlichen und außerordentlichen Finanzkontributionen von der Globalisierung. Offen oder geheim hat sie seit mehr als 10 Jahren begonnen wie selbstverständlich an einem globalisierten Waffenhandel, Drogenschmuggel und Menschenhandel teilzunehmen und hohe Gewinne einzustreichen. Diese legalen und illegalen Tätigkeiten finanzieren ihr nicht nur den Krieg, sie tragen auch direkt zur Organisation der Selbstmordattacken und Offensiven der LTTE bei.

Wie immer wieder neue Hinweise zeigen, unterhält die LTTE inzwischen eine rund 10 Schiffe umfassende eigene Handelsflotte. Die Schiffe sind in den Billigflaggenländern Panama, Honduras und Liberia registriert. Die offiziellen Schiffseigentümer und Reeder sind formal korrekte Geschäftsleute aus Bangladesch, Birma, Thailand, Südafrika, Malaysia oder Südindien. Da die LTTE mühelos auf die tamilischen Unternehmermilieus in Malaysia, Singapur, Südafrika und Hongkong, aber auch im Westen zurückgreifen kann, so ist der Nachweis einer letztendlichen LTTE-Kontrolle und Eigentümerschaft äußerst schwierig. Sie ist aber unabweisbar in denjenigen Fällen, in denen die indische und srilankische Marine diese Schiffe in der Nähe der nord-srilankischen Küste aufbrachte und dort für die LTTE bestimmte Waffen an Bord fand. Durch das beständige Umregistrieren dieser Schiffe ist es der LTTE bisher gelungen, mit der singhalesischen Regierung Katz und Maus zu spielen. Nur in den seltensten Fällen konnten die mit aufwendiger Technologie ausgerüsteten Schiffe in den Häfen von Thailand und Malaysia, etwa in Phuket/Thailand bestimmt werden. Mit der in "Panholib" registrierten Handelsflotte kann die LTTE konventionelle Transport- und Handelsgeschäfte betreiben, sie kann große Warenmengen schmuggeln und die für ihre Offensiven benötigten Waffen herbei schaffen (G.H. Peiris 2001).

Wie weit dieses Konten-, Firmen- und Transportnetzwerk reicht, zeigt eine Begebenheit vom Mai 1997: Das singhalesische Verteidigungsministerium hatte zu diesem Zeitpunkt über die (Waffen)Handelsfirma L.B.J. Military Supplies des Israeli Ben Tsoi den Kauf von 32.000 Mörsergranaten (Kaliber 81 Millimeter) angebahnt. Die Firma hat schließlich in Zimbabwe diese Mörsergranaten im Wert von drei Millionen Dollar bei den von China errichteten Zimbabwe Defence Industries gekauft. Die Granaten werden im Güterzug nach Mosambik transportiert und im Hafen Beira in das griechische Frachtschiff Stillus Limassul verladen. Am 11. Juli 1997 erreichte jedoch das folgende Fax die amerikanische Botschaft in Colombo:

"We, the Tamil Tigers, inform you by the present that on 11 July 1997 we have hijacked a vessel carrying arms destined for Colombo. We know that the manufacturer and the supplier of the mortar bombs is ZDI from Harare. The cargo (has been) confiscated. Me make known and warn that we will take action against all persons participating in the supply of military equipment used against the legitimate rights of Tamil people and we will severely punish those concerned." (bei P. Chalk 2000: 1-2)

Nachträgliche Untersuchungen zeigen, dass die Stillus Limassul nicht gekapert worden war. Sie war von Anfang an im Besitz der LTTE. Auf ihr dienen, wie auf allen LTTE-Schiffen, tamilische Seeleute aus Velvititturai, dem Heimatort Prabhakarans und das LTTE-Schiff war, mit oder ohne Wissen des israelischen Waffenhändlers dem ahnungslosen singhalesischen Verteidigungsministerium "untergeschoben" worden. Als das Fax eintraf, waren die Granaten bereits auf Schnellboote umgeladen und in die Dschungelbunker der LTTE geschafft worden. Die 32.000 Granaten sollten der singhalesischen Armee helfen, endlich die entscheidende Landverbindung von Vavuniya zum eroberten Jaffna freizukämpfen. Einen Monat später wurden sie jedoch mit schrecklicher Wirkung gegen die mangelhaft ausgerüsteten singhalesischen Rekruten eingesetzt (Interview mit K. Ganesh, Government Agent Vavuniya, 9.11.1998).

Neben die Teilnahme an einem globalisierten Seehandel und Waffenschmuggel tritt der Drogenhandel. Die LTTE hat es immer vermieden, im Westen, in Nordamerika oder in der EU, in den Transport oder den Verkauf von Drogen einzusteigen. In Südasien scheinen diese Bedenken nicht in gleichem Maße zu bestehen. Mit Hilfe des Schmuggels über die Palk Strait und über eigene Schiffe scheint die LTTE den Drogenmarkt auf Sri Lanka zu versorgen. LTTE-Kuriere scheinen auch in Südindien für die Kasse der LTTE gearbeitet zu haben. Noch bemerkenswerter aber sind die Angaben eines im Nordosten von Indien tätigen indischen Journalisten: An den Grenzen von Arunachal Pradesh, Nagaland und Manipur operieren nicht nur lokale birmesische oder assamesische Händler- und Schmugglerfamilien, hier sind auch einzelne Jaffna-tamilische "Basaris" hängen geblieben - unter ihnen Prabhakarans Großvater. Alle dieser Händlergruppen und Schmuggler scheinen auch im Opiumhandel engagiert zu sein. Die tamilischen Händler halten auch Geschäftsverbindungen zu dem nahe gelegenen "goldenen Dreieck" der Opiumherstellung im Norden Birmas aufrecht. Neben diese Aktivitäten tritt das Engagement der LTTE im Menschenschmuggel. Es häufen sich zumindest die Verdachtsmomente, dass die LTTE nicht nur den Transport von Personen zwischen Nordceylon und Südindien organisiert, sondern auch bei der Organisation der Fluchtbewegungen Asylsuchender Tamilen in die EU und Nordamerika Hilfe leistet - selbstverständlich gegen die Bezahlung hoher Geldbeträge.

Da die betreffenden Asylsuchenden diese Beträge nicht zahlen können, geraten sie von Anfang an in die Schuldabhängigkeit der Geheim- und Terrororganisationen. Mit Hilfe einflussreicher, technisch hoch qualifizierter tamilischer Geschäftsleute in weiten Teilen Asiens, Europas und Nordamerikas kann damit die LTTE in einer globalisierten Ökonomie einen zivilen Seetransport und Waffenschmuggel, Drogen- und Menschenhandel über weite Entfernungen und mit vermutlich hohen Gewinnen organisieren und steuern. Das gleiche auf politischer, ethnischer, kultureller und religiöser Affinität beruhende Diaspora-Netzwerk erleichtert der LTTE die Waffenbeschaffung: In fast allen "Failing or Failed States", die über eigene Waffenindustrien oder nach Kriegen über hohe Waffenbestände verfügen, sind Waffeneinkäufer der LTTE gesichtet worden: von der Ukraine über Birma bis nach Kambodscha, Zimbabwe und Westafrika. Diese Waffeneinkäufe haben die Elektroingenieure und Informatiker der LTTE in die Lage versetzt, technologisch anspruchsvolle Waffensysteme zu improvisieren und die Angriffe der singhalesischen Marine und Armee zurückzuschlagen. Die von ihr zum Einsatz gebrachten Stingerraketen, Bodenminen, mit Sprengstoff vollgepackten Schnellboote und Autobomben sind keine einfachen Vergeltungswaffen, keine Waffen der Armen. Sie entstammen einem internationalen Waffenbasar, zu dem nur finanzstarke und professionelle Unterhändler und Terrororganisationen Zugang finden (P. Chalk 2000).

Die genannten Geschäftsbereiche stützen sich auf eine neue "Weltunordnung". Zu dieser gehören zusammenbrechende Staaten, neue Gewaltmärkte, Billigflaggenländer und finanzielle Schlupflöcher, die einer international Terrororganisation das Handwerk erleichtern. Diese Unterseite der Globalisierung auf die sich LTTE in der Organisation des Kriegsgeschäftes stützt, wird in der offiziellen Selbstdarstellung der LTTE selten gezeigt. Hier dominiert eine andere Facette des Globalisierungsprozesses: der Einsatz einer globalisierten Medienkultur: Die Tamil-Intelligenzija, die die Hürden der Asylbeantragungsverfahren im Westen überwindet, ist eine hoch gebildete Gruppe, unter denen sich nicht nur Buchhalter und Ingenieure, sondern auch Akademiker, Journalisten und zahlreiche Gesellschaftswissenschaftler finden. Manche der Jaffna-tamilischen Akademiker haben schon seit langem, um den Schikanen und Karrierehürden der singhalesischen Bildungspolitik auszuweichen, Zugang zu englischen und amerikanischen Universitäten gefunden (R. Venugopal 2003).

Auf die freiwillige Kooperation mit dieser Intelligenzija gestützt, schafft es die LTTE ohne Mühen, ein vorbildliches Informationssystem und eine lückenlose Public Relation-Organisation zu errichten. Diese, zunächst auf Zeitungen, Zeitschriften und Newsletter aufgebaute Informationsstruktur wird frühzeitig auch in das Internet übertragen. Heute zählt die LTTE zu denjenigen Terrororganisationen, deren Websites diejenigen aller anderen Gewaltorganisationen an Masse, Qualität und handwerklicher Raffinesse in den Schatten stellen. Diese auf die westliche Öffentlichkeit, auf die indische Community und auf die eigene Diaspora ausgerichteten Informations- und Propagandainstrumente sichern der LTTE von Anfang an einen Argumentationsvorsprung. In den politisch entscheidenden USA, in Großbritannien, aber auch in Kanada kann die LTTE lange Zeit eine ideologische Vorherrschaft und moralische Hegemonialstellung gegenüber der singhalesischen Seite behaupten. Zumindest in den ersten acht Jahren des Bürgerkriegs steht die singhalesische Seite unter dem Zwang, sich für die ihr zu Recht von den Tamilen angelasteten Menschenrechtsverletzungen rechtfertigen zu müssen. In über 50 Ländern unterhält die LTTE Informationsbüros, Websites und Propagandanetzwerke. Lange Zeit kann sie damit die westliche Öffentlichkeit von der Rechtmäßigkeit ihres Aufstandes überzeugen.

Diese Informations- und Mobilisierungsleistungen sind vor allem in den USA von allerhöchster politischer Bedeutung: Als Einwanderungsland haben die USA von Anfang an die Einbürgerung, die politische Integration und Artikulation von Zuwanderungsgruppen gefördert. Auf ein umfassendes und kompetentes Nachrichten- und Argumentationssystem gestützt, vermag die tamilische Diaspora in den USA, zumindest während der 80er Jahre einen überdurchschnittlichen Einfluss auf die politischen Einschätzungsmuster in der Regierung gegenüber den beiden Konfliktparteien zu nehmen. An vielen amerikanischen Universitäten und Colleges sind tamilische Wissenschaftler beschäftigt. Sie können die akademische Diskussion in den USA zugunsten dieser marginalisierten und entrechteten Minderheit beeinflussen (D. Sriskandarajah 2004).

Wenn Globalisierung also den beschleunigten Transfer von Gütern, Kapital, Personen, Meinungen, Ideen und Stilelementen bedeutet, dann ist die LTTE vermutlich jener "Terrormulti", der die Chancen eines beschleunigten Austausches am besten genutzt hat: Sie treibt einen weiträumigen Seehandel und erwirbt weltweit die für sie notwendigen Waffen und Technologien; sie vertreibt weltweit ihr Propagandamaterial und steuert zielgenau ihre verschiedenen Gerichtsklagen, Konferenzen und Informations- und Propagandanetzwerke; die Kader der LTTE, oft mit britischen, kanadischen und amerikanischen Pässen, bewegen sich ohne spürbare Hemmnisse in einem weltweiten Verkehrsraum; ein modernes globalisiertes Bankensystem transferiert ihre Spendenmillionen an jeden Punkt der Erde; zugleich greift die LTTE auf traditionelle, von Geldverleiherkasten und "Hawala"-Büros betriebene Überweisungsmöglichkeiten zurück. Innerhalb der tamilischen Diaspora und ihrer Organisation fördert und verbreitet sie einen bestimmten ideologischen und zugleich folkloristischen Habitus und Stil. Sie zelebriert Gedenktage, fördert eine sentimentale Heldenlyrik und Märtyrerkultur und patronisiert eine interessengeleitete Heimat- und „Eelam"-Forschung (auch: R. Laegreid 2004).

 

Fortsetzung: Schmuggel- und Bildungstradition, Diasporanetzwerke und Globalisierung: Rahmenbedingungen für den Terror der Tamil Tiger (LTTE) (II)

 

Dieser Beitrag gehört zum Schwerpunkt: Südasien-Experten Spezial: Jakob Rösel .

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