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27. Dezember 2007. Analysen: Bangladesch - Kunst & Kultur Einmal Dhallywood und zurück

Ein Erfahrungsbericht aus der welkenden Kinolandschaft Bangladeschs

Als ich im Juli 2003 nach Bangladesch ging, um in der dortigen Hauptstadt Dhaka für ein Jahr bengalische Literatur zu studieren, versetzte ich meine Freunde in Deutschland ins Staunen. Und als ich im März 2004 die Hauptrolle in einer Dhallywood-Produktion annahm, wunderten sich meine bangladeschischen Freunde noch mehr.

Während sich in anderen Ländern Freunde wohl eher darüber freuen würden, wenn sie demnächst mit einer Schauspielerin per Du sein dürfen, rieten mir in Bangladesch alle Bekannten davon ab, diesen Weg einzuschlagen. Es hagelte Vorträge über eine verruchte Kinoindustrie, die ich nun erst recht erkunden wollte. Als schauspielernde Studentin der Südasien- und Medienwissenschaften sollten sich so Türen zu Geheimnissen öffnen, die vor allem für Ausländer sonst verschlossen bleiben.

Kasten Alternative Filme
Alternative Filme Foto: Carmen Brandt

Schon die Geburt des Kinos in Bangladesch war schwierig und langwierig. Vor 1947 war Kalkutta das Filmzentrum Bengalens. Und obwohl nach der Unabhängigkeit und Teilung Indiens viele muslimische Filmschaffende von Kalkutta nach Dhaka migrierten, erlebte die Kinokultur erst in den 1960er Jahren in Ostpakistan, dem heutigen Bangladesch, ein goldenes Zeitalter.

Sozialkritische und Volksthemen aufgreifende Filmproduktionen lockten schichtübergreifend ganze Familien ins Kino. Das Kino wurde zu einer wichtigen kulturellen Institution. "Als Kinobetreiber war man jemand. Auch Vertreter aus Politik und Wirtschaft pflegten gute Beziehungen zu lokalen Kinobesitzern. Denn so wollten sich auch einflussreiche Personen bei einem Familienausflug ins Kino die besten Sitzplätze sichern.", ließ mich Tanvir Mokammel (siehe Kasten "Alternative Filme") wissen.

Nach der Unabhängigkeit im Jahr 1971 stieg die Zahl der jährlichen Kinofilmproduktionen für den heimischen Markt rasant an. Gleichzeitig schossen Kinos wie Pilze aus dem Boden. Die neue Machtelite des jungen Bangladeschs wollte ihren Gewinnanteil an der beliebten Kulturinstitution und trieb durch relativ wahllose Investitionen in Filmproduktionen eine Kommerzialisierung der Kinokultur voran. Zudem wurden auch Vertreter der Kinolandschaft während des bangladeschischen Freiheitskampfes ermordet oder verschwanden spurlos, wie zum Beispiel Zahir Raihan, einer der kreativsten Filmemacher Ostbengalens.

Krise der Kinokultur

Das Fehlen kreativer Filmemacher und der Anstieg der am Fließband produzierten Kinofilme lenkten die Kinokultur Bangladeschs in die gegenwärtige Krise: Gewalt und Sex dominieren.

Mit Eintreffen der Videotechnologie und einem umfangreicheren Fernsehprogramm blieb vor allem die Mittelschicht 1 in den 1980er Jahren den Kinos fern. "Anstatt auf die Konsumbedürfnisse der Mittelschicht einzugehen, nahm die Qualität der Kinofilme weiterhin ab. Während Filmproduzenten in Indien die Krise des Kinos durch innovative und qualitativ hochwertige Kinofilme überwinden konnten, verpasste die Kinoindustrie in Bangladesch den Anschluss", so Tanvir Mokammel.

Tanvir Mokammel
Tanvir Mokammel im Gespräch Foto: Khademul Insan

Spätestens seit den 1990er Jahren und dem Eintreffen des Satellitenfernsehens auf dem indischen Subkontinent bevorzugt man den Filmkonsum im Wohnzimmer. Lediglich Filmfans, die sich keine bewegten Bilder in den eigenen vier Wänden leisten können, bleiben dem Kino treu. Viele renommierte Filmemacher produzieren mittlerweile nur noch für das Fernsehen, während die meisten Regisseure der staatlich geförderten Film Development Corporation (FDC) glauben, mit schnell produzierten Kinofilmen, gespickt mit "cut pieces" (siehe Kasten "Cut Pieces") voller Sex und Gewalt, die hauptsächlich männlichen mittellosen Kinozuschauer halten zu können. Jedoch werden auch diese der wiederkehrenden einfallslosen Geschichten oder schlechten Kopien von Bollywood-Filmen überdrüssig. Auch wenn Kinos die einzige Möglichkeit des Filmsehens für einen großen Teil der Gesellschaft darstellen, bleiben immer mehr diesen fern. Fazit: Die Kinokultur in Bangladesch befindet sich in einem maroden Zustand.

Die Ausländerin

Und welche Rolle konnte ich wohl in einem dieser kommerziellen Kinofilme spielen? Bevor ich meinen Vertrag für die Hauptrolle in dem in bengalischer Sprache gedrehten Kinofilm "Bideshini - From Bangladesh with Love" (Die Ausländerin - Aus Bangladesch mit Liebe) unterschrieb, ließ ich mir das Drehbuch geben und suchte unzählige Gespräche mit Shibli Sadik, dem Regisseur. So konnte ich sicher sein, dass ich in keinem vulgären oder Gewalt verherrlichenden Film mitspielen würde. Einige Freunde hielten mich für naiv, aber ich vertraute Shibli Sadik und seinem Anliegen: Mit diesem Film wollte er den Zuschauern nicht nur die Schönheit Bangladeschs aus dem Blickwinkel einer Ausländerin zeigen, sondern den bangladeschischen Kinofilm wieder in eine familienfreundliche Richtung lenken.

Carmen Brandt mit Helal Khan
Carmen Brandt mit Helal Khan Foto: Khademul Insan

Für dieses Unterfangen erhielt er neben privaten Investitionen auch finanzielle Unterstützung von verschiedenen Ministerien. Sie hofften, dass der Film auch im Ausland auf internationalen Filmfestivals den Ruf Bangladeschs verbessern würde, das sonst lediglich als korruptestes Land der Welt und durch Überschwemmungen Schlagzeilen macht.

So wie das Anliegen ist auch der Plot recht einfach gestrickt: Lisa (Carmen Brandt), eine verwöhnte US-amerikanische Millionärstochter, begegnet auf ihrer Flucht vor ihren herzlosen habgierigen Eltern dem Journalisten Joy (Helal Khan). Dieser rettet sie nicht nur vor Entführern, sondern erweist sich zudem als "orientalischer Gastgeber", wie er im Buche steht. Er zeigt ihr sein Bangladesch, dessen Menschen und Kultur: das einfache glückliche Leben auf dem Dorf, die Museen, die Nationalfeiertage, wichtige Sehenswürdigkeiten und die Natur. Und natürlich verlieben sich beide ineinander, was wie in Bollywood-Filmen durch eine Lied-Tanz-Sequenz verdeutlicht wird. Es gibt Missverständnisse, Misstrauen und ein unausweichliches Happy End.

Insgesamt dauerten die Dreharbeiten zwei Monate. Wir bereisten die schönsten Gegenden Bangladeschs und ich hatte die Chance, viele interessante und engagierte Menschen innerhalb und außerhalb der Kinoindustrie kennen zu lernen. Nur wenige Tage arbeiteten wir allerdings auf dem weitläufigen Gelände der FDC.

Wie in anderen Filmstudios, finden auch auf dem Gelände der FDC mehrere Filmproduktionen parallel statt. Während in einer Ecke die Fäuste fliegen, rennt in einer anderen die Heldin vor einem potentiellen Liebhaber oder einer Vergewaltigung davon. Zum Auftakt der Dreharbeiten von Bideshini wurde auf diesem Gelände ein Heiligengrab errichtet, an dem sich Lisa unter die Anhänger mischte, um schulterzuckend und kiffend den mystischen Klängen zu lauschen.

Kasten Cut Pieces
Cut Pieces Foto: Carmen Brandt

Dank Joy legt Lisa nicht nur die schlechte Gewohnheit des Rauchens ab, sondern geht voll und ganz in der Kultur Bangladeschs auf. Bangladesch kann ihr das geben, was sie in der westlichen Welt vergebens gesucht hat: Liebe und Vertrauen. Das Spiel mit den Klischees von Okzident und Orient ist unübersehbar und kostete mich viele nervenaufreibende ergebnislose Diskussionen mit Shibli Sadik.

Wie bei vielen anderen Kinoproduktionen, die auf Sex und Gewalt verzichten, fand die Premiere dieses Films im Fernsehen statt. Dadurch sichern sich die Produzenten nicht nur einen festen Einspielbetrag, sondern hoffen auch, die Mittelschicht wieder ins Kino zu locken.

Die Fernsehpremiere war am 22. Januar 2005 zu Eid-ul-Azha (muslimisches Opferfest), Video-CDs waren kurz darauf überall erhältlich und zur Kinopremiere am 7. April 2005 konnte das einst renommierteste Lichtspielhaus Bangladeschs, Modhumita, gefüllt werden. Eine Woche später wurde "Bideshini" jedoch wieder abgesetzt, da die Zuschauer ausgeblieben waren. Der Film lief noch in wenigen anderen Kinos in Dhaka, bevor er seinen Weg ins Archiv fand.

Bei einem internationalen Filmfestival 2006 in Dhaka stieß der Film wiederum bei Filmkritikern auf Begeisterung. Wieso konnte er im Jahr zuvor jedoch keine Zuschauer ins Kino locken? Der Grund dafür scheint auf der Hand zu liegen: Es gibt kaum noch ein Kinopublikum für diese Art von Produktionen. Neben den vulgären und gewaltreichen Filmen gibt es zwar jährlich noch eine Handvoll "sauberer" kommerzieller Produktionen und so genannter alternativer Filme, wie zum Beispiel Tareque Masuds Film "Matir Moina" ("The Clay Bird" – Das Vögelchen aus Lehm), der in Cannes einen Filmpreis gewann. Diese wenigen Filme werden jedoch in noch wenigeren Kinos gezeigt.

Filmplakat "Nogod"
Filmplakat von "Nogod" Foto: Carmen Brandt

Die so genannten alternativen Filme werden ausschließlich in von der Mittel- und Oberschicht frequentierten Kinos aufgeführt, zum Beispiel die Kinos Bolaka und Anondo in Dhaka und dem einzigen Multiplexkino des Landes, Star Cineplex, in dem ansonsten vor allem Hollywood-Produktionen zu sehen sind. Im Gegensatz dazu schaffen es die "sauberen" kommerziellen Filme nur ab und zu in diese Kinos. Wer es sich leisten kann, schaut qualitativ hochwertige Kino- und Fernsehproduktionen aus Europa, den USA und vor allem aus Indien, deren Filme in bangladeschischen Kinos nur während internationaler Filmfestivals aufgeführt werden dürfen. Durch die Vorurteile gegenüber einheimischen kommerziellen Produktionen werden auch die wenigen "sauberen" kommerziellen Kinofilme von der Mittelschicht abgelehnt. In den anderen Kinos wiederum stoßen sie teilweise auf Ablehnung, da das hiesige Publikum mittlerweile auf Gewalt und Sex eingestellt ist.

Gibt es eine Rettung für die Kinokultur in Bangladesch? Die Zeichen dafür stehen nicht gut. Nicht nur enorme Investitionen für moderne Technik in der extrem heruntergekommenen Filmindustrie sind nötig, um die Qualität der kommerziellen Kinofilme zu steigern, sondern auch eine Bewusstseinsänderung bei den kommerziellen und auch den so genannten alternativen Filmemachern ist gefragt. Während die Masse der kommerziellen Filmemacher an den männlichen mittellosen Kinobesuchern durch vulgäre und gewaltreiche Filme Geld verdienen will, produzieren die anderen für eine Minderheit. Während die einen ihr Publikum für dumm halten, überschätzen die anderen den Wissensdurst ihrer Zielgruppe.

Geschlossene Kinokasse
Geschlossene Kinokasse Foto: Carmen Brandt

Das Ergebnis ist das gleiche: Der Unterhaltungswert der Filme sinkt und die Kinos werden kaum noch besucht. Kinobesitzer schließen ihre Hallen, um auf den Grundstücken Shopping Malls oder Hochhäuser mit gewinnbringenden Appartements zu errichten. Allein in den letzten vier Jahren wurden mindestens 300 der 1000 Kinos landesweit geschlossen. Auch das einst renommierteste Kino Bangladeschs, Modhumita, wo die Premiere von "Bideshini" stattfand, wird demnächst geschlossen. Früher warb das Touristenministerium mit: "Visit Bangladesh before the tourists come!" Allen Fans des südasiatischen Kinos rate ich: "Visit Bangladesh before the last cinema closes!"


Fußnote

[ 1 ] Der Terminus "Mittelschicht" bzw. "middle class" ist gerade in Entwicklungsländern wie Bangladesch ein Schlagwort, um sich von der Masse der armen Bevölkerung abzugrenzen. Wer zur Mittelschicht gehört und wer nicht, bestimmen jedoch vor allem Indikatoren wie Einkommen und Besitz. Je nachdem, wie man welche Maßstäbe ansetzt, beläuft sich die Zahl der zur Mittelschicht in Bangladesch zählenden Einwohner auf 6 Millionen. (Hussain, Sayed Sarwer; Ara 2004: Bangladesh Retail Food Sector Report 2004) bis 13 Mio. (Lawson, Alastair 2002: Good times for bourgeois Bangladeshis). Insgesamt leben heute in Bangladesch etwa 150 Millionen Menschen.

 

Dieser Beitrag gehört zum Schwerpunkt: Film in Südasien .

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