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In den 1950ern besaß das Hindi-Kino einen weitgehend entwicklungsfokussierten, proto-sozialistischen und egalitären Charakter. In den 1960ern reflektierte es die enttäuschten Hoffnungen der nationalistischen Bewegung. Die Filme der 1970er Jahren griffen soziale Themen wie Kaste, Gender und Klasse auf und brachten eine beträchtliche Anzahl von Filmen hervor, denen die Verbindung von hoher Qualität, kommerziellem Erfolg und Sozialkritik gelang. Nach der "verlorenen Dekade" der 1980er, in der die Videorevolution die Demografie des Kinopublikums grundlegend veränderte, und das Kino Bombays in einem Morast aus Unterfinanzierung, schlechter Qualität und einem Übermaß an Sex und Gewalt versank, erlebte es in den 1990ern und zu Beginn des neuen Jahrhunderts einen erneuten Aufschwung. Der Kontext, in dem sich dieser vollzog, wurde durch eine Reihe wichtiger Entwicklungen bestimmt, von denen die Politik des Hindu-Nationalismus die bedeutendste darstellte. Seine enge Beziehung zum Hindi-Kino ähnelte der zur entwicklungsfixierten Politik der Kongressregierung in früheren Dekaden und spielte eine Schlüsselrolle im jüngsten Revival des Kinos.
Ökonomisch betrachtet, erlebte Indien gegen Ende des 20. Jahrhunderts eine fortgeschrittene Liberalisierung seiner Wirtschaft, was auch an einer zunehmend unverfrorenen Lobpreisung des freien Marktes und der sogogenannten Corporate Values im Hindi-Kino sichtbar wurde. In gesellschaftlicher Hinsicht führte die steigende Ungleichheit zur Verschärfung sozialer Klüfte und zur Erosion von Traditionen, gesellschaftlichen Institutionen und kulturellem Erbe. Neue und komplexe Formen der sozialen Dynamik und Politik manifestierten sich auf den indischen Bildschirmen. Auf der einen Seite wurde etwa die Kritik an Kasten oder am Patriarchat ersetzt durch eine unkritische Akzeptanz von Kasten-, Gender- und religiösen Strukturen der Privilegierung mitsamt der sie umgebenden Kultur. Auf der anderen Seite musste diese Akzeptanz jedoch unter den Rahmenbedingungen der neuen, kommodifizierten und "modernen" Kultur umgestaltet werden. Kulturell gesehen, erlebte Indien viele Veränderungen: die Öffnung hin zu globalen Kultur-Trends, eine wachsende Entfremdung von der dörflichen Welt und das Auftreten einer neuen Jugendkultur. All diese Veränderungen reflektierte das Hindi-Kino in mehr oder weniger indirekter Weise. In politischer Hinsicht stellte der Aufstieg des Hindu-Nationalismus das prägendste Phänomen der letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts dar. Bis auf wenige der extremeren Organisationen, wie die in Bombay beheimatete Shiv Sena, mussten die Vertreter des Hindu-Nationalismus für ihre Taten nur wenig Kritik seitens des Hindi-Kinos einstecken: vielmehr standen viele der neuen Themen im Kino in enger Verbindung zu den charakteristischen Themen der Hindutva-Politik, allen voran die neue Betonung der Frömmigkeit; die 'neue', aber nicht 'westliche' Frau; die Bedeutung der Diaspora-Inder als Vorbilder und Herzstück der Nation; die Korruptheit des alten indischen Politikstils (= Congress und andere Nicht-BJP-Politiker) und schließlich, die Zentralität der Themen Kaschmir, Terrorismus und Pakistan.
All diese Veränderungen vollzogen sich, während die Filmindustrie selbst einen grundlegenden Wandel in ihren inneren Strukturen erfuhr, insbesondere den Niedergang des Studiosystems; riesige internationale Distributionsnetzwerke und die Finanzierung durch respektablere und transparenter Mittel, wie eine förderliche Steuerpolitik und Kreditvergabe, ersetzten die restriktiven Rahmenbedingungen der Vergangenheit. Die Art und Weise, wie das Revival des Hindi-Kinos und die Politik des Hindu-Nationalismus ineinander griffen, wurde an zwei erfolgreichen Filmgenres besonders deutlich: dem "Nation-in-Gefahr"-Genre und dem "NRI"-Genre (NRI steht für Non-Resident Indian, Anm. d. Übersetzerin).
"Roja", "Sarfarosh" und "Mission Kashmir" sind die herausragenden Vertreter des "Nation-in-Gefahr"-Genres. Sie alle handeln vorgeblich von der terroristischen Bedrohung, die Kaschmir darstellt (und weniger häufig von der Gefährdung Kaschmirs durch den Terrorismus). Jeder dieser Filme beginnt mit einer Titel-Sequenz, die dem Publikum den Ernst der Situation vor Augen führt, in deren Rahmen sich die folgende Geschichte zutragen soll. Bei "Mission Kashmir" führte Vidhu Vinod Chopra Regie, ein Hindu aus Kaschmir und das vielbeachtetste Talent im Bombayer Kino der 1990er Jahre. "Sarfarosh" war das Regie-Debüt von John Mathew Mathan. "Roja" wurde von dem südindischen Regisseur Mani Ratnam gedreht. Die hervorstechende Gemeinsamkeit dieser Filme ist das Thema der nationalen Einheit und Sicherheit, die es gegen eine Vielzahl von Feinden zu schützen gilt: Pakistan, das Terroristen Unterschlupf gewährt; die Terroristen selbst und illoyale Inder, die für gewöhnlich als schäbig und heimtückisch dargestellt werden, ganz anders als die idealisierten indischen Männer, die weltgewandt und großherzig erscheinen. Diese Feindes-Kategorien gleichen den Stereotypen aller ausgegrenzten Gruppen: Muslime, Christen, Adivasis, Angehörige niedriger Kasten und Klassen sowie korrupte indische Politiker. Abgesehen von den neuen Schurken gibt es einige Charaktere, deren Tugenden als essentielle Schwächen dargestellt werden: die Botschaft lautet, dass manche Tugend zum Wohl der größeren nationalen Sache aufgegeben werden muss. Es gibt die gelassene politische Führungsriege, der das wahre Ausmaß der Gefahr verborgen bleibt. Der indische Staat wird in diesen Filmen typischerweise als nachlässig porträtiert: die dahinter stehende Botschaft ist, dass er härter und effektiver gegen den Terrorismus und andere Bedrohungen der Nation vorgehen müsste. Schließlich gibt es natürlich noch die Helden und Heldinnen aus "guten" indischen Familien. Üblicherweise gerät das idyllische Familienleben an einem bestimmten Punkt der Handlung durch einen Ausbruch von Terror aus den Fugen.
In keinem dieser Filme findet das Anliegen der indigenen Bewegung für ein unabhängiges Kaschmir groß Erwähnung. So bleibt der Eindruck zurück, dass die Unabhängigkeit Kaschmirs einzig und allein das Ziel der Terroristen ist. Wo, wie in "Mission Kashmir", ein gebürtiger Kashmiri namens Altaaf zum Terroristen wird, geschieht dies allein infolge seiner Traumatisierung, die er als Zeuge der brutalen Ermordung seiner gesamten Familie durch indische Armeeangehörige davon trug. Und sogar in diesem Fall wird der Held nur zum Terroristen, weil sein Trauma von einem ausländischen Terroristen ausgenutzt wird. Der Film wurde für seine offene Kritik an der von indischen Armeeangehörigen verübten Gewalt in Kaschmir gelobt. Diese Sicht ignorierte jedoch die Tatsache, dass der Film diese Gewalt als unausweichlich darstellt. Es ist die von ausländischen Terroristen initiierte Gewalt, die diese Brutalität erforderlich macht, wie tragisch auch immer ihre Folgen für einzelne Kashmiris sein mögen. Sie muss vor allem von den Kashmiris akzeptiert werden, die als "gute Muslime" angesehen werden wollen, und ihre bisweilen gefährlichen Folgen, wie etwa die Konversion Altaafs zum Terroristen, müssen notfalls mit noch größerer Brutalität bewältigt werden.
Muslimische Charaktere treten in den drei Filmen in unterschiedlicher Weise in Erscheinung. Ihre Darstellung reicht vom banalen "othering" wie in "Roja", wo sie nur als Terroristen vorkommen, bis hin zu einem komplexeren Diskurs, in dem Muslime an der Schwelle zur Ausgrenzung unter bestimmten Bedingungen erneut zur Nation zugelassen werden. In "Sarfarosh" gibt es zwei bedeutende muslimische Charaktere. Einer davon ist ein muslimsicher Polizeioffizier, der dem Befehl des Helden und leitenden Polizeikommissars Ajay Singh Rathod untersteht. Der andere ist der Kopf einer bewaffneten Operation, der öffentlich als in Indien und Pakistan gleichermaßen verehrter Sänger in Erscheinung tritt und dessen Berühmtheit als Deckmantel für seine kriminellen Umtriebe dient. Der zuerst genannte ist aufgebracht angesichts seiner erlittenen Diskriminierung, doch er wird von seinem Vorgesetzten, Rathod, gerügt, der ihm vorhält, nur an sich selbst zu denken und ihn an die Pflicht gegenüber seinem Land erinnert. Die Szene ist bemerkenswert, da sie mit einer der wichtigsten Konventionen in der Darstellung von gutem Betragen brach, nämlich dem Respekt gegenüber dem Alter. Und genau das verleiht der Szene ihre Wucht: ein älterer Muslim wird von einem jüngeren, wahrhaft nationalen Helden für seine kindische Selbstbezogenheit getadelt. Der ältere, jedoch im niedrigeren Rang stehende reagiert, indem er akzeptiert, dass sein echter Nationalismus in der widerspruchslosen Konzentration auf seine Arbeit und die Sicherheit des Landes besteht. Gute Muslime müssen um jeden Preis Indien gegenüber loyal sein und diese Loyalität fortwährend unter Beweis stellen. Der Charakter des muslimischen Sängers und Waffenschmugglers enthält zwei bedeutende Themen: einmal die Gefahr der Falschheit von Muslimen gegenüber vertrauensseligen Indern und die Darstellung der geteilten Kultur Indiens und Pakistans, die Pakistan Einflussmöglichkeiten in Indien eröffnet, welche für militärische oder terroristische Zwecke genutzt werden können.
Von den Mechanismen der Exklusion und bedingten Inklusion von Bürgern im "Nation-in-Gefahr"-Genre kommen wir zu den Mechanismen der Inklusion und privilegierten Eingliederung von Ausländern im "NRI"-Genre. In "Dilwale Dulhania Le Jayenge" folgt der in London ansässige, einzige Sohn eines verwitweten und allzu nachsichtigen Vaters der ebenfalls in London lebenden Heldin in den Punjab, wo sie in einer arrangierten Hochzeit mit dem Sohn eines Freundes ihres Vaters aus Kindheitstagen vermählt werden soll. In einer ironischen Wendung, der den Frauen ihren Platz im modernen Hindu-Patriarchat zuweist, dreht sich die Geschichte nicht so sehr darum, wie der Held die Liebe der Heldin gewinnt; das wird alles in ein paar Song-Sequenzen an touristischen Vorzeigestätten in Europa am Anfang des Films abgehandelt. Vielmehr handelt sie davon, wie der Held den Vater der Heldin umwirbt. Tatsächlich wird die Dramatik des Films durch die Weigerung des Helden, die Heldin gegen den Willen ihres Vaters zu heiraten, hervorgerufen. Er lehnt sogar den Rat ihrer Mutter ab, angesichts des erbitterten Widerstandes des Vaters mit ihrer Tochter durchzubrennen.
Auch in "Pardes" ist der Hauptprotagonist ein indischer Auswanderer, der es in den USA zu fantastischem Reichtum gebracht hat, in Los Angeles lebt und der für seinen Sohn um die Hand der Tochter eines alten Freundes anhält. Die schöne junge Tochter, Ganga, ist auf dem Land in Indien aufgewachsen. Sie ist unverdorben, indisch, traditionell und einfach schön: sie ist Indien. Ihr charakterschwacher Verlobter hingegen ist der jungen Ganga in keiner Weise würdig, was dem vor Liebe für seinen Sohn blinden Vater jedoch nicht bewusst ist. Der Film handelt davon, wie Ganga, rein und unverdorben wie die gleichnamige Göttin des Ganges, allmählich zu dem Schluss gelangt, dass die von ihr geliebte Person nicht ihr Verlobter, sondern dessen Adoptivbruder ist, der trotz seines Lebens in den USA indischer geblieben ist. Es ist nicht nur die elterliche Zustimmung, die hier ebenfalls über die Liebe triumphiert, sondern die junge Ganga trifft ihre Entscheidung erst, nachdem sie die Erlaubnis dazu von ihrem künftigen Schwiegervater erhalten hat: eine Ermahnung der Frauen an ihre Verpflichtung gegenüber zwei (oder sogar mehreren!) Familien.
Das "NRI"-Genre verhalf der im Niedergang begriffenen Bombayer Filmindustrie praktisch mit links zu ihrem Comeback. In diesem neuen Filmgenre gaben die Ausgewanderten, hauptsächlich höherkastige Hindus, ihr Debüt als tragende Protagonisten des Hindi-Kinos.
Dabei handelt es sich keinesfalls um eine zufällige Reflexion der Veränderung, die sich im Leben vieler Inder ereignete, – das heißt die wachsende Präsenz von Verwandten und Freunden im Ausland. Eher stellte es einen spezifischen Prozess dar, in dem ein bestimmter Typ des ausgewanderten Hindus eine beinahe unmögliche Kombination aus höherkastiger Herkunft, wirtschaftlichem Erfolg, kultureller Kompetenz in der westlichen Welt und einer wachsam gehüteten, traditionellen "höherkastige-Hindu"-Identität in das Drehbuch der indischen Nation eingeschrieben wurde als einer der Hauptmechanismen, durch den die Transformation zu einer Hindutva-Nation zur Vervollkommnung gelangen würde. Dies erforderte unter anderem eine Enträumlichung der Nation und ihre Umwandlung in eine Gemeinschaft, die sich ausschließlich durch die Teilhabe an einer (üblicherweise elitären) Kultur begründete. Noch umfassender und unabhängig davon, ob sie tatsächlich indische Auswanderer-Charaktere beinhalteten, wurden die erfolgreichsten Hindi-Filme durch ihre soziale und sogar durch ihre ideologische und kulturelle Präsenz transformiert. Sämtliche Darstellungen eines guten Lebens drehten sich um die Neugestaltung des Lebensstils der indischen Mittelschicht nach den gängigen Vorstellungen des Lebens der NRIs im Ausland. Ob es das Heim ("Hum Apke Hain Kaun"), das Internat ("Mohabbatein") oder ein Fernsehstudio ("Mission Kashmir") war - alle Schauplätze besaßen nun eine gewisse "internationale" Färbung. Darin spiegelt sich auch der Anspruch des Hindi-Kinos wider, ein Zentrum der kulturellen Produktion für die ganze Welt zu werden. Um diesen Anspruch zu verwirklichen, musste es Hollywood hinsichtlich der technischen Perfektion und von letzterer vorgegebenen, visuellen Standards Paroli bieten. Dahinter verbarg sich jedoch noch etwas anderes. Es reflektierte auch den Grad, bis zu welchem das Leben im Ausland, allen voran im Westen, sowie die Neuerschaffung dieses Lebens in Indien, den Gipfel der Ambitionen der vermögenden Schichten in Indien verkörperte. Die Tatsache, dass viele Inder eines davon oder beides erreicht hatten, spornte die Bestrebungen jener an, die noch nicht so weit gelangt waren. In diesem Sinne formte diese Re-Visualisierung ihre Träume, Wünsche und Projekte.
Indisches Leben, wie es im "NRI"-Genre porträtiert wurde, war das Leben höherkastiger Inder aus der Oberschicht. Das war der Hauptgrund dafür, dass dieses Filmgenre wenig mehr als eine endlose Aneinanderreihung von Ritualen und Zeremonien zu sein schien. Sie verbanden aufs Angenehmste die liebsten Freizeitbeschäftigung der vermögenden Elite, eine kostspielige Lebensführung, mit dem Anspruch auf rituelle Privilegien.
Unter den mit großer Opulenz gestalteten Hindu-Ritualen und -Zeremonien, die die Leinwände füllten, stachen die Hochzeiten hervor. Alle anderen Arten von Ritualen der höheren Kasten waren ebenfalls prominent vertreten. Es gab jedoch keinen Hinweis darauf, dass diese Rituale nicht von allen Indern, oder sogar allen Hindus, ausgeführt wurden. Ihre Darstellung konstituierte eine Richtgröße, der alle Inder, insbesondere die Hindus, nacheifern sollten. Angesichts der Tatsache, dass die Hindutva darauf ausgerichtet war, die Hindus größtenteils auf der Grundlage der Dynamik solcher Bestrebungen zu vereinen und all jene zu Außenseitern zu machen, die diesem Streben nicht folgten oder folgen konnten, verankerten die Filme diese Richtgröße in der übrigen Gesellschaft. Tatsächlich war ein zentrales Thema dieser Filme häufig, dass der materielle Erfolg der Hauptcharaktere auf der Konformität gegenüber der Tradition gründete, wofür diese Rituale der sichtbarste Ausdruck waren. Schließlich ist es allgemein anerkannt, dass Frauen als Hüterin der Tradition ein Merkmal darstellen, dass allen Nationalismen gemeinsam ist. Auch wenn dieses Merkmal in der frühen Konzeption der nationalen Identität im Hindi-Kino nicht fehlte, existierte daneben noch eine fortschrittlichere Vorstellung bezüglich des Platzes der Frau in der Nation, die mehr Gleichberechtigung, Handlungsmacht und Wertschätzung erstrebte und die Restriktionen der Tradition und des Patriarchats kritisierte. Insbesondere das Hindi-Kino der 1970er Jahre hat einige der herausragendsten feministischen Filme überhaupt hervorgebracht. In den 1990er Jahren erwachte dagegen die Idee der Frau Hüterin, nicht nur der Tradition, sondern der neu erfundenen Traditionen der höherkastigen Oberschicht zu neuem Leben.
(Übersetzung: Nadja-Christina Schneider)
Dieser Beitrag gehört zum Schwerpunkt: Film in Südasien .
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