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06. Juni 2007. Analysen: Bangladesch - Politik & Recht Politische Neuordnung in Bangladesch

In Bangladesch vollzieht sich derzeit eine massive politische Neuordnung. Indes scheint die armeegestützte Übergangsregierung von Fakhruddin Ahmed bei ihren Reformbemühungen erstmals an eine Grenze gelangt zu sein.

Die Rückkehr von Sheikh Hasina Wajed, der Präsidentin der Bangaldesh Awami League (BAL), nach Dhaka am 7. Mai 2007 war eine Sensation. Entsprechend äußerte sich die ehemalige Premierministerin nach siebeneinhalb Wochen Abwesenheit kurz nach ihrer Ankunft: "Dies ist mein Land, meine Heimat. Ich bin so froh, dass ich wieder zurückkehren durfte". Noch am 18. April hatte ein Sprecher des Innenministeriums erklärt, dass alle Beamten an den Flug- und Seehäfen angewiesen worden seien, Hasina das Betreten des heimischen Bodens zu verweigern.

Die Interimsregierung hatte bis zu ihrem plötzlichen Sinneswandel Ende April mehrmals betont, dass die von ihr angestrebten Reformen nur ohne die beiden prominentesten Politikerinnen des Landes möglich seien. Dabei machte die Regierung in den seit Beginn des Ausnahmezustands staatlich kontrollierten Medien anfangs Schlagzeilen mit einer landesweiten "Säuberungswelle". Nach monatelangen Unruhen und Straßenschlachten, die große Teile der Hauptstadt Dhaka und anderer Städte des südasiatischen Landes in der zweiten Jahreshälfte 2006 in "no-go-areas" verwandelt hatten, verhängte sie Anfang Januar dieses Jahres den Ausnahmezustand. Die Verschiebung der Parlamentswahlen und das politische Erdbeben nach dem Rücktritt der ersten Übergangsregierung kurz darauf scheinen rückblickend nicht nur ein böser Spuk gewesen zu sein, sondern waren die Vorboten einer radikalen Veränderung der politischen Landschaft durch die neuen Machthaber. 1

Machtpause für die Begums

Die angekündigte möglichst allumfassende Beseitigung jahrelang unangetasteter Missstände richtet sich insbesondere gegen käufliche Politiker und Geschäftsleute. Die seit 16 Jahren währende Ära, in der die politische Macht zwischen Sheikh Hasina Wajed und Khaleda Zia und ihren Klienteln hin und her gereicht wurde, hat Zwangspause.

Neben Zias Bangladesh Nationalist Party (BNP) und Hasinas BAL wirkten bisher alle anderen Parteien, bei denen es sich fast ausschließlich um Gruppierungen handelt, die sich ebenfalls um eine charismatische Führungspersönlichkeit versammeln, wie unbedeutende Statisten. Die Rivalität der von BNP und BAL geführten Lager um politischen Einfluss und die Macht im Staat hatte die Gesellschaft hochgradig polarisiert und wurde selten gewaltfrei ausgetragen. Als Folge sind Massenorganisationen wie Gewerkschaften und Studentenorganisationen sowie die Verwaltung auf allen Ebenen enorm zweigeteilt. Jeder Regierungswechsel bedeutete stets auch einen Komplettaustausch der zumeist bestechlichen Verwaltung.

Wenngleich die politische Rhetorik und die Härte der Konfrontation deutliche programmatische Unterschiede vermuten lassen, existieren zwischen den beiden Parteien keine wesentlichen ideologischen Differenzen. Der Wettbewerb um politische Pfründe wird verschärft durch eine heftige Feindschaft zwischen den beiden Parteiführerinnen. Die beiden Begums, wie muslimische Frauen in Südasien ehrenhalber genannt werden, sind aufgrund ihrer Herkunft die unangefochtenen politischen Erbinnen ihrer ermordeten Familienpatriarchen, zweier ehemaliger Präsidenten. Begum Zia leitete von Oktober 2001 bis zum vergangenen Oktober eine Koalitionsregierung, der erstmals auch Islamisten angehörten. Die maßgeblich von Begum Hasinas Awami League geführte Opposition blieb während nahezu der gesamten Legislaturperiode den Parlamentssitzungen fern. Vornehmlich organisierte sie derweil als hartals bezeichnete Streiks, um Druck auf die Regierung auszuüben.

Eben diese hartals führten letztlich dazu, dass ein immer größer werdender Teil der Bevölkerung sich in einer Zwickmühle zwischen den Begums wähnt. Die im vergangenen Oktober verfassungsgemäß zur Vorbereitung der Parlamentswahlen eingesetzte Übergangsregierung unter Leitung von Präsident Iajuddin Ahmed wurde tief in die Konfrontationen hineingezogen. Sie trat nach der Ausrufung des Ausnahmezustandes im Januar zurück. Geberländer und -organisationen begrüßten den Amtsantritt der zweiten Interimsregierung unter dem einstigen Zentralbankchefs und ehemaligen Weltbank-Mitarbeiter, Fakhruddin Ahmed, zunächst voller Hoffnung. Das Land gilt als ein Hauptbetätigungsfeld der internationalen Entwicklungszusammenarbeit in Südasien. Vor allem das westliche Ausland hofft angesichts der Situation auf eine handlungsfähige dritte politische Kraft. Die Europäische Union drängt in dem hochgradig korrupten Staat seit Jahren auf eine Verbesserung der Regierungsführung.

Machtambitionen des Militärs

Dem provisorischen Premierminister Fakhruddin Ahmed ist ein "Nationaler Sicherheitsrat" aus Offizieren an die Seite gestellt worden. In Brüssel, Berlin und anderswo schrillten daraufhin aus Angst vor dem offensichtlich erstarkenden Militär die Alarmglocken. Erinnerungen an die 1970er und 80er Jahre wurden wach. Damals wurden die Regierungsgeschäfte 15 Jahre lang aus den Armeevierteln von Dhaka befehligt.

Birsreshto Shaheed Jahangir Gate
Das Birsreshto Shaheed Jahangir Gate: Einfahrt ins Armeeviertel von Dhaka. Foto: Christoph S. Sprung

Ahmed erklärte Anfang Mai im ersten Fernsehinterview seit seinem Amtantritt, dass er die politische Macht inne habe und die Armee ihm lediglich helfend zur Seite stehe. Armeechef Moeen U Ahmed forderte - wohl auch in Hinblick auf Befürchtungen vor einem nach Herrschaft strebenden Militär - die Übergangsregierung demonstrativ zu Reformen und zur Stärkung der Demokratie auf. Diese seien unabdingbar, bevor Neuwahlen anberaumt werden könnten. Der Armeechef machte öffentlich keinen Hehl daraus, dass er nichts von einer Rückkehr zur "Wahldemokratie" hält. So habe diese versagt und zu Korruption, Menschenrechtsverletzungen und Kriminalisierung des Landes geführt. Was ihm als Alternative vorschwebt, ließ er aber offen.

Jedenfalls gelingt dem Interimspremier der Versuch, möglichst viele Missstände zu beseitigen, nur mit Unterstützung des Militärs, das als Strippenzieher im Hintergrund fungiert. Im Zuge der landesweiten Verhaftungswelle wurden bisher knapp 100 hochrangige Politiker festgenommen. Allein über 15 ehemalige Minister und viele hohe Beamte kamen in Gewahrsam. Ihre Luxuslimousinen wurden beschlagnahmt und ihre Bankkonten eingefroren.

Am 30. März wurde das Todesurteil gegen sechs islamistische Militante vollstreckt, die im Zusammenhang mit den Bombenanschlägen im August 2005 verurteilt wurden. Damals detonierten 400 Sprengsätze etwa zeitgleich in 63 der 64 Distrikte des Landes. Die Anschlagsserie illustrierte die wachsende Radikalisierung politisch-religiös motivierter Kräfte.

Doch beim Bestreben, innerhalb kürzester Zeit alles "zum Positiven" für die Bevölkerung zu wenden, fehlt dem Übergangsregime offensichtlich das Feingefühl. Betroffen von "Säuberungen" sind daher nicht nur Politiker und Geschäftsleute: Ende Januar wurden illegal errichtete Hütten und Geschäfte in mehreren Slums zerstört. Allein in der Hauptstadt Dhaka gibt es seither über 50.000 neue Obdachlose. 2 Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Odhikar starben in den ersten zwei Monaten bereits 50 Menschen im Zuge der "Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung". 3 Die Hälfte kam in Untersuchungshaft bei der paramilitärischen Eliteeinheit Rapid Action Battalion (RAB) zu Tode. Angaben von Human Rights Watch zufolge sind seit der Gründung des RAB im Jahr 2004 bereits 350 Menschen außergerichtlich von Mitgliedern der Eliteeinheit getötet worden. 4 Gerade weil die Opfer allen politischen Lagern entstammen, ist die "Säuberungswelle" durchaus Ausdruck einer blutigen Neuordnung.

Machtumbau

Sheikh Hasina Wajed und Khaleda Zia wurden von der Interimsregierung zur Bedrohung für die Ordnung im Land stilisiert. Es hieß, es sei zu befürchten, dass die beiden mit Hilfe ihrer Parteien die Reformen blockieren würden, die die neue Regierung seit der Erklärung des Ausnahmezustands begonnen habe.

Bei den Repressionen gegen die alten Kräfte ordnete die Übergangsregierung mehrmals Durchsuchungen des Hauses von Awami-League-Chefin Hasina, des Sudha Sadans, an. Diese Razzien in der Quasi-BAL-Zentrale entlockten einigen Parteigenossen missmutige Statements. Daraufhin zeigten Interimsregierung und Nationaler Sicherheitsrat, wie wenig tolerant sie gegenüber Kritik sind und ließen das Verbot aller öffentlichen politischen Aktivitäten umgehend um das Verbot aller politischen Aktivitäten in geschlossenen Räumen erweitern. Aufgrund des Erlasses mussten die Büros aller politischen Parteien schließen. Für Sheikh Hasina war dies Anlass zu einer vorübergehenden politischen Auszeit. Beim Abflug zu einem Besuch ihrer Tochter in den USA Mitte März hatte sie noch Mühe, ihre Landsleute und internationale Pressevertreter davon zu überzeugen, dass sie nicht ins Exil gehe. Währenddessen wurde gegen Hasina ein Mordprozess vorbereitet. Innerhalb weniger Wochen wurden entsprechende Ermittlungen abgeschlossen und die Akten einem Gericht übergeben. Nach Medienberichten wird die Ex-Premierministerin des Mordes an vier Parteimitgliedern der islamischen Jamaat-e-Islami beschuldigt, die während der Unruhen in der Hauptstadt im vergangenen Oktober getötet wurden.

Nachdem sie von den Anschuldigungen erfahren hatte, sprach die BAL-Chefin von Einschüchterungsversuchen seitens der Übergangsregierung. Nach einigen weiteren Tagen in den USA erklärte sie, nach Bangladesch zurückkehren zu wollen und sich den gegen sie erhobenen Anklagen zu stellen. Auf ihrem Rückweg über London musste sie, nachdem ihr der Weiterflug auf Betreiben der Regierung in Dhaka verwehrt worden war, unfreiwillig für mehrere Tage in Großbritannien pausieren.

Auch Khaleda Zias Handlungsspielraum ist enger geworden. Die 61jährige BNP-Chefin erhielt am selben Tag, an dem die Beschuldigungen gegen die Erzrivalin Hasina bekannt wurden, faktisch Hausarrest und strikte Besuchskontrollen. Tarique Rahman, der starke Mann innerhalb der BNP und ältester Sohn Begum Zias, wurde bereits Anfang März wegen Korruptionsvorwürfen verhaftet. Die Freilassung seines vorübergehend ebenfalls inhaftierten jüngeren und nicht politisch aktiven Bruders Arafat Rahman, nährte zwischenzeitlich Spekulationen, ob dies das Ergebnis eines Deals zwischen dem Regime und Zia sei. Es hieß, die Regierung würde Zias Söhne aus der Haft entlassen, wenn die umstrittene Politikerin dem Gang ins saudische Exil zustimme. Vermutlich daher übertrug Zia Ende April vorsorglich ihrem jüngeren Bruder, dem pensionierten Armeemajor Syed Mohammed Iskandar, die Vizepräsidentschaft in ihrer Partei. 5

Nicht zuletzt daher erregte eine Parteigründung durch den wohl populärsten Bürger Bangladeschs Aufmerksamkeit. Der "Ökonom der Armen" und Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus gab Mitte Februar bekannt, dass er plane, mit einer eigenen Partei und Unterstützung von Engagierten die politische Bühne betreten zu wollen. Das Ziel der Nagarik Shakti (Citizen's Power - Bürgerkraft) sei, die Armut im Land bis zum Jahr 2030 zu besiegen, kündigte Yunus an. Wenngleich er mittlerweile von seinen politischen Ambitionen Abstand genommen hat, verdeutlicht seine Politisierung auch die Neuordnung der politischen Szene. 6 Es heißt, dass immer mehr Geschäftsleute, pensionierte Beamte und Kriminelle quasi über Nacht durch Geld, Einfluss oder durch bezahlte Schlägertrupps Positionen von Politikern übernehmen.

Machtgrenzen

Dass die Übergangsregierung von ihrem ursprünglichen Plan, die Begums ins Exil zu schicken, Abstand nahm, ist wohl kaum auf Angst vor möglichen Druck durch BNP- und BAL-Mitglieder zurückzuführen. Nach offizieller Darstellung war die Entscheidung von "Meinungsäußerungen in den Medien und von anderen Seiten" inspiriert. Fakhruddin Ahmed ist als ehemaliger Mitarbeiter der Weltbank für Signale aus dem Ausland sicherlich empfänglich. Beobachter in Dhaka verwiesen auf Aussagen Sean McCormacks. Demnach habe der Sprecher des US-Außenministeriums erklärt, dass "die Demokratie in Bangladesch in Gefahr ist, falls die Interimsregierung nicht die richtigen Entscheidungen fällt". 7 Aus Großbritannien hieß es wenige Tage zuvor, dass London hoffe, dass der Notstand bald aufgehoben und ein Fahrplan für Wahlen bekannt gegeben werden würde. 8

Dabei verkündete A.T.M. Shamsul Huda, der Leiter der für die Wahlorganisation zuständigen Kommission, bereits Anfang April, dass seines Erachtens die Parlamentswahlen kaum innerhalb der kommenden 18 Monate abgehalten werden können. Übergangspremier Ahmed bekräftigte am 9. Mai, dass neben der nötigen Beseitigung von Korruption das Ziel die Wiederherstellung von Demokratie bis zum Jahresende 2008 sei. Ob die Vorwürfe gegen Sheikh Hasina nun fallen gelassen werden, bleibt vorerst unklar. Für das neue Regime bleibt allerdings genug Zeit und Handlungsspielraum für den Ausbau seiner eigenen Position.

Fußnoten

[ 1 ] Vgl. etwa die Entschließung des Europäischen Parlaments zu Bangladesch, Amtsblatt Nr. 033 E vom 09/02/2006 S. 0594 - 0596, online unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:52005IP0136:DE:HTML und A.K. Iftekharul Haque: Dhaka auf Brüssels Radar, in: suedasien.info (16. August 2005).

[ 2 ] John Sudworth: Many targets of anti-corruption drive, in: BBC News South Asia (12. März 2007), online unter: http://news.bbc.co.uk/2/hi/south_asia/6441179.stm

[ 3 ] 50 die, 95825 arrest in the first 60 days of emergency (14. März 2007), online unter: http://www.bangladesh-web.com/view.php?hidDate=2007-03-14&hidType=TOP

[ 4 ] Bangladesh: Stop Killings by Security Forces (25. Januar 2007), online unter: http://hrw.org/english/docs/2007/01/25/bangla15182.htm

[ 5 ] Vgl. Zia makes younger brother BNP vice chief (30. April 2007), online unter: http://www.earthtimes.org/articles/show/57520.html

[ 6 ] Haroon Habib: Enter a new player, in: Frontline (Volume 24 - Issue 05 : 10-23.3.2007)

[ 7 ] Vgl. Daily Press Briefing (24. April 2007), Spokesman Sean McCormack, Washington DC, online unter: http://www.state.gov/r/pa/prs/dpb/2007/apr/83613.htm

[ 8 ] Vgl. Pressemitteilung des Foreign & Commonwealth Office (19. April 2007): Foreign Secretary Meets Foreign Adviser To Bangladesh Caretaker Government, online unter: http://www.fco.gov.uk/servlet/Front?pagename=OpenMarket/Xcelerate/ShowPage&c=Page &cid=1007029391638&a=KArticle&aid=1176967923214

Quelle: Dieser Artikel erschien in einer leicht veränderten Version in: SÜDASIEN (Nr. 02, 27. Jahrgang/ Mai 2007, Seite 68-71).

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