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07. Mai 2007. Analysen: Sri Lanka - Politik & Recht Flüchtlingsströme, fliegende Tiger und Entführungen

Neue und alte Dimensionen des Bürgerkrieges in Sri Lanka

Im Osten der Insel rückt die Armee Sri Lankas immer weiter vor und drängt mit Hilfe der Karuna-Fraktion die Rebellen der Tamil Tigers zurück. Die Luftangriffe der neugegründeten LTTE-Luftwaffe sorgen derweil für eine neue Qualität des Bürgerkrieges. Während die Zahl von Binnenflüchtlingen rasch ansteigt, mehren sich die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung.

Fast unbemerkt von der internationalen Öffentlichkeit spielt sich derzeit eine humanitäre Katastrophe größten Ausmaßes in Sri Lankas Ostprovinz rund um die Stadt Batticaloa ab. Seit Beginn dieses Jahres verfolgt die Armee das Ziel einer Eroberung der Ostküste und vertrieb die Rebellen der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) erfolgreich aus der zwischen Trincomalee und Batticaloa gelegenen Region um Vakarai. Seitdem eskaliert die Lage zunehmend. Massive Luftangriffe und Artillerie-Feuer der srilankischen Armee gegen Rebellen-Stellungen in Thoppigalla lösten im März einen Flüchtlingsstrom von mehr als 160.000 Tamilen aus, die aus den umkämpften Gebieten fliehen. Damit gibt es in Sri Lanka insgesamt 300.000 Binnenflüchtlinge, teilte das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) im April mit.

Die Regierung glaubt an eine militärische Lösung

Präsident Mahinda Rajapakse und die Regierung von Sri Lanka sind davon überzeugt, die Tamil Tigers militärisch besiegen zu können. Sie glauben, die Rebellen im inoffiziellen vierten "Eelam War" in ein bis zwei Jahren schlagen zu können und treiben die Militäroffensive trotz internationaler Appelle für eine friedliche Lösung mit unvermittelter Härte voran. Den Friedensprozess 2002 nutzten beide Seiten zur massiven Aufrüstung, auf Seiten Sri Lankas werden nun sogar 40 Prozent des Staatshaushaltes für militärische Zwecke ausgegeben. Bei der Planung von Luftangriffen und counter insurgency-Operationen, also psychologischer Kriegsführung und Desinformationskampagnen, wird die srilankische Armee von pakistanischen Militärberatern unterstützt. Erst kürzlich unterzeichnete die Regierung einen Waffenhandel mit Pakistan im Wert von 250 Millionen US-Dollar.
Im Januar verkündete Armee-Chef Sarath Fonseka, die Armee werde bis zum hinduistisch-buddhistischen Neujahrsfest am 14. April den gesamten Osten der Insel unter ihre Kontrolle bringen. Dies ist ihr danach ansatzweise gelungen – auch wenn von einer vollständigen Eroberung noch nicht gesprochen werden kann, schrumpft das Territorium der Tamil Tigers zunehmend zusammen. Die Armeeführung gab außerdem wiederholt bekannt, dass der "Säuberung des Ostens" der Angriff auf das Vanni, das im Norden von Vavuniya liegende Kerngebiet der LTTE, folgen werde. Gleichzeitig wird eine Großoffensive in Richtung der nordöstlichen Provinzen um Mullaitivu vorbereitet.
Bereits jetzt versuchen die Streitkräfte immer wieder, in die von den Rebellen gehaltene Region nördlich von Vavuniya vorzudringen und beschießen dort liegende Dörfer regelmäßig mit schwerem Artillerie- und Mörserfeuer. Bisher konnten sie aber immer zurückgeschlagen werden. Dennoch ist es unübersehbar, dass das von der LTTE gehaltene Territorium sich verkleinert und sich im April 2007 nur noch auf den nördlichsten Zipfel zwischen dem Hauptquartier in Kilinochchi, der östlichen Region Mullaithivu, Vavuniya im Süden und Mannar im Westen konzentriert. Allerdings ist es kaum wahrscheinlich, dass die Armee auch gen Norden so schnell vordringen kann, wie im Osten des Landes: Der entscheidende Faktor für die Erfolge der Streitkräfte im Osten war die Spaltung der Rebellen durch Colonel Karuna. Dies trifft auf den dicht besiedelten Norden nicht zu, da eine Offensive dort zu enormen Verlusten unter der Zivilbevölkerung führen würde.

Tamil Tigers reagieren als weltweit erste Guerilla mit dem Aufbau einer Luftwaffe

Die tamilischen Rebellen verhielten sich über Monate hinweg eher defensiv und konzentrierten sich auf kurze Attacken, nach denen sie sich schnell wieder zurückzogen. S. P. Thamilselvan vom politischen Flügel der LTTE warnte Anfang März vor einem "Blutbad" auf der Insel. "Wir warnen Colombo davor, mit dem Feuer zu spielen und unsere Geduld als militärische Schwäche zu interpretieren." Dieser Warnung folgte kurze Zeit später eine der spektakulärsten Aktionen seit Beginn des Krieges: Am 26. März attackierten gegen 0:45h Ortszeit die tamilischen Rebellen mit zwei Leichtflugzeugen militärische Einrichtungen der Air Force auf dem 35 km nördlich von Colombo gelegenen Bandaranaike-Flughafen in Katunayake. Anschließend seien sie sicher in das von der LTTE kontrollierte Vanni-Gebiet zurückgekehrt, sagte LTTE-Militärsprecher Rasaiah Ilanthiraiyan gegenüber der Rebellen-nahen Internetseite TamilNet.
Mit dem Angriff reagierten die Befreiungstiger auf die wochenlangen Luftattacken der Regierungstruppen gegen ihre Stellungen im Nordosten des Landes. LTTE-Sprecher Ilanthiraiyan sagte, dies sei eine Maßnahme, um tamilische Zivilisten vor den Luftangriffen der srilankischen Armee zu schützen, die seit Wochen andauern. "Weitere Attacken werden folgen."
Ziel der Luftattacke waren zwei Hangars, in denen Kfir-Jets israelischer Bauart und russische MiG-27-Bomber der Sri Lanka Air Force abgestellt waren. Laut Luftwaffen-Sprecher Ajantha de Silva wurden bei dem Angriff drei Soldaten getötet und 16 weitere verwundet. Die Armee behauptete zunächst, dass kein Flugzeug zerstört wurde und von den drei gefallenen Bomben nur zwei explodiert seien. Später wurde bestätigt, dass zwei Helikopter beschädigt wurden. Auch wenn die Aktion vordergründig die Zerstörung materieller Infrastruktur zum Ziel hatte, ist die Symbolik psychologisch kaum zu unterschätzen: Die Rebellen sind als erste Guerilla der Welt zu Luftangriffen in der Lage. Im Gegensatz zur srilankischen Luftwaffe können sie auch nachts fliegen. Daher ist es sicherlich zutreffend, wenn die LTTE den Luftschlag als hundertprozentigen Erfolg bezeichnet, wenngleich der Sachschaden gering war.

Neue Dimension des Krieges

Wenn die Guerilla nun nicht mehr nur bei Attacken vom Boden aus abgestellte Flugzeuge angreift, sondern dies selbst mit Flugzeugen durchführen kann, bekommt der Schlagabtausch eine völlig neue Dimension. Der Aufbau der Air Tigers-Division durch die Guerilla dürfte die Regierung in Colombo zu einer ganz neuen Eskalationsspirale der Gewalt gegen den Nordosten animieren. Auch international bedeutet das eine andere Dimension: Wenn eine Guerilla über Luftunterstützung verfügt, legitimiert das weitergehende militärische Maßnahmen, unter denen letztendlich vor allem die Zivilbevölkerung leidet.
Der Luftangriff kommt nicht überraschend: Die Geheimdienste wussten bereits seit langem, dass die Rebellenorganisation aus ins Land geschmuggelten Einzelteilen Kleinflugzeuge zusammensetzt und damit eine Luftwaffe aufbaut. Immerhin sollen den Tigers zwei Flugzeuge und drei Flughäfen im Vanni-Distrikt zur Verfügung stehen. Bereits am 11. August 2006 flog die sich selbst so bezeichnende "Tamil Eelam Air Force" (TAF) einen Luftangriff auf die Palaali Air Base in Jaffna. Dort zerstörte sie Munitionsdepots und Artilleriepositionen.
Schon im Februar hatte ein Informant des Militärs in einem Internet-Blog aus dem Armeeumfeld vor einem Angriff auf den Kutanayake-Airport gewarnt. Am 24. April folgte der nächste Luftangriff seitens der LTTE als diese die Luftwaffenbasis Palaaly nahe Jaffna bombardierten. Sechs Soldaten wurden getötet, 30 verletzt. Nach dem Bombardement verschob die Armee ihre angekündigte Offensive im Norden zunächst, griff dann aber doch am 26. April das Hauptquartier der Rebellen in Kilinochchi an. Daraufhin flogen Flugzeuge der LTTE am 29. April kurz nach Mitternacht einen Einsatz gegen zwei Treibstofflager nahe der Hauptstadt Colombo. Der Angriff geschah, während in Colombo Zehntausende vor ihren Fernsehern saßen, um das in Barbados stattfindende Cricket-World Cup Endspiel zwischen Australien und Sri Lanka zu verfolgen. Die Armee stellte sofort in der gesamten Stadt den Strom ab, um mögliche Ziele weniger leicht identifizierbar zu machen. Über 30 Minuten lang sei der Himmel über Colombo von Luftabwehrfeuer erhellt gewesen, sagte ein Augenzeuge der BBC.

2001: LTTE verübt den schwersten Sabotageakt der Luftfahrtgeschichte

Der Flughafen von Colombo war bereits mehrmals Ziel von Angriffen: Zunächst versuchten die Tigers 1995 ein Attentat auf den Katunayake Airport. Ein mit Sprengstoff beladenes Taxi wurde allerdings von den Sicherheitskräften entdeckt und entschärft. Die Sicherheitsbestimmungen rund um den Flughafen wurden anschließend extrem verschärft. Umso schockierender war für die Regierung ein Anschlag am 24. Juli 2001, der im Hinblick auf die Flugzeugzerstörung als der schwerste Sabotageakt der Luftfahrtgeschichte gilt. Nachdem sie den Strom abgestellt hatten, zündeten die 14 Selbstmordattentäter der sogenannten "Black Tigers" nachts zahlreiche Bomben auf dem Flughafen in Katunayake. Insgesamt wurden 18 zivile und militärische Flugzeuge beschädigt oder zerstört. Darunter befanden sich zwei Kfir-Jets, ein MI-24 Helikopter und ein MIG-27-Kampfbomber. Bei dem verheerenden Anschlag wurde außerdem die Hälfte der zivilen Luftfahrt-Flotte der SriLankan Airlines zerstört, unter anderem zwei A-340-300 und ein A-330-200. Unter den 21 Toten befanden sich die 14 Attentäter sowie sechs Soldaten der Luftwaffe.

Das Flüchtlingsdrama um Batticaloa – Zwangsrückführungen und ethnische Säuberungen

Angesichts der weiter andauernden Armeeoffensive im Osten Sri Lankas ist die Zahl der Flüchtlinge dort nach Angaben des Bündnisses "Entwicklung hilft" – in dem sich die Hilfswerke Brot für die Welt, Deutsche Welthungerhilfe, medico international, MISEREOR und terre des hommes zusammengeschlossen haben – auf 160.000 gestiegen.
Anfang März 2007 begannen die Regierungstruppen damit, zahlreiche Flüchtlinge zwangsweise in die Region Trincomalee und Vakarai zurückzuschicken, die im Zuge der Armeeoffensive gegen die Tigers im Januar erobert wurden. Die Rückkehr geschieht eindeutig nicht freiwillig. Unter anderem berichtete das UN-Flüchtlingshilfswerk am 13. März, dass die Binnenvertriebenen (Internally Displaced Persons - IDP) von den Regierungstruppen gezwungen werden, in die Küstenregion nördlich von Batticaloa zurückzukehren. Auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch meldete am 16. März Bedrohungen und Einschüchterungen der Flüchtlinge, die nur in ihre Heimatorte zurückkehren wollen, wenn es dort die Sicherheitslage zuließe. Derzeit sind sie dort durch Geschützfeuer und Minenfelder bedroht.
Der tamilisch-kanadische Journalist David Jeyaraj hat wiederholt darauf hingewiesen, dass das Militär in den besetzten Gebieten aber vor allem eine Strategie ethnischer Säuberung betreibt. So seien im eroberten Küstenstreifen zwischen Sampur und Batticaloa singhalesische Siedlungen angelegt worden. Ihr Ziel sei es, die Verbindung zwischen dem Norden und dem Osten des tamilischen Gebietes zu kappen. Mit Sampur hat die Armee ein Gebiet erobert, das sich seit 1997 fest in Händen der LTTE befand.

Beide Seiten benutzen Zivilisten als menschliche Schutzschilde

Beide Seiten werfen sich vor, Menschen als Schutzschilde zu missbrauchen. So berichtete das LTTE Peace Secretariat am 12. März, die Armee nutze in Batticaloa das Webber Stadium als Artilleriestützpunkt. In unmittelbarer Nähe befinden sich zwei der größten Schulen, die Vincent Girls High School and das Batticaloa Central College. Durch diese strategische Position wird die LTTE daran gehindert, das Feuer zu erwidern: Es würde Zivilisten treffen.
Drei Tage später verbreitete die Armee die Nachricht, dass die LTTE – ähnlich wie bei der Eroberung von Vakarai – ihre Camps in unmittelbarer Nähe des Karadiyanaru-Hospitals an der Nationalstraße A5 westlich von Batticaloa aufgeschlagen habe, um es als Schutzschild zu benutzen. In der Folge sei es besetzt worden, um nur LTTE-Kämpfer dort versorgen zu können, was gemäß dieser Argumentation im Vorhinein eine etwaige Bombardierung eines Krankenhauses zu rechtfertigen könnte.

Staatlich gestützte Rekrutierung von Kindersoldaten auch durch die Karuna-Splittergruppe

Die Zivilbevölkerung gerät aber nicht nur durch die Kämpfe zwischen Militär und Tamil Tigers in Bedrängnis, seit Monaten wird sie auch von einer Abspaltung der LTTE, der sogenannten Karuna-Fraktion terrorisiert. Der frühere Regionalkommandant Ost der Tigers, Vinayagamoorthy Muraleetharan alias "Colonel" Karuna, spaltete sich 2004 von den Rebellen ab. Er gründete seine eigene Partei, die Tamil Makkal Viduthalaip Puligal (TMVP). Seitdem kämpft seine 2.000 bis 6.000 Kämpfer starke paramilitärische Gruppe gemeinsam mit den srilankischen Streitkräften gegen die Tamil Tigers.
Amnesty International berichtete von Aktivitäten der Gruppe in den Flüchtlingscamps, die sich in den von der Regierung kontrollierten Gebieten befinden. Dabei wurden Fälle bekannt, in denen Karuna-Anhänger Kinder entführten, um sie als Soldaten zu rekrutieren – eine Praxis, die bisher nur von der LTTE bekannt war. Die srilankische Regierung von Präsident Mahinda Rajapakse wird beschuldigt, Karuna bei diesen Entführungen und Zwangsrekrutierungen von Kindern in der Ostprovinz zu unterstützen. Der kanadische UN-Sonderberichterstatter Allan Rock beschuldigte die Regierung bereits im November 2006, Kindersoldaten zu rekrutieren. In einer Pressekonferenz am 8. Februar diesen Jahres in Colombo belegte er diese Vorwürfe erneut.19 Die Karuna-Gruppe wird außerdem mit mafiösen Gelderpressungen u.a. durch Entführungen in Verbindung gebracht. Das Militär bestreitet hartnäckig eine Zusammenarbeit mit der Splittergruppe. Es seien keine bewaffneten Gruppen außer den Regierungstruppen in den Camps erlaubt.

Sicherheitskräfte und Polizei sind in Entführungen verwickelt

Nicht nur die Kidnapping-Fälle durch Karunas Leute haben beunruhigende Ausmaße angenommen. Es tauchen seit einiger Zeit wieder die berüchtigten "White Vans" auf. Das sind ungekennzeichnete Lieferwagen, wie sie von Sicherheitskräften bereits in der 1980er Jahren für systematische Verschleppungen benutzt wurden. Über 16.000 Entführungsfälle sind bis heute unaufgeklärt.
Die Asian Human Rights Commission dokumentierte bis zum 26. Februar 59 aktuelle Entführungsfälle, von fast ausschließlich Tamilen. Sri Lankas Menschenrechtskommission spricht von 100 Verschwundenen allein in diesem Jahr in der Hauptstadt Colombo, der Region um Batticaloa und der Halbinsel Jaffna. Andere Quellen sprechen sogar von über 180 verschwundenen Personen in den Distrikten Jaffna und Vavuniya.

Quellen


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