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Es gibt eine und nur eine soziale Verantwortung eines Unternehmens: die Ressourcen so einzusetzen und die Aktivitäten so zu setzen, dass die Gewinne gesteigert werden, solange es sich dabei nur innerhalb der Spielregeln bewegt oder, anders gesagt, solange es sich ohne Täuschung oder Betrug dem offenen und freien Wettbewerb aussetzt. (Milton Friedman)
In einer Welt, in der Unternehmen immer neue Slogans übernehmen und dann wie Mantras wiederholen, bis sie an Geschmack verlieren und einem neuen Motto Platz machen, ist soziale Unternehmensverantwortung (Corporate Social Responsibility, CSR) eine Ausnahme. Sie darf nicht mit Philanthropie verwechselt werden, die von Altruismus und sehr oft auch von einer gewissen Eitelkeit angetrieben wird. Philanthropie ist unabhängig von Profitinteressen. CSR dagegen hat nichts mit Wohltätigkeit zu tun, sondern mit dem Geschäft.
CSR-Strategien dienen verschiedenen Unternehmenszwecken. Beispielsweise können sie das öffentliche Image einer Firma verbessern und den Verkauf fördern. Sie können Stolz bei den Mitarbeitern hervorrufen und dadurch deren Motivation steigern. Außerdem hilft CSR, Beziehungen zu Regierungen zu knüpfen, die Unternehmen durch Politik und Projekte Vorteile gewähren können. CSR versteht man also am besten als Marketingstrategie, was nicht abwertend gemeint ist. Unternehmensverantwortung kann gute Ergebnisse bringen; ein gewisses Eigeninteresse stabilisiert solche Initiativen normalerweise.
Der industrielle Kapitalismus formt die Welt. Was Unternehmen tun, hat nicht nur wirtschaftliche Bedeutung, sondern betrifft alle Aspekte menschlichen Lebens, inklusive Politik, sozialer Sicherheit oder der globalen Umwelt. Angesichts der problematischen Weltlage können Unternehmer nicht einfach weitermachen wie bisher. Man denke an die globale Erwärmung, an die 1,2 Milliarden Menschen in extremer Armut, die HIV/Aids-Pandemie oder die Bürgerkriege weltweit, die bis zu eine Milliarde Menschen betreffen. Das ist nicht die Ansicht eines rückständigen Kommunisten – es ist der Standpunkt derer, die Erfolg haben mit CSR, darunter der Gründer des Managementberatungsunternehmens SustainAbility, John Elkington (der den Begriff "Triple Bottom Line" prägte), die Global Reporting Initiative oder die Organisation Social Accountability International.
Heute müssen Unternehmensstrategen mehr als nur Land, Arbeit, Kapital und organisatorische Fragen berücksichtigen. Zumindest auf dem Papier dreht sich CSR darum, dass Unternehmen sich den großen Herausforderungen der Menschheit stellen. Einige nehmen das auch ernst, aber leider gibt es ebenso oft Grund, das Engagement zu hinterfragen. Selbst Enron, einer der Schurken der jüngeren Wirtschaftsgeschichte, veröffentlichte Berichte über soziale Verantwortung. Davon abgesehen fragt man sich, wie Fluglinien, Ölkonzerne oder Autohersteller angesichts des Klimawandels überhaupt Umweltverantwortung für sich beanspruchen wollen. Und handeln Tabakhersteller, deren Kerngeschäft die Gesundheit bedroht, wirklich sozial verantwortlich, egal wie gut sie ihre Mitarbeiter bezahlen? Kurz: Die von westlichen Multis gesetzten Standards sind oft wenig überzeugend.
Indien ist ein Land, das aus den Tiefen der Unterentwicklung auftaucht und sich darauf vorbereitet, einigen mächtigen Ökonomien Konkurrenz zu machen. Dass unsere einflussreichsten Wirtschaftsführer in CSR-Fragen sehr versiert sind, bedeutet nicht, dass sie Vorbilder aus dem Westen nachahmen. Eher zeigt es, dass sie die Zeichen der Zeit verstanden haben.
Es lohnt sich, sich eine Aussage des verstorbenen Unternehmers Dhirubhai Ambani ins Gedächtnis zu rufen, des Gründers der Reliance Group, des vielleicht wichtigsten Privatunternehmens Indiens: "Als Fabrikant muss ich Güter produzieren, die die Nachfrage befriedigen. Jeder muss seinen Job machen. Mein Job ist es, möglichst preiswert beste Qualität zu produzieren. Wenn man sich um alles gleichzeitig kümmern will, dann entsteht nichts Gutes. Wenn wir uns nicht um unsere Aktionäre und Arbeiter kümmern und anfangen, uns um die Welt zu sorgen, dann ist das heuchlerisch." Nichtsdestotrotz hat auch Reliance CSR-Programme.
Eine ganz andere Position vertrat JRD Tata, der 1939 Präsident von Tata Sons wurde. Er interessierte sich stark für die sozio-ökonomische Entwicklung der Kommunen, in denen Tata aktiv war – natürlich ging es ihm dabei immer auch um den Erfolg seines Unternehmens. Die Tata Group ist seitdem bekannt dafür, in Indien wichtige Beiträge zum Aufbau von Institutionen in den Bereichen Wissenschaft, Technologie sowie medizinische Forschung und Versorgung zu leisten – ganz ohne Bedingungen und lange bevor der Begriff CSR erfunden wurde.
Narayana Muthy, der Chef des Softwarekonzerns Infosys in Bangalore, sagt: "Soziale Verantwortung bedeutet, den Shareholder-Value zu maximieren und dabei zugleich Rücksicht auf alle Interessengruppen, Mitarbeiter, Konsumenten, die Gesellschaft, die Regierung und die Umwelt zu nehmen." Y.M. Deosthalee, Finanzchef von Larsen & Toubro, eines Baukonzerns in Mumbai, betont die Bedeutung nachhaltiger Entwicklung: "Katastrophenhilfe und andere Soforthilfe sind zwar wichtig, aber das Ziel von CSR sind produktive Formen sozialen Engagements, das zu dauerhafter Entwicklung beiträgt." Larsen & Toubro finanziert unter anderem die Ausbildung von Lehrern, die in benachteiligten Kommunen Aufklärungsarbeit zu verschiedenen Themen leisten.
Es gibt in Indien zahlreiche Aktivitäten, die als CSR firmieren. Darunter ist viel Gerede, aber auch einiges echtes Engagement für Armutsbekämpfung. Die private Fluglinie Jet Airways beispielsweise sammelt auf ihren Flügen Spenden für die Organisation Save the Children. Der indische Zweig der britischen Bank HSBC engagiert sich ebenfalls in der Kinderhilfe. Viele andere, darunter Hindustan Lever und Tata Steel, sind dem Global Compact der Vereinten Nationen beigetreten.
Dennoch hat CSR in Indien bisher kaum etwas bewirkt. Unternehmensverantwortung ist Sache der großen Konzerne, die lediglich einen winzigen Teil der arbeitenden Bevölkerung in Indien beschäftigen – nicht einmal zwei Prozent von fast 500 Millionen. In den unzähligen Kleinindustrien sowie in der Landwirtschaft sind Arbeitsrechte, Umweltschutz und gemeinnützige Wohltätigkeit kein Thema.
Indien mag ein aufstrebender Riese sein, aber es bleibt auch eine geplagte, gespaltene Gesellschaft. Die ehemalige Kolonialmacht Britannien beutete das Land aus und unterwarf es einer Politik des "Teile und Herrsche". Nach 60 Jahren Unabhängigkeit gibt Indien noch immer ein recht jämmerliches Bild in Fragen menschlicher Entwicklung ab. Nach 1947 setzte sich das Muster ungleicher Entwicklung fort, schuf enormen Reichtum für Wenige und eröffnete dem öffentlichen Dienst ein paar komfortable Nischen, während die Massen weiterhin in Armut leben.
Vor diesem Hintergrund reden Regierungsvertreter und Wirtschaftsführer heute ständig von sozialer Unternehmensverantwortung und öffentlich-privaten Partnerschaften (Public Private Partnerships - PPP). Zu oft allerdings lenkt diese Rhetorik von offenkundigem Regierungsversagen ab. Ein Beispiel ist der große Maidan-Park im Stadtzentrum von Kolkata. Die Briten hatten dieses Gebiet aus militärischen Gründen geräumt. Heute ist der Park die grüne Lunge einer überbevölkerten Metropole. Große Teile des Maidan aber sind vernachlässigt und in einem traurigen Zustand. Ein Abschnitt entwickelte sich sogar zu einem bekannten Kriminellentreffpunkt, ohne dass die Polizei jemals etwas dagegen unternommen hätte.
Unter Berufung auf CSR und PPP schloss ein privates Unternehmen kürzlich ein Abkommen mit den Behörden und verwandelte diesen Teil des Maidan in einen gepflegten Park. Aber wer ihn jetzt betreten will, muss dafür bezahlen. Im Gegenzug überließ die Stadtverwaltung dem Unternehmen Parkplätze im Wirtschaftsbezirk nahe dem Maidan – wertvoller Platz, der jetzt anderen Autofahrern im verkehrsreichen Stadtzentrum nicht mehr zur Verfügung steht. Diese PPP ist eindeutig von Vorteil für das Unternehmen, gleichzeitig hat der Deal Kolkatas öffentlich zugänglichen Raum reduziert. Es wäre deshalb absurd, das Geschäft als Beispiel sozialer Unternehmensverantwortung zu bezeichnen. Einige begrüßen es, dass ein Teil des Maidan "gerettet" wurde. Aber es wird kaum noch erwähnt, dass es normalerweise die Pflicht der Kommune ist, öffentliche Parks zu erhalten, öffentlichen Raum für alle bereitzustellen und vor allem Verbrechen zu bekämpfen. Die Kriminellen aus dem Maidan machen ihre Geschäfte jetzt einfach woanders, ohne von der Polizei belästigt zu werden.
Unternehmen haben gewisse Pflichten, aber das gilt auch für Behörden und Regierungen. Allzu oft kompensieren CSR-Initiativen in Indien lediglich Regierungsversagen. Die Zivilgesellschaft – zu der die Unternehmer gehören – sollte die Behörden auf Trab bringen, aber nicht die Aufgaben übernehmen, die korrupte oder lethargische Regierungen nicht erledigen.
Wenn soziale Unternehmensverantwortung in Indien Sinn machen soll, dann muss sie die Ursachen von Hunger, Verzweiflung und Not bekämpfen. Erst wenn diese Einstellung sich durchsetzt – auch im informellen Sektor –, wird CSR wesentliche Veränderungen bewirken. CSR muss darauf abzielen, dass alle Investitionen bestimmten sozialen, ökologischen, ethischen und ökonomischen Standards entsprechen. "Fortschritt", so wie wir ihn kennen, hat in Indien bisher nur die Teilung vertieft zwischen denen mit und denen ohne Zugang zu Technologie.
Wer wissen will, worum es bei Corporate Social Responsibility eigentlich geht, sollte sich an Milton Friedmans Aussage erinnern, dass es Aufgabe der Wirtschaft sei, Gewinne zu maximieren. Aus dieser Perspektive verdeutlicht sich die Relevanz von CSR. Letztlich haben die Aktionäre das Sagen. Aber in der globalisierten Welt von heute, in denen Unternehmen an vielen Orten gleichzeitig präsent sind, ist es in ihrem Interesse, die Bedürfnisse lokaler Gemeinschaften zu berücksichtigen – zumindest auf dem Papier. Werden also die Interessen der Aktionäre denen der lokalen Bevölkerung untergeordnet? Oder aber verschleiert das CSR-Gerede lediglich die Interessen der Unternehmen, um die Gemeinschaften vor Ort glauben zu machen, ihre Interessen deckten sich mit denen der Aktionäre? Es gibt durchaus Konzerne, die überzeugt davon sind, dass die Beachtung der Anliegen von Interessengruppen unterm Strich zum besten Ergebnis führt. Aber es gibt auch Unternehmen, die nur so tun, als ob.
Demokratie in Indien heißt, Regierungen zum Funktionieren zu bringen. CSR darf nicht dazu führen, dass Behörden ihrer Verantwortung nicht mehr nachkommen. Alle geplanten PPPs sollten daraufhin sorgfältig geprüft werden. Regierungen – ob auf nationaler, bundesstaatlicher oder kommunaler Ebene – müssen die ihnen von der Verfassung zugewiesenen Aufgaben erfüllen. Sie dürfen ihre Verantwortung nicht einfach abgeben.
Auf globaler Ebene sind die Aufgaben für die Menschheit so groß, dass soziale Unternehmensverantwortung allein bestenfalls kleine Inseln der Verbesserung im Ozean der Krisen erreichen kann. Und wahrscheinlich können wir schon froh sein, wenn wenigstens das gelingt.
Quelle: Der Artikel erschien im Orginal in: E+Z Zeitschrift für Entwicklung und Zusammenarbeit 4/2007, S. 152 - 154.
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