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19. März 2008. Analysen: Indien - Wirtschaft & Soziales Ikone selbstloser Menschlichkeit: Baba Amte, 1914-2008

Lebenslanger Kampf für Lepra-Kranke, Behinderte und Adivasis

Murlidhar Devidas "Baba" Amte starb Anfang Februar 2008 an Blutkrebs. Er verkörperte wie kein Anderer den selbstlosen Einsatz für die in der indischen Gesellschaft extrem diskriminierten Lepra-Kranken und Körperbehinderten. Später setzte er sich auch für die durch Mega-Projekte, wie den Narmada-Staudamm, vertriebenen Adivasis (Ursprungsbewohner) ein.

Seit 1951 baute Baba Amte den Anandvan Ashram (Wald der Freude) auf unfruchtbarem Land in Bhamragarh im Distrikt Chandrapur in Maharashtra zum Heim für ca. 5.000 dort geheilte Lepra-Kranke sowie Behinderte und Waisen auf. In den 1960er Jahren ließ sich Baba Amte, nach Billigung durch seine Frau Sadhanatai, Lepra-Bakterien spritzen, um neue Medikamente und Gegengifte im Kampf gegen Lepra zu testen. Diese Verdammten dieser Erde 1 betreiben im Anandvan Ashram mittlerweile eigene Schulen, Colleges, eine Druckpresse, Webereien und Hühnerhaltung. Sie verwenden angepasste Technologien und bauen einfache sowie dem Klima angemessene Wohnungen.

Ein wahrer Vertreter der indischen Zivilgesellschaft

Baba Amte, ein wirklicher Vertreter der indischen Zivilgesellschaft, schuf durch eigene Anstrengungen eigenständig Ressourcen, zusammen mit diesen an den Rand der Mehrheitsgesellschaft Verstoßenen. Amte entstammte einer wohlhabenden Familie mit größerem Grundbesitz (Jagirdar) 2 , und war in seinen frühen Jahren mit Luxus verwöhnt worden. Von Beruf Rechtsanwalt gab er seine lukrative Praxis in Zentralindien auf und arbeitete selbst im Anandvan Ashram hart mit, um viele Morgen Ödland fruchtbar zu machen. Sein Motto "Ich möchte nicht Eure Almosen, ich wünsche nur eine Chance" gab Zehntausenden an Lepra Erkrankten und Behinderten sowie Millionen im Namen von Kasten-, Geschlechts-, Religions- und ethnischer Zugehörigkeit Unterdrückten Hoffnung, so der Sozialaktivist Harsh Mander. 3

Baba Amte startete 1985 auf Fahrrädern eine Bharat Jodo (Strickt/verwebt Indien)-Kampagne von Kanyakumari nach Kashmir sowie später von Ost nach West. Empört über die Massaker an Sikhs nach der Ermordung Indira Gandhis 1984 riet er Jugendlichen in den entferntesten Gebieten des Subkontinents: "Erhebt niemals Eure Hand zur Gewalt oder für Almosen. Erhebt nur Eure Hand um zu bauen." Sie sollten sich über chauvinistische Trennungen wie Kommunalismus im Namen von Religion, Region, Kaste und Sprache erheben und für ein humanes und inklusives Indien arbeiten. Baba Amte, ein überzeugter Säkularist, führte außerdem mehrere Friedensmissionen in den bürgerkriegsähnlichen Punjab der 1980er und 90er Jahre an.

Baba Amte unterschied sich mehr als wohlwollend von den nicht wenigen modernen Jet-Settern im Bettelgewand, die im Namen der Armen, so zum Beispiel der indischen Kinderarbeiter, unseren Globus bereisen. Sie heimsen, ganz im Gegensatz zu Baba Amte, nicht selten viele Millionen an Spenden- sowie Steuer-Euro und -Dollar aus dem Westen ein, die in ihren oft keineswegs effizienten und zudem kaum transparenten Projekten mehr oder minder unkontrolliert versickern. Allerdings gibt es hier leider vielfach eine Symbiose von Geber- und Nehmer-Interessen.

Kampf gegen Lepra und die Zerstörung der Umwelt

Murlidar Devidas Baba Amte wurde 1983 von der Damien-Dutton Gesellschaft für Leprahilfe für sein Engagement in der Leprabekämpfung ausgezeichnet, ein Jahr vor Mutter Teresa. Baba Amte erhielt außerdem den Ramon Magsaysay-Preis, der als Asiens Nobelpreis betrachtet wird und nach dem ehemaligen Präsidenten der Phillippinen benannt ist.

K. R. Narayanan, der als Persönlichkeit und Dalit herausragende Präsident der indischen Republik, überreichte Amte für seine Arbeit mit Leprapatienten 1999 den renommierten Gandhi Friedenspreis. Baba Amte, auf seine Art ein Gewissen der indischen Nation, gab den Padma Shri und Padma Vibushan, Indiens zweithöchsten Orden, zurück. Er protestierte damit gegen den Bau des Narmada-Staudamms, die Vertreibung der dortigen Adivasis und ihre schlechte Behandlung bei der sogenannten Rehabilitation.

Im Alter von 70 Jahren unterstützte er rückhaltlos die von Medha Patkar als Symbolfigur getragene Narmada Bachao Andolan (NBA), die sich gegen den Narmada-Staudamm - einem von 150 Dämmen in ganz Indien - wandte. Diese Staudämme, so eine NBA-Deklaration, dienten nur den Interessen der städtischen Elite und der reichen Farmer.

Fast zehn Jahre lebte Baba Amte, der sich in späteren Jahren auch dem Umweltschutz verstärkt verschrieb, in einer einfachen Hütte am Ufer des Flusses Narmada. In höchster gandhianischer Tradition verließ er zuvor sein Lebenswerk und verabschiedete sich damals von den Bewohnern in Anandvan mit den Worten: "Ich gehe, um am Narmada zu leben. Narmada wird auf den Lippen der Nation als ein Symbol aller Kämpfe gegen soziale Ungerechtigkeit nachklingen."

Der auf Bildern eine würdevolle, fröhliche und tiefe Menschlichkeit ausstrahlende Baba Amte litt an einem schweren Rückgrat-Leiden und konnte seit vielen Jahren kaum noch stehen. Trotzdem beteiligte er sich, auf einer Krankentrage liegend, an strapaziösen Demonstrationen und Märschen gegen das Staudamm-Projekt, trotz speziell gegen ihn gerichteter Repressalien mit Menschen verachtendem Zynnismus durch die staatlichen Organe der Unionsstaaten Madhya Pradesh und Gujarat. In Maharashtra führte Baba Amte erfolgreiche Kämpfe gegen zwei Staudammprojekte durch, die sonst große Waldgebiete und den Lebensraum von Tausenden von Adivasis überflutet hätten. 4 Nach dem faktischen Scheitern der Narmada-Bewegung kehrte Baba Amte zwar mit leeren Händen aber  doch erhobenen Hauptes nach Anandvan zurück, um inmitten seiner Gemeinschaft von 5.000 durch Lepra, Augen- und physische Leiden gezeichneten Menschen sowie Waisenkindern bis zu seinem Tod zu leben.

Das Erbe lebt fort

Die Lebensgeschichte von Baba Amte und das Andenken an diese herausragende Persönlichkeit der indischen Zivilgesellschaft könnten auch wohl meinenden Europäern den Blick schärfen, um die Spreu vom Weizen im Milliardensektor der indischen NGO-Industrie zu unterscheiden und die oft folgenlose Verschwendung internationaler Gelder für humanitäre Zwecke entscheidend zu verringern bzw. in Zukunft besser zu steuern.

Baba Amtes Söhne Vikas und Prakash, beide sind Ärzte, arbeiten seit vielen Jahren pionierhaft in den Dschungel-Gebieten von Gadchiroli und Chandrapur, mittlerweile zusammen mit ihren Söhnen. Sie errichteten Schulen und Waisenheime für die ethnische Gruppe der Maria Gonds, die in den Wäldern leben, sowie Schutzhütten für wilde Tiere. Die Söhne setzen auch das Erbe ihres Vaters im Anandvan Ashram fort. Zusammen mit Baba Amtes Frau Sadhanatai weilten sie in den letzten Stunden seines Lebens bei ihrem Vater.

Darryl D'Monte, Autor des Buches Men & Women Who Shaped Todays' India, würdigte den Verstorbenen: "Führer wie Baba Amte sind wie Meteoren, die einmal in einer Lebenszeit am Firmament explodieren und die Dunkelheit, die uns umgibt, erhellen." Die indische Präsidentin Pratibha Patel bezeichnete den Verstorbenen als einen "Heiligen", während Premierminister Manmohan Singh ihn "einen Gandhianer unserer Zeit" nannte.

Fussnoten

[ 1 ] So der algerische Psychoanalytiker, Schrifststeller und Theoretiker des (algerischen) antikolonialistischen Befreiungskampfes Frantz Fanon.

[ 2 ] Ursprünglich schon während des Sultanats von Delhi durch die Lodi-Dynastie  "die Vergabe eroberter Gebiete als Militärlehen (jagir) an militärische Gefolgsleute"

[ 3 ] Harsh Mander: The Man Who Gave Us A Chance. Janata, Vol. 63, No. 4, February 17, 2008, S. 3-4

[ 4 ] Philip George: The youngest among the young. Tehelka, 1. 3. 2008, S. 62-65

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