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07. März 2007. Analysen: Indien - Wirtschaft & Soziales Unentbehrlich und doch verachtet

Müllsammlerinnen in Pune

Tag für Tag schleppt sie ihren Sack kilometerweit durch die Straßen der Großstadt. Mit den Augen einer Jägerin sucht sie Straßengräben, Müllkontainer und Hinterhöfe nach verwertbaren Abfällen ab. Glasflaschen, Plastikkanister und Zeitungsreste wandern in ihren schmutzig-weißen Plastiksack. Dabei ist sie stets auf der Hut vor korrupten Polizisten, die Schmiergeld fordern.

Müllsammlerin
Müllsammlerin in einem Vorort von Pune. Foto: Rainer Hörig

"Hin und wieder verletze ich mich an Glassplittern oder Rasierklingen", klagt die zierlich gebaute Mittvierzigerin. "Am gefährlichsten ist die Arbeit während der Regenzeit, wenn die Krankheitserreger in den Müllhaufen brüten und alles glitschig wird dass es einem übel wird."

Mainabai Narwade ist Müllsammlerin, eine von etwa 7.000 in der Drei-Millionen-Stadt Pune, die 125 km südöstlich von Mumbai (Bombay) auf dem Dekkan-Hochland liegt. In ganz Indien sind schätzungsweise 1,5 Millionen Menschen gezwungen, so ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Über 90 Prozent sind Frauen, fast alle gehören der Gemeinschaft der Dalits an ("die Gebrochenen"), wie sich die Unberührbaren heute selbst nennen. In einem Land, das weder Sozialhilfe noch eine Arbeitslosenversicherung kennt, stellt das Müllsammeln die letzte Rettnung vor dem Verhungern dar. Mainabai etwa wurde durch eine Naturkatastrophe Müllsammlerin: "Ursprünglich stamme ich aus einem kleinen Dorf mehr als 500 km östlich von hier", erklärt sie redegewandt. "Während der schrecklichen Dürre von 1972 verloren wir unser Land und flohen nach Pune in der Hoffnung, hier unser Glück zu finden."

Mainabai
Vor der Haustür fischt Mainabai die Wertstoffe aus dem eingesammelten Hausmüll. Foto: Rainer Hörig

Für Mainabai und ihre Kolleginnen liegt das "Glück" buchstäblich auf der Straße. Der durchschnittliche Tagesverdienst beträgt 75 Rupien, umgerechnet etwas mehr als ein Euro. Aber frau muss früh aufstehen, denn wer als erste kommt, findet die besten Stücke. Vom frühen Morgen an streifen sie durch die Stadt, mittags sortieren sie ihre "Beute" und liefern sie beim Schrotthändler ab. Erst am Nachmittag kehren die Müllsammlerinnen heim, wo schreiende Kinder und hungrige Ehemänner warten. "Wir wohnen in einem Slum nicht weit von hier", berichtet Mainabai. "Mit der Familie meiner Schwester teilen wir eine dreimal drei Meter große Wellblechhütte. Insgesamt sind wir zehn Personen. Der Slum hat Gemeinschaftstoiletten und Stromanschluss. Unser ganzer Stolz ist ein alter Schwarzweiß-Fernseher."

In jeder indischen Stadt sind Müllsammlerinnen unterwegs - ausgemergelte, zerzauste Gestalten, die von den meisten gemieden werden. "Viele Menschen empfinden zwar Mitleid angesichts ihrer erbärmlichen Lebensbedingungen, aber kaum jemand fühlt sich für ihr Los verantwortlich", konstatiert Laxmi Narayan, die Müllsammler in Pune organisiert. "Sie entsorgen täglich 150 Tonnen Abfall in dieser Stadt, das macht ein Sechstel des gesamten Abfallberges aus. Sie helfen somit der Stadtverwaltung, Kosten zu sparen. Außerdem führen sie der Recyclingindustrie Rohstoffe zu und halten die Stadt sauber. Unglücklicherweise werden ihre Dienste jedoch nicht anerkannt, weder von der Mehrzahl der Bürger noch in weiten Bereichen der Verwaltung."

Müllverkauf
Eine Müllsammlerin verkauft ihre Ware an einen Händler. Foto: Rainer Hörig

Wilde Abfallhalden, überquellende Container, offene Abwasserkanäle - Indiens Städte sind kein Vorbild in puncto Sauberkeit. Viele Bürger klagen, die städtischen Müllabfuhren seien korrupt und ineffizient. Eine Verbrennung des Hausmülls erscheint wegen des hohen Anteils nassen, bio-organischen Mülls nicht lohnend. Die Städte schaffen sich den stinkenden Müll vom Hals, indem sie ihn in riesige Gruben, meist außerhalb der Stadtgrenzen deponieren. Aber mit steigendem Wohlstand wächst auch der Abfallberg und vielerorts nähern sich die Deponien ihren Kapazitätsgrenzen. Erst langsam greift ein Bewusstsein um sich, dass den Müll auch als Rohstoffquelle begreift.

Indien besitzt eine weitverzweigte und diversifizierte Recyclingindustrie – für arme Länder ein gängiger Weg, den Import teurer Rohstoffe zu umgehen. Laxe Umweltauflagen und fehlende Kontrollen helfen der Branche, weiter zu wachsen. So groß ist deren Rohstoffhunger, dass Indien Abfälle aller Art aus aller Welt importiert: Computerschrott, Bleibatterien, Plastik, Papier- und Metallschrott, darunter auch viele Gefahrenstoffe. Nach Angaben der Aufsichtsbehörde Directorate of Foreign Trade importierte Indien während des Wirtschaftsjahres 2004/05 tonnenweise Quecksilber, Krankenhausmüll, PCB-Chemikalien, Pestizidabfälle und Asbest. Im September 2004 starben zehn Arbeiter in einer Stahlschmelze in Ghaziabad nahe Delhi, als in einer Lastwagenladung Metallschrott eine Granate explodierte. Im Januar und Februar 2006 erregte der ausgemusterte französische Flugzeugträger Clemenceau weltweit Aufmerksamkeit, als seine Fahrt zum Schiffsschrottplatz im westindischen Alang gestoppt werden musste. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hatte gegen den Import des Schrottschiffes protestiert, weil es angeblich große Mengen an Asbest enthalte. Die Vertragstaaten der Baseler Konvention, zu denen sowohl Frankreich als auch Indien gehören, haben den Export von Asbest und anderen gefährlichen Chemikalien untersagt.

Müllabfuhr
Städtische Müllabfuhr in Pune. Foto: Rainer Hörig

Dem weltweiten Trend zur Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen folgend versucht die indische Regierung, die Malaise in der Abfallwirtschaft durch "outsourcing" zu lösen. In den meisten Metropolen des Landes haben Privatfirmen Teilbereiche der Abfallentsorgung übernommen. Ihre Arbeiter holen den Müll direkt an der Haustür ab, sortieren ihn und führen die Wertstoffe der Recyclingindustrie zu. Die Erfahrungen sind bislang ermutigend. Die betroffenen Stadtteile seien sauberer geworden und die Kosten für die Müllabfuhr gering geblieben, wird behauptet. Aber es gibt einen großen Verlierer: den Müllsammlern wird ihre Rohstoffbasis entzogen. Im Kalkül von Ministern und leitenden Bürokraten spielt diese kleine, versprengte Randgruppe jedoch keine Rolle. Aktivisten haben daher die Notwendigkeit erkannt, Müllsammler zu organisieren und ihnen eine Stimme zu verleihen.

In Pune haben sich rund 5.000 Müllsammler in der Gewerkschaft Kagad Kach Patra Kashtakari Panchayat, kurz KKPKP zusammengeschlossen. Der "Papier-, Glas und Blech–Arbeiter–Rat" kämpft seit 1993 für die Anerkennung und die Existenzsicherung von Müllsammlern. Ihrer Forderung nach Registrierung und Authorisierung durch die Ausgabe von Ausweisen verliehen sie 1996 mit einer Menschenkette um das Rathaus Nachdruck. Der Protest hatte Erfolg. Heute besitzen alle Müllsammler in Pune einen Ausweis, der sie zum Sammeln berechtigt. Zusammen mit der Stadtverwaltung hat die Gewerkschaft das Beschäftigungsprogramm "swachateche warkari" für Müllsammler entwickelt, das seit Januar 2005 in einigen Stadtteilen erfolgreich praktiziert wird. Die Hochschullehrerin Laxmi Narayan, welche die KKPKP leitet, erläutert, was es mit den "Pilgern zur Sauberkeit" auf sich hat: "Authorisierte Müllsammler holen den Abfall an der Haustür ab, trennen organischen vom trockenen Müll und verkaufen die Wertstoffe. Die Haushalte zahlen für diesen Dienst eine Monatsgebühr von fünf Rupien (umgerechnet acht Eurocent). Die Müllsammler gewinnen so bessere Arbeitsbedingung und ein sicheres Einkommen."

Plastik-Recycling-Fabrik in Pune
Arbeiterin in einer kleinen Recycling-Fabrik für Plastik in Pune. Foto: Rainer Hörig

Zur Zeit arbeiten 1.000 Müllsammler als "Sauberkeitspilger" und entsorgen den Abfall von rund 200.000 Haushalten in Pune. Auch Mainabai trat vor kurzem der Gewerkschaft bei und ist begeistert: "Heute werden wir längst nicht mehr so schmutzig und es wird uns nicht mehr übel beim Arbeiten. Wir genießen jetzt einen Status als Arbeiterinnen. Früher gab es zwar wertvollere Stücke zu entsorgen, aber die Abgabe durch die Haushalte gleicht den Verlust aus. Auf jeden Fall ist die Arbeit leichter und besser geworden."

Die Gewerkschaft KKPKP will das Programm auf die ganze Stadt ausweiten. In Zukunft, so das Kalkül, wird die Abfallentsorgung von einer Melange privater und öffentlicher Firmen dominiert sein. Die Gewerkschaft will sicherstellen, dass die Müllsammler in dieser Konstellation einen festen Platz einnehmen. Laxmi Narayan: "Wir fordern die Integration von Müllsammlern in die formale Abfallwirtschaft, etwa durch eine Lizenzvergabe an Einzelne oder Kooperativen. Die Müllsammler müssen bei der Privatisierung bevorzugt berücksichtigt werden."

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