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13. Februar 2007. Analysen: Bangladesch - Politik & Recht Wahlen im Ausnahmezustand?

Nach wochenlangen Unruhen sind die für den 22. Januar 2007 geplanten Parlamentswahlen verschoben worden. Zuvor war der Ausnahmezustand verhängt worden, und Präsidenten Iajuddin Ahmed trat von seinem Amt als Leiter der Übergangsregierung zurück. Am 14. Januar kam die neue Interimsregierung unter Fakhruddin Ahmed erstmals in Dhaka zusammen. Beobachter hoffen nun auf Ruhe in der angespannten Situation. Soldaten und Paramilitärs patrouillieren derweil in den Städten.

In den späten Abendstunden des 12. Januars legte Präsident Iajuddin Ahmed völlig überraschend die von ihm vorübergehend wahrgenommenen Regierungsgeschäfte nieder und erklärte, dass es nicht mehr möglich sei, die Wahlen termingerecht durchzuführen. Er begründete seine Entscheidung in einer landesweit ausgestrahlten Fernsehansprache mit "drohenden wirtschaftlichen Einbußen und Anarchie". Am folgenden Morgen herrschte in der Hauptstadt Dhaka angespannte Ruhe. Strategisch wichtige Punkte wurden von der Armee und paramilitärische Truppen kontrolliert. Das Versammlungsrecht und die Pressefreiheit wurden suspendiert. Private Fernsehsender mussten ihre Nachrichtenprogramme stoppen, Print- und Onlinemedien ist es verboten, politische Nachrichten - insbesondere über Proteste und Demonstrationen - zu verbreiten. Kritik an der Regierungsarbeit ist nicht gestattet. Darüber hinaus wurde eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. Viele fühlen sich dadurch unweigerlich an die wiederholten Militärherrschaften der 1970er und 80er Jahre erinnert. Als Leiter einer neuen Interimsregierung wurde der ehemalige Zentralbankchef Fakhruddin Ahmed vereidigt.

Lähmender Machtkampf

Die Aufgabe der Interimsregierung ist es, freie und faire Wahlen zu ermöglichen. Präsident Iajuddin Ahmed stand als Leiter der Übergangsregierung seit seinem Amtsantritt am 29. Oktober 2006 im Mittelpunkt der sich wöchentlich verschärfenden politischen Krise. Generalstreiks (hartals), massive Straßenproteste und Verkehrsblockaden führten zu Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der bis zum 27. Oktober regierenden national-islamistischen Koalition unter Führung der Bangladesh Nationalist Party (BNP) und der der einflussreichsten Oppositionspartei, der Bangladesh Awami League (BAL). Ein Massenaustritt von Parteipolitikern, Abgeordneten und Ministern aus der damals noch regierenden BNP in die neu gegründete Liberal Democratic Party (LDP) verschärfte die politische Gemengelage Ende Oktober 2006 zusätzlich.

Awami Poster
Protest-Poster der Bangladesh Awami League (BAL) zur Regierungszeit unter Führung der Bangladesh Nationalist Party (BNP) in Jessore. Dabei wird rhetorisch hinterfragt, ob die Mitgliedschaft in der BAL ausreiche, um von Staatsseite kriminell behandelt zu werden. Foto: Christoph S. Sprung

Die wiederkehrenden - oft auch blutigen - Krisen, hervorgerufen durch die Rivalität zwischen den beiden politischen Führerinnen Khaleda Zia (BNP) und Sheikh Hasina Wajid (BAL), sind bereits über eineinhalb Jahrzehnte alt, jedoch wurde bisher nie der Ausnahmezustand verhängt. Dieser Schritt bringt das politische System nun in eine durch die Verfassung nicht geregelte Situation: Weder ein Wahltermin später als 90 Tage unter einer Übergangsregierung noch eine erneute Machtübergabe sind gesetzlich vorgesehen.

Der Konflikt zwischen Zia und Hasina hat nicht nur die wichtigsten Parteien in eine unnachgiebige Gegnerschaft verkeilt, sondern, mit Ausnahme der Armee, immer mehr Institutionen einschließlich der Polizei politisiert. Jede öffentliche Tätigkeit in dem südasiatischen Land wird mittlerweile im Hinblick auf Nähe oder Gegnerschaft zur BNP bzw. BAL beurteilt. Die Machtmittel des Staats werden von der jeweils regierenden Partei gegen den politischen Gegner schonungslos eingesetzt. Dies ist der Grund warum die Awami League und andere Oppositionsparteien der BNP Khaleda Zias nach ihrer Machtübergabe vorwarfen, in den vergangenen fünf Jahren Schlüsselpositionen in der Wahlkommission mit ihren Sympathisanten besetzt zu haben. Zudem haben von der gesellschaftlichen Spaltung in BNP- und BAL-Sympathisanten bisher islamistische Parteien profitieren können, die zuletzt der BNP als Juniorpartner zur Seite standen. Mit Rückendeckung der BNP, deren Macht von der Unterstützung durch die Islamisten abhing, konnten diese in der vergangenen Legislaturperiode ihre Kader- und Tarnorganisationen landesweit ausbauen.

Präsident Iajuddin Ahmed wurde bezichtigt, den Urnengang zu manipulieren und eine Mehrzahl der Ämter seiner Übergangsregierung der BNP nahe gestanden zu haben. Meldungen über gefälschte Wahllisten, die bis zu bis zu zwölf Millionen nicht-existierende Wählernamen enthalten haben sollen, waren der Anlass für die Ausweitung der Proteste. Oftmals mündeten diese in Zusammenstößen zwischen demonstrierenden Parteianhängern und Sicherheitskräften. Seit der Machtübergabe an die nun zurückgetretene Interimsregierung starben dabei knapp 50 Menschen.

Die politische Reißleine zogen am Tag vor dem Rücktritt von Iajuddin Ahmed, der im repräsentativen Amt des Staatspräsidenten verbleibt, die Vereinten Nationen (VN) und die Europäische Union (EU). Beide Organisationen, die in dem stark von internationaler Entwicklungszusammenarbeit abhängigen Land als bedeutende Geldgeber operieren, beriefen ihre Wahlbeobachter ab. Sie sahen aufgrund der Krise schlichtweg keine Legitimität mehr für einen Urnengang zum jetzigen Zeitpunkt.

Internationale Sorgen um die Rolle des Militärs

Der drohende Wahlboykott, den Hasina für ihre BAL bereits zu Jahresbeginn angekündigt hatte, versetzte die meisten internationalen Geber, aber auch das einflussreiche Nachbarland Indien und andere Staaten endgültig in Alarmbereitschaft. Die VN erklärten ihre Sorge um die Neutralität des in den letzten Monaten bereits wiederholt gegen Straßenproteste eingesetzten Militärs. In Bangladesch finden Warnungen der Weltorganisation noch Gehör, da eine kaum zu unterschätzende Einkunftsquelle Dhakas die internationalen Einsätze mit Blauhelm-Soldaten sind, an denen sich das Land überdurchschnittlich stark beteiligt. Die EU drängte nach der Verhängung des Ausnahmezustands auf eine schnelle Rückkehr zu demokratischen Standards.

Besorgt über den Einsatz der Armee verweist die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch auf deren Vorgehen während der "Operation Cleanheart" im Jahr 2002. Bei der damaligen Offensive der Staatsgewalt gegen die ausufernde Kriminalität waren 50 Menschen "verschwunden". Dem Rapid Action Battalion, einer 2004 gegründeten paramilitärischen Spezialeinheit, die dem Innenministerium unterstellt ist, wird von Menschenrechtsverteidigern vorgeworfen, dass seit ihrer Gründung vor knapp zwei Jahren über 350 Verhaftete in ihrem Gewahrsam gestorben seien.

Jatiya Sangsad Bhaban
Das Jatiya Sangsad Bhaban (Haus der Nationalversammlung) ist das Tagungsgebäude des Nationalparlaments in Sher-e-Bangla Nagar in Dhaka. Das Gebäude wurde von dem US-amerikanischen Architekten Louis I. Kahn (1901-1974) entworfen und gilt als eines der größten Parlamentsgebäude der Welt. Foto: Christoph S. Sprung

Nicht erst seit dieser jüngsten Krise sind sich viele der 140 Millionen Einwohner und einflussreiche Staaten einig, dass die Konfrontation zwischen den beiden politischen Führerinnen beendet werden muss. Trotz 70 Parteien, die zur verschobenen Wahl antreten wollten, fehlt den knapp 80 Millionen Wählern aber eine aussichtreiche politische Alternative. Die Gründung der LDP ist ein weiterer Versuch eine neue Kraft zu etablieren. Als drittstärkste Partei gilt zurzeit jedoch die Jatiya Party, die von vielen Analysten im Vorfeld der nun abgesagten Wahlen zum Zünglein an der Wage stilisiert wurde. Ihr Vorsitzender ist der frühere Militärdiktator und Präsident General Hossain Mohammad Ershad. Dieser wurde erst am 17. Januar von der Justiz wieder auf freien Fuß gesetzt, nachdem er Mitte Dezember für einen zehn Jahre zurückliegenden Korruptionsfall zu zwei Jahren Haft verurteilt worden war. Durch das Verfahren war der Ex-General vorübergehend von einer Kandidatur bei den Wahlen ausgeschlossen worden. Da Ershads Jatiya Party mit der BAL koalieren wollte, liegt der Verdacht nahe, dass das Verfahren gegen ihn im Interesse der BNP politisch motiviert war.

Mit seinem Rücktritt als Interimspremier und der Bekanntgabe, das umstrittene Wählerregister zu überarbeiten, erfüllte Iajuddin eine zentrale Forderung des von der Awami League geführten Oppositionsbündnisses. Postwendend stellte die BAL die Machtabgabe und die Ankündigung Iajuddins als einen "Sieg des Volkes" dar. Zudem räumte Iajuddin Ahmed, der als Verbündeter Khaleda Zias gilt, ein, seine Rolle als Leiter der Interimsregierung habe "die Nation gespalten". Laut Medienberichten wurde daher auch wiederholt dem Friedensnobelpreisträger und Ökonom Muhammad Yunus der Posten des Übergangsregierungschefs angeboten. Er genießt landesweit hohes Ansehen, schlug das Amt jedoch aus.

Iajuddin Ahmed ist mittlerweile von BNP-Parteimitgliedern zum Rücktritt vom Amt des Staatspräsidenten aufgefordert worden. Der als neutral geltenden neue Interimspremier Fakhruddin Ahmed ordnete unterdessen den Austausch einiger führender Generäle und am 20. Januar die Verhaftung von mutmaßlich kriminellen Politikern an. Dabei wurden 12.000 Menschen auch aus Reihen der BAL und BNP verhaftet. Bisher wurde kein neuer Wahltermin beschlossen. Angesichts einer Revision der Wählerlisten kann davon ausgegangen werden, dass noch Wochen - wenn nicht gar Monate - bis zu den Parlamentswahlen vergehen. Vermutlich muss das Verfassungsgericht angerufen werden, um einen neuen Wahltermin festzulegen. Es scheint, als sei die Regelung einer Übergangsregierung, die in den vergangenen zehn Jahren erst zweimal angewendet wurde, mehr ein strukturelles Hindernis als eine besondere Errungenschaft für das politische System Bangladeschs. Beobachter sehen Monate voller Ungewissheit und Unsicherheit auf eines der am dichtesten besiedelten Länder der Welt zukommen.

Quelle: Dieser Artikel erschien in: SÜDASIEN (Nr. 01, 27. Jahrgang/ Februar 2007, Seite 49-51).

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