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30. August 2006. Analysen: Politik & Recht - Sri Lanka Konflikteskalation in Sri Lanka

Waffenstillstand am Ende?

Bei Kämpfen im Nordosten der Insel und Anschlägen starben allein in den ersten zwei Augustwochen landesweit über 500 Menschen. Erstmals seit dem Inkrafttreten des Waffenstillstands im Jahr 2002 drangen das Militär des singhalesisch-dominierten Südens und die tamilischen Rebellen der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) in vom Gegner gehaltene Gebiete vor. Die skandinavische Sri Lanka Monitoring Mission (SLMM) und internationale Vermittler stehen vor der schwierigsten Herausforderung seit Jahren.

Trotz des offiziellen Festhaltens an der Waffenstillstandsvereinbahrung ähnelt die Situation auf Sri Lanka wieder den Kriegszeiten vor 2002. Seit Ausbruch des Bürgerkrieges im Jahr 1983 starben rund 65.000 Menschen, davon allein über 1.300 seit Jahresbeginn. Die Regierung und die tamilischen Rebellen der LTTE machen sich gegenseitig für die Eskalation verantwortlich.

Nach dem Tsunami Ende Dezember 2004 hatten viele Beobachter auf eine Chance für den Frieden gehofft, der seit dem Waffenstillstand von 2002 greifbar schien. Doch anders als in der indonesischen Krisenprovinz Aceh ließ sich das durch die Naturkatastrophe aufgestoßene window of opportunity in Sri Lanka nicht für einen Friedensschluss nutzen.

Während in den von der Regierung kontrollierten Gebieten des Inselsüdens erhebliche Wiederaufbaufortschritte erzielt wurden, gestaltete sich die Hilfe in den LTTE-Gebieten schwierig. Der von der Regierung in Colombo und den tamilischen Rebellen ausgehandelte Mechanismus zur Verteilung der von der internationalen Gemeinschaft bereitgestellten Hilfsgelder wird bis heute nicht umgesetzt.

Gescheiterte Friedensgespräche

Sri Lankas Präsident Mahinda Rajapakse hatte nach seinem Wahlsieg im November 2005 den ins Stocken geratenen Friedensprozess zwar wieder in Gang gebracht, jedoch dreht sich seit seinem Amtsantritt die Gewaltspirale zunehmend schneller. Im April dieses Jahres scheiterten die von norwegischen und schweizerischen Vermittlern organisierten Friedensgespräche in Genf. Einer der Hauptstreitpunkte war dabei die von dem abtrünnigen LTTE-Kommandanten Karuna geleitete Miliz, die im Osten der Insel seit fast drei Jahren gegen die Tamil Tigers kämpft und von diesen der Unterstützung durch Colombo verdächtigt wird. Die Regierung bestreitet bisher allerdings jede Beteiligung.

Kurz darauf erreichte der Konflikt mit dem Selbstmordanschlag einer Tamilin auf den Oberkommandierenden der Armee, Sarath Fonseka, wieder die Hauptstadt. Wie auch nach der Ermordung von Außenminister Lakshman Kadirgamar im August 2005 wies die LTTE jede Verantwortung für das Attentat zurück. Davon unbeeindruckt ließ die Regierung daraufhin zum ersten Mal seit Beginn des Waffenstillstands Einrichtungen und Stellungen der LTTE von der Luftwaffe bombardieren. Ein weiterer Höhepunkt der Gewalttätigkeiten war der Anschlag mit ferngezündeten Claymore-Minen auf einen Bus, bei dem im Juni 64 Menschen starben.

Wasserkonflikt als Initialzündung für Eskalation

Den Anlass zur erneuten Gewalteruption im August, der den bisher oft stockenden, aber trotz allem nicht hoffnungslosen Friedensprozess zur Makulatur werden lassen scheint, gab ein Konflikt um Wasser. Am 20. Juli hatten die Tigers die Sieltore des Maavilaru-Kanals bei Muttur im Osten der Insel geschlossen und damit die mehrheitlich singhalesischen Bauern im Gebiet südlich von Trincomalee aufs Trockene gesetzt. Seit Monaten herrschte dort Streit um die Verteilung des Wassers aus dem mit internationalen Hilfsgeldern errichteten Kanal, der größtenteils durch Gebiete unter Regierungsgewalt verläuft, zu einem Sechstel aber von der LTTE kontrolliert wird.

Nach Angaben der Regierung, setzte die srilankische Armee daraufhin Einheiten in Marsch, um die Wasserschleusen in dem von den Rebellen gehaltenen Gebiet wieder zu öffnen. Die Tigers wiederum berichten von einem unangemessenen Aufmarsch von Truppen, für die der Wasserkonflikt willkommener Vorwand für eine Offensive war. Der Vorstoß der Armee geriet trotz Unterstützung durch die Luftwaffe jedoch schnell ins Stocken, da das Gebiet weiträumig vermint war und LTTE-Kommandoeinheiten immer wieder die rund 3.000 Soldaten angriffen. Noch während die Tamil Tigers in Gegenwart von Mitgliedern der skandinavischen Beobachtermission die Sieltore am 9. August wieder öffneten, schlugen von der Armee abgefeuerte Granaten in der Nähe ein.

Im Verlauf der Kämpfe eroberten die Tigers mindestens vier Armeelager und konnten zeitweise die Stadt Muttur einnehmen. Diese hat eine besondere strategische Bedeutung, weil von ihr aus der Hafen in Trincomalee beschossen werden kann, über den ein Großteil des Nachschubs für die Armee im Nordosten der Insel läuft und die srilankische Marine von hier aus die Gewässer um die von der LTTE gehaltenen Gebiete kontrolliert.

Muslime als dritte Konfliktpartei?

Die Kämpfe haben zudem eine ethnisch-religiöse Komponente, die bislang in der hiesigen Berichterstattung zum Konflikt kaum thematisiert wurde: Zwischen die Fronten gerieten die 30.000 mehrheitlich muslimischen Bewohner Mutturs, die vor dem Artilleriebeschuss beider Seiten tagelang in Moscheen, Schulen und Krankhäusern Zuflucht suchen mussten. Bei Granateinschlägen in zwei Schulen starben mindestens 27 Stadtbewohner. Unbestätigten Presseberichten zufolge soll es bei Muttur sogar zu einem Massaker an Flüchtlingen mit über 100 Toten gekommen sein. International für Aufsehen sorgte die Ermordung von 17 in Muttur arbeitenden einheimischen Mitarbeitern der französischen Hilfsorganisation „Action contre le faim“ durch Unbekannte. In beiden Fällen dürfte sich eine endgültige Aufklärung schwierig gestalten, obwohl Hinweise auf eine Täterschaft aus dem Umfeld der LTTE deuten. Diese beschuldigt wiederum die Armee bzw. mit ihr kooperierende Milizen.

Insbesondere im Nordosten stehen Muslime zwischen Regierungstruppen und LTTE, die ihnen jeweils Kooperation mit der anderen Seite vorwerfen. Acht Prozent der Bevölkerung Sri Lankas bekennen sich zum Islam.. In Colombo unterstützen muslimische Parteien mehrheitlich die Regierungskoalition. Seit Monaten kommt es zu Anschlägen gegen Muslime im Osten der Insel, weshalb diese sich zunehmend als dritte Konfliktpartei begreifen, was sich auch in der Einsetzung eines eigenen muslimischen Friedenssekretariats zeigt.

Ausweitung der Kampfzone

Zeitgleich mit den Kämpfen um Muttur griffen Einheiten der Sea Tigers wieder Marinekonvois an. Daraufhin verschärfte die Regierung die Ausfahrbeschränkungen für Fischer, was deren Lebensbedingungen aufgrund sinkender Einkommen deutlich verschlechtert. Auch auf der nördlichen Halbinsel Jaffna kam es zu Gefechten zwischen Armee und LTTE, bei denen die Luftwaffe eingriff. Entlang der Waffenstillstandslinie am Elefantenpass fanden schwere Artilleriegefechte begleitet von Vorstößen beider Seiten statt. In der von der Regierung kontrollierten Stadt Jaffna wurden mehrere Menschen ermordet, unter ihnen der Vorsitzende der tamilischen Volksbank. Die Sicherheitskräfte verhängten eine Ausgangssperre und bei Razzien soll es einheimischen Menschenrechtsaktivisten zufolge zu Übergriffen gegen die tamilische Zivilbevölkerung gekommen sein.

In der Hauptstadt Colombo deuten viele Zeichen darauf hin, dass es im Fall einer weiteren Zuspitzung zu einem Zusammenschluss der Regierungs- und Oppositionsparteien zu einer Kriegsregierung kommen könnte, die umgehend den ohnehin brüchigen Waffenstillstand aufkündigen würde. Die Präsenz von Militär- und Polizeikräften wurde in der Hauptstadt massiv ausgebaut. Trotz der erhöhten Sicherheitsvorkehrungen ereignete sich ein Bombenattentat gegen ein Führungsmitglied einer LTTE-kritischen Tamilenpartei bei dem zwei Menschen starben. In der Nähe der Pilgerstadt Kandy wurde ein ranghoher Polizeioffizier ebenfalls Opfer eines Anschlags.

Außerdem nutzte die Regierung das seit einem Jahr kontinuierlich verlängerte Notstandsrecht zur Verhaftung hunderter Tamilen, darunter Journalisten und Menschenrechtsaktivisten. Singhalesisch-nationalistische Kräfte verschärfen derweil den innenpolitischen Druck durch Hetzkampagnen in den Medien gegen ausländische Nichtregierungsorganisationen und einheimische Friedensaktivisten, denen sie einen „Ausverkauf und eine Zerschlagung der nationalen Einheit des Landes“ vorwerfen.

Schwieriger Stand für Vermittler nach LTTE-Verbot in der Europäischen Union

Der am ersten Augustwochenende angereiste norwegische Chefunterhändler Jon Hanssen-Bauer pendelte in schwieriger Mission zwischen der Regierung und dem LTTE-Führer Prabhakaran in Kilinochi. Seine Präsenz am LTTE-Sitz dürfte die befürchtete Bombardierung Kilinochis verhindert haben, die eine endgültige Eskalation herbeigeführt hätte. Zumindest verkündeten beide Seiten nach den diplomatischen Bemühungen des Norwegers, dass der Waffenstillstand weiterhin für sie Gültigkeit habe. Nach seinem Eintreffen ebbten die Kämpfe im Nordosten vorübergehend ab, nahmen jedoch nach seiner Abreise wieder an Intensität zu.

Gleichwohl war Hanssen-Bauer in schwieriger Mission unterwegs, denn nach dem angekündigten Rückzug der EU-Mitglieder Dänemark, Schweden und Finnland aus der Beobachtermission werden ab September nur noch rund 20 Norweger und Isländer für die SLMM vor Ort sein. Kurz nachdem Boote der Sea Tigers Ende Mai einen Marinekonvoi mit Mitgliedern der skandinavischen Beobachtermission an Bord angegriffen hatten, hatte die EU die LTTE auf die Liste terroristischer Organisationen gesetzt. Daraufhin forderte die Tiger-Führung den Abzug der dänischen, schwedischen und finnischen Beobachter. Angesichts dieser Entwicklung wird befürchtet, dass sich das Verbot der LTTE auch negativ auf die Tätigkeit von in der EU beheimateten Nichtregierungsorganisationen im Bereich der Konfliktbearbeitung auswirkt könnte.

Inwieweit die Tokio-Gruppe (Japan, USA, Norwegen, EU) noch Einfluss auf den Konflikt nehmen kann, ist fraglich. Aus Sicht der LTTE haben die USA und die EU mit ihren Verboten viel an Glaubwürdigkeit verloren. Die für den Wiederaufbau in Aussicht gestellte Friedensdividende von rund 3,5 Milliarden Euro scheint die Konfliktparteien momentan nicht von ihrem Konfrontationskurs abzubringen.

Gefährliches Eskalationspotenzial

Dass die militärischen Offensiven ein baldiges Ende des Konflikts erzwingen können, ist unwahrscheinlich. Beide Seiten sind gut gerüstet: Auch wenn die Armee Erfolge gegen die LTTE erzielen sollte, ist eine Verlagerung der Tigers auf Formen der asymmetrischen Kriegsführung absehbar. Wahrscheinlich wäre unter diesen Umständen der Einsatz von Selbstmordkommandos der LTTE gegen Häfen und andere wichtige Infrastrukturen, durch die die ohnehin schon schwer angeschlagene Wirtschaft der Insel weiter in Mitleidenschaft gezogen würde.

Noch erscheinen Angriffe auf Hotelanlagen unrealistisch, jedoch hat die LTTE im Sommer 2001 mit ihrem Angriff auf den Flughafen von Colombo schon einmal den für den Süden wichtigen Tourismus schwer getroffen. Aus Sicht der LTTE war sie damals mit ihrer Strategie, wirtschaftswichtige Ziele anzugreifen, erfolgreich - wenig später wurde der Waffenstillstand unterzeichnet, Dass eine solche Strategie erneut aufgehen kann, muss angesichts des weltweiten „Krieges gegen den Terror“ allerdings bezweifelt werden.

Die das Leid tragende Zivilbevölkerung im Nordosten der Insel kann derweil nur versuchen, aus der Kampfzone zu fliehen. Rund eine Millionen Binnenflüchtlingen gibt es nach 23 Bürgerkriegsjahren. Allein nach dem Ausbruch der Kämpfe machten sich nach Angaben des Roten Kreuzes mehr als 5.000 Familie auf die Flucht. Vermehrt suchen die Menschen Schutz im Ausland. Angesichts der wachsenden Zahl von Bootsflüchtlingen gleichen die Bilder von der Küste des südindischen Unionsstaats Tamil Nadu zunehmend denen von den Kanarischen Inseln. Indien und das UN-Flüchtlingskommissariat warnen die Menschen vor Schlepperbanden, allerdings nur mit mäßigem Erfolg.

Eine dauerhafte Lösung des langjährigen Konflikts braucht Entspannung, doch zurzeit sprechen die Waffen. Die Herausforderungen für jene, die eine Aussöhnung und Aufarbeitung des gegenseitigen Leids erreichen wollen, steigen stetig.

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