Inhalt

03. Mai 2005. Rezensionen: Politik & Recht - Nepal Berichte vom Volkskrieg in Nepal

von Li Onesto

Mit der Machtübernahme von König Gyanendra und der erneuten Verhängung des Ausnahmezustands im Februar 2005 ist der maoistische Aufstand in Nepal ins Bewusstsein einer größeren Öffentlichkeit gedrungen. Doch ist die Zahl der Getöteten und "Verschwundenen" schon seit der Mobilisierung der königlichen Armee im November 2001 derart stark gestiegen, dass Menschenrechtsorganisationen von einem der gewaltsamsten Konflikte Asiens sprechen.

Neun Jahre nach Beginn ihres "Volkskrieges" kontrollieren die Aufständischen den überwiegenden Teil des Landes. Ihr militärischer Arm ist von "Squads", kleinen Guerilla-Einheiten, zu einer "Volksbefreiungsarmee" mit drei Divisionen gewachsen. In vielen Distrikthauptorten beschränkt sich die Regierungskontrolle auf befestigte Polizeistationen und Kasernen. Seit die Communist Party of Nepal – Maoist (CPN-M) im August 2004 die Phase der "Strategischen Offensive" ausrief, in der die städtischen Zentren unter Kontrolle gebracht werden sollen, ist auch das Kathmandu-Tal als politisches und wirtschaftliches Zentrum immer öfter von Generalstreiks und Verkehrblockaden betroffen. Die Unterstützung der städtischen Bevölkerung bleibt bisher jedoch weitgehend aus.

Die Chicagoer Journalistin Li Onesto besuchte im Frühjahr 1999 für mehrere Wochen Zentren des Aufstands und sprach mit Sympathisanten, Parteiarbeitern und Kadern der CPN-M, darunter der Vorsitzende Prachanda. Das vorliegende Buch ist eine Erweiterung der 1999/2000 im "Revolutionary Worker", der Zeitschrift der amerikanischen Maoisten, erschienenen Reportagen. Es ist das erste Buch, in dem Protagonisten und Unterstützer vor Ort ausführlich zu Wort kommen.

Die Autorin berichtet aus der Frühzeit des Aufstands, als sich die Maoisten gemäß ihrer Revolutionstheorie noch im Stadium einer strategischen Defensive befanden. In einigen Distrikten war es ihnen bereits gelungen, "Base areas" aufzubauen, in denen sie sich ungehindert bewegten und die zivilen Unterstützerorganisationen – selbstverständlich unter Leitung der Partei und ihrer Milizen – mit dem Aufbau einer Gegenverwaltung begannen. Andere Regionen galten noch als Guerilla-Zonen. Hier versuchten kleine Kampfeinheiten mit Überraschungsangriffen die staatliche Verwaltung und die Macht der örtlichen Honoratioren zu brechen.

Auf Fußmärschen im östlichen Bergland, in Gorkha und im mittleren Westen um die maoistischen Kerngebiete Rolpa und Rukum machte sich die Autorin ein Bild von den Kämpfen, den Ursachen des Aufstands und den Meinungen der Protagonisten. So beschreibt sie beispielsweise, dass die Enteignung von Großgrundbesitz im Kontext des nepalischen Aufstandes mangels größerer Ländereien oft nur eine untergeordnete Rolle spielt. Die Gewalt richtete sich vor allem gegen Geldverleiher, örtliche Honoratioren, die traditionelle Zuverdienstmöglichkeiten im Kleinhandel monopolisieren, und gegen mutmaßliche Informanten der Sicherheitskräfte.

Erfreulich breiten Raum nimmt eine weitere Besonderheit dieses maoistischen Aufstands in den Vorgebirgen des Himalaja-Kamms ein: die starke Beteiligung von Frauen sowohl in den Kampfeinheiten als auch unter den zivilen Unterstützern. Vor allem in den Kapiteln 15 bis 18 berichten Unterstützerinnen und Protagonistinnen ausführlich von ihrer doppelten Diskriminierung, von den Hoffnungen, die sie in den Aufstand setzen, und von den Schwierigkeiten, fest verankerte Sozialstrukturen auch innerhalb der Bewegung zu ändern.

Auch in den anderen Kapiteln räumt die Autorin den Ansichten und Lebensgeschichten der Beteiligten breiten Raum ein. Ganz sicher sind diese Berichte nicht repräsentativ für die ländliche Bevölkerung der besuchten Gebiete, sondern zweifach gefiltert: Nur Milizionäre, Parteimitglieder und Sympathisanten kommen zu Wort, und das immer im Beisein von anderen Kadern. Dennoch sind diese Aussagen der faszinierendste Teil des Buches, weil hier erstmals die mittlere Ebene der maoistischen Bewegung zu Wort kommt. Ihre Motive, sich der Bewegung anzuschließen, reichen dabei von ganz persönlichen Erfahrungen von Ungerechtigkeit und faktischer Knechtschaft bis zum Studium Mao Tsedongs, durch das Vertreter städtischer Mittelschichten zur CPN-M fanden. Die Aussagen unterscheiden sich erfreulich vom Kommunique-Stil der Parteiführung, insbesondere darin, dass die Befragten auch Selbstkritik äußern. Neben der wirtschaftlichen Not wird erstaunlich oft ein Gefühl der Ohnmacht gegenüber übermächtiger Gewalt genannt: Nach dem Ende des Panchayat-Systems mögen sich die Allianzen örtlicher Honoratioren verändert haben, mit den erweiterten Möglichkeiten klientelistischer Netzwerke haben sich dagegen ihre Chancen oft noch verbessert, staatliche Strukturen für die Verschärfung ihrer Dominanz nutzbar zu machen.

In Zwischenkapiteln geht die Autorin auf häufig vorgebrachte Vorwürfe gegen die Maoisten ein: Die Einschüchterung der Zivilbevölkerung, die hohe Zahl getöteter Zivilisten und die Rekrutierung von Kindern. Freilich werden die Vorwürfe zurückgewiesen oder relativiert, doch in Anbetracht der weit verbreiteten Wahrnehmung innerhalb maoistischer Zirkel, dass Zweifel konterrevolutionär und Vorwürfe grundsätzlich Regierungspropaganda seien, ist das immerhin beachtlich.

Das ist die größte Hoffnung, die Li Onestos Buch dem Leser mit auf den Weg gibt: Anders als Perus "Leuchtender Pfad" ist Nepals maoistische Bewegung keine "geschlossene Diskursgemeinschaft", die sich in ihr Weltbild einigelt und jede Kritik pauschal als Teil der gegnerischen Kriegsführung abwehrt. Freilich sind diese Tendenzen vorhanden, insbesondere in dem Teil der Parteiführung um Prachanda, doch erstaunt die Offenheit und Wissbegier der Befragten – eine Tatsache, die alle Reisende bestätigen werden, die mit Nepals ländlicher Bevölkerung in Kontakt gekommen sind.

Um diese Kritikfähigkeit von außen zu fördern, bedarf es einer kritischen Presse, die die Auseinandersetzung mit maoistischen Positionen sucht, sowie zivilgesellschaftlicher Initiativen, um die Achtung der Menschenrechte der Gegner und deren (mutmaßlicher) Unterstützer einzufordern und einen gewaltfreien Konfliktaustrag zu propagieren. Um eine Selbstisolierung und heilsgeschichtliche Radikalisierung der Bewegung zu verhindern, muss genau jene Sphäre gestärkt werden, die Nepals Monarchie seit Anfang Februar mit willkürlichen Verhaftungen, "Verschwindenlassen" und Zensur endgültig zu zerstören sucht. Vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen mahnt Li Onestos Einblick in die ersten Jahre des Aufstandes insofern auch, wie weit die unheilvolle Koalition der Hardliner auf beiden Seiten die Konfliktkultur des Landes seither schon zerstört hat.

Li Onesto (2005): Dispatches from the People´s War in Nepal. London: Pluto Press. 256 Seiten, ISBN 0-9760236-0-1.

Quelle: auf Deutsch (2003): Rote Fahne auf dem Dach der Welt. Augenzeugenbericht vom Innenleben des revolutionären Volkskriegs in Nepal. Hamburg: Aufstand Verlag. 264 Seiten, ISBN 3-936316-00-7.

Kommentare

Als registriertes Mitglied können Sie einen Kommentar zu diesem Beitrag verfassen.