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Olympia 2008 in Peking und die Fußball WM 2010 in Südafrika zeugen davon, dass Mega Events durch fortschreitende Globalisierungsprozesse zusehends aus ihrer westlichen Verankerung in den globalen Süden "exportiert" werden. Diese Orte sichern sich durch die Austragung einerseits einen Platz auf der imaginären Weltkarte der bedeutenden Metropolen. Gleichzeitig werden sie zur Zielscheibe der Kritik, dass Mega Events kaum von Nutzen für die lokale Bevölkerung seien, sondern öffentliche Gelder nicht selten in übertriebene Prestigeprojekte investiert werden und die überforderten Städte mit nicht absehbaren sozialen und ökologischen Konsequenzen zu kämpfen haben.
Hier setzt Eva Wildhardts Forschung an, die sich mit der Rolle der Medien im Rahmen der Commonwealth Games 2010 in Delhi beschäftigt. 1 Die mediale Berichterstattung zu Großereignissen fungiert quasi als Bindeglied zwischen Veranstaltung(sort) und Publikum (S. 14). Medienberichterstattung, Bilder und Videos zirkulieren weltweit, sodass Mega Events immer auch Medienereignisse sind. Ihr Hauptziel, so argumentiert Wildhardt in Anlehnung an die Medienereignistheorie von Dayan und Katz (1992) sei die Schaffung einer imaginären Gemeinschaft des Publikums. Sie analysiert diesbezüglich sowohl die Berichterstattung durch die englischsprachige Tagespresse 2 , die PR-Strategie der Veranstalter 3 sowie die online-basierte Auseinandersetzung von Intellektuellen, Künstler_innen und Wissenschaftler_innen mit den sozialräumlichen Auswirkungen der Spiele für die Urbanität Delhis 4 . Ihre grundlegende These besteht darin, dass das gemeinschaftsbildende Potenzial in der PR-Strategie vor allem auf die urbane Mittelschicht als Akteure der indischen Vision von Modernität, und somit auf ein exklusives Publikum, ausgerichtet gewesen sei. Hier liegt jedoch der kleine Haken ihrer Herangehensweise, da genau jene Bevölkerungsschicht in ihrem Buch nicht wirklich zu Wort kommt.
Das Buch ist klassisch in fünf Kapitel gegliedert. Im Anschluss an die Einleitung stellt das 2. Kapitel "Gedanken zur Theorie" zu den Themen Mega Events, Stadtentwicklung und Medien vor und widmet sich dann einer ausführlicheren Theoretisierung von Medienereignissen. Kapitel 3 und 4 beschäftigen sich mit dem eigentlichen Thema, wobei Schwerpunkte des 3. Kapitels gut recherchierte Forschungsüberblicke zur Entwicklung des indischen Mediensystems, der Stadtentwicklung Delhis und der Geschichte der Commonwealth Games sind. Damit führt dieses Kapitel direkt in die Thematik ein und bereitet den Boden für die in Kapitel 4 folgende Analyse der "Delhi Show". Diese Medieninhaltsanalyse stellt den zentralen Forschungsbeitrag der Arbeit dar und Eva Wildhardt verwendet hierfür die von Dayan und Katz entwickelte dreiteilige Analysestruktur, die die "Grammatik" eines Medienereignisses, also die Art und Weise, wie es "erzählt" wird, untersucht. Dieses Muster wendet sie gut nachvollziehbar auf ihre Quellen an und liefert fundierte und spannende Resultate.
Sie beginnt mit der Herausarbeitung der Rolle der Commonwealth Games in Delhi als Medienereignis bezüglich seines Einflusses auf den Alltag der Menschen und die Ausrichtung der Medien. Laut Dayan und Katz ist dies die "Syntax" des Medienereignisses. Wildhardt zeigt, dass nicht nur medialer "Ausnahmezustand" herrschte, da die Vorbereitungen der Spiele Presse und Fernsehen dominierten, sondern dass auch das Leben der Bewohner_innen Delhis von einer Nicht-Alltäglichkeit gekennzeichnet war. So verwandelte sich die Stadt in eine Dauerbaustelle, Schulen blieben für die Dauer der Spiele geschlossen und für die Eröffnungs- und Abschlusszeremonien wurden stadtweite Ausgangssperren verhängt, um die Straßen frei zu halten. Immer wieder wurde die Identifikation mit den Commonwealth Games im Kontext nationaler Identität verortet. Viele Bürger_innen verließen die Stadt zeitweise aufgrund der infrastrukturellen Unannehmlichkeit, was Gewissensappelle von Seiten der Verantwortlichen hervorrief, Delhi in diesem historischen Moment nicht allein zu lassen (S. 71). Der Großteil der medialen Berichterstattung sei kritisch gewesen und dominiert von Skandalen wie unfertigen Bauvorhaben, Korruptionsvorwürfen, tödlichen Unfällen auf Baustellen, schlechten Sicherheitsstandards und Arbeitsbedingungen. Doch trotz der überwiegend negativen Berichterstattung im Vorfeld schwenkte der Ton kurz vor den Spielen um und der Aufruf zur Partizipation gewann wieder an Kraft.
Der nächste Teil von Wildhardts Medienanalyse ist der umfangreichste und befasst sich anhand der verwendeten PR-Elemente mit Inszenierungsstrategien und Narrativen, d.h. mit Zeichen und Bildern bzw. der "Semantik" des Medienereignisses. Hier arbeitet sie drei Erzählweisen heraus, die die offizielle mediale Repräsentation des Ereignisses durchziehen: (1) Delhi als "world class city", (2) soziale und ökologische Nachhaltigkeit und (3) nationale Integration. Sie belegt mit zahlreichen Beispielen aus der offiziellen Mediengalerie auf der Webseite der Commonwealth Games, dass alle drei Narrative Sinn- und Wertangebote enthalten (S. 79). Delhis inszenierter Status als "world class city" kann im Sinne von "Destination branding" verstanden werden, das mit den "Werbeelementen" Modernität, Mobilität und kultureller Reichtum betrieben wird.
"In den Videos [der offiziellen Mediengalerie] sieht man die wahr gewordene Vision einer indischen Megacity, die die Balance zwischen Tradition und Moderne gefunden hat, über städtebauliche wie architektonische Reichtümer verfügt und nur darauf wartet, von der Welt entdeckt zu werden" (S.83).
Das Motiv sozialer und ökologischer Gerechtigkeit weist Schnittstellen mit dem ersten Themenkomplex auf, da Nachhaltigkeit als Aspekt von Modernität interpretiert wird. Die von Wildhardt analysierten Fotos, Videos und Selbstdarstellungen suggerieren Umweltverträglichkeit und soziale Gerechtigkeit in Form von Einbindung von Freiwilligen. Die Inszenierung Delhis als nachhaltige Vorzeigestadt wirkt jedoch angesichts der katastrophalen ökologischen Zustände in Indiens Megastädten regelrecht absurd. Der Widerspruch zwischen der PR-Darstellung und den Medienberichten offenbart sich sehr eindrücklich anhand der "Verschönerungsprogramme", in deren Rahmen sozial marginalisierte Bevölkerungsgruppen aus dem Stadtzentrum verdrängt wurden. So wurden 35 000 Slumbewohner vom Flussufer der Yamuna in Lager 40 Kilometer außerhalb des Zentrums umgesiedelt. Das Uferland war ursprünglich wegen Überflutungsgefahr nicht als Bauland freigegeben und wurde erst im Zuge der Vorbereitungen für die Spiele als solches ausgewiesen. Dort entstand dann das prestigeträchtigste Bauprojekt, das "Games Village" (Athletendorf). Anschließend sollten die Gebäude als gemeinnütziger Akt zur Nutzung an die Delhi University übergeben werden, anstatt dessen wurden sie jedoch an Privatinvestoren verkauft (S. 65f).
Nationale Integration ist die dominanteste der drei Erzählweisen und die Ausrichtung der Spiele wurde nicht selten als nationale Ehre kontextualisiert. Angefangen vom offiziellen Logo, das an das im Buddhismus und Hinduismus geläufige Chakrasymbol erinnert, über das Maskottchen Shera (ein Bengalischer Tiger) bis zur offiziellen Hymne, die vom legendären Filmkomponisten A.R. Rahman produziert wurde, weisen beinahe alle Elemente der PR-Strategie eine direkte Verbindung zwischen dem Mega Event und der nationalen Identität des Gastgeberlandes Indien auf (S. 74). Insbesondere der offizielle Song "Jiyo, Utho, Badho, Jeeto" ("Lebe, steh auf, steige empor, siege") sowie der Slogan "Come out and play!" verdeutlichen den Anspruch der Veranstalter, zu Partizipation aufzurufen und einen Moment nationaler Einigkeit zu schaffen. Mit dieser Strategie stellt Indien jedoch keinesfalls einen Einzelfall dar. Andere Länder nutzten die Bühne eines Mega Events gleichermaßen für eine Imageaufbesserung oder ausgesprochen positive Selbstdarstellung.
Der letzte Abschnitt der Medienanalyse widmet sich der "Pragmatik" des Medienereignisses, d.h. seiner Rezeption durch das Publikum. Hier kombiniert Eva Wildhardt die Analyse des Blogs Kafila mit dem Online-Kunst-Projekt "Delhi Commons" und der vertonten Fotoreportage "Notes from a beautiful city". Kafilas Kritik konzentriert sich auf Themen der urbanen Transformation und sozialen Konsequenzen, analog zu den Inszenierungsstrategien der "world-class city" und dem Motiv der Nachhaltigkeit. Leider verläuft sich die Urbanisierungskritik zu häufig im intellektuellen Geplänkel und bietet – zumindest auf Kafila – keine alternativen Urbanitätsdiskurse (S. 90f).
"Delhi Commons", das mit einem Postkartenprojekt zur Bürgerbeteiligung aufrief, ist eine ergiebigere Quelle. Die Aufgabe bestand darin, sich mit einem selbst entworfenen Postkartenmotiv an der Diskussion um die Spiele und ihre Auswirkungen für Delhi zu beteiligen. Wildhardt beschreibt interessante Arbeiten, die "sehr häufig die Elemente der offiziellen Commonwealth Games-PR, das Logo und das Maskottchen Shera, als Motiv ihrer Postkarte wählen" (S. 93). Die Spiele werden auf den Postkarten beispielsweise als "Commonwealth Pains" parodiert oder der offizielle Slogan "Come out and play" wird umgemünzt in "Come out and pay!", womit auf Korruption und falsch kalkulierte Kosten für die Stadt angespielt wird. Alle Postkartenmotive finden sich im Anhang des Buches. Viele Botschaften sind allerdings nur mit Hilfe von Wildhardts Analyse und Interpretation für die Lesenden zu verstehen, da es sich um teilweise sehr lokalspezifische Anspielungen handelt.
Die Fotoreportage "Notes from a beautiful city" zeigt Arbeiter_innen in ihrem Alltag und unterlegt die Bilder mit Interviews der Porträtierten zu den "Verschönerungsarbeiten", die sie insbesondere in der Form von Slum-Räumungen direkt betreffen.
Wildhardts Quellen zur Rezeptionsanalyse stammen allesamt aus dem Kreis einer intellektuellen und künstlerischen Elite, die sich sehr differenziert und kritisch, tendenziell ablehnend, mit den Commonwealth Games und den damit verknüpften Prozessen auseinandersetzen. Auch wenn "Notes from a beautiful city" die "wirklich Betroffenen" (Müllsammler, Bauarbeiter und Wäscher) zu Wort kommen lässt, so handelt es sich doch um einen elitär bestimmten Urbanitätsdiskurs. Kritischen Stimmen Gehör zu verschaffen ist im Rahmen der Arbeit sehr einleuchtend, doch fehlen, vermutlich fehlenden Kapazitäten im Rahmen einer Masterarbeit geschuldet, andere Perspektiven, beispielsweise von Sportbegeisterten und der Delhier Mittelschicht als Zielgruppe der Marketingstrategien.
Abschließend bewertet sie die PR-Kampagne und die Inszenierung der Commonwealth Games als historischen Wendepunkt und gelungen "im Sinne der Interessen und Bedürfnisse der urbanen Mittelklasse Delhis" (S. 103). An dieser Stelle wäre eine Auseinandersetzung mit den Vorstellungen und Meinungen dieser Bevölkerungsschicht zumindest im Ansatz wünschenswert gewesen. Allerdings fiel die von ihr analysierte Rezeption wesentlich kritischer als von der PR erhofft und tendenziell ablehnend aus, was gewissermaßen bestätigt, dass das Mega Event weite Teile der Bevölkerung nicht begeistern konnte. Sie kommt aber zu dem interessanten Fazit, dass die Pragmatik der Spiele und damit das Medienereignis nicht gescheitert seien, sondern "wie ein Katalysator auf die Bildung von Widerständen und Subversionsbestrebungen" (S. 103) wirkten. Sie konstatiert eine "Vernetzung und Vereinigung der Gegner" und sieht damit "soziale Integration" nach dem Prinzip von Medienereignissen erfüllt, allerdings in völlig anderer Hinsicht als es die Organisatoren der Spiele beabsichtigt hatten (S. 104). So zieht sie auf der letzten Seite ein beinahe versöhnliches Fazit und begrüßt das Beitragen der Commonwealth Games zu einer "neue[n] Form der Auseinandersetzung mit den öffentlichen Räumen der Stadt […], deren Fortbestehen mehr als wünschenswert ist und die – wie so oft – mit einer ersten Frage beginnt: Wem gehört die Stadt und wer gestaltet sie?"
Neben der aufschlussreichen Medienanalyse, ist der gute Überblick zur wissenschaftlichen Aufarbeitung internationaler Sportereignisse in Asien ein zusätzlicher Pluspunkt des Buches. Damit erfolgt auch eine wichtige Kontextualisierung, denn Delhi stellt keinen Einzelfall dar. So stehen beispielsweise die Olympischen Spiele 1988 in Seoul im Zusammenhang mit der politischen und wirtschaftlichen Liberalisierung des Landes für eine historische Zäsur in der koreanischen Politik (S.18f). Und die ersten Commonwealth Games auf asiatischem Boden, 1998 in Kula Lumpur, wurden als Gelegenheit genutzt, um Malaysia als „modernen muslimischen Staat“ zu vermarkten und eine "Imageverbesserung des Islam" zu erwirken (S.20). Delhi reiht sich in die Reihe der Austragungsorte ein, die mit Ausrichtung eines Mega Sport Events einen historischen Wendepunkt zu setzen versuchen.
Einige Themen wie beispielsweise Terrorismus und Sicherheit als Thema von Mega Events hätten noch gut in die Darstellung gepasst. Es wäre auch wünschenswert gewesen, wenn nicht ausschließlich Internetquellen herangezogen worden wären. Vor allem Beobachtungen zur Fernsehberichterstattung wären interessant gewesen, da sie gegenwärtig, so schreibt Wildhardt selbst, noch das wichtigste Medium der Übertragung von Mega Events darstellen. Im Großen und Ganzen ist die Arbeit jedoch gut recherchiert, nachvollziehbar aufgebaut, sprachlich komplex und ansprechend. Die Lesenden erfahren viel über Delhi und die Commonwealth Games und bekommen einen guten Überblick über die in diesem Kontext erfolgten Debatten.
Wildhardt, Eva: Games Media Play! Mega Events, Medienereignisse und urbaner Wandel. Delhis Commonwealth Games 2010. regiospectra Verlag, Berlin 2012.
138 Seiten. ISBN 978-3-940132-51-2 . 19,90 Euro (D)
[ 1 ] "Games Media Play!" ist die Veröffentlichung von Eva Wildhardts überarbeiteter Masterarbeit im Studiengang "Moderne Süd- und Südostasienstudien" an der HU Berlin und basiert auf Recherchen und Beobachtungen zwischen 2007 und 2011 in Delhi und im Internet.
[ 2 ] Ihre Quellen sind die Online-Editionen der größten englischsprachigen Tageszeitungen Times of India und The Hindu sowie das Nachrichtenportal Hardnews.
[ 3 ] Als offizielle mediale Repräsentation analysiert sie die Homepage der Commonwealth Games 2010: http://d2010.thecgf.com/.
[ 4 ] Sie untersucht den Blog http://kafila.org, das Projekt "Delhi Commons" und die vertonte Fotoreportage "Notes from a beautiful city".
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