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Als Journalist ist der Autor im Irak und in Afghanistan tätig gewesen. Des Weiteren schreibt er für das Online Portal "open" über aktuelle politische und gesellschaftliche Ereignisse in Indien. Für seine Arbeiten hat Rahul Pandita unter anderem den Northeast Media Fellowship 2001 und den Oxford E-Book Award 2002 erhalten. Im Rahmen der vorliegenden Studie über Indiens Maoisten hat er einen Teil der Anführer der Rebellen interviewt. Dafür hat Pandita diese in Gefängnissen aufgesucht und es war ihm möglich, einige von ihnen in den Wäldern Chhattisgarhs zu befragen. In den dabei gesammelten Informationen und Details liegt das Innovative der Publikation. Pandita gibt den Rebellen die Möglichkeit, ihre Sicht der Entwicklungen und medialen Repräsentationen ihrer Bewegung darzustellen.
Die Naxaliten sind maoitische Rebellen, die mit ihren Aktionen gegen den indischen Staat vorgehen. Ihr Ziel ist eine Revolution in Indien, um die Regierung in Neu-Delhi zu übernehmen. Die Begriffe Naxaliten und Maoisten werden sowohl von den Medien und dem Staat, als auch den Betroffenen selbst austauschbar verwendet.
Der Autor versucht an Hand der sozialen Umstände und ausgewählten Ereignissen die Entstehung und Geschichte der maoistischen Bewegung nachzuzeichnen. Die soziale und wirtschaftliche Lage in den betroffenen Gebieten ist gekennzeichnet durch die Benachteiligung und Unterdrückung der Armen. Ihre Lebensumstände werden als von Ausbeutung, Hunger und Verzweiflung gekennzeichnet beschrieben. Der Staat ignoriert vielerorts die Bedürfnisse dieser Bürger. Dies führte und führt in vielen Fällen zu Aufständen und Protesten gegen den Staat. In diesem Milieu hat sich die maoistische Bewegung in den letzten Jahrzehnten zu einer scheinbaren Alternative und ernstzunehmendem Gegner des indischen Staates mit steigendem Einfluss entwickelt.
Die von dieser Entwicklung betroffenen Gebiete liegen meist im zentralen und östlichen Indien. Insbesondere die Bundesstaaten Bihar, Bengalen, Orissa, Andhra Pradesh, Chhattisgarh und Jharkhand sind betroffen. Die Situation in den ländlichen Gebieten dieser Regionen ist gekennzeichnet durch Jahrzehntelange wirtschaftliche und soziale Stagnation. Der Autor beschreibt Akte physischer Gewalt, Zerstörung von Ernten, Vergewaltigungen, Inhaftierungen und Steuerhebungen für nicht erbrachte Leistungen wie zum Beispiel Elektrizität. Diese Handlungen werden von staatlichen Institutionen wie der Forstverwaltung und deren Repräsentanten ausgeführt.
Somit schildert Pandita nicht nur die "nicht erzählte Geschichte der Maoisten" sondern die Geschichte des anderen Indiens. Es ist das Indien, welches nicht Anteil am allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung hat. Ein Großteil der indischen Mittelschicht und die indische Regierung wollen, nach Aussagen des Autors, diese Probleme nicht wahrhaben. Anstatt sich den Herausforderungen zu stellen, verschärft der Staat in vielen Fällen mit seinen schon beschriebenen Vorgehensweisen die Situation in den ländlichen Gebieten. Dadurch wird oftmals das letzte Vertrauen in den Staat und seine Institutionen zerstört. Diese Umstände nutzen die Maoisten um Sympathisanten und Mitglieder zu finden. Die lokale Bevölkerung wird inzwischen sogar unter den Generalverdacht gestellt, Anhänger oder Mitglieder der Naxaliten zu sein.
Der indische Innenminister, Palaniappan Chidambaram, bezeichnet die Naxaliten als "einfache Banditen" und Premierminister, Manmohan Singh, spricht von der "größten innenpolitischen Herausforderung Indiens". Seit 2001 gelten die Maoisten offiziell als Terroristen, werden wie solche behandelt und verfolgt. Angebliche Sympathisanten, darunter auch Reporter und Wissenschaftler, werden diskreditiert. Eine offene und unvoreingenommene Berichterstattung über die Maoisten ist nicht möglich und wird vom Staat unterdrückt. Dieser hat das Informations- und Repräsentationsmonopol über Naxaliten betreffende Berichte. Dementsprechend fallen Darstellungen staatsfreundlich aus und es wird verhindert, über die Maoisten zu arbeiten und zu forschen. Pandita berichtet sogar von einem Fall, wo zwei Journalisten von einer staatlichen paramilitärischen Einheit (Salwa Judum) hingerichtet worden sein sollen. Salwa Judum ist eine in Chhattisgarh operierende Miliz. Diese besteht vor allem aus Indigenen. Menschenrechtsorganisationen erheben Vorwürfe wegen unrechtmäßigem Einsatz von Gewalt und Kindersoldaten. Die indische Regierung wiederum steht unter Verdacht, die Miliz zu unterstützen und für ihre Ziele zu instrumentalisieren.
Mit "Hello, Bastar" wird eine neue Perspektive in den Repräsentations-Diskurs um die Maoisten geschaffen. Es geht Pandita um das Beseitigen von Vorurteilen und Anschuldigungen der Regierung, indem er die Führung der Bewegung selbst zu Wort kommen lässt. Es werden Themen wie die angebliche Kooperation der Naxaliten mit Minengesellschaften angesprochen. Es kursieren Gerüchte, dass die Maoisten mit Bergbauunternehmen kooperieren und mehrere Millionen Rupien von diesen erhalten. Doch diese Vorwürfe streiten sie ab, zumal es ihren Grundsätzen, die Rechte der lokalen Bevölkerung zu wahren, widersprechen würde. Ebenso wenig arbeiten sie nach eigenen Aussagen mit muslimischen Extremisten gegen den indischen Staat zusammen. Die Maoisten achten die indische Verfassung: Bei Eintritt in die Bewegung muss jeder Rekrut schwören, diese zu wahren und zu schützen. Stattdessen beschuldigen die Naxaliten die Regierung, Tötungen vornehmen zu lassen und diese propagandistisch zu inszenieren. Dabei agieren angeblich Erschießungskommandos in den Städten, welche gezielt insbesondere Führungskräfte der Naxaliten töten. Die Leichen werden anschließend in Waldgebiete gebracht und die Situation so inszeniert, als hätte ein Gefecht zwischen Regierungstruppen und Rebellen stattgefunden.
Der Autor gibt mit der Publikation den sogenannten "Terroristen" ein Gesicht. In der Buchmitte befindet sich ein kleiner Bildteil mit 17 Abbildungen. Die Fotografien hat Pandita selber gemacht oder sie wurden ihm von den Maoisten zur Verfügung gestellt. Im Buch kommen auch immer wieder Fragen auf, wie aus gut gebildeten Bürgern der Mittelschicht Rebellen werden konnten und was die Motivation dieser Menschen ist, sich der Bewegung anzuschließen. Durch die Verwendung interner Parteidokumente, wie dem aktuellen Parteiprogramm und seinem Aufenthalt in einem maoistischen Camp, gelingt es Pandita, ein detailliertes und informatives Bild der Bewegung darzustellen. Er berichtet über die Camp-Struktur, die Bewaffnung und Finanzierung. Es werden Projekte auf Dorfebene geschildert wie Bewässerungsanlagen, Landverteilungen und eine rudimentäre medizinische Versorgung. Des Weiteren werden Diskussionen und Ansätze innerhalb der Bewegung geschildert, darunter Probleme wie das zunehmende Alter der Führungsriege und ob es adäquate Nachfolger gibt. Kritisch sehen viele Mitglieder, dass ein Großteil ihrer Anführer aus Andhra Pradesh stammt. Ebenso hat die Anziehungskraft auf junge Universitätsabsolventen der 80-er Jahre deutlich nachgelassen. Die fehlende Unterstützung und Einfluss in den indischen Großstädten sowie ausbleibender Nachwuchs sind weitere Probleme der Maoisten. Pandita beschreibt auch die Strategien der Naxaliten, die ihr zukünftiges Vorgehen festlegen und sich teilweise mit diesen Problematiken auseinandersetzen. Dabei soll unter anderem durch das Schaffen befreiter Zonen der bestehende Einfluss ausgebaut werden. Eine besondere Rolle spielen die Großstädte, für welche spezielle Vorgehensweisen zur Mitglieder-Gewinnung entwickelt wurden.
Mit seinen Beschreibungen gelingt es Rahul Pandita die unterschiedliche Wahrnehmung von Staat und Maoisten in den betroffenen Gebieten darzustellen. Dabei füllen die Naxaliten oftmals den vom Staat vernachlässigten Raum und nehmen dort dessen Position ein. Es handelt sich meistens um sehr persönliche Darstellungen und Berichte des Autors oder ihm geschilderte Erfahrungen. Darunter befindet sich ein biographischer Bericht eines verstorbenen Zentral-Komitee-Mitglieds. Objektive Fakten werden mit persönlichen Erfahrungen und Einschätzungen gemischt, wodurch das Buch sehr lebhaft wird. Jedoch ist an vielen Stellen unklar, wessen Perspektive gerade widergegeben wird. Der Leser weiß nicht, von wem die dargelegten Informationen stammen oder ob es sich um objektive Fakten handelt. Die historische Darstellung wird aus lokaler Sicht mit ihren Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung und die naxalitische Bewegung geschildert.
Kritisch an der Herangehensweise Panditas ist anzumerken, dass ihm in seinen Interviews die ideale Sichtweise der Führungsriege geschildert wird und er diese widergibt. Ein Zugang zu den einfachen Mitgliedern ist ihm auf Grund von Sprachbarrieren, der Schüchternheit der Menschen oder deren ablehnendes Verhalten nicht möglich. Das Nachwort wurde von Kobad Ghandy, einem inhaftierten Führer der Naxaliten, verfasst. Dieser betont lobend, dass "Hello, Bastar" die Ansichten der Maoisten zutreffend widergibt. Dadurch erhält das Buch eine Legitimation, um als Sprachrohr der Bewegung zu dienen und so instrumentalisiert zu werden.
Weiterhin muss kritisch angemerkt werden, dass die Perspektive der lokalen Bevölkerung fehlt oder teilweise verfälscht wird. Die Maoisten sprechen für diese und inszenieren ihre Projekte und deren Fortschritte. Pandita kritisiert, wie ehemalige Anhänger der Bewegung auch, die zunehmende Gewalt und deren Rechtfertigung. In vielen Fällen erstreckt sich deren Ausübung genauso auf Unschuldige, wie es bei vielen Aktionen des Militärs der Fall ist.
Nichts desto trotz stellt das vorliegende Buch für jeden Themen- und Indien-Interessierten, auf Grund der intimen Einsichten und umfangreichen Details eine unverzichtbare Lektüre dar. Das aktuelle Hauptproblem Indiens ist die Lösung seiner sozialen Probleme und wie man dabei vorgeht. Derzeit geraten viele Unschuldige, insbesondere Indigene, in diesem Konflikt zwischen die Fronten von Regierung und Naxaliten. Mit seinem Buch schafft Rahul Pandita ein mediales Gegengewicht zur Informationshoheit des Indischen Staates. Hierin ist, neben dem Detailreichtum und den vermittelten Einsichten in die maoistische Bewegung, die Funktion und Bedeutung der Publikation zu sehen. Die indische Regierung verbreitet Nachrichten und Beschuldigungen über die Naxaliten, wobei eine unabhängige Berichterstattung oft erfolgreich unterdrückt wird. Mittlerweile herrscht ein Propaganda-Krieg, bei dem man nicht weiß, welcher Seite man Glauben und Vertrauen kann. Beide versuchen sich bestmöglich zu inszenieren und ihre Taten zu legitimieren.
Pandita, Rahul, Hello, Bastar. The Untold Story Of India's Maoist Movement (Chennai: Tranquebar Press, 2011).
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