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30. November 2011. Rezensionen: Indien - Politik & Recht Staudamm oder Leben!

Indien: Der Widerstand an der Narmada

Ulrike Bürger legt das erste ausführliche Buch zum Widerstand gegen das indische Narmada-Staudammprojekt auf Deutsch vor und bietet damit eine gute Einführung in die Geschichte der Kampagne zur Rettung der Narmada. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Widerstandsbewegung findet man hier allerdings nicht.

Das Narmada Valley Development Project ist eines der umstrittensten Infrastrukturprojekte der vergangenen Jahrzehnte. Seit den 1980er Jahren baut die indische Regierung eine Kette von 30 Großstaudämmen an der mittelindischen Narmada, die im Endausbau die Dörfer von etwa anderthalb Millionen Menschen überfluten werden. Internationale Bekanntheit erlangte das Projekt 1991 durch eine transnationale Kampagne unter Führung der Narmada Bachao Andolan (Rettet die Narmada-Bewegung). Aufgrund dieser Mobilisierung setzte die Weltbank das erste Mal eine unabhängige Kommission ein um einen ihrer Kredite zu begutachten. Nach einem sehr kritischen Bericht entschied sich die indische Regierung schließlich auf den Weltbankkredit zu verzichten.

Anhand zweier Fallstudien zeigt Bürger wie sich der Widerstand gegen die Staudämme formiert hat und zeichnet ein Bild der aktuellen Lage an der Narmada, wenngleich ihr Material aus dem Jahr 2006 stammt, ihr Forschungsaufenthalt also mittlerweile fünf Jahre zurückliegt. Nichtsdestoweniger geben die beiden Beispiele einen sehr direkten Einblick in die Voraussetzungen für die Entstehung der Narmada Bachao Andolan und zeigen uns gleichzeitig wie unterschiedlich die Verhältnisse an zwei Orten im selben Tal sein können.

Zuerst führt sie uns an den Maan im westlichen Madhya Pradesh, einen der Nebenflüsse der Narmada, an dessen Ufer fast ausschließlich Adivasi leben. Bürger beschreibt die Auswirkungen des Dammbaus auf Gesellschaft und Ökonomie am Maan und geht ausführlich auf die Aktivitäten der Narmada Bachao Andolan gegen das Großprojekt ein, denen sich drei Viertel der Bevölkerung angeschlossen haben. Sie erklärt die Kraft des Widerstands durch den gemeinschaftlichen Protest der Dorfgemeinschaften und argumentiert, dass die Mobilisierung gegen den Staudamm die Menschen am Maan politisiert hat und sie heute mehr Bewusstsein und Wertschätzung für ihre indigene Identität besitzen.

Der Maheshwar-Staudamm dagegen ist nach wie vor nicht fertig gestellt, soll aber 61 Dörfer in der Nimad-Ebene etwa 70 km südöstlich des Maan-Damms überschwemmen. Hier stellt Bürger ähnliche Veränderungen durch die Protestbewegung fest, da diese Gegend jedoch hinduistisch geprägt ist, betont sie die positiven Auswirkungen auf den Status von Frauen und Dalits explizit. Sie beschließt ihr Buch mit einem Kapitel über die neuesten Entwicklungen um die beiden kontroversiellen Staudämme und zeigt mögliche alternative Entwicklungsszenarien auf.

Bürger gelingt es, die komplexe Geschichte des Narmada-Projekts auf eine sehr anschauliche Weise darzustellen. Dass sie sich dabei klar auf Seiten des Widerstands verortet, ist aufgrund ihres Zugangs und ihres Interviewmaterials gut nachzuvollziehen. Bedauerlicherweise geht sie dabei nicht auf die Konfliktlinien innerhalb der Narmada Bachao Andolan ein, wie sie vor allem im Jahr 2000 offenbar wurden: In einem lange erwarteten Urteil des Obersten Gerichtshofs in Neu Delhi wurde der Weiterbau am Sardar Sarovar Projeckt, dem größten der Dämme, genehmigt und ein Schlüssel für die Kompensation von überflutetem Land festgelegt. Das führte zu einer tiefen Spaltung unter den AktivistInnen und einige derjenigen, die sich dafür entschieden, auf das Entschädigungsangebot des Staates einzugehen, wurden tätlich angegriffen.

Es ist eine von Bürgers Leistungen, zwei Fallbeispiele zu diskutieren, über die bei weitem nicht so viel bekannt ist wie über die Ereignisse rund um den Sardar-Sarovar-Damm. Ebenso positiv fällt auf, dass die Autorin stets sehr nah bei ihrem empirischen Material bleibt. Mich hätte trotzdem sehr interessiert, wie sich die AktivistInnen am Maan- und am Maheshwar-Damm an die Spaltung der Bewegung am Sardar Sarovar erinnern und wie sich die Narmada Bachao Andolan als Organisation seither verändert hat. Als Einführung in die lokalen Voraussetzungen für eine der zentralen zivilgesellschaftlichen Bewegungen der letzten Jahrzehnte ist es trotzdem eine lohnenswerte Lektüre.

Bürger, Ulrike:
Staudamm oder Leben! Indien: Der Widerstand an der Narmada
Mit einem Vorwort von Lou Marin und einem Nachwort von Shankar Narayanan
Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg
Broschur, 222 Seiten
ISBN 978-3-939045-15-1
€ 14, 90

 

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