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13. Oktober 2011. Rezensionen: Indien - Kunst & Kultur Buddhadeva Bose: Das Mädchen meines Herzens

Rezension der jüngst erschienen Übersetzung des Romans von 1951

Nach Rabindranath Tagore gilt Buddhadeva Bose (1908-1974) als zweitwichtigster Autor der neueren Bengali-Literatur. Moner Mato Meye - Das Mädchen meines Herzens - erschien 1951. Mit der Direktübersetzung von Hanne-Ruth Thompson liegt nun erstmals ein Werk von Bose auf Deutsch vor. Eingebettet in eine Rahmenhandlung findet der Leser vier eigenständige Erzählungen.

Auf einem Bahnhof sitzen vier allein reisende Herren im Wartesaal der ersten Klasse. Es ist eine kalte Winternacht und ihr Zug hat mehrere Stunden Verspätung. In dieser unbehaglichen Situation müssen sie ausharren. Für einen Moment öffnet ein junges Paar die Tür, schaut herein und geht gleich wieder. "Aber diese paar Sekunden reichten aus, um den winterlichen Warteraum mit Wärme zu durchströmen. [...] So kurz sie dagestanden, so leise sie miteinander gesprochen hatten, so schnell sie wieder verschwunden waren, hatten die älteren Herren doch verstanden, dass diese zwei noch im Paradies wohnten. Solange sie einander hatten, brauchten sie nichts und niemanden."

Die vier Herren kommen nun ins Gespräch. Man räsoniert über das Älterwerden, über den Zauber jugendlicher Verliebtheit und einigt sich darauf, dass jeder die Geschichte seiner ersten Liebe erzählt.

Cover von Das Mädchen meines Herzens
Buchcover des 2010 bei Ullstein erschienenen Romans "Das Mädchen meines Herzens" von Buddhadeva Bose. Foto: Ullstein Verlag

Den Anfang macht ein behäbiger Unternehmer, der behauptet, selbst nichts dergleichen erlebt zu haben. Stattdessen erzählt er die Geschichte seines Freundes Makhanlal, der zufällig wie der Erzähler selbst einen kleinen Familienbetrieb zu einem ansehnlichen Unternehmen ausgebaut hat. Makhanlals Mutter, erfüllt von Bildungs- und sozialem Aufstiegsehrgeiz, zwingt ihren Sohn zum Studium und versucht, für ihn die Ehe mit einer Professorentochter zu arrangieren. Das Problem liegt dabei im Überlegenheitsdünkel der verarmten, aber stolzen Intellektuellen-Familie.

Danach erzählt Gagan, ein höherer Beamter. Die erst vierzehnjährige Pakhi wirft ihm, dem damals siebzehnjährigen Studenten, scheue Blicke zu und gesteht ihm in einem unbeobachteten Moment ihre Liebe. Gagan ist verzaubert, konzentriert sich dann aber zunächst wieder auf sein Studium...

Der dritte Erzähler ist Dr. Abani, ein Arzt, der eine lustige Geschichte verspricht. Sein Freund Romen ruft ihn dringend zu einer Laientheatergruppe, deren weibliche Hauptperson sich verletzt hat. Fasziniert von dem bunten Künstlervölkchen besucht Abani nun die Proben regelmäßig und merkt, dass mit Bina, der Hauptdarstellerin, etwas nicht stimmt. Der Grund: sie ist einseitig in Romen verliebt, der die männliche Hauptrolle spielt. Dann soll Bina auch noch mit einem Juristen verheiratet werden, den sie absolut nicht mag. Sie vertraut sich Abani an, dem ein Weg einfällt, Bina zu retten...

Schließlich erzählt der vierte Reisende, ein Schriftsteller, seine Geschichte: Gemeinsam mit zwei Freunden schwärmt er als Jugendlicher für die Nachbarstochter Ontora. Als diese an Typhus erkrankt, tun die drei alles, sich ihrer Familie mit kleinen Diensten nützlich zu machen. Dass sie der Kranken auf diese Weise nahekommen, beglückt sie maßlos. Doch dann erfahren sie, dass die wieder gesundete Ontora demnächst heiraten soll...

Der Rahmen schließt sich, als im Morgengrauen endlich der Zug kommt. "Obwohl die vier Männer eine ganze Nacht in merkwürdiger Eintracht verbracht hatten, waren sie einander bei Tag im Bahnhofstrubel wieder fremd. Als der Zug einfuhr, stiegen die vier, vielleicht mit Absicht, in verschiedene Abteile ein, als ob sie die vergangene Nacht vergessen wollten."

Keine dieser Geschichten ist eine typische Liebesgeschichte mit Happy End. Sie erzählen von verpassten Möglichkeiten, zerstörten Jugendparadiesen. Und auch wo am Ende eine glückliche Ehe steht, ist der Partner doch nur zweite Wahl. Boses Protagonisten unterliegen den gesellschaftlichen Realitäten Indiens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Dennoch ist romantisches Erleben möglich und es wird glaubhaft, dass etwas vom jugendfrischen Liebeszauber ein Leben lang erhalten bleibt.

Bose hat den Ton des mündlichen Erzählens gut getroffen und dabei zwischen den einzelnen Erzählern differenziert. Während etwa Dr. Abani mit ironischer Distanz auf seine Jugenderlebnisse zurückblickt, entfaltet sich die Erzählung des Dichters zwischen hochgespanntem Idealismus und dem Ton tragischer Ausweglosigkeit.

Die Übersetzung von Hanne-Ruth Thompson ist flüssig, stilsicher, gut lesbar. Im Nachwort informiert sie über Bose und seine Stellung in der neueren bengalischen Literatur. Ihrem Resümee kann man nur zustimmen: "Das Mädchen meines Herzens ist ein funkelndes, wärmendes Kleinod in kalter dunkler Nacht. Und die Schatulle, aus der dieses Kleinod stammt, birgt noch weitere Schätze, die es nun zu heben gilt."

Indische Literatur, aus der Originalsprache direkt ins Deutsche übersetzt, ist bei deutschen Publikumsverlagen selten zu finden. Der Ullstein Verlag verdient daher ein großes Lob, dass er sich zu den Pionieren gesellt hat. Bei der Gestaltung des Schutzumschlags scheint ihn aber der Mut wieder ein wenig verlassen zu haben. Die junge, sommerlich gekleidete Europäerin, die über einen Fluss ins Weite schaut, lässt keinen Bezug zu Boses Mädchen erkennen. Eher deutet sie in Richtung der klassischen Romanze, die hier ja gerade nicht erzählt wird. Umso mehr kann man dieses brillante Büchlein empfehlen.

 

Quelle: Diese Rezension erschien im Original in der Zeitschrift SÜDASIEN 3/2011.

Quellen

Bose, Buddhadeva 2010 [1951]: Das Mädchen meines Herzens.
Roman, Berlin: Ullstein, gebundene Ausgabe, 186 S., 18 €, ISBN-10: 3550088132, ISBN-13: 9783550088131.

Voraussichtlich ab Dezember 2011 auch als List-Taschenbuch erhältlich.

 

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