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Call for Papers: Liebe Leserinnen und Leser, in loser Folge möchten wir Spezialisten vorstellen, die langjährig in der und über die Region gearbeitet haben - sowohl im akademischen als auch im nicht-akademischen Bereich - und daher fundierte Einblicke eröffnen können. Ziel ist es dabei entgegen den Trends einer oft schnelllebigen Mediengesellschaft das zumeist Jahre und Jahrzehnte umfassende Schaffen von Wissenschaftlern und Fachleuten in möglichst umfassender Bandbreite sichtbar zu machen, d.h. ein Werk durchaus mit unterschiedlichen Akzentsetzungen, Brüchen oder theoretischen Ansätzen vorzustellen. Die Redaktion freut sich wie immer auf Ihre Vorschläge, Ideen, Anregungen und Mitarbeit an dieser Reihe! ... [mehr ...]
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In zehn Kapiteln greift der Medienwissenschaftler Claus Tieber Themen des Hindi-Films und entscheidende Ereignisse in der Geschichte desselben auf und stellt diese einem Publikum dar, welches weder filmtheoretisch noch in Bezug auf Indien vorgebildet sein muss. Die einzelnen Kapitel sind – ohne dass dies unmittelbar aus ihrer Benennung hervorgeht – chronologisch geordnet. Tiebers Werk ist ein Vorwort des berühmten indischen Regisseurs Yash Chopra, Vater von Filmen wie Veer Zara oder Deewaar, vorangestellt. Tieber beginnt sein Buch mit einem "Abriss der indischen Filmgeschichte vor 1947" und endet in der Gegenwart bzw. verweist in einem Ausblick in die Zukunft des Hindi-Films. Zwischen diesen beiden zeitlichen Extremitäten werden besondere Phänomene (der All-India-Star Amitabh Bachchan) wie auch Regelmäßigkeiten (filmische Stile und Charakterformen) des Hindi-Films erläutert. Unter den Begriff des "Hindi-Films" subsumiert der Autor all jene zumeist in Mumbai produzierten hindisprachigen kommerziellen Filme. Bewusst entschied sich der Autor für eine kategorische Nicht-Behandlung regionaler indischer Filme oder Kunstfilme Indiens.
Die Strukturierung des Buches zeichnet sich durch Kapitel aus, die durch zahlreiche hochfrequent auftauchende Zwischenüberschriften durchsetzt sind. Die Zwischenüberschriften erlauben dem Leser beim beliebigen Aufschlagen ein gelegentliches "Schmökern" im Buch und verlangen nicht notwendigerweise nach einem linearen Durchlesen. Jedem der kapitelweise behandelten und damit akzentuierten Thematiken wird mindestens ein, meistens jedoch mehrere gewissenhaft ausgewählte und für die jeweilige Thematik repräsentative Filmbeispiel(e) hintan gestellt: Das Kapitel "Moslems im Hindi-Film" wird durch den Film Bombay (1995) von Mani Ratnam illustriert; "Das goldene Zeitalter des Hindi-Films" kombiniert sich mit Mother India (1957) von Mehboob Khan. Diese filmischen Exempel geben den Inhalt wieder, verweisen auf die zentralen im Film behandelten Problematiken und erläutern kurz und prägnant kulturell-religiöse "indische" Spezifika – sofern man sich dieser zweifelhaften Generalisierung bedienen möchte. Zusätzlich erhält der Leser Informationen über Hintergründe der Produktionsgeschichte oder Problematiken in Bezug auf die Veröffentlichung eines filmischen Werkes.
Die exemplarisch behandelten Hindi-Filme können von Lesern bzw. Filmzuschauern, die bis dato in Bezug auf Kulturen und Religionen des indischen Subkontinents unbedarft sind, als "Lese-" oder Interpretations-Hilfe verwendet werden und so ein Verstehen von Hindi-Filmen erleichtern. Das vom Autor eingangs formulierte Ziel "im Idealfall eigene Erkenntnis zum Hindi-Film, bzw. zum Film im Allgemeinen an[zu]regen" wird dahingehend erreicht.
Der nahezu komplette Verzicht auf medienwissenschaftliche Fachbegriffe bestätig eine Ausrichtung auch auf eine weder filmtheoretisch noch in Bezug auf Indien vorgebildete Zielgruppe. Ein übersichtlich gehaltenes Glossar erläutert die wenigen unumgänglichen spezifisch "indischen" Termini. Generell gestaltet sich die Sprache des Buches "einfach" im positiven Sinne. Der Satzrhythmus und kreative Wechsel zwischen kurzen und langen Sätzen gewähren eine gute Lesbarkeit und ermöglichen ein permanent hohes Aufmerksamkeitsniveau beim Leser. Mithin gleitet die Sprache im laufenden Text ins Umgangssprachliche ab ("Er wird zum Symbol eines goldenen Zeitalters, in das man wieder zurück will.", S. 154), was an den wenigen Stellen dieser Art durchaus dem Lesefluss zuträglich, der generell wissenschaftlichen Ausrichtung dieser Einführung allerdings abträglich ist. So kontrastieren die teils flapsig wirkenden Zwischenüberschriften ("Ödipus-Schnödipus") mit den wissenschaftlichen Charakteristika wie bspw. englischsprachigen Zitaten aus Fachpublikationen.
Zweifach fällt eine heftig anmutende Ablehnung ethnologischer Beschäftigung mit dem Hindi-Film auf bzw. spricht Tieber der ethnologischen Beschäftigung mit Hindi-Filmen die Möglichkeit eines Erkenntnisgewinns ab. So heißt es auf Seite 132: "Die Begeisterung des Hindi-Films der 90er für religiöse Rituale geht soweit, dass mitunter auch welche erfunden werden, wenn es gerade in den Film passt. Wer glaubt, der Hindi-Film sei als ethnologisches Dokument, als eine Einführung in eine exotische Kultur zu lesen, sollte durch derartige Beispiele eines Besseren belehrt werden." Auf Seite 38 formuliert der Autor einen vermeintlich weiteren Anhaltspunkt dafür, dass Hindi-Filme keinen ethnologischen Erkenntnisgewinn zulassen: "Der Hochzeits-Sari ist in der Regel rot. Dass in Dilwale Dulhania Le Jayenge der Hochzeits-Sari grün ist, verdankt sich künstlerischer Freiheit und ist ein weiteres Indiz dafür, dass Hindi-Filme nicht als ethnologische Dokumente, sondern als ästhetische Produkte der indischen Filmindustrie zu sehen sind." Unklar bleibt, weshalb der Autor zweifach diese scharf kritisch anmutenden Äußerungen in Richtung der sich wissenschaftlich mit dem Hindi-Film auseinandersetzenden Ethnologen vornimmt. Gerade diese Unregelmäßigkeiten oder Brüche des grünen Hochzeits-Saris oder erfundenen Rituals bieten doch Ansatzpunkt des Ethnologen tiefer liegende Bedeutungen dieser Innovationen zu detektieren und nicht auf der Ebene des ohnehin Bekannten ("Hochzeits-Saris sind rot") zu verweilen.
Das Buch Tiebers fällt insgesamt durch schwache Lektorierung auf: Es fehlen die Seitenzahlen an zahlreichen Stellen, Seitenumbrüche sind an mehreren Stellen unglücklich gewählt und zahlreiche Rechtschreibfehler unterbrechen wiederholt den Lesefluss. Visualisierungen in Form von Bildern werden vom Autor mit Absicht sparsam eingesetzt. Der Verzicht auf üppige Illustration in Form von Standbildern aus den behandelten Filmen kann insofern als sinnvoll nachvollzogen werden, dass die besprochenen Filme selbst zur Visualisierung gesehen werden können (begrüßenswerterweise wählte der Autor als Filmbeispiele auch nur jene Werke, die als DVD erhältlich sind und damit das Buch unmittelbar als "Seh-"Hilfe einsetzbar machen).
Sehr positiv sind die Einsichten in die Produktionsweise von Hindi-Filmen und in die Bollywood-spezifischen Gepflogenheiten im Vorfeld der Produktion eines Filmes zu bewerten. Dass in Indien Filmfinanzierungen zumeist auf mündlichen Absprachen basieren, die getroffen werden, bevor überhaupt ein gedrucktes Drehbuch vorliegt, und, dass die gesamte Tonspur eines Filmes erst in einem sich an den Dreh anschließenden Synchronisationsprozess entsteht, sind nur zwei der interessanten und wissenswerten Fakten in Bezug auf den Hindi-Film. Damit einher geht aber auch gleichzeitig ein Kritikpunkt insofern, dass die Recherche des Autors für "Passages of Bollywood" auf Publikationen und mündlichen Erzählungen von Regisseuren, aber keinerlei persönlichen Beobachtungen während des Produktionsprozesses eines Hindi-Filmes beruhen – jedenfalls geht ein solches Vorgehen nicht aus dem 188 Seiten starken Buch hervor. Um eine Lanze für die vom Autor gescholtenen Ethnologen zu brechen: Insbesondere diese Berufsgruppe ist aufgrund ihrer zentralen Methode der Teilnehmenden Beobachtung prädestiniert, Erkenntnisse hinsichtlich der Produktion von (Hindi-) Filmen zur Verfügung zu stellen, die Medienwissenschaftlern zuweilen verwehrt bleiben. Dies gilt in besonderer Weise auch für den von Tieber sehr knapp gehaltenen Bereich der Rezeption von Hindi-Filmen. Informationen hierzu bieten ethnologische Publikationen, die eine Erwähnung im Literaturverzeichnis eines medienwissenschaftlich ausgerichteten Werkes durchaus verdienen. 1
"Passages of Bollywood" bietet eine solide Einführung in den Hindi-Film. Darüber hinaus stellt das Buch einen Zugewinn für den Hindi-Film-Interessierten dar, der sich eine Hilfestellung zum besseren Verständnis des kulturell Fremden wünscht. Die mangelnde Lektorierung des Buches lenkt mitunter vom Wesentlichen – der Textaussage – ab. Die vom Autor eingangs geäußerte Intention durch Lesen des Buches zum Sehen von Hindi-Filmen einzuladen, erreicht ihr Ziel daher nur teilweise, was angesichts des dichten Informationsgehalts zahlreicher Textpassagen bedauerlich ist.
[ 1 ] Zur Rezeption von Hindi-Filmen siehe bspw. Steve Derné, 2000: Movies, Masculinity, and Modernity. An Ethnography of Men's Filmgoing in India. Westport u.a.: Greenwood Press oder Lakshmi Srinivas, 2002: The Active Audi-ence: Spectatorship, Social Relations and the Experience of Cinema in India, in: Media Culture Society 24 (2), S. 155-173.
Claus Tieber: Passages to Bollywood: Einführung in den Hindi-Film.
Lit Verlag, Münster 2007. 188 Seiten. 19,90 EUR
ISBN 978-3825898274
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