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08. Dezember 2008. Rezensionen: Geschichte & Religion - Indien Dabeisein ist alles

Über den Bildband "Kumbh Mela" von Ilija Trojanow und Thomas Dorn

Als vor Urzeiten die Götter mit den Dämonen um den Unsterblichkeitstrank "Amrit" stritten, fielen vier Tropfen der Flüssigkeit zur Erde herab. An diesen vier Stellen – heute stehen auf ihnen die indischen Städte Nasik, Ujjain, Haridwar und Allahabad – findet jeweils im Wechsel von zwölf Jahren die hinduistische Kumbh Mela statt, das größte religiöse Fest der Welt, das von deutschen Medien so gut es geht ignoriert wird. Ilija Trojanow und Thomas Dorn haben sich – in welchem Jahr genau erfährt die Leserschaft leider nicht, wahrscheinlich jedoch 2001 – in das bunte Treiben der Mela gewagt, Bilder geschossen und Texte geschrieben. Herausgekommen ist ein Band, der einen nach dem Zuklappen durchaus enttäuscht zurücklassen kann.

Eine konstruktive Kritik sollte aber zuerst immer das Gute erwähnen: Das Buch ist unter seinem Schutzumschlag in ordentliches Gelb gebunden, und es finden sich in ihm zum Glück keine schrägen Abbildungen der üblichen (vermeintlich!) „Verrückten“, also der Asketen (Sadhus), die beispielsweise seit Jahrzehnten einen Arm hochhalten (sodass dieser schon vertrocknet ist) oder ebenso lange auf einem Bein stehen, oder sich für einige Stunden lebendig begraben lassen. Solche Bilder lassen sich unter Verwendung der richtigen Begriffe heutzutage ergoogeln, oder man greift zu dem Werk von Manfred Pelz über die heiligen Männer Indiens. Nein, was wir im hier besprochenen Bildband sehen, sind einfache Momentaufnahmen im Trubel des Festes. In erster Linie sind die Sujets Menschenmassen, Menschenansammlungen und Menschenaufläufe, was an sich nicht verwundern soll, denn bei einer Kumbh Mela können schon mal 30 bis 35 Millionen Menschen zusammenkommen. Die Pilgermassen sehen wir beim Bad im heiligen Fluss Ganga, beim Schlafen im Großraumzelt, beim Sitzen am Lagerfeuer und im Beiwohnen von Vorträgen. Panoramaschüsse zeigen uns Kumbh Nagar, die beleuchtete Zeltstadt der Veranstaltung. Zwischendrin steht ein Gesicht auch mal ganz nah vor dem Kameraobjektiv und guckt uns an.

Man betritt Feste von solch kolossaler Größenordnung durch das Tor des Mythos und schafft sich dahinter sein ganz persönliches Ereignis.“, heißt es im Text auf Seite 36, und natürlich sorgen allein schon diese Größenordnungen und deren Klangteppiche aus „Gesängen, Gebeten, Aufrufen, Durchsagen“ (S. 49) dafür, dass das Geschehen um einen herum wie ein Film abzulaufen beginnt. Jeder Mensch erlebe hier eine andere, seine ganz eigene Kumbh Mela, steht auf Seite 36. Doch so bereichernd und eindrucksvoll die Erlebnisse von und für Ilija Trojanow und Thomas Dorn auch gewesen sein mögen – die beiden Autoren schaffen es im Buch nicht, uns diese Spannung zu vermitteln. Nur wenige Bilder sind wirklich fesselnd und viele Fotos sind grobkörnig, also von schlechter Qualität. Die guten, also scharfen und klaren Fotos, fallen denn auch sogleich auf. Da die meisten von ihnen morgens und abends aufgenommen sein dürften, zieht sich ein milchiger Dunst durch die Seiten des Buches, der vom Morgennebel über den Staub des Mittags in den Abenddunst eingeht. Wo kein Dunst fotografiert ist, übernimmt die erwähnte Grobkörnung den gleichen Effekt.

Im Kontrast zu den teils schwebenden Formulierungen der Autoren stehen einige Verse des Dichters Kabir (1440-1518) mit beißend ironischen Klängen, oftmals auf jede Religion spottend. Die Übersetzung hat Trojanow besorgt; ob aus dem Hindi/Hindustani, einer anderen indischen Sprache oder nur dem Englischen ist nicht vermerkt. Wer an Sinnsprüchen dieser Art Gefallen findet, mag sie sich abschreiben oder zumindest unterstreichen.

Der Text ist in unterschiedlich großer Schrift gesetzt worden, was auflockernd wirken soll, für das Auge beim Lesen aber irritieren kann. Und auch sonst lassen sich einige Mängel im Buch feststellen.

Auf der Doppelseite 64 und 65 sind keinesfalls Sidis abgebildet (wie es im Bildtext heißt), sondern eindeutig Ramnamis, erkennbar an den für sie typischen Gesichtstätowierungen und Pfauenfederhauben. Und auf Seite 70 heben sich Bild und Bildbeschreibung ebenfalls auf. Der im Bildtext erwähnte Rauch ist bei weitem nicht so dicht, als dass man einen angeblich vorhandenen Bilderrahmen nicht doch ansatzweise erkennen könnte : Es existiert ganz einfach kein Bilderrahmen in diesem Motiv.

Darüberhinaus wird das im Hindi maskuline Wort akhara (Kampfplatz, Orden; gemeint sind in unserem Zusammenhang die Mönchsorden der verschiedenen Sadhus) im Deutschen durchweg und ganz unnötig als feminines Nomen verwendet. Aber wir wollen nicht kleinlich werden. Offensichtlicher ist da noch das Fehlen eines Inhaltsverzeichnisses, obwohl der Band in so etwas wie Kapitel eingeteilt ist.

Auf Seite 166 heißt es: „Keiner kann diese Mela einfangen, weder in Bild noch Wort.“ Wie gesagt, auch Thomas Dorn und Ilija Trojanow ist das leider nicht gelungen, aber einen Versuch war’s wert. Dabeisein ist alles (Und wer es selbst einmal erleben will, der sollte 2010 nach Haridwar zur nächsten Maha Kumbh Mela fahren).

 

Trojanow/Dorn: Kumbh Mela. Das größte Fest der Welt.
179 Seiten. Frederking & Thaler (September 2008). 50 Euro.
ISBN: 978-3894057121

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