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Für Martha C. Nussbaum ist das Pogrom in Gujarat im Jahr 2002 Anlass zu fragen, wie es dazu kommen konnte, dass hindu-nationalistische Kräfte das pluralistische und säkulare Gefüge der indischen Demokratie auf die Probe stellten. In diesem Zusammenhang ist es ebenso ihr Anliegen, einer amerikanischen und europäischen Öffentlichkeit nahe zu bringen, dass der "Clash of Civilizations" weniger zwischen "dem Westen" und dem "Monolith Islam" ausgetragen wird. Vielmehr trägt jeder Mensch Eigenschaften in sich, die unter bestimmten Umständen dazu führen können, andere Menschen nicht als gleichwertig ertragen zu können - the clash within.
Der indische Bundesstaat Gujarat wurde im Jahre 2002 von massiver Gewalt erschüttert, der nach Schätzungen nichtstaatlicher Organisationen ca. 2500 Menschen zum Opfer fielen, die große Mehrzahl von ihnen Muslime. Die Gewalt wurde von Polizei und Behörden gedeckt. Gujarats Chiefminister Narendra Modi, ein hindu-nationalistischer Hardliner, dem von zahlreichen Beobachtern die Hauptverantwortung für das Pogrom zugeschrieben wird, ist seitdem zweimal in seinem Amt bestätigt worden, zuletzt im Dezember 2007. Modi wurde während des Pogroms von der Zentralregierung – ebenfalls Bharatiya Janata Party (BJP) - gestützt. In Anbetracht der zunehmenden Bedeutung des Hindu-Nationalismus verstärkte dies bei einem großen Teil der liberalen Zivilgesellschaft Indiens massiv die Sorge um die soziale Integration der indischen Gesellschaft und um die Zukunft der indischen Demokratie.
Vor diesem Hintergrund beleuchtet Nussbaum Faktoren und Entwicklungen, die zum Aufstieg der Hindu-Rechten in Indien beigetragen haben. Sie stellt einige „Gesichter“ des Hindu-Nationalismus vor wie auch den Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS, Nationales Freiwilligen – Korps) und dessen Ideologie. Ausgehend von einer Charakterisierung des Gandhi Mörders Naturam Godse zeichnet Nussbaum den Aufstieg der Hindu-Rechten von der Unabhängigkeit bis zur Abwahl der BJP im Jahre 2004 nach. Sie schildert die für das Thema relevanten Grundzüge und Besonderheiten der indischen Verfassung wie auch die Politik Jawaharlal Nehrus und Indira Gandhis. Dies wird ebenfalls im Hinblick auf Faktoren betrachtet, die nach Meinung Nussbaums den Erfolg der Hindu-Nationalisten befördert haben. Weitere Kapitel befassen sich mit der Debatte um indische Geschichtsschreibung und mit der Schulbildung. Schwerpunkt der Kritik ist die Unterrichtsmethode des kritiklosen Auswendiglernens an indischen Schulen. Nussbaum zieht in vielen Kapiteln Parallelen zu der Situation in den Vereinigten Staaten. Auch skizziert sie die Diaspora Community in den USA und Konflikte um die Auslegung des Hinduismus durch amerikanische Wissenschaftler.
All diese Aspekte werden in Bezug gesetzt zu den im ersten Drittel des Buches geschilderten Persönlichkeiten Rabindranath Tagore, Mohandas Karamchand Gandhi und Nehru. Diese unterschiedlichen Charaktere stehen Pate für das Ideal des Bürgers in einer Demokratie: "True self-rule requires citizens who can think for themselves, who can imagine the situation of others, and who are continually challenging themselves by seeking examples from other cultures and other ways of life". (Nussbaum 2007: 89) Konfliktpotenziale trage jeder Mensch in sich: "[...] a struggle within the individual self, between the urge to dominate and defile the other and a willingness to live respectfully on terms of compassion and equality, with all the vulnerability such a life entails." (Nussbaum 2007: IX) Und dieses Zusammenprallen fände sich innerhalb aller modernen Nationen, so die zentrale These des Buches.
Nussbaum hat ein sehr gut lesbares und spannendes Buch geschrieben. Das Buch richtet sich an Leserinnen und Leser, die sich einen ersten Überblick über das Thema Hindu-Nationalismus in Indien verschaffen wollen. Es gibt aber auch jenen weitere Argumente an die Hand, die nicht der Meinung sind, dass es sich bei gegenwärtig gezeichneten Szenarien um einen Konflikt zwischen "dem Westen" und "dem Islam" handelt. Sie schreibt engagiert und energisch, die Argumentation ist nachvollziehbar. Eine Ausnahme stellt das Kapitel Fantasies of Purity and Domination dar, in dem sie versucht, die Ursachen der massiven Gewalt gegen Frauen und der Massenvergewaltigungen während des Pogroms in Gujarat zu erklären. Hierzu schreibt sie allerdings selbst, dass vielleicht nicht alle Leser ihren psychologischen Gedanken in diesem Kapitel folgen mögen.
Besonders interessant sind Charakterisierungen von Akteuren der Hindu-Rechten, die sie zum Gespräch getroffen hat, insbesondere ihre Beobachtungen zu Arun Shourie – ein in Indien sehr prominenter Journalist und Autor, ehemaliger Chefredakteur des Indian Express, Mitglied der BJP und Minister in Vajpayees Kabinett. Gleichsam subjektiv sind ihre Beschreibungen und Interpretationen allerdings auch. Häufig wird die Subjektivität dadurch verdeutlicht, dass sie in der ersten Person schreibt, allerdings ist in anderen Kapiteln nicht immer ganz klar, auf welcher Grundlage die Einschätzungen vorgenommen werden. Sie versucht, viele Aspekte zu beleuchten, Fairness walten zu lassen und Objektivität herzustellen. Ihre Meinung steht jedoch recht kontinuierlich zwischen den Zeilen.
Insgesamt liefert Nussbaum eine Fülle von Informationen, wobei recht häufig leider nicht nachvollzogen werden kann, woher diese stammen. Einige Aussagen sind daher oberflächlich und zum Teil auch etwas fragwürdig. Hätte sie in ihrem Buch deutlich mehr Quellen angegeben, wäre es insgesamt überzeugender geraten. Auch die Frage nach den spezifischen Voraussetzungen Gujarats als Versuchslabor für hindu-nationalistische Ideologie handelt sie nur kursorisch ab und wirft eher mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Etwas zu kurz kommt auch die Kolonialzeit, in der – eben auch als Reaktion auf die Kolonialmacht - Hindu-Reformbewegungen entstanden sind. Diese können zwar nicht als explizite Förderer des Hindu-Nationalismus bezeichnet werden, aber die ideologischen Charakteristika des Arya Samaj waren bspw. so gelagert, dass er zu einem entscheidenden Vorläufer des Hindu-Nationalismus wurde (vgl. Jaffrelot 1999: 17).
Auch gibt es Unschärfen, die den Kern des Buches betreffen. So schreibt Nussbaum beispielsweise von "religiöser Gewalt". Wie sie selbst aber herausgearbeitet hat, sind die Ursachen für religiös motivierte Gewalt weniger innerhalb der Religionen selbst zu suchen, sondern vielmehr bei den Akteuren, die die Religion in Anspruch nehmen, um wie auch immer geartete Ziele zu verfolgen.
The Clash Within ist ein gut verständlicher Einstieg in das Thema Hindu-Nationalismus, der auch einige Grundzüge des politischen Systems Indiens anschaulich beleuchtet. Im Vergleich zu der bisher vorhandenen Vielfalt an Werken zum Thema dürften vor allem die reichhaltig vorhandenen Details zu einzelnen, gegenwärtigen Akteuren der Hindu-Rechten von Interesse sein. Interessant ist auch, wie diese im Kontext der Eigenschaften, die ein Mensch in einer Demokratie idealer Weise in sich vereinen sollte, den Charakteren Gandhi, Nehru und Tagore gegenübergestellt werden. Neu und recht aktuell ist der häufig gezogene Vergleich zu der Situation in den Vereinigten Staaten und der Bogen, den Nussbaum in Kritik zur Politik der Administration von George W. Bush spannt. Und dieses eher populärwissenschaftliche Buch möchte man, einmal begonnen, kaum wieder aus der Hand legen - wenngleich gilt, dass weiterführende Literatur weitgehend selbst recherchiert werden muss.
Martha C. Nussbaum: The Clash Within. Democracy, Religious Violence, and India's Future. New Delhi: Permanent Black, 2007, 403 S.; 595,- Rupien (erste Ausgabe Harvard University Press 2007) oder The Belknap Press, 29,95 US-Dollar
Jaffrelot, Christophe (1999): The Hindu Nationalist Movement and Indian Politics. 1925 to the 1990s. Calcutta: Penguin Books
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