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12. Dezember 2007. Rezensionen: Weltweit - Geschichte & Religion Die Stimme eines Geists

Philip Scheffners Film "The Halfmoon Files" forscht nach einem Inder, der 1916 im Kriegsgefangenenlager "Halbmond" in Wünsdorf bei Berlin interniert war - und findet heraus, wie Ethnografen, Militärs und Filmemacher zusammenwirkten. Der auf der Berlinale 2007 uraufgeführte Film ist Teil eines Projektes über Kolonialismus, Repräsentation und den Umgang mit Archiven und Formen der Aufarbeitung.

In ihren Anfängen waren die technischen von den okkulten Medien nicht zu trennen. Versuche, die Stimmen der Verstorbenen in Edisons Phonographen einzufangen, ihre geisterhaften Schemen auf fotografischen Platten in die Sichtbarkeit zu bannen, hat es gerade im fortschrittsgläubigen 19. Jahrhundert zahllose gegeben. Es war ein beliebter Zeitvertreib in bürgerlichen Salons, sich von den phantastischen Seiten der neuen Aufzeichnungsgeräte verführen zu lassen, ihre als magisch empfundenen Leistungen mit dem Kitzel des Unheimlichen zu verbinden.

Auch "The Halfmoon Files" von Philip Scheffner versucht, solchen heute nur noch schwach nachwirkenden Faszinationspotentialen der Medien nachzuspüren. Allerdings sucht und findet er seine Gespenster nicht in verrauchten Hinterzimmern, sondern in den genau vermessenen Archiven von Humanwissenschaft und Geschichtsschreibung. Ausgangspunkt ist eine Stimme, die eine weite Reise hinter sich hat: von Indien ins Deutsche Reich, aus dem Ersten Weltkrieg in die Gegenwart. Diese Stimme hebt mit der Formel an, mit der sonst Märchen beginnen: "Es war einmal ein Mann. Er geriet in den europäischen Krieg. Deutschland nahm diesen Mann gefangen. Er möchte nach Indien zurück. Wenn Gott gnädig ist, wird er bald Frieden machen. Dann wird dieser Mann von hier fortgehen."

Halfmoon Files Still
Der Indologe Heinrich Lüders bei der Tonaufnahme von Gurkha Sprachen im Wünsdorfer Halbmondlager. Foto: Akademie der Wissenschaften Berlin

Am 11. Dezember 1916 in einen Phonographentrichter gesprochen, in Wachs geritzt, in eine Schellackplatte gepresst, wanderten diese Worte ins Archiv der "Königlich Preußischen Phonographischen Kommission". Heute lagern sie, eine Ablage unter vielen Tausend, im Lautarchiv der Humboldt-Universität zu Berlin. Aus dem hat Scheffner sie entborgen können, um sie wieder in eine Frage zu verwandeln: Ist dieser Mann, den die mit preußischer Gründlichkeit geführten Dokumente als Mall Singh, Kolonialsoldat im Dienste der britischen Armee, identifizieren, schließlich heimgekehrt? Ist es neunzig Jahre später möglich, ihn heimkehren zu lassen?

"Halfmoon Files" ist das Ergebnis der mehrere Jahre währenden Beschäftigung Scheffners mit dieser Tonaufnahme, die den Regisseur an die unterschiedlichsten Orte geführt hat. Orte, an denen das Vergangene und das Gegenwärtige, das Fremde und das Eigene wie übereinander projiziert erscheinen. So in einer Kneipe in Wünsdorf nahe Berlin, in der eine Postkarte hängt, die eine Moschee zeigt, die einst in Wünsdorf stand. Das Deutsche Reich ließ sie für die gefangen genommenen Kolonialsoldaten errichten, die dort im Sonderlager "Halbmond" interniert waren. Das Kalkül: Wenn England und Frankreich die Feinde sind, dann sollte es doch gelingen, die muslimischen Soldaten ihrer Kolonien durch gute Behandlung zum kollektiven Widerstand gegen ihre Besatzer zu überreden. So wurde unter Kaiser Wilhelm II. der Djihad Teil deutscher Kriegsstrategie.

Das ist nur eine der geschichtliche Pointen, denen Scheffners Film nachgeht. Sprachforscher und Anthropologen strömten in das Lager, um die Internierten massenhaft zum Objekt ihrer Studien zu machen, um ihre Körper zu vermessen und ihre Idiome zu katalogisieren. Die Filmindustrie nutzte das "exotische" Personal, um ein imaginiertes Afrika auf heimischem Boden zu inszenieren. Andere Länder mochten mehr Besitztümer in Übersee haben, Deutschland hatte Wünsdorf. Und man musste nicht einmal das Land verlassen.

Mit äußerster Behutsamkeit rekonstruiert der Film die Zusammenhänge einer Allianz aus Militär, Wissenschaft und Propaganda. Scheffners Umgang mit seinem historischen Bild- und Tonmaterial ist nicht nur meilen-, sondern geradezu galaxienweit entfernt von den Ton-Bild-Konfitüren, die ein gedankenloses Geschichtsverständnis à la Guido Knopp uns massenhaft im Fernsehen anrührt. Menschen, die unter reichsdeutscher Verwaltung nur Nummern waren, erhalten hier ein Gesicht.

Scheffner gibt dem Archiv seine Würde zurück, präsentiert seine Dokumente wie selbständige Individuen und macht den Vorgang der Recherche selbst zum dramaturgischen Leitfaden seines Films. Wer Gespenstern hinterherjagt, wird nicht zu fassen kriegen, was er sucht, er wird auf dem Weg aber mehr finden, als er zu hoffen gewagt hat.

"The Halfmoon Files". Regie: Philip Scheffner. Essayfilm, Deutschland 2007, 87 Min. Der Film ist Teil eines umfassenderen Ausstellungsprojektes, mit dem Philip Scheffner und die Historikerin Britta Lange die Ergebnisse ihrer Beschäftigung mit dem Lautarchiv präsentieren werden. Am 15. Dezember wird in Berlin, im Kunstraum Kreuzberg im Bethanien, eine Ausstellung gleichen Titels eröffnet, die in Sound- und Filminstallationen, Vorträgen und Veranstaltungen am Gegenstand des "Halbmondlagers" exemplarisch das Spannungsfeld von Politik, Wissenschaft und Geschichtsschreibung ausloten wird.

Quelle: Der Beitrag erschien im Original am 19.9.2007 in der tageszeitung.

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