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13. Dezember 2006. Rezensionen: Südasien - Geschichte & Religion David Ludden: Geschichte Indiens

Indien oder Südasien? Seit der Teilung des Subkontinents 1947 kann sich "Indien" entweder auf den größten Nationalstaat der Region, auf das von den Briten eingenommene Territorium oder auf die kulturhistorische Region, die einen Großteil Südasiens umfasst, beziehen. Der Klarheit halber hätte man dem Originaltitel "India and South Asia: A Short History" deswegen auch in der Übersetzung folgen sollen, da sich Ludden tatsächlich nicht nur auf das heutige Indien, sondern auf die historische Region "zwischen Afghanistan und Burma" bezieht.

Wie Ludden in der Einführung schreibt, richtet sich sein Buch allgemein an Geschichtsinteressierte und Studierende. Als zentralen Gegenstand betrachtet er historische Prozesse sozialen Wandels, was ökonomische, kulturelle und politische Aspekte mit einschließt. Thematisch konzentriert sich das Buch auf das Problem der sozialen Identitäten, die historisch gesehen immer empfänglich für neue Definitionen und Zusammensetzungen seien, weil sie instabile Produkte sozialer Kräfte an bestimmten Orten darstellten. Für Ludden sind es vor allem öffentliche Akteure, die Identitäten fördern, indem sie sie sichtbarer und kraftvoller machen. So seien die ethnischen, religiösen, linguistischen, regionalen und nationalen Identitäten, die wir heute in Südasien beobachten, alle durch die Akkumulation innovativer Eingriffe in die Gesellschaftsgeschichte entstanden, auch wenn sie sich wie ein natürliches Erbe anfühlten.

Neue Sicht auf das indische Altertum

Wichtige Entdeckungen, die der Autor leider nicht benennt, hätten neue Wege eröffnet, die Geschichte Südasiens neu zu erforschen. Sie zeigen, dass die Region nicht über einen singulären Ursprung verfügt und die indische Kultur nicht nur in den "heiligen Veden" verwurzelt ist, sondern stets viele Völker und Kulturen umfasste. Die veraltete Sicht hatte dagegen die Vorstellung bestärkt, dass Hindus, Buddhisten, Muslime und Christen distinkte Zivilisationen repräsentieren, die jeweils über ein eigenes Herkunftsgebiet und entsprechend getrennte Historiografien verfügen. In den Worten Luddens war Südasien jedoch "eine vollkommen andere Welt in den Jahrtausenden, bevor es seinen modernen Charakter annahm" (S. 21). Den größten Teil seiner Geschichte war der Subkontinent dünn besiedelt, die Menschen lebten in kleinen, verstreuten Gemeinschaften. Bis ins Mittelalter war ein weitaus größerer Teil der Landmasse von Wäldern bedeckt als von Dörfern oder Städten. Und die meiste Zeit war Südasien geografisch offen für Wanderung und Kommunikation quer über seine späteren Nationalgrenzen, die heute Staatsterritorien voneinander trennen.

Als eine "frühe Epoche gewaltiger Umgestaltung" beschreibt Ludden die Zeit zwischen 500 vor und 500 nach Christus, die später als "klassische Zeit" betrachtet wurde. Aus vielen kleinen, prähistorischen Gesellschaften ohne feste Institutionen waren im 6. Jahrhundert v.Chr. mächtige Völker hervorgetreten, die neue Herrschaftssysteme schufen. Durch eine äußerst produktive Landwirtschaft konnten die reisanbauenden Gesellschaften im östlichen Gangesbecken große Bevölkerungen ernähren und ihre Erträge steigern. Handel und Handwerk expandierten ebenfalls, so dass die Gemeinschaften ihre Verbindungen untereinander ausbauten und auf den Handelswegen von Kabul bis Gujarat und Assam einer der größten zusammenhängenden Wirtschaftsräume der antiken Welt entstand. Diese wirtschaftliche Blüte führte zu einer "Explosion sozialer Neuerung", die vor allem am Ganges und in den östlichen Gebieten Indiens zur Entstehung neuer Städte führte.

Entwicklung einer imperialen Hochkultur

Im Abschnitt zur "Erfindung des Imperiums" stellt Ludden unter anderem den Aufstieg Chandragupta Mauryas dar, den er als ersten imperialen Herrscher Südasiens betrachtet. Zwischen 321 und 260 v.Chr. eroberten die Armeen seiner Herrschaftsdynastie große Gebiete, während die Eliten der Mauryas eine imperiale Kultur entwickelten. Sehr gelungen ist die Darlegung dieses "zivilisatorischen Projekts", das aus der Vermischung der arischen mit anderen Kulturen der Gangesebene entstanden ist. Sie diente der Institutionalisierung einer "hohen Kultur" der Elite, die sich von der lokalen Kultur und den sozialen Identitäten in den eroberten Gebieten abgrenzte. Um ihren höheren Status geltend zu machen, stützten sich Eliten und Aufsteiger gleichermaßen zunehmend auf die brahmanische Auslegungen der varnas (w: Farben) und förderten Wissen und Ritus der Brahmanen. Erst durch den Brahmanismus bekamen Familienverbände oder Kastengruppen (jati) also eine varna bzw. ihren Stand zugewiesen. Kulturelle Institutionen und religiöse Aktivitäten, wie die Finanzierung von Festen, wurden in lokalen Gesellschaften zum Indikator des sozialen Status.

Vierhundert Jahre nach dem letzten Abkömmling der Mauryas war es die Dynastie der Guptas, die dieselben Räume des antiken Bharat erneut mit einer "kulturellen Überlegenheit" des Brahmanismus prägte. Aryavarta bezeichnet das imperiale Herzland des Guptareiches, dessen Niedergang im 6. Jahrhundert folglich von den brahmanischen Autoren als "schwarzes Zeitalter" (kali yug) interpretiert wurde. Kulturell distinkte Reiche, die außerhalb der brahmanischen Bastionen verankert waren, kämpften permanent gegen den Imperialismus der Gangesregion. In der nachfolgenden Epoche brachten die vielen Mächte, die den Guptas nachfolgten, ein neues Mosaik sozialer Ordnungen hervor.

Wandel im Mittelalter

Sowohl hinsichtlich der Quellen in vielen indischen Sprachen und Regionen als auch im Hinblick auf die Hauptakteure, ist die mittelalterliche Epoche Südasiens deutlich besser dokumentiert als das Altertum. Allerdings bedarf es nach Ludden noch vieler Historiker, die sich beispielsweise mit den Inschriften der mehr als 40 neuen Dynastien (prasastis) im 6./7. Jahrhundert in ganz Südasien befassen. Auch wenn es dadurch schwerer zu überschauen ist, verwendet der Autor den Begriff des Mittelalters, da er in diesem Zeitraum eine "einigermaßen zusammenhängende" Epoche (etwa 550 - 1556) feststellt. Den Wandel im Mittelalter beschreibt er anhand von Prozessen der Verdichtung. Zwar waren die mittelalterlichen Herrschaftsgebiete kleiner als die alten Reiche, aber insgesamt sehr viel reicher, mächtiger und produktiver, da sie stärker in regionale Gesellschaften eingebunden waren und ihre Produktionskapazitäten so um ein Vielfaches ausbauen konnten. Analog zu den multiplen Herrschaftsformen entwickelten sich multireligiöse Kulturen, so dass beispielsweise im äußersten Süden ab dem 8. Jahrhundert nicht-brahmanische Akteure eine führende Rolle in der Förderung der bhakti-Tradition übernahmen, die eine direkte Beziehung zu Gott ohne die Vermittlung der Brahmanen propagierte. Als zentralen Wandlungsprozess zwischen dem 10. und 14. Jahrhundert sieht Ludden jedoch den Aufstieg der Krieger. Insbesondere der Einfluss der Rajputen aus Rajasthan verbreitete sich unter ihren Verbündeten, aber auch unter Konkurrenten und Nachahmern. Türkische, afghanische und mongolische Reiternomaden gelangten ebenfalls nach Südasien und beeinflussten dort die historische Entwicklung. Die beiden großen dynastischen Erfolgsgeschichten bildeten das Delhi-Sultanat, das über 300 Jahre lang (1206-1526) eine sich ändernde Gruppe von Herrschern umfasste, und die Moguln, deren einziges Geschlecht von der Krönung Akbars (1556) bis zu Aurangzebs Tod (1707) über 150 Jahre lang einen riesigen Militärapparat kontrollierte.

An den Hauptadern der Mobilität, die die Seidenstraße mit dem Indischen Ozean verbanden, beschleunigte sich das urbane Wachstum, wodurch wiederum das Leben in Bewegung für viele Menschen zu einer gemeinsamen sozialen Erfahrung wurde. Ludden geht davon aus, dass sich bis an die Hälfte der Bevölkerung der größeren Herrschaftsgebiete des 17. und 18. Jahrhundert zumindest saisonal auf der Wanderschaft befand.

Neuzeitliche Übergänge

Die Expansion des britischen Imperiums im 18. Jahrhundert sieht Ludden weniger als scharfen Bruch oder "Motor der Neuzeit" in Südasien, sondern in der Hinsicht als "typisch südasiatische" Entwicklung, dass die Briten auf dem Werk früherer Imperien aufbauten. Analog zu den Reichen der Mauryas, Guptas und Moguln stelle das britische Empire einen weiteren Teil in einem größeren historischen Transformationsprozess dar. Als dessen Auslöser kann es nach Ansicht Luddens nicht gelten, da dieser Wandel auch ohne die Einverleibung in die neuzeitliche imperiale Geografie moderne soziale Umwelten in Südasien geschaffen hätte.

Mittelalterliche Einflüsse, die in die Neuzeit getragen wurden, beschreibt Ludden in etwas gedrängter Form im dritten Kapitel anhand "ethnischer Territorien". Das gesellschaftliche Alltagsleben hatte sich demnach bereits im 18. Jahrhundert in geografische Muster ethnischer und regionaler Zugehörigkeit unterteilt. Hinzu kam, dass der Aufstieg der Krieger mit einer neuen Betonung der Macht des Patriarchen einher ging, entsprechend wurde die patriarchale Familie zur Grundlage der Gruppenidentität. Nicht weniger kompakt schildert der Autor den Territorialismus des 18. Jahrhundert. Er behandelt darin zum einen die turbulente Phase zwischen der Vorherrschaft der Moguln und dem Aufstieg des britischen Empire im Machtbereich der indo-persischen Eliten, und zum anderen die Erfolgsgeschichten der Küstenregionen und "innovativen Eliten" in den Regionen Süd-, West- und Nordostindiens im selben Zeitraum. Im Sauseschritt führt der Autor anschließend durch fünf Aufstiegsphasen der Briten in Indien (1600-1914), bevor er sich im vierten Kapitel der "Schaffung moderner Gesellschaften" widmet.

Vor allem auf die Identitätspolitik der herrschenden Eliten und aufstrebenden Gruppen in den vorangegangenen Jahrhunderten eröffnet Ludden sehr interessante Perspektiven. Es bleibt jedoch bis zur frühen Neuzeit und Moderne eher eine unkonventionellere politische Geschichte großer Männer (Frauen treten überhaupt nicht in Erscheinung) als eine "Gesellschaftsgeschichte", die er in der Einführung ankündigt. Spätestens im 19. Jahrhundert erwartet man mehr darüber, wie der soziale Wandel konkret das alltägliche Leben der Menschen beeinträchtigte und kollektive wie individuelle Identitätsbildungen beeinflusste. Der große Aufstand von 1857 wäre eine Möglichkeit, die Frage nach den sozialen Identitäten über die Eliten hinaus auszuweiten, stattdessen wird dieses einschneidende Ereignis knapp abgehandelt. Auch die Beschreibung des imperialen Projekts der Briten liest sich mehr wie eine Zusammenfassung all dessen, was an anderer Stelle eingehender dargestellt wird. Auszunehmen ist der Abschnitt zu "agrarischen Gesellschaften und imperialen Privilegien", einem der Forschungsschwerpunkte Luddens in den vergangenen Jahren. Zwei Hauptarten von Konflikten um nutzbares Land beschreibt er hier, zum einen zwischen sesshaften landwirtschaftlichen Gemeinschaften und Stammesgemeinschaften, die seit langem eine Wanderwirtschaft betrieben, und zum anderen die Konflikte zwischen Grundbesitzern (Zamindar) und Pächtern um die Ausweitung des Anbaus. Bereits im 18. Jahrhundert führte der legale Aktivismus beider Interessengruppen in Bengalen und Bihar zu etlichen Reformen und Revisionen der Zamindar-Besitzrechte.

Im Eilschritt durch das 20. Jahrhundert

Auf den folgenden hundert Seiten behandelt Ludden schließlich, wieder in großzügigen Federstrichen, die "Ursprünge der Nationalität", die "Schaffung von Nationen" im 20. Jahrhundert und schließlich "nationale Umwelten", worin er allerdings ausschließlich die religiösen Gemeinschaften der Buddhisten, Christen, Sikhs, Muslime und Hindus behandelt. Warum nur diese und nicht auch Jains oder Parsen, bleibt unbeantwortet. Ebenso wie die Frage, weshalb das Buch mit einer religiösen Kategorisierung endet. Wird damit nicht doch die Vorstellung "distinkter Zivilisationen" bestärkt?

Angesichts der vielen kurzen Unterkapitel stellt sich die Frage, wie dieses Buch zu lesen ist. Manche Abschnitte würden sich als Einstieg in ein Themenfeld eignen, doch fehlen dazu weiterführende Literaturhinweise in diesem komplett fußnoten- und bibliografiefreien Buch. Gerade wenn es sich an Studierende des Fachs richtet, wäre es jedoch wichtig, sie auf diesem Weg mit wichtigen Quellentexten, Werken und Namen vertraut zu machen. Zu häufig werden insgesamt die Schlaglichter auf neue Themen und Akteure gelenkt, als dass diese zu einem annähernd kohärenten Erzählstrang zusammen geführt werden könnten. Wie Ludden im letzten Kapitel sagt, sei sein Buch eine "zweckdienliche Vereinfachung" mit zwei Zielen: "Erstens, die wichtigen Strömungen in der Geschichte sozialer Identität aufzuzeigen und zweitens, einen Überblick über die politische Geschichte aus einer sozialen Perspektive zu geben" (S. 248). Vielleicht hätte diese Erklärung in der Einführung stehen müssen, um die Erwartung einer deutlicher sozialgeschichtlichen Handschrift in der Darstellung auszuräumen. So ist es ein stellenweise zu kompaktes, in vielen Teilen aber auch sehr inspirierendes Buch, aus dem man sich einzelne Aspekte herausgreifen und vertiefen kann - wo, das muss man allerdings selbst recherchieren.


David Ludden, Geschichte Indiens, übersetzt aus dem Englischen von Mira Arora, Essen: Magnus-Verlag, 2006, 302 S., 9,95 EUR


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