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30. April 2003. Nachrichten: Politik & Recht - Pakistan Verfassungsdiskussion um "Legal Framework Order" offenbart Musharrafs prekäre Macht

Der politische Diskurs in Pakistan – so vermittelt es vor allem die englischsprachige Presse - war im April 2003 wieder einmal durch die Präsident General Pervez Musharraf geprägt. Knapp ein halbes Jahr nach der Übergabe der Macht an eine zivile Führung in Islamabad gibt es noch immer keine ernsthaften demokratischen Fortschritte. Mögliche Alternativen scheinen umso vertrackter zu sein.

Präsident General Musharraf hatte die "Legal Framework Order" (LFO) im August 2002 erlassen. Die über zwei Dutzend Vorschriften die das Wesen der Verfassung weitgehend veränderten, sollen der Armee auch weiterhin großen Einfluss garantieren. Dazu gehört, dass der Präsident zugleich Oberkommandierender der Streitkräfte sein kann und befugt ist, die Regierung abzusetzen und das Parlament aufzulösen. Außerdem soll ein nationaler Sicherheitsrat unter militärischer Führung die Arbeit der gewählten Instanzen überwachen. Die Verfügung soll auch das umstrittene Präsidentschafts-Referendums von Musharraf vor einem Jahr legitimieren.

In ihrem gemeinsamen Vorgehen gegen die LFO blockieren die oppositionelle Pakistan Muslim League (Nawaz) (PML-N), die Pakistan People’s Party (PPP) und das islamistische Parteienbündnis Muttahida Majlis-e-Amal (MMA - Vereinigte Aktionsfront) seit den Wahlen im Oktober letzten Jahres weitgehend den Parlamentsbetrieb.

Oppositionelle verweigern Musharrafs ersehnte Rolle

Präsidenten Musharraf war es gelungen, die PML-N des ehemaligen Premierministers Nawaz Sharif zu spalten. Die knappe Parlamentsmehrheit der abgespalteten, dem Militärregime nahe stehenden Pakistan Muslim League (Qaid-e-Azam) und einiger Kleinparteien und Unabhängiger erlaubte zwar eine den Militärs genehme Zivilregierung, doch normale Parlamentsarbeit ist dennoch nicht möglich. Offizieller Grund ist eine Verfassungsbestimmung, nach der sich der Präsident zum Auftakt der Legislaturperiode an die vereinigte Versammlung von Senat (Oberhaus) und Majlis-e-Shura (Abgeordnetenhaus) wendet. Die Parlamentarier der drei großen Oppositionsparteien haben jedoch gedroht, den Auftritt des Generals zu stören. Daher musste der Termin bereits mehrfach verschoben werden, was Premierminister Zafarullah Khan Jamali zuletzt veranlasste, ein All-Parteien-Komitee einzuberufen. Die Opposition verweigert allerdings weiterhin dem Präsidenten hartnäckig die ersehnte parlamentarisch legitimierte Rolle. In ihren Augen verletzen die Bestimmungen der LFO die demokratischen Normen der Verfassung von 1973. Sie beharren darauf, dass das Parlament als oberste demokratische Instanz das Recht hat, über jede Verfassungsänderng abzustimmen. Falls sich keine Zweidrittelmehrheit für den LFO findet, sei sie ungültig. Der General ist der Auffassung, dass die Parteien durch ihre Wahlbeteiligung im Vorjahr, als die LFO bereits in Kraft war, sie daher bereits als gültiges Recht akzeptiert hätten.

Unterschiedliche Motivationen

Nicht erst der Putsch von Musharraf im Oktober 1999, sondern seit Bestehen des Staates haben Pakistans politische Kräfte mit einer übermächtigen Armee gelebt und mussten sich stets mit ihr arrangieren (siehe Geschichte Pakistans nach 1947). Daher scheint kein Grund zu bestehen, warum es unter Musharraf anders sein sollte. Beim Streit um die Macht des Parlaments müssen daher auch kurzfristige Interessen der Opposition bedacht werden.

Der Widerstand der islamistischen MMA ist auch mit Musharrafs proamerikanischer Politik zu erklären. Ihr spektakuläres Wahlresultat im letzten Herbst ist für sie der Beweis, dass diese Politik vom Volk nicht geteilt wird und eine echte Demokratie ihnen rasch die Macht bringen würde.

Der PPP und Nawaz Sharifs PML-N geht es in diesem Machtkampf auch um mehr als Prinzipien. Es wird allgemein angenommen, dass hinter der Weigerung der PML-N und PPP zur Mitarbeit im Parlament taktisches Kalkül steckt. Beiden Parteien geht es vermutlich um die Rückkehr ihrer Führungsfiguren Sharif und Benazir Bhutto aus dem Exil. Sharif lebt in Saudi-Arabien und Bhutto in Dubai. Es darf angenommen werden, dass PPP und PML-N ohne ihre Führungsfiguren zukünftige Machtansprüche abschreiben können.

Vertrackte Situation

Für Musharraf ist der politische Druck bisher kein ausreichender Grund nachzugeben, zumal ihm von der "internationalen Gemeinschaft" wenig Gefahr zu drohen scheint. Die USA sind auf seine Mitarbeit bei der Suche nach Osama Bin Laden und Al-Qaida-Leuten angewiesen. Zusätzlich gilt er in Washington als Garant dafür, dass die Islamisten nicht an die Macht kommen. Im Verhältnis zu Indien schadet dem General allerdings die Auseinandersetzung mit der parlamentarischen Opposition, da die demokratische Legitimierung seiner Herrschaft in Frage gestellt wird. Im sich andeutenden Verhandlungsprozess mit dem großen Nachbarland in der Kashmir-Frage braucht der Präsident die Unterstützung der gemäßigten Oppositionsparteien, nicht zuletzt, um den Widerstand islamistischer Agitatoren zu brechen und substanzielle Kompromisse zu erreichen. Den Oppositionsparteien dürfte klar sein, dass ihre Forderung nach Übergabe des Armeekommandos an einen anderen General möglicherweise ein alternatives Machtzentrum für Teile der Armee schaffen würde, die weiterhin von einem islamistischen Pakistan inklusive Kashmirs träumen.

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