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31. Mai 2003. Nachrichten: Politik & Recht - Indien Indiens Premierminister Vajpayee in Deutschland

Die indische Botschaft bereitet dem Premier einen Empfang der besonderen Art

Am 27. Mai 2003 traf Indiens Premierminister Atal Behari Vajpayee, begleitet von einer hochrangigen Delegation, in Deutschland ein. Vajpayee ist damit der erste indische Regierungschef, der seit P.V. Narasimha Rao im Jahre 1994 zu einem Staatsbesuch nach Deutschland kommt. Berlin war die erste Station seiner siebentägigen Europareise, die ihn auch nach Russland, in die Schweiz und zum G8-Gipfel ins französische Evian führte. Vajpayee wurde am ersten Tag seines zweitägigen Deutschlandbesuches von der indischen Botschaft ein großer Empfang bereitet.

Etwa 700 Gäste – zumeist Inder mit Wohnsitz in Deutschland – hatte die Botschaft in das Berliner Hotel Intercontinental eingeladen. Am Abend wurde im Saal Potsdam III die großartige Mischung eines indisch-deutschen Büfetts angeboten. Der Küchenchef des Hotels kreierte z.B. ein "Mousse au vanille avec Darjeelingteegeschmack".

Nach der offiziellen Begrüßung Vajpayees blickte der indische Botschafter in Berlin T.C.A. Rangachari auf die langen deutsch-indischen Beziehungen zurück. Er erwähnte, dass 30.000 Inder in Deutschland leben, davon 3.000 in Berlin. Einige besetzten hohe Positionen, und das nicht nur im IT-Bereich: es gebe in Deutschland viele indische Ärzte, Professoren, mit Ravindra Gujjula aus dem brandenburgischen Altlandsberg einen Bürgermeister und mit dem Soziologen Sebastian Edathy (SPD) aus dem Wahlbezirk Nienburg-Schaumburg sogar einen Bundestagsabgeordneten indischer Herkunft.

Besonders spektakulär war der von Rangachari ankündigte Programmpunkt, bei dem ein Mitglied des Chors der Mahatma-Gandhi-Schule aus Berlin-Marzahn das von Vajpayee verfasste Gedicht "jiivan biit chala" (Das Leben geht vorüber) rezitierte. Der zunächst erstaunte Vajpayee freute sich, als die Schülerin, die kein Hindi beherrschte, das Gedicht beeindruckend vortrug. Im Anschluss sang der gesamte Chor ein Lied in Hindi.

Anschließend ergriff der Premierminister für ca. eine halbe Stunde das Wort. Zum Erstaunen vieler Anwesender hielt er seine freie Rede in Hindi, was zu Verständigungsschwierigkeiten führte. Vajpayee bedankte sich bei den Schülerinnen und Schülern für die Darbietung seines Gedichtes und trug es sehr zur Freude der Anwesenden selbst noch einmal vor.

Der Premier zog anschließend eine durchaus positive Bilanz über die indisch-deutschen Beziehungen. Besonders in letzter Zeit seien ihm zufolge der bilaterale Dialog und die wirtschaftliche Kooperation intensiviert worden. Dazu gehöre auch, dass seit dem Indienbesuch von Bundeskanzler Schröder im Jahre 2001 jährlich Treffen auf höchster Ebene stattfinden. Auch zu dem indisch-pakistanischen Konflikt nahm der Premier Stellung. Er betonte das Ziel Indiens, Frieden in Südasien zu fördern. Dabei verwies er auf vergangene Initiativen, insbesondere seine Reise nach Lahore im März 1999 und Pervez Musharrafs Besuch in Agra 2001. Indien werde in Zukunft verstärkt versuchen, die Beziehungen zu Pakistan zu verbessern. Dabei erwähnte er auch, dass der Kampf gegen den internationalen Terrorismus eine globale Aufgabe sei, der allerhöchste Priorität zugeordnet werden müsse.

Nachdem der indische Premier seine Rede beendet und die Gäste sich schon erhoben hatten, wurde ihm ein Zettel gereicht. Diesmal verkündete er auf Englisch, dass die erfolgreichste Schülerin oder der erfolgreichste Schüler der Mahatma-Gandhi-Schule zusammen mit der Familie für zwei Wochen nach Indien eingeladen werde. Dafür erhielt er begeisterten Applaus.

Bereits kurz nach dem Abgang Vajpayees begannen die Gäste, Resümee zu ziehen: Die Rhetorik des Premiers schien viele begeistert zu haben, jedes Wort sei dem Anlass entsprechend genau überlegt – so auch seine Ausdrucksweise und der Redestil. Andere Stimmen verwiesen darauf, dass der Premier mit seinen 78 Jahren inzwischen amtsmüde geworden sei und ihm die nötige Vitalität fehle. Sie äußerten starke Zweifel, ob er bei denen im folgenden Jahr anstehenden Parlamentswahlen erneut kandidieren werde.

Subrata K. Mitra, Politikwissenschaftler am renommierten Südasien-Institut der Universität Heidelberg, war der Meinung, dass Vajpayee in seiner Rede viel Euphorie gezeigt habe. Das sei damit zu erklären, dass es wohl eine seiner letzten Auslandsreisen sein werde, wessen Vajpayee sich wohl selbst bewusst sei. Insofern komme seine Rede einer Abschiedsrede gleich. G. Bhattacharya, Professor für indische Philologie an der Freien Universität Berlin, war verwundert, dass Vajpayee nur in Hindi gesprochen habe, obwohl er die englische Sprache perfekt beherrsche. Dies sei angesichts der anwesenden deutschen und auch der indischen Zuschauer, die kein Hindi verstehen, nicht ganz gerecht gewesen.

Die Gäste haben sich mehr mit der Person Vajpayee als mit dem Inhalt seiner Rede beschäftigt. Es war offensichtlich, dass eine Auslandsreise mit einem kompakten Programm wie diese an der Kraft des Premiers zehren. So ist es auch nicht verwunderlich, dass letztes Jahr der als Hardliner geltende Innenminister L.K. Advani mit seiner Wahl zum "Deputy Prime Minister" zu Vajpayees möglichem Nachfolger erkoren wurde. Vajpayee wird zwar – auch auf internationaler Ebene – so viel Respekt entgegengebracht wie wohl seit langer Zeit keinem anderen indischen Regierungschef mehr. Doch eine gewisse Amtsmüdigkeit ist nicht zu übersehen. Insofern ist es fraglich, ob dieser Premier noch einmal bei den Wahlen im nächsten Jahr antreten wird. Für das regierende Parteienbündnis National Democratic Alliance unter der Führung der Bharatiya Janata Party könnte dies ein Problem werden. Nicht zuletzt dem als charismatisch geltenden Vajpayee ist der große Erfolg bei den letzten Wahlen im Jahre 1999 zu verdanken, schaffte er es doch, besonders bei gemäßigten Wählern Sympathien zu gewinnen.

Am folgenden Tag kam der Besucher aus New Delhi mit Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und Außenminister Joschka Fischer zusammen. Anschließend wurde er von Bundeskanzler Gerhard Schröder zum Mittagessen empfangen. Am Nachmittag stand ein Empfang bei Bundespräsident Johannes Rau auf dem Programm.

Abschließend reiste Vajpayee nach München weiter. Dort galt es, vorrangig die wirtschaftlichen Kontakte zu verbessern. Nach dem Besuch in Bayern will der Premier zur 300-Jahr-Feier von St. Petersburg in Russland weiterreisen. Danach wird er als Beobachter auf dem G-8-Gipfel in Evian erwartet.

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