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In den Abendstunden des 21. Juli 2003 explodierten kurz hintereinander zwei Sprengsätze in einer Gemeinschaftsküche für Pilger nordwestlich von Udhampur auf der Wallfahrtsroute zum bedeutenden Hindu-Schrein Vaishno Devi in Banganga. Bei den Explosionen in den Trikuta Hills 60 Kilometer nordöstlich von Jammu wurden mindestens sieben Pilger getötet und 25 Menschen verletzt. Bei der Küche, die Gratisessen ausgibt, befanden sich ca. 2.000 Wallfahrer. Vaishno Devi ist besonders ein Anziehungspunkt für Hindus aus Nordindien, die in den Sommermonaten sogar mit Sonderzügen nach Jammu anreisen. Im mehrheitlich von Hindus bewohnten Süden Kashmirs sind die Pilgerrouten zu dem Gebirgsschrein und anderen heiligen Hindu-Orten in den letzten Jahren zunehmend Ziel separatistisch-islamistisch motivierter Anschläge geworden.
Indien versucht seitdem Pilger durch verschiedene Sicherheitsdienste zu schützen, was aufgrund der Größe der Gebiete und der Anzahl von Gläubigen allerdings schwer fällt. Der Chefminister des indisch kontrollierten Kashmirs, Mufti Mohammed Sayeed, besuchte den Tatort am folgenden Morgen. Dabei gab sein Stellvertreter Mangatram Sharma bekannt, dass die Sicherheitsvorkehrungen für den Schutz tausender Pilger abermals erhöht wurden, allerdings vorrangig für die Amarnath-Höhle, in der sich einer der heiligsten hinduistischen Schreine befindet. Für den Anschlag übernahm bisher niemand die Verantwortung.
In den Morgenstunden des 22. Juli gelang es drei schwerbewaffneten Selbstmordattentätern (Fidayeen) auf das Gelände der Kaserne bei Tanda vorzudringen.
Das Armeelager liegt unweit der Grenzstadt Akhnoor, an der die Waffenstillstandslinie (Line of Control – LoC) beginnt, die das pakistanisch und indisch kontrollierte Kashmir trennt. Bei einer Schießerei zwischen Angreifern und Militärs wurden zunächst einige Soldaten und zwei Fidayeen getötet. Einem Angreifer gelang es, sich versteckt zu halten und beim Eintreffen höherrangigen Militärpersonals zur Tatortbesichtigung erneut anzugreifen. Dabei tötete er weitere Soldaten der nördlichen Kommandoeinheit und drei wichtige militärische Entscheidungsträger. Insbesondere der Tod von Lieutenant-General T.P.S. Brar, der 16 Corps mit über 100.000 Mann kommandierte, ist ein schwerer Verlust für die indischen Truppen in Kashmir.
Die Taktik der Fidayeen, die sich im Gegensatz zu den Selbstmordattentätern im Nahen Osten nicht mit einer Bombe in die Luft sprengen, sondern möglichst viele Menschen mit Waffen töten, wurde in der Vergangenheit bereits mehrfach angewandt. Am 14. Mai letzten Jahres töteten drei Fidayeen über 30 Menschen, mehrheitlich Familienangehörige von Soldaten, im Armeelager Kaluchak 15 Kilometer südlich von Jammu.
Bisher wurden von Fidayeen meistens unbedeutende militärische oder politische Entscheidungsträger getötet. Der Tod militärischen Führungspersonals löste diesmal in der indischen Presse eine breite Diskussion um diesen jüngsten Angriff aus. Der Tageszeitung The Hindu zufolge starben in diesem Jahr bei Fidayeen-Attacken nur einmal mehr Sicherheitsbeamte als Angreifer. Indien geht davon aus, dass die Untergrundorganisationen darum ihre Aktionen leicht reduzierten. Während es im Jahr 2001 insgesamt 28 Attacken gab, waren es 2002 "nur noch" zehn. Allerdings wurden seit Jahresbeginn bereits zehn Fidayeen-Angriffe im Unionsstaat Jammu & Kashmir gezählt. Der erneute Anstieg derartiger Aktionen kann im direktem Zusammenhang mit der im April von Premierminister Atal Behari Vajpayee in Srinagar gestarteten Initiative einer Annährung an Pakistan gedeutet werden: Acht der zehn Angriffe fanden seither statt.
Die sich zur Angriff auf die Kaserne in Tanda bekennende Al-Shuhda-Brigade, eine bisher unbekannte Gruppe, wird von indischen Sicherheitsdiensten als "Frontorganisation" der als Lashkar-e-Taiba bekannten Gruppe mit Hauptsitz bei Lahore vermutet. Es wird angenommen, dass die als provokativ empfundenen Kommentare des bedeutenden pakistanischen Oppositionspolitikers und Chefs der Jamiat Ulema-e-Islam, Maulana Fazlur Rahman, bezüglich der Teilung Kashmirs während seines Indienbesuchs ausschlaggebend für den Angriff auf das Armeelager waren.
Die Lashkar-e-Taiba hat wiederholt einen Dialog abgelehnt und setzt stattdessen auf Eskalation durch einen Jihad gegen Indien (damit verbinden ihre Aktivisten das Töten von Indern). Allerdings verdächtigen New Delhis Geheimdienste auch die Hizb-ul-Mujahideen als möglichen Urheber, obwohl der Chef dieser Untergrundorganisation, Mohammad Yusuf Shah, bereits mehrfach vor einer Eskalation durch Selbstmordattacken gegen Indien gewarnt hat.
Im Gegensatz zur üblichen Praxis wies Indiens stellvertretender Innenminister Swami Chinmayanand nur ansatzweise Pakistan Schuld zu. Er beschuldigte vor allem pakistanische Militante für die beiden jüngsten Attentate im Süden Kashmirs. Die Regierung in New Delhi steht vor einem Dilemma. Zum einen weiß sie, dass solche Taten auf das Konto militanter Organisationen gehen, um beispielsweise den Druck auf das Verhältnis zwischen Hindus und Muslimen zu erhöhen und das Sicherheitsdilemma New Delhis auszureizen. Andererseits spielen ihre Bemühungen um die Annäherung an Pakistan möglicher Weise ein entscheide Rolle für die in diesem Jahr noch anstehenden Landtagswahlen und die Parlamentswahlen 2004. Zudem sprechen, wie der Besuch Rahmans gezeigt hat, beide Lager eine ähnliche Sprache und die Kontroverse um den Tempelbau in Ayodhya gewinnt an Bedeutung auf der politischen Agenda der hindunationalistischen Regierungspartei Bharatiya Janata Party (BJP).
Der Spagat den die BJP gegenwärtig zu leisten hat ist enorm. Ob die jüngst mit Pakistan wieder aufgenommenen diplomatischen und verkehrstechnischen Verbindungen in gleicher Intensität bestehen bleiben während über die LoC einsickernde Militante Inder terrorisieren bleibt abzuwarten. Das steht sicherlich auch im Kalkül Islamabad durchaus ebenfalls abgewandter Separatisten.
Insofern hatte der als Scharfmacher bekannte Innenminister und stellvertretende Premier Lal Krishna Advani bei einer Parlamentssitzung in New Delhi Mühe Islamabad direkt anzugehen. Er verwies darauf, dass solche terroristischen Taten "normalerweise" als Teil eines unerklärt fortgeführten Krieges gewertet würden. Doch diesmal handele es sich wohl vor allem um den Versuch, die "wiederkehrende Normalität" in Kashmir zu konterkarieren.
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