Inhalt

05. März 2004. Nachrichten: Politik & Recht - Indien Wahlkampf auf vollen Touren

Kongress und Linke bildeten separate Plattformen

In Indien werden am 20. April dreiwöchige Parlamentswahlen beginnen, teilte der Chef der Wahlkommission am Wochenanfang mit. Der Wahlkampf läuft bereits seit Februar auf vollen Touren.

"India shining" – Indien leuchtet. Die regierende Indischen Volkspartei (BJP) setzt im diesjährigen Wahlkampf auf gute Laune. Anders als sonst wollen die Hindunationalisten nicht mit religiösen Themen punkten. Vielmehr stellen sie Erfolge in Wirtschaft, Außenpolitik – vor allem die eingeleitete Normalisierung der Beziehungen zu Pakistan – sowie politische Stabilität und die Persönlichkeit von Premierminister Atal Behari Vajpayee in den Mittelpunkt ihrer Propaganda. Aus jüngsten Meinungsumfragen ging er als beliebtester Politiker hervor. Seine Popularität ist doppelt so hoch wie die der Kongressparteichefin Sonia Gandhi. Indes lässt sich der Kongress nicht entmutigen und schickt auch seine Vertreter unermüdlich durchs Land. Wie die BJP preisen sie sich als Gestalter eines "neuen Indiens", lassen am politischen Gegner kein gutes Haar und bemühen sich um Bündnisse mit regionalen Parteien.

Doch die BJP hat die Nase vorn. In beispielloser Manier bewirbt sie mit ganzseitigen Zeitungsannoncen sowie Werbespots in Funk und Fernsehen ihre Erfolge. Hinzu kommen "Wahlgeschenke" in Form von gesenkten Zöllen, stabilen Eisenbahntarifen, Steuererleichterungen sowie eine Reihe von Entwicklungsprojekten. Fast für jede Berufssparte und soziale Gruppe ist etwas dabei. Mittelklasse, Staatsbeamte, Rentner, das Militär und Teile der ländlichen Bevölkerung, so trommelt die BJP unablässig, würden sich dank fünfjähriger Vajpayee-Amtszeit wohl fühlen. Und im Fall der Wiederwahl werde alles noch viel besser.

Zweifellos ist eine bemerkenswerter Wahlkampfvorteil der BJP, dass es ihr gelang, über fünf Jahre eine aus mehr als 20 Parteien bestehende Koalition – die Nationale Demokratische Allianz (NDA) – bei der Stange zu halten. Gleichwohl sind in den letzten Monaten ein paar Partner abgesprungen, doch neue stehen schon bereit. Selbst aus dem oppositionellen Lager werden Politiker abgeworben. So schließt Najma Heptullah, Kongressparteiveteranin und langjährige Vizevorsitzende des Oberhauses, nicht aus, ins Lager der Hindu-Nationalisten überzuwechseln.

Die Kongresspartei versucht diese Offensive zu bremsen, indem sie "India shining" als plumpe Propaganda brandmarkt und immer wieder fragt, wer sich in dem Eine-Milliarde-Volk wirklich wohl fühlt. Sonia Gandhi verweist darauf, dass sie bei ihren Wahlreisen durch mehrere Unionsstaaten überwiegend Menschen getroffen habe, die mit ihren Lebensumständen alles andere als zufrieden sind. Millionen Arme, arbeitslose Jugendliche, Dalits (Kastenlose) und Ureinwohner werden sich schwerlich von Wahlslogans übertölpeln lassen.

Lange hat es gedauert, bis die Kongresspartei akzeptierte, dass die Zeiten der Alleinherrschaft vorbei sind und Gegenwart und Zukunft Koalitionsregierungen gehören. Nun ist auch sie dabei, Partner für ein Wahlbündnis zu suchen.

Als größtes Handikap erweist sich, dass die linken und säkularen Kräfte keine gemeinsame Plattform bilden werden. Die Meinungsverschiedenheiten zum marktwirtschaftlichen Reformkurs, zu Liberalisierung und Privatisierung sowie zur Globalisierung, die die Kongresspartei favorisiert und die Linken ablehnen, verbieten das. So einigten sich die beiden kommunistischen Parteien und ihre Verbündeten auf eine linke Plattform. Parallel dazu wird es die Plattform der Kongresspartei und ihrer Partner geben. Von einer "dritten Front" ist diesmal keine Rede. Entsprechend den lokalen Kräfteverhältnissen in den Unionsstaaten wird es zwischen beiden zur Kooperation oder auch zur Konfrontation kommen.

Beide sind allerdings im Ziel vereint, die BJP abzuwählen. Sollte das gelingen, will man sich über ein gemeinsames Programm und über den Kandidaten für das Amt des Premierministers verständigen.

Quelle: Der Beitrag erschien am 3. März 2004 in der Tageszeitung "Neues Deutschland".

Kommentare

Als registriertes Mitglied können Sie einen Kommentar zu diesem Beitrag verfassen.