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27. Mai 2004. Nachrichten: Politik & Recht - Indien Karnataka wählt gegen den südindischen Trend

Die Mehrheit der Wähler in Karnataka hat aus offensichtlich gleichen Gründen wie in anderen indischen Unionsstaaten ihre Regierung abgewählt. Vor allem die Wirtschaftspolitik der Kongressregierung unter Chefminister S.M. Krishna wird als Grund seiner Abwahl genannt. Krishna übergab am 13. Mai 2004 Gouverneur T.N. Chaturvedi in Bangalore sein Rücktrittsgesuch. Innerhalb der vergangenen fünf Jahre vermochte es seine Regierung offenkundig nicht, die wirtschaftliche Situation eines Großteils der Bevölkerung zu verbessern. Im Landesparlament, der 224 Mitglieder zählenden Vidhan Sabha in Bangalore, gibt es künftig keine klaren Mehrheitsverhältnisse.

Die Kongresspartei (Indian National Congress, INC) rutschte von ihren 132 Landtagsmandaten auf 65 ab. Allein 31 der 49 zur Wiederwahl angetretenen INC-Minister verloren ihr Mandat. Der hindunationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) nutzte geschickt die Stimmung gegen die Kongressregierung und verdoppelte beinahe ihren eigenen Stimmenanteil von 44 auf nun 79 Mandate. Mit ihrem besten Ergebnis in Karnataka wird die BJP künftig die stärkste Fraktion innerhalb der Vidhan Sabha bilden. Der mit der BJP verbündete Janata Dal - United (JD U) gewann fünf Mandate.

Drittstärkste Fraktion ist der Janata Dal - Secular (JD S) mit 58 Mandaten. Von vormals 10 Repräsentanten ist das ein enormer Zugewinn. Die Communist Party of India Marxist (CPI M), die Republican Party of India und die Regionalparteien Kannada Nadu Paksha und die Kannada Chaluvali Vatal Paksha errangen jeweils ein Mandat in der Kammer. Künftig werden zudem 13 unabhängige Delegierte der Vidhan Sabha angehören.

Nach eigener Darstellung des INC konnte die Partei im prozentualen Anteil nur noch 35 statt 41 Prozent, die BJP 29 Prozent und der JD (S) 20 Prozent auf sich vereinen (die Wahlkommission erhob darüber keine Daten).

Während der Stimmanteil des INC in allen Regionen außer in Bangalore zurückging, gelang es der BJP vor allem im Norden und an der Küste Karnatakas Stimmen hinzuzugewinnen. Vor allem aus der maritimen Region gab es Berichte über vermehrte Aktivitäten des als Sangh Parivar bezeichneten Netzwerkes hindunationalistischer Organisationen. Dabei gelang es den Aktivisten des Sangh, offensichtlich sehr erfolgreich, die Gesellschaft entlang religiöser Merkmale zu polarisieren. Im Norden verdankte die als "Partei der Hindus" angetretene BJP ihren Erfolg allerdings bestimmt weit mehr der Sitzabsprache mit dem JD (U). Der Janata Dal - United verfügt in dieser Region noch immer über eine erheblich große Stammwählerschaft, die er in Kombination mit der Anti-INC-Stimmung gewinnbringend zu nutzen wusste.

Die eigentliche Erfolgsgeschichte der Wahlen schrieb allerdings der JD (S), der ähnlich wie ein Phönix aus der Asche emporstieg. Dabei wurde die Partei nach ihrer verheerenden Wahlschlappe von 1999 bereits von den meisten Beobachtern abgeschrieben. Offensichtlich gelang es ihr in den vergangenen Monaten erfolgreich ihre Stammwählerschaft – vorwiegend im Süden des Unionsstaates - zu rekonsolidieren. Einige altgediente Führungspersönlichkeiten wurden kooptiert oder kehrten zurück in ihre Reihen.

Ähnlich wie in Andhra Pradesh wurden die Wahlmandate vergeben, um gegen eine einseitig städtisch ausgerichtete Politik und den ökonomischen Reformkatalog im Sinne der Weltbank vorzugehen. Damit hat sich bestätigt, dass es den meisten Wählern nicht ausreicht, Karnataka zur landesweiten Vorreiterrolle im Informationstechnologiebereich und Biotechnologie-Sektor zu führen. Zudem litt der Staat in drei der fünf Regierungsjahre des Congress (I) unter Dürre, der politisch nur halbherzig begegnet wurde. Ebenfalls ähnlich wie im benachbarten Andhra Pradesh brachten sich nach Regierungsangaben allein im vergangenen Jahr mehr als 650 Bauern aus Verzweiflung über ihre auswegslose finanzielle Situation um. Die Regierung machte nur wenig Zugeständnisse und wirkte damit der zunehmenden Landflucht kaum entgegen. Gleichzeitig nahm die Wasserknappheit auf dem Land und in den Städten zu.

Regierungsbildung

Eine Koalitionsregierung zwischen dem JD (S) und der BJP ist für den säkularen Abspaltungsflügel des Janata Dal keine mögliche Option. Vielmehr wurde bei einem Parteivorstandstreffen des JD (S) am 16. Mai in Bangalore beschlossen, die Regierungsbildung in New Delhi abzuwarten, bevor sich der nationale Parteipräsident und ehemalige Premierminister H.D. Deve Gowda mit Sonia Gandhi über eine mögliche gemeinsame Regierungsbildung in Bangalore zusammensetzt.

Unterdessen wurden verschiedene theoretische Koalitionsmöglichkeiten ausgelotet und Modelle wie in Maharashtra oder Jammu & Kashmir in Betracht gezogen. Im benachbarten Maharashtra sind die Ministerposten proportional verteilt und im Krisenstaat Jammu & Kashmir wird die Regierungszeit zwischen den Koalitionären geteilt.

Trotz aller Vorbehalte und den politischen Gegensätzen zwischen Congress (I) und dem JD (S), wird allgemein eine Regierungsbildung zwischen den beiden erwartet, die zusammen auf eine Mehrheit von 123 Mandaten kommen würden.

Vajpayees Hoffnungen gründeten sich auf Karnataka

Karnataka war vielleicht der einzige Staat, der der BJP ernsthaften Grund gab, auf einen Sieg in den Wahlen zum indischen Parlament, der Lok Sabha, zu hoffen.

Tatsächlich gewann die hindunationalistische Partei 18 der 28 zu vergebenden Sitze. Der Congress (I) erhielt acht und der Janata Dal (S) zwei Mandate für New Delhi. Dass die Kongresspartei trotz eines höheren prozentualen Stimmanteils weniger als die Hälfte der BJP-Lok-Sabha-Mandate erhielt, liegt an bereits im Vorfeld geschickt verabredeten Stimmenteilung und Sitzabsprache der BJP mit ihrem Verbündeten JD (U). Der Congress (I) konnte nur sieben seiner vormals 16 Mandate verteidigen.

Ob eine Sympathiewelle für den BJP-Premier Vajpayee der ausschlaggebende Grund für den Erfolg seiner Partei im südindischen Karnataka war, kann nur spekuliert werden. Angesichts der herben Verluste in den südlichen und östlichen Landesteilen entbehrte eine solche Argumentation aber einer überzeugenden Grundlage. Vielmehr scheint es ausschlaggebend gewesen zu sein, dass die BJP das allgemeine Stimmungstief und den Missmut über die Regierung in Bangalore politisch für sich instrumentalisieren konnte. Die Zersplitterung des Janata Dal und das daraus resultierende Machtvakuum ist ebenfalls eine bedeutende Ursache für den Aufstieg der Hindunationalisten in einigen Regionen Karnatakas.

Quellen

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