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22. Januar 2011. Nachrichten: Politik & Recht - Pakistan Geeint im Zorn

Proteste gegen das Blasphemiegesetz in Pakistan

Eine vermeintliche Beleidigung des Propheten kann in Pakistan tödlich enden. Nach der Ermordung eines ranghohen liberalen Politikers wird der Protest gegen das "Blasphemiegesetz" immer lauter.

"Den Stimmen für Vernunft und Toleranz droht in Pakistan die Ausmerzung", schrieb die pakistanische Journalistin Shehrbano Taseer vorvergangene Woche in einem Artikel für den britischen Guardian. Eine Woche zuvor war ihr Vater, Salmaan Taseer, von einem seiner Leibwächter getötet worden. Bei der Beerdigung kam es zum Eklat, als sich in der Zehn-Millionen-Stadt Lahore kein muslimischer Geistlicher bereit fand, um die Totengebete zu sprechen. Militante Gruppierungen hatten zuvor Drohungen gegen Teilnehmer der Trauerkundgebungen ausgesprochen.

Während vor drei Jahren Hunderttausende öffentlich um die ermordete Ex-Premierministerin Benazir Bhutto getrauert hatten, wagten es diesmal nur wenige tausend Menschen, sich an Mahnwachen zu beteiligen. Präsident Asif Ali Zardari blieb der Beerdigung seines angeblichen Freundes und Vertrauten fern. Taseers Parteigenossen von der Pakistanischen Volkspartei (PPP) gaben sich verschlossen.

Ganz anders verhielt sich die Gegenseite. Der Attentäter, Malik Mumtaz Qadri, wird von Islamisten zum Volkshelden stilisiert. Über 500 Anwälte boten ihm eine kostenlose Verteidigung an. Im Internet verzeichnen Fangruppen regen Zulauf, Videos voller Lob auf den ehemaligen Elitepolizisten werden veröffentlicht. Der Attentäter begründet seine Tat, bei der er seinen Schützling mit 26 Kugeln aus seiner Maschinenpistole niederstreckte und sich dann seinen Kollegen ergab, mit Taseers Kritik am so genannten Blasphemiegesetz. Taseer hatte seit Mai 2008 das Gouverneursamt im Punjab inne, der bevölkerungsreichsten und wirtschaftlich erfolgreichsten Provinz Pakistans. Der Spross einer Literatenfamilie galt als Liberaler. Spätestens seitdem er das im November vorigen Jahres verkündete Todesurteil gegen die Landarbeiterin Asia Bibi kritisiert und sich für eine Begnadigung der Frau, die der christlichen Minderheit angehört, eingesetzt hatte, wurde er von militanten Muslimen angefeindet.

Der Artikel 295c des pakistanischen Strafgesetzbuchs behandelt den Tatbestand der Beleidigung des Propheten Mohammed und wird oft als "Blasphemiegesetz" bezeichnet. Als Strafe drohen die Exekution oder lebenslange Haft kombiniert mit zusätzlichen Geldstrafen. Das Gesetz ergänzt seit seiner Einführung im Jahr 1984 den zu großen Teilen noch auf dem britischen Kolonialstrafrecht beruhenden Pakistan Penal Code, der hierdurch mit dem islamischen Rechtssystem, der Sharia, verbunden wurde.

Bislang wurde die Todesstrafe noch in keinem Fall vollzogen, doch rund 30 Menschen kamen infolge von Lynchjustiz ums Leben. Häufig kommen die Verdachtsäußerung und eine Anklageerhebung einer Vorverurteilung gleich, wobei es meist Jahre dauert, bis ein Gerichtsverfahren stattfindet.

Als bei Demonstrationen gegen eine Änderung des Blasphemiegesetzes Puppen mit Taseers Konterfei verbrannt wurden, fühlte sich der Angegriffene bestätigt. Unnachgiebig trat er in Interviews für die Reform des Gesetzes ein, das unter dem Militärdiktator Zia ul-Haq aus machtpolitischem Kalkül als Zugeständnis an Radikale eingeführt worden war.

Auf Twitter legte sich Taseer mit seinen Gegnern an und fragte dort, was wohl die Qualifikation für die Verhängung einer Fatwa sei: "Ein Bart? Der Titel Maulana? Der Besitz einer Koranschule?" Solche Äußerungen feuerten den Hass gegen ihn an. Insgeheim dürfte er jedoch gemäßigten Zeitgenossen aus der Seele gesprochen haben, als er konstatierte: "Die religiöse Rechte versucht, mit ihrem Druck von der Straße aus die Unterstützung der Blasphemiegesetze durchzusetzen. Aber es muss im Parlament entschieden werden, nicht auf der Straße."

Pakistans politisches Establishment scheint jedoch genau diesen Druck zu fürchten. Erst eine Woche nach Taseers Ermordung fand der Vorsitzende der PPP, Bilawal Bhutto Zardari, ein hochrangiger Vertreter der politischen Klasse, eindringliche Worte – wenn auch aus sicherem Abstand bei einer Trauerfeier in London. Bei der Ermordung Taseers handele es sich nicht um einen Kampf zwischen Liberalen oder Konservativen oder zwischen moderatem oder radikalem Islam, sagte Zardari: "Es geht um den echten und den fiktionalen Islam, der von außen unterstützt und von gewalttätigen Extremisten vertreten wird."

Mit dem Verweis auf äußere Einflüsse bediente sich der Spross der einflussreichsten Politikerdynastie des Landes eines gängigen Arguments, wobei er ein Novum geflissentlich übersah. Der vollbärtige Attentäter Qadri soll dem Umfeld der populären orthodox-sunnitischen, aber mystischen Elementen zugeneigten Barelvi-Bewegung entstammen. Diese steht in Opposition zu radikalen Sunniten wie der Deobandi-Bewegung, die mit ihrer sehr stringenten Koranauslegung den geistigen Überbau für die Taliban bildet. Obwohl die Barelvis in Pakistan wiederholt Opfer von terroristischen Anschlägen wurden, setzen sie sich seit Monaten bei der Organisation von Demonstrationen für die Beibehaltung des Blasphemiegesetzes an die Spitze einer unausgesprochenen Allianz mit anderen radikalen Religiösen, denen sie sonst sektiererische Gewalt vorwerfen.

Diejenigen, die nicht vor dem lautstarken Protest der Straße kapitulieren wollen, befreien sich nur langsam aus ihrer Schockstarre. Am Wochenende organisierten Studenten und Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen in mehreren Städten kleine Demonstrationen und Mahnwachen für ein tolerantes Pakistan.

Ihre Gegner ließen sie gewähren, bislang sehen sie sich deutlich im Vorteil. Am Sonntag verlautete dann aus Regierungskreisen, dass eine Änderung des Gesetzes nicht geplant sei, stattdessen wolle man ein zehnköpfiges Untersuchungskomitee schaffen, das zukünftig den Wahrheitsgehalt von Anschuldigungen beurteilen soll.

 

Quellen

Der Beitrag erschien im Original am 20. Januar 2011 in der Wochenzeitung Jungle World 3/2011.

 

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