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Es braut sich was zusammen im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet. Nach der Frühjahrsoffensive der Taliban marschiert die US-Armee, unterstützt von Einheiten anderer Nato-Staaten und der Afghanischen Nationalarmee, an den pakistanischen Stammesgebieten auf. Bisher bekämpften sie offiziell nur das Eindringen von Taliban nach Afghanistan, nun berichten pakistanische Medien immer häufiger von grenzübergreifenden Gefechten. Maulvi Umar aus der Führungsriege der Tehreek-e Taliban Pakistan (TTP) freut sich der Daily Times zufolge auf den Kampf: "Es ist ein Geschenk, dass sie hierher in unser Land kommen und es uns so leicht machen, unsere Feinde zu töten."
Bislang konnten sich Jihadisten in den Stammesgebieten recht sicher fühlen. Zwar drang das pakistanische Militär infolge des Anti-Terror-Kampfs im Juli 2002 erstmals seit der Staatsgründung in die weitgehend autonome Region ein, konnte sie aber nicht kontrollieren. Die mehrheitlich aus anderen Landesteilen stammenden Soldaten igelten sich in rund 750 Beobachtungsposten ein, immer wieder entführten Taliban und lokale Milizen Soldaten und griffen aus dem Hinterhalt an. Im Zuge von Friedensverhandlungen wurde ein Teil der Streitkräfte verlagert, wobei sich die Gegenseite nicht an Zugeständnisse wie den Abzug ausländischer Jihadisten hielt. Vielmehr breiteten sich verschiedene jihadistische Gruppen von den Stammesgebieten in die angrenzende Nordwestliche Grenzprovinz (NWFP) aus.
Immer noch betrachten Angehörige des politischen Establishments und der Sicherheitskräfte in Pakistan insbesondere die Taliban als Vorhut gegen eine westliche Bedrohung und als nützliches Faustpfand gegenüber Afghanistan. Aufgrund eines weit verbreiteten Antiamerikanismus gelten sie vielen Pakistanis als antiimperialistische Krieger. Außerdem kommen ihnen auch innenpolitische Funktionen zu: Einerseits stellen sie, da sie sich vor allem aus den ärmeren Bevölkerungsschichten rekrutieren, eine Gegenkraft zu den paschtunischen Stammeseliten dar, welche stets kritisch gegenüber der Regierung sind. Andererseits ließen sich die Extremisten immer wieder für politisch motivierte Gewalttaten und als Südenbock instrumentalisieren.
Doch allmählich werden die Gotteskrieger vom pakistanischen Establishment als Bedrohung wahrgenommen, da sie sich die Großstädte des Landes als Ziele vornehmen. Dort kommt es im Umfeld islamistischer Zentren immer wieder zu Auseinandersetzungen und Anschlägen. Die Ermordung Benazir Bhuttos reiht sich dabei in eine Serie von Selbstmordattacken ein. Während das politische Establishment in der Hauptstadt Islamabad ein parteipolitisches Hin und Her betreibt, setzen die Jihadisten auf Eskalation. Seit Juni bedrohen sie die Drei-Millionen-Stadt Peshawar, entführen und ermorden dort Staatsbedienstete und Zivilisten. Die Bevölkerung wird massiv eingeschüchtert.
Damit scheinen sie zu weit gegangen zu sein. Die Regierung im rund 150 Kilometer entfernten Islamabad setzte das Militär ein. Die Armee konzentrierte sich am vergangenen Wochenende auf den südöstlich von Peschawar gelegenen Hunga-Distrikt. Sie setzt Panzer und schwere Artillerie ein, die von Kampfhubschraubern und Jagdbombern unterstützt werden. Über 30.000 Menschen sollen auf der Flucht vor den Kämpfen sein. Der Tageszeitung Dawn zufolge leiden die Menschen in den Dörfern und Städten unter ernsten Versorgungsengpässen, da eine Ausgangssperre verhängt wurde. Die TTP scheinen militärisch in die Defensive zu geraten und drohen mit der Enthauptung ihrer Geiseln.
Andernorts geraten die Gotteskrieger ebenfalls unter Druck: In der NWFP kämpfen Grenztruppen, die sich im Gegensatz zur Armee aus Angehörigen lokaler Paschtunen-Clans zusammensetzen, gegen die Jihadisten. Auslöser hierfür waren Attentate auf Stammesführer, die in der Vergangenheit die Waffenstillstandsabkommen zwischen den Jihadisten und der Provinzregierung ausgehandelt hatten.
In der Region um den Khyber-Pass, der wichtigsten nördlichen Transportroute von und nach Afghanistan, bekämpfen sich zwei Taliban-Fraktionen. Hierbei dürfte es insbesondere um finanzielle Interessen gehen. Wer die Wege beherrscht, kassiert erhebliche Mengen an Schutzzöllen. Die in den vergangenen Monaten zahlreichen Attacken auf LKW-Konvois, wichtig für die Versorgung der Isaf-Truppen mit Treibstoff und die Nahrungsmittellieferungen wegen der verheerenden Dürre, ebenso wie für einen Großteil des Warenverkehrs nach Kabul und Nordafghanistan (aber auch für den Drogenschmuggel auf dem Rückweg), führen darüber hinaus zu erheblichen Einkommenseinbußen lokaler Clans. Diese sind in der Regel sehr pragmatisch bei der Wahl, welches Bündnis sie eingehen.
Eine zentrale Bedeutung hat das von den Taliban ausgerufene "Islamische Emirat von Waziristan". Sollte die pakistanische Armee, möglicherweise unterstützt von den Koalitionstruppen, ins Kernland der Jihadisten vorstoßen, gäbe es hier eine Möglichkeitz zur Befriedung der ganzen Region. Premierminister Yousaf Gilani betont schon mal, "dass es sich hierbei nicht um einen Stellvertreterkrieg handelt, sondern um die reinsten Interessen des Landes". Wichtig sind erfolgreiche Infrastrukturmaßnahmen und eine funktionierende Administration. Ende Juli wird der Premierminister in die USA reisen, die 7,5 Milliarden US-Dollar für die Entwicklung der Grenzregion bereitstellen wollen. Doch bevor das Geld hoffentlich nicht nur auf den Konten der pakistanischen Kleptokratie landet, wird noch viel Blut vergossen werden.
Der Beitrag erschien im Original am 24. Juli 2008 in der Wochenzeitung Jungle World 30/2008.
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