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10. Januar 2010. Nachrichten: Indien - Kunst & Kultur Eine kleine neue Welle

Marathi-Kino auf der Berlinale 2010

Das regionale Kino des indischen Bundesstaates Maharashtra erlebt derzeit eine Revitalisierung. Nach fast zwei Jahrzehnten der Depression des Marathi-Kinos spiegelt die Filmbeteiligung auf der Berlinale diese Entwicklung wider. Mit 'Vihir', dem neuen Film des jungen Regisseurs Umesh Kulkarni, wird auch auf den Internationalen Filmfestspielen Berlin 2010 ein Marathi-Film vertreten sein.

Die Oscar-Nominierung 2004 des marathisprachigen Filmes 'Shwaas - The Breath' (2004) von Sandeep Sawant hauchte dem regionalen Kino des indischen Bundesstaates Maharashtra neues Leben ein. Lange Zeit konnte das Marathi-Kino weder im Bundesstaat Maharashtra durch potentielle Kinogänger Aufmerksamkeit erfahren, noch im internationalen Kontext besondere Wahrnehmung auf sich ziehen. Seit der Jahrtausendwende verbuchen Marathi-Filme ein kontinuierlich wachsendes Zuschauerinteresse im nationalen Rahmen wie auch eine zunehmende internationale Beachtung. Der Name des 1976 geborenen Filmregisseurs Umesh Vinayak Kulkarni steht exemplarisch für diese Entwicklung.

Auf der Berlinale 2010 wird Kulkarni mit seinem zweiten Film in Spielfilmlänge 'Vihir - The Well' (2009) in der Kategorie 'Generation 14plus' vertreten sein. Es ist nicht die erste Präsentation eines Filmes von ihm auf der Berlinale. 2008 nahm er bereits mit seinem Kurzfilm 'Three of Us' (2008) in der Kurzfilmsektion der Berliner Filmfestspiele teil. 'Valu - The Wild Bull' (2007), Kulkarnis erstes Werk in Spielfilmlänge, lief 25 Wochen in den Kinos (vgl. http://www.muktaarts.com/newsite/pdf/mal-annualreport2008.pdf) und wurde darüber hinaus auch international auf zahlreichen Filmfestivals präsentiert - bspw. auf den Internationalen Filmfestspielen in Warschau, Rotterdam und Dubai. In 'Valu' kreisen alle Aktivitäten um einen freiheitsliebenden Bullen in dem kleinen Dorf Kusavade in Maharashtra. Der Regisseur inszeniert anhand des ausgebrochenen Bullen als filmischem Zentrum familiäre Zwistigkeiten, politische Ränkespiele und gesellschaftliche Koalitionsbildungen. Das sich 'Valu' anschließende Spielfilmprojekt Kulkarnis mit dem Titel 'Vihir - The Well' (2009) wurde von AB Corporation Limited, hinter der kein Geringerer als Indiens Superstar Amitabh Bachchan steht, produziert. Premiere feierte 'Vihir' auf dem Pusan International Film Festival (Süd-Korea), eines der bedeutendsten Filmfestivals Asiens. Der autobiographisch geprägte Film 'Vihir' thematisiert die Erfahrung eines Jungen mit dem Tod seines Cousins und gleichzeitig besten Freundes. Im Gegensatz zu 'Valu', der sich über große Strecken durch freudvoll-humoristische Noten auszeichnet, scheint sich 'Vihir' vollständig dem Sinnierend-Melancholischen des Menschseins zu widmen.

Eine "kleine neue Welle" hat das Marathi-Kino seit der Jahrtausendwende erfasst, wie Sachin Kundalkar, Freund und Regie-Kollege Kulkarnis, meint. Andere sprechen schon fast euphorisch von einem Boom. Die Oscar-Nominierung 2004 stellt dabei aber nur jenen Zeitpunkt dar, den die Kinogänger als signifikanten Wendepunkt wahrnahmen. Eine Vielzahl kleinerer Entwicklungen ging dem voraus. Es waren die 1980er und 1990er Jahre, in denen Marathi-Filme zwischen komödiantischer Einfältigkeit und liebesthematischer Oberflächlichkeit schwankten. Die zumeist im ländlichen Raum angesiedelten Filme sprachen das größtenteils urbane Publikum immer weniger an. Bollywood-Filme beherrschten die Leinwände und stahlen Marathi-Filmen die Show. Bereits das Entstehen von Multiplex-Kinos half, die Situation des Marathi-Kinos zu verbessern. Aber eine auch noch zusätzlich Anfang des Jahrtausends erlassene Verordnung der Regierung Maharashtras, stellte dann endgültig die Weichen, die Marathi-Filme in eine bessere Zukunft wiesen. Diese Verordnung zwang Multiplexen eine Marathi-Film-Quote auf. An mindestens 180 Tagen im Jahr musste ein Kinosaal für Marathi-Filme reserviert sein. Mit den so durch Multiplexe ermöglichten erhöhten Einnahmen wurde eine positive Entwicklung zum Selbstläufer. Produktionsbudgets vermehrten sich und wirkten sich auf die Qualität der neu produzierten Filme aus. Auch thematisch verlagerten sich die Filme vom komödiantischen zum ernsten und teils dramatischen Genre. Nicht mehr nur Lustig-Leichtes dominierte die Leinwände, sondern zunehmend auch aktuell gesellschaftsrelevante Themen fanden Ausdruck im Film und sprachen mit dieser Aktualität ein immer breiter werdendes Publikum an. So inszeniert bspw. Satish Manwar in 'Gabricha Paus - The Damned Rain' (2009) die unter Ernteausfällen leidenden Bauern Maharashtras. Der lang ausbleibende Regen treibt sie in den Selbstmord. Vor allem junge Filmemacher wie Kulkarni, Kundalkar, Manwar und Sawant sind die derzeitigen Galionsfiguren der maharashtrischen Filmindustrie.

Die Berlinale-Geschichte zeichnet die Marathi-Filmentwicklungen zeitnah nach: der letzte frisch produzierte Marathi-Film in Spielfilmlänge wurde mit 'Samna' von Jabbar Patel 1975 auf der Berlinale gezeigt. Zu einer Zeit, als es dem Marathi-Kino noch gut ging. Gleichsam wirkte der 1995 im 'Forum' laufende Film 'Sant Tukaram' aus dem Jahr 1936 (Regie V. Damle / S. Fathelal) wie die Reminiszenz an eine einst goldene Vergangenheit des Marathi-Kinos. Der Film schien während des Tiefpunkts der Entwicklungen des regionalen Filmschaffens in Maharashtra auf eine Leerstelle zu verweisen. Noch klingt es leicht ironisch, aber dennoch: Die Beteiligung marathisprachiger Filme auf der Berlinale 2008 durch Kulkarnis 'Three of Us' und der kommenden Jubiläums-Berlinale kann schon fast als 'Häufung' bezeichnet werden.

Der Erfolg von 'Shwaas' 2004 stellte den ersten Plot Point der neueren regionalen filmischen Erfolgsgeschichte dar. Im Falle der Filmindustrie Maharashtras scheint sich das Drehbuch seit 2004 selbst zu schreiben. Es bleibt den Zuschauern und Beobachtern des Marathi-Kinos mit steigender Spannung auf das zu warten, was Plot Point Nummer Zwei bereit hält. Wird 'Vihir - Der Brunnen', der in Kulkarnis neuestem Berlinale-Film selbst Symbol für Tod ist, gleichsam antithetisch jener Quell sein, aus dem das Marathi-Kino neues Leben schöpft?

 

Quellen
http://www.muktaarts.com/newsite/pdf/mal-annualreport2008.pdf

 

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