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27. September 2009. Nachrichten: Afghanistan - Politik & Recht Die Deutschen sind keine Aussteiger

Über die Deutschen in Afghanistan

Mit Angriffen in Nordafghanistan wollen die Taliban einen Korridor nach Zentral­asien öffnen. Diese Offensive ist in den Plänen der Bundesregierung nicht vor­gesehen.

Wenigstens einen Zweifler konnte die Bundeswehr überzeugen. Noch Mitte August hatte sich Mohammed Omar, der Gouverneur von Kunduz, über das Verhalten der deutschen Soldaten bei Gefechten mit den Taliban beklagt: "Sie sind übermäßig vorsichtig, sie steigen nicht einmal aus ihren Fahrzeugen aus. Sie sollten verschwinden, die Amerikaner sollten sie ersetzen." Nach der Bombardierung zweier Tanklastwagen sagte Omar, Oberst Georg Klein, der den Angriff anordnete, habe "die richtige Entscheidung zur rich­tigen Zeit getroffen" und endlich einmal Stärke gezeigt.

Omars Urteil über die Bombardierung teilt kaum jemand, Präsident Hamid Karzai und diverse westliche Politiker kritisierten die Entscheidung Kleins. Mit seiner Klage über die deutschen Soldaten hingegen steht Omar nicht allein. Dass ihnen Kampferfahrung fehle und sie lieber "in ihren gepanzerten Fahrzeugen bleiben", kritisierte unter anderem der Militäranalytiker Anthony Cordesman, der General Stanley McChrystal, den US-Kommandanten in Afghanistan, berät. "Sie sind meistens nicht aktiv genug, um eine große Bedrohung für die Taliban darzustellen."

Eine multinationale Truppe ist ohnehin der Alptraum jedes Kommandeurs, denn anstelle von gehorsamen Untergebenen findet er Offiziere vor, die einer fremden Regierung mit zuweilen anderen Interessen unterstehen. Als besonders anstrengend gilt der Umgang mit den Deutschen, die immer eine Mahnung parat haben, sich an der Front aber ungern blicken lassen. Dies liegt nicht daran, dass amerikanische Soldaten einen höheren Testosteronspiegel oder weniger Angst vor dem Tod haben. Doch sie wurden in einen "war on terror" geschickt, während die Bundesregierung eisern an dem Mythos festhält, in Afghanistan finde ein "Stabilisierungseinsatz" statt. Von den Taliban kontrollierte Gebiete zurückzuerobern, ist in der deutschen Militärstrategie einfach nicht vorgesehen.

Ende 2001 hat wohl kein deutscher Politiker erwartet, dass die Bundeswehr in ernsthafte Kämpfe verwickelt werden könnte, zumal man sich als Einsatzort wohl mit Bedacht die Region ausgesucht hatte, in der die Nordallianz sich gegen die Taliban hatte halten können. "Der Kampf gegen das terroristische Netzwerk al-Qaida und gegen die Taliban ist Aufgabe der Operation Enduring Freedom", das heißt der USA, betont die Bundeswehr. Doch bedauerlicherweise halten sich die Taliban nicht mehr an diese Regelung. Der Norden ist zum Kriegsgebiet geworden.

Die Taliban dehnen nicht nur ihre Operationen zielstrebig auf jene Regionen aus, die von ihrem Terror bislang verschont blieben, der Norden scheint für sie von besonderem Interesse zu sein. Offenbar wollen die Jihadisten einen Korridor nach Zentralasien öffnen. Die bewaffneten Islamisten hatten in Usbekistan und Tadschikistan schwere Niederlagen erlitten. Viele Kämpfer flüchteten zunächst nach Afghanistan, nach der Niederlage der Taliban Ende 2001 zogen sie weiter nach Pakistan und schlossen sich al-Qaida an. Die sich nun bietende Gelegenheit zu nutzen, um verlorenes Terrain zurückzugewinnen, entspräche der politischen und militärischen Logik des Jihadismus.

Einige usbekische Jihadisten führten die "Sauerlandgruppe", ein recht deutlicher Hinweis darauf, dass ihre Ambitionen sich nicht auf die Region beschränken. Doch zweifellos sind sie vor allem daran interessiert, in den autokratisch regierten Staaten Zentralasiens wieder Fuß zu fassen. Die Regionen nahe der afghanischen Grenze zu infiltrieren, würde es überdies ermöglichen, auch diesen Nachschubweg anzugreifen. Konvois und Nachschublager in der Nato in Pakistan und Südafghanistan werden bereits heftig attackiert.

Die beiden Tanklastwagen mit dem für die Bundeswehr bestimmten Nachschub näherten sich Kunduz von Süden. Warum Oberst Georg Klein seinen Treibstoff unbewacht in der Dunkelheit anrollen ließ und damit die Fahrer einer tödlichen Gefahr aussetzte, gehört zu den zahlreichen Fragen, die bei der offiziellen Untersuchung geklärt werden müssten. Ein Fahrer wurde offenbar von den Taliban ermordet. Mit den gestohlenen Lastwagen setzten die Taliban jedoch nicht die Fahrt in das nahe Kunduz fort. Sie fuhren nach Westen in Richtung Charah Dara, einem weitgehend von ihnen kontrollierten Distrikt, und blieben mit beiden Lastwagen in einem Flussbett stecken.

Ob dieses Ereignis tatsächlich Dorfbewohner angelockt hat, die auf kostenloses Benzin hofften, ist fraglich. Da die Taliban nicht dafür bekannt sind, dass sie den Armen geben, was sie der Nato nehmen, waren die anwesenden Zivilisten vermutlich eilig Zwangsrekrutierte, die helfen sollten, die Fahrzeuge aus dem Schlamm zu ziehen oder teilweise zu entladen. Dass neben den Lastwagen auch ein Traktor verbrannte, spricht ebenfalls für diese Version.

Die Idee, auf eine Bank, in der sich Räuber mit Geiseln verschanzt haben, eine 500-Pfund-Bombe zu werfen, käme wohl nicht einmal Wolfgang Schäuble. Eine unmittelbare Gefahr bestand nicht. Doch Oberst Klein stand von zwei Seiten unter Druck. Sich vor der Nase den Nachschub klauen zu lassen, wäre eine weitere Blamage für die Bundeswehr gewesen, die er wohl vermeiden wollte, ohne eine gefährlichen Nachteinsatz anzuordnen, der ihm, wenn Soldaten getötet worden wären, Ärger mit seinem Ministerium eingebracht hätte.

Die Angaben über die "Aufklärungsstränge", die Informanten, die Klein angeblich versicherten, es seien keine Zivilisten vor Ort, sind nicht überprüfbar. Wer jedoch innerhalb weniger Tage diverse widersprüchliche Versionen über den Tat­hergang improvisiert, muss, nicht anders als ein gewöhnlicher Verdächtiger vor der Staatsanwaltschaft, damit leben, dass man ihm gar nichts mehr glaubt.

Interne Untersuchungen dienen, nicht nur in Deutschland, meist eher dem Ziel, die Verantwortlichen für "Kollateralschäden" zu entlasten und den Ruf des Militärs zu retten. Wenn es diesmal anders sein sollte, obwohl ja auch das US-Militär mitverantwortlich ist, dürfte dies vor ­allem daran liegen, dass der Krieg an einem Wendepunkt angekommen ist. Die Taliban haben nach Angaben des International Council on Security and Development in 80 Prozent des Landes eine "permanente Präsenz", das bedeutet, sie greifen dort mindestens einmal pro Woche an. Dass sich die Zahl der in Afghanistan stationierten ausländischen Truppen seit 2007 von 67.000 auf 118.000 fast verdoppelte, hat die Offensive kaum behindert.

Potenziell ebenso brisant ist die politische Krise nach den Präsidentschaftswahlen. Die Wahlkommission sprach nach der Auszählung von mehr als 92 Prozent der Stimmen Karzai den Sieg zu, noch dazu mit einer absoluten Mehrheit von 54 Prozent. Karzai hat den Leiter der Kommission selbst ernannt, dementsprechend gering ist das Vertrauen in ihre Neutralität. Gestritten wird nur über das Ausmaß der Wahlmanipulationen und unter westlichen Politikern vor allem über die Reaktion. Denn eine Stich- oder Neuwahl würde eine weitere Offensive zur Sicherung der Wahl­lokale vor Angriffen der Taliban erfordern. Erkennt man hingegen Karzai ungeachtet der vor allem gegen ihn gerichteten Betrugsvorwürfe an, muss der Westen mit einer Regierung ohne demokratische Legitimation kooperieren und sich ein taktisches Verhältnis zu Wahlen und deren Ergebnissen vorwerfen lassen.

Eigentlich hat das Wahldebakel nur aller Welt vor Augen geführt, wie es um die afghanische Politik bestellt ist. Nicht Parteien mit ihren Programmen, sondern Warlords mit ihren Gewehren konkurrieren um die Macht. Noch einmal nachzuzählen oder die Wahl unter den gleichen Bedingungen zu wiederholen, würde daher nicht ausreichen. Solange Patriarchen für alle Frauen in ihrem Haushalt wählen und Warlords die Bewohner ganzer Dörfer mit Drohungen zur gewünschten Stimmabgabe zwingen können, kann von freien Wahlen ohne Einschüchterung nicht die Rede sein.

Unfähig oder auch unwillig, etwas zur gesellschaftlichen Demokratisierung beizutragen, bleiben der Nato nur Änderungen der Militärstrategie. "Man kann sich darauf verlassen, dass die Amerikaner das Richtige tun", meinte einst Winston Churchill: "Nachdem sie alles andere ausprobiert haben." Diese Einschätzung mag übermäßig optimistisch erscheinen, doch immerhin lernen die Amerikaner aus manchen ihrer Fehler. McChrystal gehört zu den engsten Mitarbeitern von General David Petraeus, des wohl profiliertesten Kritikers der Irak-Strategie der ersten Kriegsjahre im US-Militärapparat.

Petraeus und McChrystal lassen weniger bombardieren und setzen stattdessen lieber Elitetruppen ein. Nach Angaben der Nato ist die Zahl der zivilen Todesopfer seit Juni um 90 Prozent gefallen, der von Klein angerichtete "Kollateralschaden" fand allerdings noch nicht Eingang in diese Statistik. Zur neuen Strategie gehört jedoch auch der verstärkte Einsatz lokaler Milizionäre, die in der Regel nicht mit der UN-Menschenrechtskonvention unter dem Arm herumlaufen. Im Irak gibt es zivile Parteien und Institutionen, die den Machtansprüchen der Milizen entgegentreten können. In Afghanistan fehlt eine solche zivile Gegenmacht, die recht aktive Szene der Menschen- und Bürgerrechtler ist von der etablierten Politik weitgehend ausgeschlossen. Überdies dürfte das Bestreben der Taliban, nach Zentral­asien vorzudringen, westliche Politiker in die Versuchung führen, die Autokraten der Region wieder verstärkt zu hofieren.

Liberale und stalinistische Nostalgiker werden es nicht gerne hören, aber mehr und mehr ergeht es der Nato wie der UdSSR in den späten achtziger Jahren. Zumindest zwei Dinge kann man aus dem Scheitern der sowjetischen Intervention lernen. Ein fortschrittlicheres Programm zu haben als der Feind reicht nicht aus, wenn die gesellschaftliche Basis fehlt, um es zu verwirklichen. Wer aber auf das gesellschaftspolitische Versagen mit einer Annäherung an den Feind reagiert, wie es die UdSSR 1986 mit der Einsetzung des "religiös korrekten" Präsidenten Mohammed Najibullah tat, hat den Krieg politisch bereits verloren gegeben, mag er die Forderung nach einem Truppenabzug auch noch einige Jahre lang von sich weisen.

 

Quelle: Der Artikel erschien im Original in der Wochenzeitung Jungle World (38/2009).

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