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22. Juli 2008. Nachrichten: Indien - Politik & Recht Indische Regierung gewinnt eindeutig die Vertrauensfrage

Manmohan Singh hat nun freie Hand für das indo-amerikanische Nuklearabkommen

Die von Manmohan Singh geführte Regierung der Vereinigten Fortschrittlichen Allianz (UPA) gewann am 22. Juli 2008 mit 275 gegen 256 Stimmen bei zehn Enthaltungen die wegen des umstrittenen indisch-amerikanischen Nuklearabkommens gestellte Vertrauensfrage. Damit scheiterte der Versuch der oppositionellen Bharatiya Janata Party (BJP), der Kommunisten, der Bahujan Samaj Party (BSP) und regionaler Parteien die Regierung zu stürzen.

Astrologen, Wettbüros und die indische Industrie setzten auf einen Sieg der Regierung. Nun werden Neuwahlen frühestens im November/Dezember 2008, vermutlich aber erst zu Beginn des Jahres 2009 stattfinden.

Ausgangslage vor der Debatte und Abstimmung

Kritische Stimmen unterstellten, dass Premierminister Manmohan Singh kein großer Kommunikator sei. Er habe es versäumt, die oppositionelle Bharatiya Janata Party (BJP) sowie auch kleinere Parteien hinsichtlich des indisch-amerikanischen Nuklearabkommens seit 2005 ausreichend informiert zu haben.

Das Tauziehen in der Endphase vor und selbst noch während der zweitägigen Parlamentsdebatte um die noch unentschlossenen kleinen Parteien und einzelne Abgeordneten, die sich nicht selten systematisch rar machten, nahm teilweise absurde Formen an. Gelder sind dabei wohl auf jeden Fall geflossen, aber es wurden auch Versprechen für Ministerämter mit Kabinettsrang sowie angeblich sichere Wahlkreise bei der nächsten Wahl gemacht. Es galt aus Sicht der Regierung schon als Erfolg, wenn Abgeordnete aus dem Oppositionslager der Abstimmung fern blieben. Keine nennenswerte Partei war mehr vor Dissidenz gefeit, speziell auch nicht die BJP.

Selbst der über die Parteigrenzen hinweg angesehene Sprecher des Unterhauses, Somnath Chatterjee, widersetzte sich dem Diktat seiner Communist Party of India/Marxist (CPI/M) und trat nicht von seinem wichtigen Amt zurück, um dadurch gegen die Regierung stimmen zu können.

Plutokratische Tendenzen in der indischen Demokratie

Die Geldannahme durch Abgeordnete ist übrigens nicht strafbar. Mail Today spekulierte über die Größe, Schwere und erforderliche Anzahl mutmaßlicher Koffer, die die Besitzer gewechselt haben dürften. Die Vermutungen reichten von umgerechnet zwei bis sieben Millionen Euro, so ein von Mail Today anonym zitierter hoher Geheimdienstbeamter aus Maharashtra. Laut Zeitungsberichten soll sich bei diesen Zahlungen ein reicher Geschäftsmann aus London hervorgetan haben. Der Premierminister leugnete solche Berichte, ganz im Gegensatz zum ehemaligen Ministerpräsidenten von Andhra Pradesh, Chandrababu Naidu, der wie andere Oppositionspolitiker öffentlich "Kuhhandel" unterstellte.

Mayawati als Premierministerin?

Die aktuellen Entwicklungen katapultieren nun überraschend die Ministerpräsidentin von Uttar Pradesh, Behenji (Schwester) Mayawati, mit ihrem Anspruch die Regierung zu besiegen auch auf die nationale Bühne. Es begann mit einem Besuch von CPI/M-Generalsekretär Prakash Karat – ebenso wie seine Partei bislang kein Freund der BSP – bei Mayawati. Ihr selbst gelang es, den ehemaligen Premierminister Deve Gowda und Ajit Singh, Sohn von Ex-Premier Charan Singh (1979/80), mit ihren regionalen Bauernparteien nicht zuletzt wegen des Dalit-Faktors in Karnataka und Uttar Pradesh in das Lager der vereinten Opposition zu bringen. Außerdem vermochte sie es, auch unzufriedene Abgeordnete der Samajwadi Party, dem neuen Partner des Congress, abzuwerben.

In etwa 60 Wahlkreisen außerhalb von Uttar Pradesh können die Dalit-Stimmen der BSP bei den kommenden Unterhauswahlen entscheidend sein. Unter anderem deshalb gilt Mayawati nun als Kristallisationspunkt einer von den Kommunisten angestrebten dritten Kraft. Sie wurde faktisch über Nacht zur Führungsfigur der Vereinigten Nationalen Fortschrittlichen Allianz (UNPA), einem numerisch gegenwärtig begrenzten Konglomerat regionaler Parteien.

Die Entwicklung passt keineswegs in das Konzept der BJP, die schnelle Neuwahlen anstrebte und dies für den Fall einer Abstimmungsniederlage auch unmissverständlich gefordert hatte. Mayawati stahl mit einem Auftritt vor der Presse bis zu einem gewissen Grad dem gleichzeitig im Parlament sprechenden Oppositionsführer L.K. Advani, designierter Anwärter der BJP für das Amt des Premierministers, die Schau.

Der Historiker und politische Analytiker Mahesh Rangarajan sieht in der neuen Rolle Mayawatis den Beginn einer möglichen "neuen politischen Konfiguration". Manoj Joshi, leitender politischer Redakteur der Mail Today, meint, Mayawati sei es gelungen, "die alte Congress-Allianz von Oberkasten und Dalits auf den Kopf zu stellen" und ihren ursprünglichen Ansatz von der "Mehrheit der Gesellschaft" (Bahujan) durch das Theorem des Saryajan Samaj ("gesamte Gemeinschaft") mit seinem impliziten "social engineering" neu zu orientieren. Wenn Mayawati damit, wie 2007 überzeugend in Uttar Pradesh, auch in Zukunft erfolgreich sein sollte, dann könnte dies das allmähliche Ende der Dominanz der Mittelkasten (Other Backward Castes/OBCs) mit ihrer an Kastenidentitäten orientierten Politik einläuten.

Scharfe Angriffe gegen Premierminister Manmohan Singh

Manoj Joshi kritisierte die Parlamentsdebatte als "Theater“ und „niedere Politik". Salman Khursheed, ehemaliger Staatsminister des Äußeren und für den Congress zuständig in Uttar Pradesh, meinte, dass es keine wirkliche Debatte über das Nuklearabkommen gegeben habe.

Prakash Karat warnte den Premierminister: "Drücken Sie das Abkommen nicht durch, wenn Sie die Abstimmung verlieren. Wenn Sie dies tun, dann wird sich das Land in einer Revolte erheben." Mit dem der CPI/M – eine leninistisch-stalinistische Partei mit "zwanghaftem Anti-Amerikanismus", so Manoj Joshi – oft eigenem moralischen Überlegenheitsanspruch prangerte er an: "Es ist eine Schande für diese Regierung, dass sie die Stimmen von verurteilten Kriminellen sucht, um sich selbst an der Macht zu halten." Der Samajwadi Party, bis vor kurzem noch enger Partner der CPI/M, unterstellte Karat "einen Ausverkauf an die USA". Mulayam Singh Yadav konterte polemisch, dass sich die CPI/M von der hindu-nationalistischen BJP faktisch nicht mehr unterscheide.

Der kommunistische Abgeordnete Gurudas Dasgupta erweiterte die Attacken auf die mangelnde Besteuerung der Reichen durch die vom Congress geführte Regierung und die Tatsache, dass 77 Prozent der indischen Bevölkerung nach einem Bericht des Arbeitsministeriums täglich nicht mehr als 20 Rupien (ca. 0,30 Euro) für ihren Lebensunterhalt ausgeben könnten.

L.K. Advani unterstellte, dass das indisch-amerikanische Nuklearabkommen "Indien zu einem untergeordneten Partner der USA mache". Die "paralysierte Regierung" erinnere an einen Patienten auf der Intensivstation. Advani richtete ungewöhnlich scharfe persönliche Angriffe gegen den Premierminister.

Eine "Kommunalisierung der Außenpolitik" konnte in den Debatten jedoch wohl vermieden werden, obwohl Mayawati in ihrer ersten außenpolitischen Erklärung mit Blick auf die schiitische Minderheit in Indien die Frage stellte, inwieweit Indien in den Sog von gegen den Iran gerichteten Maßnahmen der USA und Israels geraten könnte.

Szenarien für die nahe Zukunft

Die nukleare Frage wird mit Sicherheit kein zentrales Wahlkampfthema für die nächsten Unterhauswahlen darstellen. Die existenziellen Sorgen eines angemessenen Überlebens bilden wohl für die Mehrheit der Wähler angesichts einer gegenwärtigen Inflation von zwölf Prozent die oberste Priorität.

Der Sieg der von Manmohan Singh geführten United Progressive Alliance stellt jedoch, ungeachtet ihrer politischen Stabilität in den nächsten Monaten, eine Richtungsentscheidung für die Zukunft Indiens dar. Das energiehungrige Land, seit 1998 offiziell eine Nuklearmacht, wird in Zukunft wohl verstärkt auf Nuklearenergie für zivile Zwecke setzen. Die Lieferanten aus den USA, Russland, Frankreich und anderen Ländern stehen mit ihren Angeboten an Atomreaktoren im Wert von rund 40 Milliarden US-Dollar bereits Schlange.

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