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20. August 2007. Nachrichten: Kunst & Kultur - Indien Offene Gesellschaft, bornierter Geist

Zunehmende Übergriffe der Hindu-Nationalisten gegen Kulturschaffende

Die Aktivisten der nationalistischen Hindutva-Bewegung versuchen auf allen Ebenen, der kulturellen Vielfalt Indiens ihr Gepräge aufzuzwingen. Zurzeit steht der berühmteste Maler des Landes im Visier – und da man seiner nicht habhaft wird, entlädt sich der Zorn auf andere.

Maqbool Fida Husain ist Indiens berühmtester Maler und mit 92 Jahren der Doyen der zeitgenössischen indischen Kunst. Das hohe Alter gibt ihm den Status eines Künstlers, dessen Schaffen die ganze Zeitspanne der modernen indischen Kunst abdeckt. Sein Ruf und die Nachfrage nach seinen Bildern stammen auch daher, dass er westliche Inspirationen – namentlich durch Fernand Léger – mit dem narrativen Erzählstil der klassischen indischen Kunst zu verbinden weiß. Schließlich repräsentiert der Muslim Husain den toleranten Synkretismus des südasiatischen Islam, und Darstellungen von Hindu-Gottheiten machen einen wichtigen Teil seines Œuvre aus.

Husain ist zudem ein perfekter Selbstdarsteller. Auch im hohen Alter verbindet er Eleganz und beinahe höfisch gute Manieren mit dem Habitus, barfuss zu gehen. Seit bald zwei Jahren muss er allerdings auf diesen Manierismus verzichten, denn er lebt im vergleichsweise kalten London und im formellen Dubai im unfreiwilligen Exil. Die Mischung von Bohème und materiellem Erfolg, von religiöser Zitierkunst und einem muslimischen Namen hat ihn nicht nur in die Klatschspalten gebracht, sondern auch zur Projektionsfigur für den Unmut der Tugendwächter gemacht. Und da diese in Indien meist religiös motiviert sind, ist Husains muslimische Identität der Stein des Anstoßes. Immer wieder gehen seine Darstellungen von leicht- oder unbekleideten Hindu-Göttinnen, in unerotisch groben Strichen skizziert, in Flammen auf, wenn militante Mitglieder der Hindutva-Brigaden Galerien stürmen. Die beiden von ihm bezahlten und eingerichteten Museen in Hyderabad und Ahmedabad wurden verwüstet und sind heute geschlossen.

"Böswillige Absicht"

Vor zwei Jahren holten Husains Gegner dann zu einem weiteren Schlag aus. Das Bild einer Göttin, deren Konturen mit denen der indischen Küstenlinie verschmelzen, wurde bei einer privaten Auktion vom Galeristen mit dem Titel "Bharat Mata" (Mutter Indien) versehen. Das genügte, um die indischen Ableger viktorianischer Prüderie Zeter und Mordio schreien zu lassen. Da sie wussten, dass kein Gericht ihnen schliesslich recht geben würde, legten sie es darauf an, den Maler mit Strafverfahren einzudecken. Mehr als ein Dutzend Klagen im ganzen Land gingen gegen ihn ein, alle mit Verweis auf den Gesetzesparagraphen, wonach Husain "mit böswilliger Absicht" die religiösen Gefühle der Hindus verletzt habe, indem er eine Göttin nackt darstellte. Der Subtext: Wir tolerieren es nicht, dass ein Muslim es wagt, eine Hindu-Göttin zu malen.

Die Aussicht, von Gerichtstermin zu Gerichtstermin zu hetzen, war für den alten Mann zu viel, und er kehrte von einer Auslandsreise nicht mehr zurück. Als das Oberste Gericht vor einigen Monaten dem Begehren seines Anwalts nachgab und alle Fälle in Delhi zusammenfasste, machte er sich zur Rückkehr bereit. Er hatte nicht mit seinen Gegnern gerechnet. Neue Klagen gingen ein, die nicht der Sammelklage zugerechnet werden konnten, ein Gericht im Himalaja-Staat Uttaranchal ordnete die Konfiszierung von Husains Wohnung in Mumbai an, und eine Hindu-Fatwa aus Gujarat drohte ihm erneut mit dem Tod.

Der Zorn, dass man Husains nicht habhaft werden konnte, spornte die Tugendwächter zudem zu Ersatzaktionen an. Am 10. Mai stürmte ein Lokalpolitiker der BJP mit einer Gruppe von Anhängern in die Kunstakademie der Universität von Vadodara in Gujarat, wo Studenten der Abschlussklasse einer Jury ihre Examensarbeiten vorlegten. Sie rissen die Werke von den Wänden und zerstörten ein Bild des 23-jährigen Chandramohan, offenbar die Darstellung einer nackten Göttin. Den Studenten lieferten sie gleich selber im nächsten Polizeirevier ab. Die Justizparodie eskalierte, als der Richter ihm die Freilassung gegen Kaution verweigerte, weil der Rektor der Universität sich nicht hinter den Studenten stellte – sondern es im Gegenteil für nötig befand, sich gegenüber den BJP-Friedensbrechern zu entschuldigen. Als Studenten am nächsten Tag aus Protest eine Ausstellung einrichteten, die Fotos klassischer Darstellungen nackter Gottheiten – von denen es in indischen Tempeln Tausende gibt – zeigte, forderte der Rektor den Leiter der Kunst-Fakultät auf, die Ausstellung zu schließen. Dieser weigerte sich, worauf er suspendiert und selber unter Anklage gestellt wurde.

Es ist dieses Verhalten der Universitätsleitung, das die liberale Öffentlichkeit, namentlich die Kulturschaffenden, endlich aufgerüttelt hat. Es führte drastisch vor Augen, dass im von der BJP beherrschten Bundesstaat Gujarat die islam- und aufklärungsfeindliche Ideologie inzwischen alle Organe des Staates – Universitäten, Justiz, Polizei – erfasst hat und die Rechtsordnung dabei ungestraft beiseitegeschoben wird. Dies gilt zudem nicht nur für Künstler. Filmverleiher werden bedroht, wenn sie Filme mit kritischem Inhalt zeigen wollen, Eltern werden gezwungen, die Eheschliessung rückgängig zu machen, weil der Sohn oder die Tochter einen Partner aus der falschen Kaste oder gar der falschen Religion geehelicht hat. Und derlei geschieht nicht nur in Gujarat. Aus Jaipur bekam der amerikanische Schauspieler Richard Gere eine Gerichtsvorladung, weil er auf der Bühne den Bollywood-Star Shilpa Shetty auf die Wangen geküsst hatte. Und aus Maharashtra und Rajasthan kamen in den letzten Wochen Fernsehbilder mit vermummten Gestalten, die christliche Priester zusammenknüppelten, angeblich weil sie versucht hatten, Hindus zum Christentum zu bekehren. Die Schläger hatten die Fernsehteams gleich selbst organisiert, und auch sie schleppten die blutenden Opfer auf den nächsten Polizeiposten. Dort wurden diese in Haft genommen, während die Täter vor laufender Kamera ihre Hasstiraden loswurden.

Harte Hand des Staats

Maharashtra wird von der angeblich liberalen Kongresspartei regiert. Die Rechtsorgane reagierten aber nicht, als Bal Thackeray, Gründer der chauvinistischen Shiv-Sena-Partei, seine Anhänger Ende April aufrief, Buchhandlungen einzuäschern, falls diese es wagen sollten, das Buch des amerikanischen Historikers Richard Laine über Shivaji, einen Lokalfürsten aus dem 18. Jahrhundert, aufzulegen. Er setzte sich damit auch über einen Entscheid des Obergerichts hinweg, der das Buch ausdrücklich zugelassen hatte. Die Regierung liess Thackeray gewähren, obwohl seine Sturmtrupps vor zwei Jahren in Pune ein Geschichtsarchiv verwüstet hatten, nur weil einer der Mitarbeiter in Laines Buch zitiert war; ja die Kongresspartei ging so weit, dem Importeur informell nahezulegen, das Buch trotz dem Gerichtsbeschluss nicht auszuliefern.

All dies geschieht in einer Zeit, da Indien seine Grenzen der Globalisierung öffnet. Gujarat ist einer der erfolgreichsten Staaten, wenn es darum geht, ausländisches Kapital anzulocken. Ist es wohl deshalb ein interessanter Standort, weil die harte Hand des Staats auch den Investoren freie Bahn schafft, wenn sich Proteste formieren? Oder weiß sich eine Gesellschaft, die plötzlich von den Symbolen der globalen Konsumwelt überflutet wird, nur noch in die Sicherheit religiöser Symbole zu flüchten – und in den Hass gegen den Nachbarn, der sich vor diesen nicht verbeugen will?

Quelle: Der Artikel erschien im Orginal am 09.07.2007 in der Neuen Zürcher Zeitung.

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