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Nur wenige Minuten müssen wir mit einer dreirädrigen Auto-Rikscha vom quirligen Bahnhofsvorplatz der Vorstadt Goregaon zurücklegen, um das 210.000 Quadratmeter große Gelände zu erreichen, auf dem die meisten Veranstaltungen des 4. Weltsozialforums in Mumbai stattfinden werden. Die sozialen Bewegungen gegen die ökonomische und kulturelle Globalisierung haben von dem früheren Fabrikgelände Besitz genommen: Farbige Poster, Wandmalereien und Flugblätter vermitteln einen ersten Eindruck der Vielfalt der Strömungen, die in Mumbai zusammenkommen. Noch wird allerorten aufgebaut und dekoriert. Doch zur Eröffnungsveranstaltung wird alles fertig sein für das Forum, "dessen Herz" – so der Wunsch des Indischen Vorbereitungskomitees – die internationale Solidarität sein soll.
In einer kulturell von südasiatischen Präsentationen geprägten Eröffnungsveranstaltung – auf der u.a. Ahmed Ben Bella (Algerien), Abduk Amir al Rekaby (Irak), Chico Whitaker (Brasilien) und die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi (Iran) sprechen werden – sollen die Teilnehmer auf die große Debatte über die ökonomische Globalisierung und den gegenwärtigen Stand der Proteste gegen Krieg und multinationale Konzerne eingestimmt werden. Als eine Art Echo auf die Ankündigung von pakistanisch-indischen Friedensgesprächen wird auch die pakistanische Rockgruppe Junoon (Inspirationen), die jahrelang in ihren Songs Frieden zwischen beiden Ländern propagiert hat, zu hören sein.
Nach seinem Start 2001 in Porto Alegre hat das Weltsozialforum eine Vielzahl von Veränderungen durchgemacht. Jetzt ist es in einer Megapolis Asiens angekommen, einem bisher in der Bewegung deutlich unterrepräsentierten Kontinent. Der Slogan des Forums "Another World is possible" (Eine andere Welt ist möglich) ist zu einem weit verbreiteten Motto auf der Suche nach Konzepten für eine Alternative zur bestehenden Weltordnung geworden.
Auch in Mumbai werden Strategie- und Konzeptdebatten dieser heterogenen, sich aus vielen politischen Spektren zusammensetzenden sozialen Bewegung einen breiten Raum einnehmen. In den radikaleren Spektren der Bewegung machte sich unterdessen die Befürchtung breit, dass die Bewegung der Sozialforen in eine Falle geraten könnte: nämlich als institutionalisiertes schlechtes Gewissen des Globalisierungsprozesses von den Herrschenden eingebunden zu werden.
Mit großen Veranstaltungen zur zukünftigen Entwicklung hat das indische Vorbereitungskomitee solchen notwendigen Debatten Raum gegeben. Auf mehr als 1200 Veranstaltungen – organisiert von Gruppen aus 93 Ländern – werden in den kommenden sechs Tagen in Workshops und Seminaren, in großen und kleinen Konferenzen, durch die Berichte von Opfern der Globalisierung und auf Plenarsitzungen, die vom indischen Vorbereitungskomitee bereits im April 2003 formulierten Themenschwerpunkte aufgegriffen und alternative Konzepte erarbeitet. Dass die Schwerpunkte ein indisches Gepräge haben, ist beabsichtigt.
Auch an Prominenz mangelt es nicht. Ihr Kommen zugesagt haben Joseph E. Stieglitz aus den USA, ehemaliger Vizepräsident der Weltbank und heutiger Kritiker bestimmter Programme von Weltbank und IWF, José Bové, Symbolfigur des Kampfes gegen gentechnisch manipulierte Lebensmittel, "Le Monde"-Herausgeber Bernhard Cassen, Mitbegründer und Ehrenpräsident von Attac. Aus Indien werden u.a. der bekannte marxistische Theoretiker Prabhat Patnaik, die Koordinatorin der Proteste gegen die großen Staudammprojekte Medha Patkar, die Frauenrechtlerin Brinda Karat, die Schriftstellerin Arundhati Roy und der Historiker Tanika Sarkar auf den großen Konferenzen und Plenarsitzungen sprechen.
Dass der Mobilisierungsprozess im Vorfeld des Weltsozialforums schon Bedeutendes zustande gebracht hat, lässt sich an der gut organisierten Menschenrechtsbewegung der Dalits (Unberührbare) ablesen. Zu ihren Aktivitäten zählt z.B. der 40-Tage-Sternmarsch auf Mumbai, der heute auf dem Veranstaltungsgelände empfangen wird. Allgemein wird erwartet, dass die Probleme der diskriminierten Dalits und Adivasi (indigene Bevölkerungsgruppen) sowie Rassismus, Umweltschutz und Frauenfragen dem Mumbaier Forum ein besonderes Gepräge geben.
Einen politischen Dissens lässt die angekündigte Gegenveranstaltung mit dem Titel "Mumbai Resistance-2004", ein Zusammenschluss von 250 Organisationen, erwarten. Sie werfen dem Weltsozialforum vor, den Imperialismus nicht wirklich bekämpfen zu wollen. Während viele Träger des Resistance Forums militante Antworten bereithalten, sind in der Charta des Weltsozialforums die Prinzipien der Toleranz, Gewaltfreiheit, Demokratie und Menschenrechte verankert.
Ob ähnlich spektakuläre Ergebnisse wie in Porto Alegre (z.B. der gemeinsame Brief palästinensischer und israelischer Delegierter zum Nahost-Friedensprozess oder die große Anti-Kriegsdemonstration) zu erwarten sind, bleibt abzuwarten. Entscheidend ist jedoch, welche Rückwirkungen das Weltforum auf die Praxis des Widerstandes der sozialen Bewegungen in Indien und anderswo haben wird. Schon sind die ersten Folgetermine fixiert. Das Hyderabad Social Forum z.B. wird sich alsbald unter dem Motto "From Global To Local" wiedertreffen.
Quelle: Der Beitrag erschien am 16. Januar 2004 in der Tageszeitung "Neues Deutschland".
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