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15. Januar 2004. Nachrichten: Wirtschaft & Soziales - Indien Radikale Konkurrenz zum Weltsozialforum

Mumbai Resistance mit "scharfem Fokus"

Zur gleichen Zeit, da das Mammutprogramm des 4. Weltsozialforums (WSF) in Mumbai über die Bühnen geht, findet in der indischen Wirtschaftsmetropole eine alternative Großveranstaltung statt: Mumbai Resistance (MR 2004).

Erstmals bekommt das Weltsozialforum Konkurrenz: Die Internationale Liga von Volkskämpfen (ILPS), eine Koalition von über 100 antiimperialistischen Organisationen, beschloss im Juli vorigen Jahres in den Niederlanden, parallel zum Forum ein Treffen unter dem Namen Mumbai Resistance (MR 2004) durchzuführen. Ausdrücklich wurde hervorgehoben, dass dies "nicht als Anti-WSF-Veranstaltung" gedacht sei, sondern als konsequenteres Forum "mit scharfem Fokus auf die imperialistische Globalisierung" und ihre Auswirkungen.

Wie es in einem Manifest von MR 2004 heißt, will man über die Grenzen des Weltsozialforums hinaus gehen, vom bloßen endlosen Debattieren zur Aktion kommen – all jene Kräfte in einer starken weltweiten Bewegung vereinen, die wirklich gegen Globalisierung und imperialistische Aggressionskriege sind. Nach Ansicht der "Resistance" hat das Weltsozialforum nicht nur zu wenig Biss, sondern steht auch im Verdacht, von Firmen und Stiftungen gesponsert zu werden, die Teil des Globalisierungsprozesses sind. Auf der Teilnehmerliste der "Widerständler" finden sich Organisationen und Redner u.a. aus Bangladesch, Belgien, Griechenland, Nepal, Neuseeland, Pakistan, den Philippinen, aus Südkorea und der Türkei.

Natürlich kommen die meisten Gruppen, Bewegungen und Organisationen aus Indien. Prominente Inder scheinen aber eher zum Weltsozialforum zu tendieren. Dort treten beispielsweise der ehemalige indische Premier V. P. Singh und Ex-Staatspräsident K. R. Narayanan auf. Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet die gesellschaftskritische Autorin Arundhati Roy, die auf beiden Foren Flagge zeigen wird.

Das Programm der "Resistance" beginnt am Sonnabend mit dem Themenkomplex "Antiimperialistische Bewegung und MR 2004. Vermächtnis des Volkskampfes gegen Kolonialismus und Imperialismus. Imperialismus und Krieg". Es folgen ein Bauernforum zum Kampf gegen die WTO, Workshops über den Widerstand von Frauen gegen die Globalisierung, zu Angriffen auf demokratische Rechte im "Krieg gegen den Terrorismus" sowie zur Zerstörung des Völkerrechts durch die USA, zur Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Gewerkschaften im Kampf gegen Globalisierung, zu den Auswirkungen der Globalisierung auf Indigene, Dalits, Minderheiten, Studenten und Jugendliche.

Beim Themenkomplex "Imperialismus und nationale Frage" gibt es offenbar keine Tabus: Von der Moro Liberation Front der Philippinen, nationalen Befreiungsbestrebungen in den pakistanischen Provinzen Belutschistan und Sindh sowie in den Chittagong Hills von Bangladesch, dem Widerstand in Kaschmir, in Assam und Nagaland reicht die Palette bis zum "Indischen Expansionismus in Südasien", dargestellt aus bangladeschischer Sicht. Der 19. Januar ist der "kulturellen Resistance" vorbehalten. Am Abschlusstag soll es eine Protestdemonstration "US-Amerikaner und andere Imperialisten raus aus Irak!" geben, die bis vor das USA-Konsulat in Mumbai ziehen soll.

Die Themen überschneiden sich zwar mit denen des Weltsozialforums, aber die Mumbai Resistance-Anhänger geben sich weit radikaler und militanter. Einige ihrer Website entnommene Kostproben: Das imperialistische System kann nicht reformiert, es muss zerschlagen werden. Gerechtigkeit, Gleichheit und Befreiung lassen sich nur durch Volkskämpfe erzielen. Keine Kampfform wird ausgeschlossen. Bei der Globalisierung kann es keine Brücken, nur Barrikaden geben. Jene, die Liberalisierung, Privatisierung und Globalisierung verwirklichen helfen, können keine echten Verbündeten sein. Man muss eine andere Welt außerhalb des kapitalistischen Systems aufbauen: Vorwärts zu einer wirklich sozialistischen Ordnung!

Die Organisatoren des Treffens Mumbai Resistance unterstreichen, dass sie Teilnehmer am Weltsozialforum auch zu ihren Veranstaltungen mit offenen Armen empfangen. Ob es allerdings Sinn macht, dass zwei Großveranstaltungen zur gleichen Problematik mit voraussichtlich weit über 50000 Aktivisten zum gleichen Zeitpunkt miteinander konkurrieren, scheint fraglich. Erst im Nachhinein wird sich erweisen, ob diese "Spaltung" dem Kampf gegen Globalisierung mit all ihren Auswirkungen dienlich oder abträglich war.

Quelle: Der Beitrag erschien am 15. Januar 2004 in der Tageszeitung "Neues Deutschland".

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