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Gemeinsam mit Verteidigungsminister George Fernandes und Ministerpräsident Atal Behari Vajpayee winkte Abdul Kalam im Mai 1998 triumphierend in die Kameras der Weltpresse: In der Wüste Rajasthans hatte Indien gerade fünf unterirdische Nukleartests durchgeführt. Und der kleine Mann aus dem Süden des Landes war maßgeblich an der Entwicklung der Trägersysteme für die Atomwaffen beteiligt. Aus Dankbarkeit möchte die von der hindunationalistischen BJP geführte Regierung den "Vater" des indischen Raketenprogramms nun zum neuen Staatspräsidenten machen. Vajpayee hatte Kalam am 10. Juni während eines Treffens mit Sonia Gandhi, der Vorsitzenden des Congress (I), in Neu Delhi als möglichen Nachfolger des noch bis Juli amtierenden Kocheril Raman Narayanan benannt. Ein Vorschlag, der die Opposition spaltet.
Avul Pakir Jainulabdeen Abdul Kalam wurde im Oktober 1931 in einem Fischerdorf im südindischen Tamil Nadu geboren. Der Sohn muslimischer Eltern war der erste in seiner Familie, der die Universität besuchte. Nach seiner Ausbildung zum Luftfahrt-Ingenieur am Madras Institute of Technology (1954-57) bewarb er sich zunächst erfolglos bei der indischen Luftwaffe. Über die Forschungs- und Entwicklungsorganisation des Verteidigungsministeriums (Defence Research and Development Organisation, DRDO) kam Kalam 1963 zur indischen Raumfahrt-Behörde, wo er fast 20 Jahre an unterschiedlichen Projekten mitwirkte.
Im Jahre 1982 wurde Kalam Direktor der DRDO und mit der Leitung des Raketenprogramms betraut. Fünf Großprojekte wurden in den folgenden Jahren initiiert, deren Ergebnisse zum Synonym für ein neues indisches Selbstbewusstsein wurden. Nag, Prithvi, Akash, Trishul und Agni heißen Kalams Raketen-Kinder, die vor allem Pakistan Angst und Schrecken einjagen sollen. Mit der Mittelstreckenrakete Agni könnte aber auch China ins Visier genommen werden. Im November 1999 machte Premier Vajpayee den unverheirateten Kalam zum obersten Wissenschaftsberater der Regierung.
Er sei ein 200-prozentiger Inder, sagen seine Anhänger, die ihn vor allem wegen seines schier grenzenlosen Patriotismus verehren. Auch seine Gegner erkennen ihn als Wissenschaftler an, doch im Präsidentenamt wollen sie ihn nicht sehen. Dabei sind Kalams Visionen ehrgeizig. Bis 2020 möchte er Indien in die Runde der G8-Staaten führen. "Träum, träume, träume! Setze diese Träume in Gedanken um und handle", ließ er schon 1998 verlauten. Ob dieses Motto jedoch reicht, um das Land der Armut zu entreißen, darf bezweifelt werden.
Quelle: Der Text erschien in gekürzter Fassung am 14. Juni 2002 in der Tageszeitung "Neues Deutschland".
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