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An Narendra Modi, Spitzenkandidat der hindunationalistischen Indischen Volkspartei (BJP), scheiden sich die Geister. Für seine Anhängerschaft aus dem rechtsnationalistischen Oppositionsbündnis der National Democratic Alliance (NDA) unter Führung der BJP ist Modi, der bis vor Kurzem den Schein eines asketischen Junggesellen wahrte, eine charismatische und arbeitswütige Führungspersönlichkeit, ein begnadeter Redner und erfolgreicher Reformer. Seine Gegner sehen in dem 63-Jährigen einen Demagogen, einen Machtpolitiker mit diktatorischen Bestrebungen und gefährlichen Hindu-Chauvinisten. Modi ist ein glühender Verfechter des Hindutva, jener politischen Ideologie, die sich dem Ideal einer wiedererstarkten Hindu-Nation, regiert nach hinduistischen Regeln, verschrieben hat. Gemäß des Hindutva sollen Inder möglichst Hindus sein, beziehungsweise Teil einer auf den Hinduismus basierenden und idealerweise arisch beeinflussten Kultur sein, und Indien als heiliges Land verehren. Diese Sicht steht konträr zu dem von Jawaharlal Nehru, seit der Unabhängigkeit im Jahr 1947 bis zu seinem Tod 1964 indischer Ministerpräsident, und seinen Mitstreitern aus der Kongresspartei geprägten säkularen Staatsmodell Indiens. Der Hindunationalismus grenzt insbesondere Indiens Muslime, die immerhin 175 Millionen bei einem rund 14-prozentigen Bevölkerungsanteil zählen, als auch Christen, Parsen und Juden aus.
Modi ist jemand, der stark polarisiert. Seinen Aufstieg verdankt er seinem Ehrgeiz und Machtgespür. Gestartet war er als Bahnhofs-Teeverkäufer aus der als rückständig eingestuften Kaste der Ghanchi, die traditionell Pflanzenöl presste und später zu Händlern aufstieg. Schon zu Schulzeiten ließ er sich in hindunationalistischen Nachwuchsorganisationen drillen und indoktrinieren, lernte dabei sicherlich zu marschieren und sich für den Kampf gegen die "Feinde" der Hindus fit zu halten. Während er Politologie studierte, profilierte er sich als Nachwuchskader des Nationalen Freiwilligenkorps (RSS) und kämpfte gegen das von der damaligen Premierministerin Indira Gandhi verhängte Notstandsregime. Die Politik wurde zu seinem Lebensinhalt und insbesondere die muslimische Minderheit blieb ihm suspekt, wenn nicht sogar verhasst. Deshalb ist er gleichwohl ein Politiker, auf dessen Vergangenheit ein blutiger Schatten fällt: Denn im Frühjahr 2002, kurz nach Beginn seiner ersten Amtszeit als Chief Minister des Bundesstaats Gujarat, versank sein Heimatstaat in Gewalt.
Bei einem angeblichen Angriff durch fanatisierte Muslime auf einen Expresszug, in dem unter anderem hindunationalistische Aktivisten des Welt-Hindu-Rats (VHP) saßen, waren vier Waggons in Flammen aufgegangen. 58 Menschen starben dabei. Berichte lokaler Amtsträger, die bis 2013 zurückgehalten wurden, zeichnen jedoch ein anderes Bild. Demzufolge hätten die Hindunationalisten aus dem Zug die mehrheitlich muslimischen Händler auf dem Bahnsteig provoziert und das Feuer brach dann in Folge weiterer Eskalationen aus. Als Modi den Bahnhof besuchte und danach von einem "einseitigen terroristischen Akt" sprach, folgten wochenlang anti-muslimische Pogrome. Offiziell starben 790 Muslime und 254 Hindus. Menschenrechtsgruppen gehen von weit mehr Opfern aus und prangern die Rolle von Agitatoren aus den Reihen hindunationalistischer Organisationen wie des VHP und des RSS an. Staatsbedienstete sollen sich in etlichen Fällen an den kommunalistischen Gewalttaten beteiligt haben. Modi selbst war in den 1970er Jahren im RSS als Vollzeitagitator aktiv gewesen, im Landesverband schnell aufgestiegen und 1987 von der RSS-Führung in die BJP, die Partei der Hindunationalisten, entsandt worden.
Der Chief Minister redete das Ausmaß der kommunalistischen Gewaltorgie jedoch anfänglich klein und die Behörden verhielten sich passiv. Über 18.000 Wohnungen und Häuser, vorrangig von Muslimen, wurden zerstört und schätzungsweise 200.000 Menschen zu Binnenflüchtlingen. Strafverfahren wurden verschleppt und Zeugen eingeschüchtert. Modi trat später zurück, um Neuwahlen zu ermöglichen. Im folgenden Wahlkampf instrumentalisierte er die Gewalt propagandistisch für sich als logische Reaktion der von muslimischem Terrorismus bedrohten Hindu-Mehrheit. Hemmungslos bediente er das vorherrschende anti-muslimische Ressentiment, dass Indiens Muslime als heimliche Verbündete des Rivalen Pakistan agieren.
Sein Wahlkampf auf Kosten der Minderheit bescherte ihm bei der folgenden Landtagswahl im Dezember 2002 eine bequeme Zwei-Drittel-Mehrheit. Dadurch gelang es ihm, das Fundament für seinen Ruf als durchsetzungsstarken Reformer zu legen und wirtschaftliche Entwicklungsprojekte auf den Weg zu bringen. Während seiner darauffolgenden Amtszeiten wurde das "vibrierende Gujarat" zum angeblichen Vorbild für erfolgreiche Entwicklung, von der jedoch auch hier fast nur die städtische Mittelschicht profitierte. Gleichwohl stieg der Stern des mittlerweile dienstältesten Chief Ministers, der sich zunehmender Beliebtheit bei indischen Industriellen, Finanziers sowie ausländischen Investoren erfreut. So wurde aus dem als Brandstifter geächteten Hindunationalisten, der in der EU bis 2013 als persona non grata galt, ein als wichtig erachteter Gesprächspartner.
Während einigen seiner politischen Weggefährten eine Verstrickung in die Unruhen nachgewiesen werden konnte, eine ehemalige Ministerin wurde 2012 sogar zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, blieb Modis Weste weiß. Die Untersuchungskommission des Obersten Gerichthofes stellte Ende 2010 fest, dass keine strafrechtlich relevanten Beweise gegen ihn vorlägen. Auch nachdem im Jahr 2012 der Abschlussbericht des vom Gerichtshof berufenen, unabhängigen Gutachters (amicus curiae) Raju Ramachandran veröffentlicht wurde, der sich darin deutlich für strafrechtliche Schritte gegen Modi ausgesprochen hatte, blieb der Gerichtshof bei seiner Meinung. Mit diesem Persilschein ausgestattet, konnte er nun für den Vorsitz im Zentralen Wahlkampfkomitee der BJP kandidieren, den er trotz des Widerstands älterer Kader aus der ersten Parteigeneration, wie des ehemaligen Parteivorsitzenden L.K. Advani, im Juni 2013 errang.
Bei den anstehenden Parlamentswahlen kandidiert Modi im Wahlkreis Varanasi im Bundesstaat Uttar Pradesh. Damit ist der BJP ein bedeutungsschwangerer Coup gelungen, denn den meisten Hindus ist die Stadt am Ganges heilig. Ein Sieg in der Stadt des Gottes Shiva, der zugleich für Zerstörung und Neubeginn steht, könnte Modi in den Augen vieler Hindunationalisten mit einer Art mystischen Legitimität ausstatten. Während indische Medien über eine Welle der Zustimmung für die BJP berichten, will Modi sogar auf göttliche Urgewalten setzen. Als er Anfang März in Lucknow auf das "safranfarbige Meer" seiner mit orangenen Hüten und Bändern ausstaffierten Anhänger schaute, versprach er, dass sich "die BJP-Welle in einen Tsunami verwandeln werde, der alle anderen Kräfte zerstören wird." Und legte dann nochmal nach: "Sie werden alle ausgerottet!"
Allerdings trifft er in Varanasi auf einen prominenten Gegenkandidaten und politischen Shooting-Star, der sich mit der Bekämpfung des weltlichen Korruptionsproblems einen Namen gemacht hat: Arvind Kejriwal, politischer Quereinsteiger von der Partei des einfachen Mannes (AAP). Der 45-jährigeKejriwal brachte im Februar im Bundesdistrikt Delhis sogar die sonst verfeindete BJP und die Kongress-Partei (INC) dazu, sich gegen ihn zu verbünden, um ein von ihm initiiertes Antikorruptionsgesetz zu blockieren. Er trat daraufhin zurück, was seine Anhänger als Zeichen seiner Konsequenz und Unbestechlichkeit auslegen. Vorsichtshalber kandidiert Modi gleichzeitig noch in seinem Heimatwahlkreis Vadodara in Gujarat. Den Sitz im Parlament wird er so sicherlich ergattern. Ob die Mandatszahl der BJP nach der Wahl für die Zerstörung und einen Neubeginn im Lichte des Hindutva reichen wird, erscheint fraglich – erwartungsgemäß dürfte das NDA-Bündnis zahlreiche Kompromisse eingehen und Zugeständnisse machen, um eine möglichst stabile Regierungskoalition zu schmieden. Für potenzielle Opfer aus den Reihen der nicht-hinduistischen Minderheiten und die Anhänger eines säkularen Indiens bleibt Modi aber auch weiterhin ein gefährlicher Demagoge.
Quelle: Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel, der in kürzerer Fassung am 3. April 2014 in der Wochenzeitung Jungle World (Nr. 14/2014) erschienen ist.
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