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04. Oktober 2006. Kommentare: Politik & Recht - Südasien Feindliche Kämpfer, streitende Präsidenten

George W. Bush will die Regierungen Pakistans und Afghanistans dazu bewegen, im Kampf gegen die Jihadisten zu kooperieren.

Autobiografische Literatur ist selten eine zuverlässige Quelle. Niemand schreibt seine Lebensgeschichte nieder, um der Öffentlichkeit schonungslos die Wahrheit samt allen Peinlichkeiten zu präsentieren. Erst recht nicht, wenn er, wie Pervez Musharraf, Regierungschef ist und dies auch noch eine Weile zu bleiben gedenkt. Musharraf veröffentlichte seine Autobiografie "In the Line of Fire" kurz vor seinem Treffen mit US-Präsident George W. Bush. Man habe ihm davon abgeraten, doch "wie ein guter militärischer Führer habe ich meine eigene Entscheidung getroffen", erklärte der pakistanische Präsident bei der Präsentation in New York. Entscheidungen wie die Entsendung pakistanischer Truppen in den indischen Teil Kaschmirs zu rechtfertigen, die 1999 fast zum Krieg geführt hätte, scheint Musharrafs wichtigstes Ziel zu sein. Für die westliche Öffentlichkeit ist jedoch vor allem die Zeit nach dem 11. September 2001 interessant, in der Pakistan sich vom Bündnis mit dem Regime der Taliban löste.

Musharrafs Darstellung zufolge sagte ihm der damalige US-Außenminister Colin Powell: "Sie sind entweder für uns oder gegen uns." Der pakistanische Präsident wertete dies als "unverhohlenes Ultimatum", zudem habe Vizeaußenminister Richard Armitage dem in Washington anwesenden Generaldirektor des Geheimdienstes Inter Services Intelligence (ISI) angekündigt, Pakistan werde "in die Steinzeit zurückgebombt", wenn es sich "für die Seite der Terroristen" entscheide. Eine "schockierend freche Drohung", urteilt Musharraf, der nach einer "leidenschaftslosen militärischen Analyse" zu dem Schluss kam, "Eigeninteresse und Selbsterhaltung" sprächen dafür, die wichtigsten Forderungen der USA zu erfüllen.

Dass die US-Regierung damals nicht sonderlich feinfühlig agierte, überrascht weniger als die Offenheit, mit der Musharraf erläutert, dass er sich ausländischem Druck beugte, vor allem aber, dass er die Taliban weiter unterstützt hätte, damit kein "neuer Feind an unserer Westgrenze" erscheint. Dieses Verhalten qualifiziert ihn nicht unbedingt als zuverlässigen Partner im "War on Terror". Er preist unablässig pakistanische Verhaftungserfolge, die wichtigsten Jihadisten jedoch, Ussama bin Laden, der al-Qaida-Stratege Ayman al-Zawahiri und Mullah Omar, der Führer der Taliban, bleiben unauffindbar.

Anfang September schloss die pakistanische Regierung zudem einen "Friedensvertrag" mit so genannten Stammesführern in Waziristan, einer Provinz an der Grenze zu Afghanistan. In Zukunft sollen die lokalen Machthaber dafür sorgen, dass die Jihadisten sich ruhig verhalten. Die pakistanische Armee zieht sich aus der Region weitgehend zurück. Musharraf nennt das eine "ganzheitliche Methode".

Für Bush sind das schlechte Nachrichten. Die im National Intelligence Estimate (NIE) zusammengefasste Einschätzung von 16 US-Geheimdiensten und Ermittlungsbehörden stellt fest, dass islamistische Terrorgruppen zahlreicher werden und es vermutlich zu einem "weltweiten Anstieg der Angriffe" kommen werde. Der Irak-Krieg habe diese Entwicklung gefördert. Afghanistan wurde bislang als Erfolgsgeschichte präsentiert, denn das Gewaltniveau war deutlich niedriger als im Irak. Die anhaltende Offensive der Taliban führte jedoch dazu, dass Kritiker wie Richard Haass, Präsident des einflussreichen Think Tanks Council on Foreign Relations, von der "Irakisierung Afghanistans" sprechen.

Bush kommentierte Musharrafs Enthüllungen und dessen Bemühen, seine Distanz zu den USA zu demonstrieren, sehr zurückhaltend und äußerte sich auch nicht öffentlich dazu, dass sein Verbündeter Waziristan faktisch den Jihadisten überlassen wird. Der US-Präsident ist derzeit vor allem daran interessiert, eine weitere Verschlechterung der Beziehungen zwischen Afghanistan und Pakistan zu verhindern. Auch die Erfolge der afghanischen Regierung im Kampf gegen den islamistischen Terror sind dürftig. Anders als Musharraf musste Präsident Hamid Karzai zwar nicht zum Jagen getragen werden, schließlich verdankt er seinen Posten dem Sieg der US-Truppen über die Taliban. Doch der Aufbau einheimischer Sicherheitskräfte kommt kaum voran, die Polizei und die Armee Afghanistans leisten keinen nennenswerten Beitrag zur Bekämpfung der Jihadisten.

Karzai wirft Musharraf seit Jahren immer wieder vor, nicht genug gegen die Infiltration durch islamistische Kämpfer zu tun. Der pakistanische Präsident begnügte sich zunächst damit, dies zu bestreiten, seit einigen Monaten aber attackiert er Karzai. Bush, der seine beiden Amtskollegen in der vergangenen Woche ins Weiße Haus ein- oder vorgeladen hatte, war sichtlich bemüht, einen offenen Streit der Kontrahenten zumindest vor den Kameras zu vermeiden. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass sich die afghanisch-pakistanische Zusammenarbeit verbessern wird.

"Mehr Pluralismus und verantwortlichere politische Systeme in Nationen mit muslimischer Mehrheit würden einige der Missstände mindern, die die Jihadisten ausnutzen", wird im NIE geraten. Die Demokratisierungspolitik der US-Regierung folgt jedoch weiterhin strategischen Interessen, der Militärherrscher Musharraf etwa ist keinem besonderen Druck ausgesetzt. In der Praxis ist der "War on Terror" Repressionspolitik, verbunden mit dem Bemühen, mit zumeist dubiosen Verbündeten ein Minimum an Stabilität herzustellen. Dies hat die Tendenz zur Warlordisierung im Irak und in Afghanistan begünstigt.

Gänzlich erfolglos war Bushs Politik nicht, denn es ist den Jihadisten bislang offenbar nicht gelungen, Terrorzellen in den USA aufzubauen. Dazu hat wohl auch Bushs multikonfessioneller Konservatismus beigetragen, der aus emanzipatorischer Sicht unerfreulich ist, aber reaktionäre Muslime dazu bewegen kann, die USA als ihr Land zu akzeptieren. Außerhalb der USA hingegen beeindruckt es kaum jemanden, wenn Bush den Koran zum Teil des amerikanischen Wertesystems erklärt.

Weit stärker wird die US-Politik daran gemessen, ob sich die Regierung auch selbst an die propagierten Werte hält. Das aber ist immer weniger der Fall. Am Donnerstag der vergangenen Woche stimmte der Senat einem Gesetz zu, das im Umgang mit "feindlichen Kämpfern" fast alle rechtsstaatlichen Garantien aufhebt. Die Gefangenen haben nicht das Recht, vor einem zivilen Gericht gegen ihre Inhaftierung zu klagen, ihnen steht nur ein vom Militär gestellter Verteidiger zu, und als Beweismittel können auch durch Folter erpresste Aussagen und Informationen anonymer Zeugen dienen. Dem Präsidenten bleibt es vorbehalten, nicht näher spezifizierte "harte" Verhörtechniken zu genehmigen, und allen Vernehmern wird von vornherein strafrechtliche Immunität garantiert.

Die innenpolitische Kritik ist heftig, und möglicherweise wird das Oberste Gericht das Gesetz zum Teil oder gänzlich für verfassungswidrig erklären. Die Richterin Anna Diggs Taylor belehrte den Präsidenten im August, als sie seine Abhörpraktiken für illegal erklärte: "Es gibt kein Erbkönigtum in Amerika." Anders als Bush haben selbst viele konservative Juristen begriffen, dass verantwortlichere politische Systeme auch in Nationen mit christlicher Mehrheit einige der Missstände mindern können, die die Jihadisten ausnutzen.

Quelle: Jungle World

Quelle: Der Beitrag erschien im Orginal am 4. Oktober 2006 in der Wochenzeitung Jungle World 40/06.

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